· Nachricht · Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
Nicht jedes Überholen ist ein Überholen
| Um ein Überholen nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB handelt es sich nicht, wenn das Vorbeifahren nicht auf der von dem anderen Fahrzeug benutzten Fahrbahn seinen Ausgang nimmt. So hat das OLG Oldenburg entschieden. |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Das LG hatte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 3 Nr. 1 StGB verurteilt. Dabei war es von folgenden Feststellungen ausgegangen. Am Tattag wollte der Angeklagte mit seinem Pkw auf kürzester Strecke zu seinem Arbeitsplatz gelangen. Sein Fahrzeug war auf dem Grundstücksstreifen zwischen Wohnhaus und dem gepflasterten Gehweg der O.-Straße geparkt. Auf der O.-Straße war der Verkehr ins Stocken geraten. Der Angeklagte wollte den Stau umgehen. Die Entfernung bis zur nächsten Querstraße, der B.-Straße, legte er auf dem Geh- und Radweg zurück. Dabei fuhr er mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 ‒ 15 km/h. Als er von dem Geh- und Radweg auf die B.-Straße fuhr, bog der Zeuge P. von der O.-Straße auf B-Straße ab. Der Angeklagte wollte sich noch vor den Zeugen setzen und fuhr daher ‒ zügiger als der Zeuge P. ‒ weiter auf die Straße ein. P musste daher abrupt abbremsen und dem Angeklagten und seinem Pkw ausweichen, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Das Fahrzeug des Zeugen P. kam in einem Abstand zum Fahrzeug des Angeklagten von wenigen Millimetern bis zu maximal 3 cm zum Stehen. Im Falle einer Kollision wäre am Fahrzeug des Zeugen P. ein Schaden von etwa 2.000 ‒ 2.500 EUR entstanden.
Die Revision des Angeklagten hatte teilweise Erfolg. Das OLG hat den Angeklagten nur wegen eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 1, § 10 S. 1 StVO verurteilt (29.10.18, 1 Ss 173/18, Abruf-Nr. 206347).
Ein „Überholen“ i. S. d. § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB hat es hingegen verneint. Das begründet das OLG damit, dass das Überholen hier nicht auf der von dem anderen Fahrzeug benutzten Fahrbahn seinen Ausgang genommen hat.
Relevanz für die Praxis
Zwar hat der BGH die Frage bislang noch nicht entschieden, sondern sie vielmehr ausdrücklich offengelassen (vgl. zuletzt BGHSt 61, 249 a. a. O.). Das OLG verneint sie nun aber ausdrücklich, obwohl der weite Begriff des Überholens im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB keine Bewegung auf derselben Fahrbahn voraussetzt. Andererseits kann bei Bewegungsvorgängen auf Flächen außerhalb der Fahrbahn bzw. auf verschiedenen Fahrbahnen auch nicht jedes „Vorbeifahren eines Verkehrsteilnehmers von hinten an einem anderen, der sich in derselben Richtung bewegt,“ unter den strafrechtlichen Überholbegriff subsumiert werden. Kein Überholen liegt daher z. B. vor, wenn der in eine BAB Einfahrende schneller als der sich auf der Durchgangsfahrbahn bewegende Fahrzeugführer fährt und sich nach dem Einfahrvorgang vor diesen setzt. Denn hier liegt der Schwerpunkt des „Überholvorgangs“ nicht auf der durchgehenden Fahrbahn, weil er dort nicht beginnt.