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  • 08.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131448

    Amtsgericht Konstanz: Beschluss vom 06.03.2013 – 13 OWi 15/12

    Zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgerätes


    Aktenzeichen: 13 OWi 15/12

    Amtsgericht Konstanz

    In dem Bußgeldverfahren gegen

    Verteidiger:
    Rechtsanwalt Kurt Spangenberg, Osterstraße 12, 49661 Cloppenburg,
    wegen OWi-StVO; hier: gerichtliche Entscheidung
    erlässt das Amtsgericht Konstanz durch die Richterin am 06.03.2013 folgenden

    Beschluss
    1. Das Regierungspräsidium Karlsruhe ist verpflichtet, dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nach Beiziehung einer Kopie der Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsmessgerätes PoliScanSpeed der Firma Vitronic zu den Akten, Einsicht durch deren Übersendung in die Kanzleiräume des Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren, ersatzweise auch durch Übersendung lediglich einer Kopie unmittelbar in Papierform oder in elektronischer Form.
    2. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Staatskasse zu tragen.

    Gründe:
    I.
    Gegen den Antragsteller ist beim Regierungspräsidium Karlsruhe ein Bußgeldverfahren wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften anhängig. Die dem Antragsteller zu Last gelegte gefahrene Geschwindigkeit wurde mit dem oben genannten Gerät gemessen.

    Der Verteidiger des Antragstellers hat mit Schreiben vom 12.11.2012 Akteneinsicht in - unter anderem - die Bedienungsanleitung des Messgerätes durch Übersendung in die Kanzleiräume beantragt. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat daraufhin mit Schreiben vom 19.11.2012 mitgeteilt, dass nach telefonischer Rücksprache Einsicht in die Bedienungsanleitung in den Räumen des Regierungspräsidiums Karlsruhe gewährt werden könne. Hiergegen hat der Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 21.11.2012 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Er hat geltend gemacht, dass die Einsicht in die Bedienungsanleitung zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung erforderlich ist und die Einsichtnahme in den Räumen des Regierungspräsidiums aufgrund der Entfernung des Kanzleisitzes (49661 Cloppenburg) nicht zumutbar sei. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat die Akten zur Entscheidung beim Amtsgericht vorgelegt.

    II.
    Der Antrag ist nach § 62 OWiG zulässig. Er ist auch begründet.
    1. Der Verteidiger des Antragstellers hat im Rahmen des Bußgeldverfahrens, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hat, nach § 46 OWiG, § 147 StPO ein Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Gericht oder einem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Das Akteneinsichtsrecht umfasst alle Schriftstücke und Unterlagen, die für den Betroffenen als belastend oder entlastend von Bedeutung sein können; hierzu gehört auch die Bedienungsanleitung eines Messgerätes (KG, Beschluss vom 07.01.2013 - 3 Ws (B) 596/12 - 122 Ss 178/12 - veröffentlicht bei www.burhoff.de mit zahlreichen weiteren Nachweisen, AG Heidelberg, BeckRs 2011, 25873, LG Ellwangen, LSK 2012, 170024, AG Ellwangen NZV 2011, 362, AG Karlsruhe, BeckRS 2012, 04061). Diese wird insbesondere von Sachverständigen regelmäßig im Rahmen der Gutachtenerstellung herangezogen und diesen wird auch Einsicht gewährt, so dass sie auch dem Verteidiger - jedenfalls bei einem entsprechenden Antrag - als Bestandteil der Akte zur Verfügung zu stellen ist.

    2. Die Kenntnis der Funktionsweise des Messgerätes ist zur Vorbereitung der Befragung des Messbeamten und gegebenenfalls eines Sachverständigen im Rahmen der Verteidigung auch erforderlich, so dass auch aus diesem Grund Einsicht zu gewähren ist. Die Verwendung gemäß Bedienungsanleitung ist grundsätzlich von der Zulassung eines Gerätes durch die PTB vorausgesetzt, so dass im Falle einer nicht in diesem Sinne ordnungsgemäßen Bedienung durch den Messbeamten auch Zweifel an der Richtigkeit der Messung bestehen. Zwar trifft das Argument des Amtsgerichts Detmold (Beschl. V. 04.02.2012 - 4 OWi 989/11, BeckRs 2012, 05163 - soweit ersichtlich das einzige Gericht, dass ein Einsichtsrecht insgesamt ablehnt) zu, dass die gängigen Messverfahren in der einschlägigen Fachliteratur dargestellt und erläutert werden, so dass ein Verteidiger sich auch auf diesem Wege Kenntnis von der Funktionsweise des Messgerätes verschaffen kann. Es handelt sich hierbei jedoch um Sekundärliteratur, in welcher regelmäßig eine selektive Darstellung vorgenommen wird. Es muss dem Verteidiger jedoch unbenommen bleiben, selbst zu prüfen und zu bewerten, welche Aspekte der Bedienungsanleitung er für verteidigungsrelevant hält.

    3. Teilweise wird unter Verweis auf § 147 IV StPO vertreten, dass es ausreichend ist, dass Einsicht in die Bedienungsanleitung in den Räumen der jeweiligen Verwaltungsbehörde gewährt wird (AG Gelnhausen NZV 2011, 362, AG Verden BeckRs 2011, 03779, AG Heilbronn, Beschluss vom 03.02.2012, 31 OWi 3217/2011). Die ganz überwiegende Meinung (vgl. die Nachweise oben unter 1.) geht hingegen davon aus, dass Akteneinsicht durch Versendung der Bedienungsanleitung zu gewähren ist. Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob § 147 IV StPO, der direkt für die bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht befindlichen Akten gilt, uneingeschränkt auch für die Verwaltungsbehörde im Rahmen des OWiG gilt. Für eine Einschränkung spricht, dass es sich bei Ordnungswidrigkeitenverfahren um Massenverfahren mit regelmäßig schlanken Akten, überschaubarem Ermittlungsbedarf und eher geringerer Bedeutung handelt, bei denen es regelmäßig vorkommt, dass Betroffener und Verteidiger sich - infolge der Bearbeitung durch die Behörde am Tatort - in erheblicher Entfernung zur aktenführenden Behörde befinden. Dementsprechend hat das Amtsgericht Karlsruhe (ohne nähere Begründung) entschieden, dass die Akteneinsicht durch Übersendung zu gewähren ist, da eine Anreiseverpflichtung jedenfalls bei größerer Entfernung unverhältnismäßig sei (AG Karlsruhe, Beschl. V. 02.02.2012, 8 OWi 15/12). § 147 IV StPO greift im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil die Verwaltungs-behörde selbst grundsätzlich Akteneinsicht durch Versendung in die Räume des Rechtsanwalts gewährt hat und lediglich die Bedienungsanleitung nicht zu dieser Akte hinzugefügt hat. Die Bedienungsanleitung ist indes - wie oben mit Verweis auf die herrschende Meinung in der Rechtsprechung dargelegt - jedenfalls auf Antrag der Akte hinzuzufügen.

    4. Das Urheberrecht des Herstellers steht einer Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung durch den Verteidiger sowie der Fertigung von Kopien nicht entgegen, da es nach § 45 I und III UrhG zulässig ist, einzelne Vervielfältigungsstücke von Werken zur Verwendung in Verfahren vor einem Gericht oder einer Behörde herzustellen oder herstellen zu lassen und unter den gleichen Voraussetzungen auch die Verbreitung der Werke zulässig ist (KG a.a.O.m.w.N.).

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 II S. 2 OWiG, 473 IV StPO.