09.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131092
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 31.01.2013 – III-1 RBs 178/12
Ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin kann auch dann als entschuldigt i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG anzusehen sein, wenn es auf einem (unrichtigen) Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht.
Bestehen ausreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der vom Verteidiger gegebenen Information, ist der Betroffene gehalten, bei Gericht nachzufragen.
OLG Hamm
31.01.2013
III-1 RBs 178/12
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.
Gr ünde
I.
Der Landrat des Kreises T-X hat gegen den Betroffenen am 16.01.2012 einen Bußgeldbescheid wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h erlassen und darin eine Geldbuße in H öhe von 190,- € festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Den Einspruch des Betroffenen gegen diesen Bußgeldbescheid hat das Amtsgericht Siegen mit dem angefochtenen Urteil verworfen, da der Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Termin nicht entbunden gewesen und er im Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei (§ 74 Abs. 2 OWiG).
Gegen dieses in seiner Abwesenheit und in Abwesenheit seines Verteidigers verkündete Urteil hat der Betroffene am 26.10.2012 Rechtsbeschwerde eingelegt, die er nach Zustellung des Urteils (Zustelldatum: 08.11.2012) am 20.11.2012 begründet hat. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und erhebt der Sache nach die Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG. Dazu führt er aus, dass der Betroffene nicht ohne genügende Entschuldigung dem Termin zur Hauptverhandlung ferngeblieben sei. Der Verteidiger habe Anfang September mit der Bußgeldrichterin ein Telefonat geführt, um die Angelegenheit zu erörtern. Es habe nach Möglichkeit eine Aufhebung des Fahrverbots gegen angemessene Erhöhung des Bußgeldes erreicht werden sollen. Das Gericht habe zunächst die Zustimmung der Staatsanwaltschaft einholen und anschließend auf die Sache zurückkommen wollen. Ein auf den 07.09.2012 bereits anberaumter Termin sei in der Folge auf den 19.10.2012 verlegt worden. In der Folge habe das Gericht dann mitgeteilt, dass nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft keine Einwände gegen die vorgeschlagene Vorgehensweise bestünden und im Beschlusswege entschieden werden solle. Dies habe der Verteidiger dem Betroffenen mitgeteilt und entsprechend den für den 19.10.2012 anberaumten Termin im Fristenbuch der Kanzlei streichen lassen.
In einem parallelen Bußgeldverfahren (Az.: 431 OWi-36 Js 1377/12 - 571/12 AG Siegen) sei dem Verteidiger des Betroffenen am 20.09.2012 ein Beschluss vom 14.09.2012 zugegangen. In diesem Parallelverfahren hat das Amtsgericht das streitgegenständliche Fahrverbot gegen entsprechende Erhöhung des Bußgeldes im Beschlusswege aufgehoben. Der Verteidiger sei davon ausgegangen, dass - da in diesem Parallelverfahren keine Vorgespräche stattgefunden hätten - das Gericht in beiden Verfahren vom Fahrverbot gegen Erhöhung des Bußgeldes abgesehen habe. Das Ganze sei so zu erklären, dass das Gericht bei dem Gespräch Anfang September das genannte Parallelverfahren im Blick gehabt habe, während der Verteidiger das hiesige Verfahren gemeint habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Siegen zurückzuverweisen.
Der Senat hat eine Kopie aus dem Fristenbuch des Verteidigers betreffend den 19.10.2012 sowie eine dienstliche Stellungnahme der Bußgeldrichterin angefordert und erhalten.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Auf die erhobene Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG führt sie zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Das Amtsgericht hat den Einspruch des Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Die Voraussetzung eines Ausbleibens "ohne genügende Entschuldigung" lag im Hauptverhandlungstermin nicht vor. Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ist überwiegend anerkannt, dass ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG anzusehen sein kann, wenn es auf einem (wenn auch unrichtigen) Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht (OLG Hamm, Beschluss vom 06.03.2006, 4 Ss OWi 44/06; OLG Hamm, NZV 1999, 307; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 74 Rdnr. 32).
Vorliegend hat der Verteidiger dem Betroffenen mitgeteilt gehabt, dass im Beschlusswege entschieden werden sollte, so dass der Betroffene davon ausgehen konnte, dass der Hauptverhandlungstermin vom 19.10.2012 nicht stattfinden würde. Von der Richtigkeit des entsprechenden Rügevorbringens hat sich der Senat durch Anforderung einer Kopie aus dem Fristenbuch des Verteidigers sowie einer dienstlichen Stellungnahme der Bußgeldrichterin und aufgrund des übrigen Akteninhalts überzeugt. Aus ihnen ergibt sich zwar kein unmittelbarer Beweis für die vom Verteidiger an den Betroffenen gegebene Information, dass im Beschlusswege entschieden werde. Jedoch lassen sich die weiteren vorgetragenen Umstände verifizieren, so dass letztlich auch an der Richtigkeit dieses Vortrages keine durchgreifenden Zweifel bestehen. Aus der übersandten Kopie aus dem Fristenbuch des Verteidigers ergibt sich, dass der entsprechende Termin dort tatsächlich gestrichen wurde. Im Hinblick auf die Strafbarkeit einer erst nachträglichen Streichung (d.h. nach Erkennen der Bedeutung dieser Streichung für den Senat) nach § 267 StGB und der daraus resultierenden straf- und berufsrechtlichen Konsequenzen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass insoweit eine Manipulation vorliegt. Aus dem Vermerk der Bußgeldrichterin vom 22.10.2012 (Bl. 90 d.A.) ergibt sich zudem, dass tatsächlich Anfang September, d.h. am 07.09.2012, ein Telefonat zwischen ihr und dem Verteidiger des Betroffenen stattgefunden hat, welches die Bußgeldrichterin allerdings dem Parallelverfahren zugeordnet hat. Infolgedessen steht zur Überzeugung des Senates fest, dass der Verteidiger dem Betroffenen eine - möglicherweise infolge eines Missverständnisses - falsche Information hinsichtlich des weiteren Verfahrens gegeben hat, aufgrund derer der Betroffene davon ausgehen konnte, der Hauptverhandlungstermin würde nicht mehr stattfinden. Aus der Stellungnahme der seinerzeitigen Richterin, die sich mangels Erinnerung auf die in den Akten gefertigten Vermerke berufen hat, ergibt sich nichts anderes.
Ein Fall, dass ausreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der vom Verteidiger erteilten Auskunft bestanden hätten, die den Betroffenen zur Nachfrage bei Gericht veranlasst hätten (vgl. insoweit BayObLG, NZV 2003, 293 m.w.N.), lag hier nicht vor. Dies hätte man allenfalls annehmen können, wenn die Ladung zu dem neuen Hauptverhandlungstermin am 19.10.2012 dem Betroffenen deutlich nach dem entsprechenden Hinweis des Verteidigers zugegangen wäre, so dass er Zweifel hätte haben müssen, ob es noch bei der angedachten Verfahrensweise (Beschlussentscheidung) verblieb. Ein solcher Ablauf ist hier aber nicht ersichtlich.
Dementsprechend war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Siegen zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).