· Nachricht · Prozessrecht
Vollmachtsfragen: Zustellungsvollmacht und Verteidiger als „Vertreter“ des Angeklagten
| Vollmachtsfragen spielen in der Praxis immer wieder eine Rolle. Hinzuweisen ist in dem Zusammenhang auf zwei neuere Entscheidungen des KG. |
1. Verteidiger als „Vertreter“ des Angeklagten im Abwesenheitsverfahren
Zum einen hat das KG zur Befugnis des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme Stellung genommen (1.7.20, (4) 121 Ss 71/20 (74/20), Abruf-Nr. 217534). Der Verteidiger war „Vertreter“ des Angeklagten in einem Abwesenheitsverfahren. Das KG sagt: Ein Verteidiger, der nicht nur als Beistand des Angeklagten (§ 137 StPO) tätig wird, sondern den abwesenden Angeklagten nach § 411 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung zulässig vertritt, tritt in dieser Verfahrenssituation an die Stelle des Angeklagten. Er kann mit Wirkung für und gegen diesen Erklärungen abgeben und entgegennehmen, den Angeklagten also in der Erklärung und im Willen vertreten. Er ist befugt, sämtliche zum Verfahren gehörenden Erklärungen abzugeben, zu denen Rechtsmittelrücknahmen und somit auch Rechtsmittelbeschränkungen, die Teilrücknahmen darstellen, gehören.
2. Zustellungsvollmacht kann sich aus konkludentem Verhalten ergeben
Zum anderen hat das KG noch einmal das leidliche Thema der (rechtsgeschäftliche) Zustellungsvollmacht behandelt (15.6.20, (4) 161 Ss 55/20 (59/20), Abruf-Nr. 217535). Das KG geht davon aus, dass eine wirksame Zustellung nicht nur über die Fiktion aus § 145a Abs. 1 StPO, sondern auch auf der Grundlage einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht erfolgen kann. Liege keine ausdrückliche Bevollmächtigung zur Entgegennahme von Zustellungen vor, so sei die Frage, ob der Angeklagten und sein Verteidiger dahingehend übereingekommen seien, anhand der Gesamtheit der erkennbaren Umstände sowie des Auftretens des Rechtsanwalts im Verfahren zu entscheiden. Auf das Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht könne auch aus konkludentem Verhalten geschlossen werden.
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