Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Abstandsverstoß

    Abstandsmessung aus vorausfahrendem Polizeifahrzeug

    Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung muss ein Abstandsmessverfahren, das auch gerichtlicher Schuldfeststellung zugrunde gelegt werden kann, nach festen Regeln oder Richtlinien durchgeführt werden. Das gilt auch für Fälle, in denen von einem Polizeifahrzeug aus durch den Rückspiegel ein unzulässig niedriger Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs beobachtet wird (OLG Bremen 24.9.15, 1 SsBs 67/15, Abruf-Nr. 145667).

     

    Sachverhalt

    Das AG hat die Betroffene wegen fahrlässigen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstandes verurteilt. Die Abstandsmessung ist durch Polizeibeamte erfolgt, die dem von der Betroffenen geführten Fahrzeug vorausgefahren sind und das Fahrzeug des Betroffenen durch den eigenen Rückspiegel beobachtet haben.

     

    Zwei Polizeibeamte hatten auf der Autobahn über eine Strecke von ca. 1.500 Metern bei einer auf dem nicht justierten Tacho angezeigten Geschwindigkeit von durchgängig mindestens 130 km/h das nachfolgende Auto der Betroffenen in zwei für den Fahrer und den Beifahrer angebrachten Rückspiegeln beobachtet. Sie hatten sich gemerkt, welchen Teil der Front des nachfolgenden Fahrzeugs sie auf welche Entfernung sehen konnten (das Kennzeichen teilweise gar nicht mehr). Dann hatten sie auf dem Standstreifen beide Fahrzeuge in einem solchen Abstand aufgestellt, dass bei einem Blick in den Rückspiegel das Fahrzeug der Betroffenen genauso weit entfernt erschien wie während der Fahrt. Der Abstand wurde dabei mit einem geeichten Messrad mit 7,50 m gemessen.

     

    Wegen der Ungenauigkeit der rein optischen Wahrnehmung wurde der gemessene Abstand für den Vorwurf an die Betroffene verdoppelt, also auf 15 m erhöht. Von der auf dem Tachometer abgelesenen geringsten Geschwindigkeit von 130 km/h wurde ein Toleranzwert von 20 Prozent abgezogen, für den Tatvorwurf mithin eine Geschwindigkeit von 104 km/h zugrunde gelegt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Inwieweit die Feststellung zu geringen Abstands durch Vorfahren möglich ist (Beobachten durch die Heckscheibe des Innenspiegels) ist Tatfrage. Wegen der erheblichen Fehlerquellen sind Mindestvoraussetzungen einzuhalten: ununterbrochene Spiegelbeobachtung durch erfahrenen (geschulten) Polizeibeamten und genaue Messung von Zeit und Strecke (Hentschel/König/Dauer, 43. Aufl. 2105, Straßenverkehrsrecht, § 4 StVO Rn. 29). Da sich nach einhelliger Auffassung über eine nachträgliche Rekonstruktion nicht mit absoluter Genauigkeit der Abstand feststellen lässt, der während der Fahrt bestand, muss ein Sicherheitszuschlag auf den gemessenen Abstand erfolgen, der über 33,3 % liegen muss (u.a. OLG Düsseldorf VRS 68, 229, 232; OLG Koblenz VRS 71, 66, 68: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, a.a.0. § 4 StVO Rn. 29). Die insoweit erforderliche Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Die Beweiswürdigung des AG ist nicht widersprüchlich, unklar und verstößt auch nicht gegen Denkgesetze, d.h. gegen Gesetze der Logik. Der hier zugrunde gelegte Sicherheitszuschlag zu dem durch Rekonstruktion ermittelten Abstands (bei Nachstellung im ruhenden Verkehr) von 7,5 m beträgt 100 %. Denn das AG hat einen vom Betroffenen gehaltenen Abstand von 15 m angenommen bei einer zugrunde gelegten Geschwindigkeit von 104 km/h.

     

    Praxishinweis

    Eine überraschende Entscheidung. Wenn man sich die Messsituation vorstellt, fragt man sich dann doch, was Polizeibeamte so alles können. Das OLG hat dann aber - in Übereinstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft - doch ein Haar in der Suppe/eine Lücke im Urteil des AG gefunden. Es vermisst nämlich Feststellungen des AG dazu, über welche Erfahrungen die beiden Polizeibeamten zur Tatzeit verfügten. Auch wenn es schon allein aufgrund ihrer professionellen Vorgehensweise bei der Abstandsmessung nahe liege, dass sie nicht das erste Mal einen Abstandsverstoß durch ein nachfolgendes Fahrzeug feststellten, müsse das Urteil dazu Feststellungen enthalten und diese würdigen.

     

    Das OLG Bremen will in dem Zusammenhang aber nicht so weit gehen, wie vor einiger Zeit das OLG Hamm (24.10.00, 3 Ss OWi 968/00, VA 01, 58). Das hatte verlangt, dass es sich bei solchen Messungen um geschulte und in der Anwendung des Abstandsmessverfahrens erfahrene Personen handeln müsse. Das OLG Bremen sieht das als „völlig überzogen“ an, wenn damit gemeint sein sollte, dass die Polizeibeamten in der Abstandsmessung durch Vorausfahren geschult sein müssen. Dabei handelt es sich nämlich um kein übliches Messverfahren, für das Schulungen stattfinden. Der Abstandsverstoß wird eher zufällig festgestellt, weil ein Drängler zu dicht auf ein ziviles Polizeifahrzeug auffährt, das er nicht als solches erkannt hat.

     

    Vielmehr sei nach Ansicht des OLG Hamm ausreichend, dass ein in der Beobachtung von Verkehrsgeschehen erfahrener Polizeibeamter das nachfolgende Fahrzeug über eine längere Strecke ständig im Innenspiegel beobachtet (OLG Koblenz VRS 71, 66, 68; AG Lüdinghausen VA 08, 212). Ob das ausreicht, kann man wegen der außergewöhnlichen Vorgehensweise bezweifeln.

    Quelle: ID 43683389