03.09.2013 · IWW-Abrufnummer 132799
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 31.07.2013 – 322 SsBs 65/13
Bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, grundsätzlich neben dem angewandten Messverfahren jeweils auch den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen.
322 SsBs 65/13
Beschluss
In der Bußgeldsache
gegen pp.
- Verteidiger: Rechtsanwalt Kirchmann, Wülfrath -
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 4. Dezember 2012 auf An-trag der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter am Oberlandesgericht am 31. Juli 2013 beschlossen:
Das Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 4. Dezember 2012 wird mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Lüneburg zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht Lüneburg verurteilte den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil wegen vorsätzlicher Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 63 km/h zu einer Geldbuße von 880 € und setzte gegen ihn ein Fahrverbot von zwei Monaten fest.
Nach den Fettstellungen befuhr der Betroffene am 06.11.2011 gegen 02:59 Uhr mit seinem Pkw. mit dem amtlichen Kennzeichen pp. in der Gemarkung Lüneburg die B 4/B 209 in Fahrt-richtung Soltau/Uelzen. Vor der von dem Betroffenen mit seinem Pkw passierten Messstelle ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch mehrfach angebrachte Verkehrszeichen auf 100 km/h beschränkt. Nach den weiteren Urteilsfeststellungen wurde die Geschwindigkeit des Pkws des Betroffenen mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät des Typs TRAFFIPAX Traffi Phot S gemessen. Zu der gemessenen Höchstgeschwindigkeit heißt es weiter: „Der Betroffene passierte die Anlage mit einer Geschwindigkeit von 163 km/h. Er überschritt die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h damit um 63 km/h."
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt.
Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg, sodass es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht bedarf.
Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
Zwar dürfen die Anforderungen an die Urteilsgründe im Bußgeldverfahren nicht überspannt werden, weil das Bußgeldverfahren nicht der Ahndung kriminellen Unrechtes dient, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung. Daher dürfen gerade in Bußgeldsachen an die Urteilsgründe keine übertriebenen hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 71 Rdnr. 42). Gleichwohl müssen die Feststellungsgrundlagen so klar und eindeutig mitgeteilt werden, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird.
Bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen reicht es grundsätzlich aus, wenn das Urteil neben dem Messverfahren und dem Messergebnis auch den berücksichtigten Toleranzwert für etwaige Messfehler angibt. Da die Zuverlässigkeit der verschiedenen Messmethoden und ihr vom Tatrichter zu beurteilender Beweis wert naturgemäß voneinander abweichen, kann es grundsätzlich nicht mit der Wiedergabe der als erwiesen erachteten Geschwindigkeit sein Bewenden haben. Vielmehr muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, neben dem angewandten Messverfahren jeweils auch den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen (OLG Rostock, Beschluss vom 27.04.2001 - 2 Ss (Owi) 23/01 I 58/01 -; BGHSt 39, 291 ff.).
Diesen Anforderungen genügen die Urteilsfeststellungen nicht. Das Urteil teilt zur festgestellten Geschwindigkeit lediglich mit, der Betroffene habe die Messstelle mit einer Geschwindigkeit von 163 km/h passiert und damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 63 km/h überschritten. Hieraus ist für den Senat nicht erkennbar, ob es sich bei den 163 km/h um die von der Geschwindigkeitsmessanlage gemessene Bruttogeschwindigkeit des Pkws des Betroffenen oder um die - nach Toleranzabzug ermittelte - vorwerfbare Geschwindigkeit handelt. Zudem kann der Senat nicht überprüfen, ob das Amtsgericht den zutreffenden Toleranzabzug zugrunde gelegt hat. Da der Senat die Berücksichtigung des Toleranzabzuges auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang des Urteiles entnehmen kann und zudem an keiner Stelle des Urteiles deutlich wird, dass es sich bei der zugrunde gelegten Geschwindigkeit von 163 km/h um diejenige nach Abzug des Toleranzwertes handelt, konnte das Urteil aufgrund des aufgezeigten Mangels keinen Bestand haben.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das in den Urteilsgründen ordnungsgemäß in Bezug genommene und damit für den Senat zugängliche Foto (BI. 1 Bd. I d. A.) jedenfalls generell zur Identifizierung von Personen geeignet ist.