09.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131084
Amtsgericht Ratzeburg: Beschluss vom 24.01.2013 – 8 OWi 111/13
Zu den Unterlagen im Bußgeldverfahren, in die Akteneinsicht zu gewähren ist, gehören sämtliche verfahrensbezogenen Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen werden und auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird. Dieses Recht umfasst auch den Einblick in die Bedienungsanleitung des Gerätes, mit dem die Geschwindigkeitsmessung erfolgte, damit die richtige Bedienung und Aufstellung des Messgerätes nachvollzogen werden kann.
8 OWi 111/13
Amtsgericht Ratzeburg
Beschluss
In der Bußgeldsache
gegen pp.
Verteidiger Herr Rechtsanwalt Ralph Gübner, Elisabethstraße59, 24143 Kiel
wegen Verkehrs Owi
hat das Amtsgericht Ratzeburg am 24.01.2013 durch die Richterin
beschlossen:
Der Kreis Herzogtum Lauenburg ist verpflichtet, dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nach Beiziehung einer Kopie der Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsmessgerätes eso ES3.0der Firma eso GmbH zu den Akten, Einsicht durch deren Obersendung in die-Kanzleiräume des Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren, ersatzweise durch Übersendung lediglich einer Kopie unmittelbar in Papierform öder in elektronischer Form.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
I.
Gegen den Antragsteller ist beim Kreis Herzogtum Lauenburg ein Bußgeldverfahren wegen ,Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h anhängig, wobei di6 dem Antragsteller zur Last gelegte gefahrene Geschwindigkeit mit dem Einseitensensor eso ES3.0 der Firma eso GmbH gemessen wurde. Der Verteidiger des Antragstellers hat mit Schreiben vom 10, Dezember 2012 Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des Messgerätes beantragt. Die Bußgeldstelle. des Kreises Herzogtum Lauenburg hat abgelehnt, die Bedienungsanleitung in die Kanzleiräume des Verteidigers zu übersenden und ihm mitgeteilt, dass er die Bedienungsanleitung bei der Außenstelle einsehen könne. Dagegen wendet sich der Verteidiger mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 16.01.2013.
II.
Der Antrag ist nach, 62 OWiG zulässig.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.
Der Verteidiger des Antragstellers hat im Rahmen des Bußgeldverfahrens, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hat, nach § 46 OWiG iVm147 StPO ein Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Gericht oder einem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Das Akteneinsichtsrecht im Ordnungswidrigkeitenverfahren umfasst nämlich alle Schriftstücke und Unterlagen, die für den Betroffenen .als belastend oder entlastend von Bedeutung .sein könnten. Zu den Unterlagen im Bußgeldverfahren, in die hiernach Akteneinsicht zu gewähren ist, gehören sämtliche verfahrensbezogenen Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen werden und auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird. Dieses Recht umfasst auch den Einblick in die Bedienungsanleitung des Gerätes, mit dem die Geschwindigkeitsmessung erfolgte, damit die richtige Bedienung und Aufstellung des Messgerätes nachvollzogen werden kann.
Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit und dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen. Nur das Einsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgerätes ermöglicht es dem Verteidiger die Polizeibeamten, die die Messung vorgenommen haben, als Zeugen zu der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung-zu befragen und die ordnungsgemäße Bedienung des Gerätes nachzuvollziehen und zu überprüfen.
Hier kann dahinstehen, ob grundsätzlich urheberrechtliche Bedenken gegen eine Fertigung einer Kopie der Bedienungsanleitung bestehen. Denn diese Bedenken müssen jedenfalls im Ordnungswidrigkeitenverfahren zurückstehen. Es ist insoweit nämlich für eine Prüfung des Vorliegens eines standardisierten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des BGH notwendig, dass der Messgeräteeinsatz der Bedienungsanleitung entsprechend stattgefunden, hat. Kennen weder Verwaltungsbehörde, noch Verteidiger öder Gericht die Bedienungsanleitung, so kann diese Prüfung bei keinem der Verfahrensbeteiligten stattfinden. Dies gilt umso mehr, da jedem Hersteller von Geschwindigkeitsmessgeräten zur Verkehrsüberwachung bekannt ist, dass die mit den Geräten durchgeführten Messungen Gegenstand von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sind und insofern der Prüfung auch durch Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung unterliegen. Vor diesem Hintergrund ist von einer zumindest konkludenten. Einräumung entsprechender Nutzungsrechte mit Erwerb des. Messgerätes auszugehen, zumal anderenfalls alle Messungen mangels Überprüfbarkeit unverwertbar und die Geräte des Herstellers damit letztlich unverkäuflich wären.
Die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung am Ort der Polizeidienststelle, die die Messung durchgeführt hat, ist im Hinblick auf die hier zwischen dem Sitz der Polizeibehörde / der Bußgeldstelle und der Niederlassung des Verteidigers liegende Entfernung von etwa .100 km und einer Fahrzeit (laut Routenplaner) von 1: 23 h nicht zumutbar. Anderes mag gelten, wenn der Verteidiger kürzere Strecken zum Sitz der Polizeibehörde/Verwaltungsbehörde zurückzulegen hat. Kann dem Verteidiger somit wegen der weiten Entfernung zwischen seinem Kanzleisitz und dem Ort der Aufbewahrung der Akten eine Reise an den Aufbewahrungsort nicht zugemutet werden, ist Akteneinsicht im Wege der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung zu gewähren.
Die, Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 Satz 2 OWIG in Verbindung mit § 467 StPO.