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  • · Fachbeitrag · Straf- und Bußgeldrecht

    Rechtsprechungsübersicht zum E-Scooter im Straf- und Bußgeldrecht

    Von RA D. Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

    | Seit einigen Jahren werden im öffentlichen Straßenverkehr vermehrt E-Scooter genutzt. Damit haben natürlich die mit der Nutzung zusammenhängenden Rechtsfragen erheblich an Bedeutung zugenommen. Auch wir haben in der letzten Zeit häufig über Rechtsfragen zu E-Scootern berichtet. Wir wollen heute in der nachfolgenden Checklisten die Fragen zum E-Scooter betreffend Straf- und Bußgeldrecht vorstellen. |

     

    Checkliste 1 / Allgemeine Fragen Strafrecht und Nebengebiete

    Frage
    Antwort
    • 1. Wo ist der E-Scooter gesetzlich geregelt?

    Die gesetzliche Regelung findet sich in der VO über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) vom 6.6.19 (BGBl. I, 756), die am 15.6.19 in Kraft getreten ist.

    • 2. Wo findet man die Definition von E-Scootern/Elektrokleinstfahrzeugen?

    Elektrokleinstfahrzeuge sind in § 1 eKFV definiert. Danach ist die VO anwendbar auf

    • Kraftfahrzeuge (Kfz) mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit (bbH) von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h,
    • Fahrzeuge ohne Sitz oder selbstbalancierende Fahrzeuge mit oder ohne Sitze,
    • eine Lenk- oder Haltestange von mindestens 500 mm für Kfz mit Sitz und von mindestens 700 mm für Kfz ohne Sitz,
    • eine Nenndauerleistung von nicht mehr als 500 Watt oder von nicht mehr als 1400 Watt, wenn mindestens 60 Prozent der Leistung zur Selbstbalancierung verwendet werden,
    • eine Gesamtbreite von nicht mehr als 700 mm, eine Gesamthöhe von nicht mehr als 1400 mm und eine Gesamtlänge von nicht mehr als 2000 mm und
    • eine maximale Fahrzeugmasse ohne Fahrer von nicht mehr als 55 kg.
    • 3. Handelt es sich bei E-Scootern um Kraftfahrzeuge i. S. d. StVG?

    Diese Frage wird von der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung bejaht (u. a. BayObLG 24.7.20, 205 StRR 216/20, VA 20, 222; OLG Frankfurt a. M. 8.5.23, 1 Ss 276/22, VA 23, 173; LG München I, 29.11.19, 26 Qs 51/19, VA 20, 71; LG Lüneburg 27.6.23, 111 Qs 42/23; LG Mannheim 8.11.22, 12 Ns 404 Js 11650/22; LG Wuppertal 2.2.22, 25 Qs 63/21, VA 22, 88; a. A. AG Wuppertal DAR 22, 155, s. noch die Rechtsprechung bei Checkliste 2 Ziffer 2 und 12).

    • 4. Werden auch Pedelecs als Kfz angesehen?

    Nein (OLG Karlsruhe 14.7.20, 2 Rv 35 Ss 175/20, VA 20, 180).

    • 5. Braucht man für das Führen eines E-Scooters eine Fahrerlaubnis?

    Nach § 3 eKFV, § 10 Abs. 3 S. 2 a FeV sind Personen zum Führen eines E-Scooters berechtigt, die das 14. Lebensjahr vollendet haben. Eine Fahrerlaubnis ist grundsätzlich nicht erforderlich (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a FeV).

     

    Praxistipp | Etwas anderes gilt bei einem technisch getunten E-Scooter: Beträgt die Höchstgeschwindigkeit auf ebener Bahn dann mehr als 25 km/h, besteht eine Fahrerlaubnispflicht nach Klasse AM oder A1 (vgl. (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a FeV).

    • 6. Muss ein E-Scooter haftpflichtversichert sein?

    Nach § 1 PflVG besteht für den Halter eines Kfz die Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Daher muss ein E-Scooter, der ja als Kfz angesehen wird, mit einer gültigen Versicherungsplakette für eKF nach § 29a FZV versehen sein (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 eKFV).

     

    Checkliste 2 / Spezielle Fragen Strafrecht und Nebengebiete

    Frage
    Antwort
    • 1. Gelten für eine Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter Besonderheiten?

    Nein, es gelten grundsätzlich keine Besonderheiten. Es müssen die Voraussetzungen des § 316 StGB erfüllt sein.

    • 2. Welcher Grenzwert gilt für eine Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter? Gilt der Grenzwert für von 1,1 o/oo für Kfz oder gilt der Grenzwert für Fahrradfahrer von 1,6 o/oo?

    Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der Grenzwert für Kfz gilt, also 1,1 o/oo. Das wird damit begründet, dass E-Scooter in § 1 Abs. 1 eKFV als Kraftfahrzeuge angesehen werden und damit die für die geltenden Regelungen anzuwenden seien, soweit nicht für Elektrokleinstfahrzeuge ausdrücklich abweichende Regelungen geschaffen wurden. Letzteres sei nicht der Fall (s. dazu BayObLG 24.7.20, 205 StRR 216/20, VA 20, 222; KG 31.5.22, (3) 121 Ss 40/22 (13/22), VA 22, 178; 10.5.22, [3] 121 Ss 67/21 [27/21]; OLG Frankfurt a. M. 8.5.23, 1 Ss 276/22, VA 23, 173; LG Dortmund 7.2.20,31 Qs 1/20; LG München I, 29.11.19, 26 Qs 51/19, VA 20, 71; s. auch noch die Zusammenstellung VA 20, 71; krit. Schefer NZV 20, 239).

    • 3. Gibt es zu der Frage Rechtsprechung des BGH?

    Der BGH hat sich zwar zum E-Scooter geäußert, die Frage des Grenzwerts hat er aber offengelassen (BGH 2.3.21 4 StR 366/20, VA 21, 146; 13.4.23, 4 StR 439/22, VA 23, 139).

    • 4. Welche Feststellungen müssen bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter getroffen werden?

    Erforderlich sind Feststellungen zu Art und technischer Beschaffenheit, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob der für absolute Fahruntüchtigkeit entwickelte BAK-Grenzwert von 1,1 o/oo zugrunde gelegt werden konnte (BGH 2.3.21, 4 StR 366/20, VA 21, 146; 13.4.23, 4 StR 439/22, VA 23, 139; LG Oldenburg 24.10.22, 6 Qs 56/22, 23, 286).

    • 5. Was gilt für Trunkenheitsfahrten (§ 316 StGB) mit einem Grenzwert unter 1,1 o/oo?

    Bei einem Grenzwert unter 1,1 o/oo handelt es sich „nur“ um sog. relative Fahruntüchtigkeit. Die Fahrt ist also nur strafbar, wenn auf die Alkoholisierung zurückzuführende Ausfallerscheinungen vorliegen.

    • 6. Was gilt für eine sog. Drogenfahrt mit einem E-Scooter?

    Für Drogenfahrten gibt es keine Grenzwerte. Daher müssen für eine Strafbarkeit auf den Drogenkonsum zurückzuführende Ausfallerscheinungen festgestellt werden. Es gelten die allgemeinen Regeln.

    • 7. Gelten für den Begriff des „Führens eines Fahrzeugs“ Besonderheiten?

    Nein. Es gelten die allgemeinen Regeln. Das LG Oldenburg sieht allein in dem Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt durch einen absolut fahruntüchtigen Sozius unabhängig von aktiven Lenkbewegungen nach links oder rechts, um eine Kurve zu fahren, ein Lenken des Fahrzeugs und damit das „Führen“ eines Fahrzeugs im Sinne des § 316 StGB (LG Oldenburg (7.11.22, 4 Qs 368/22, VA 23, 29).

     

    Praxistipp | Das LG Hildesheim geht davon aus, dass derjenige, der einen E-Scooter im öffentlichen Straßenverkehr wie einen einfachen Tretroller mit bloßer Muskelkraft fortbewegt, sich auch dann nicht strafbar macht, wenn er zuvor Drogen konsumiert hat, aber keine Ausfallerscheinungen zeigt (LG Hildesheim 20.9.22, 13 Ns 40 Js 25077/21, VA 23, 29).

    • 8. Gelten Besonderheiten für das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)?

    Nein, der E-Scooter-Fahrer kann als Unfallbeteiligter Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 StGB sein. Es gelten die allgemeinen Regeln.

    • 9. Gelten Besonderheiten für das Fahren ohne Fahr- erlaubnis (§ 21 StVG)?

    Ist das Fahren mit dem E-Scooter nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a FeV fahrerlaubnispflichtig (s. o. Checkliste 1 Ziffer 5), kann Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG in Betracht kommen. Es müssen dann aber Feststellungen getroffen werden, aus denen die Fahrerlaubnispflicht folgt (ähnlich BGH 2.3.21, 4 StR 366/20, VA 21, 146).

     

    Nach § 3 eKFV, § 10 Abs. 3 S. 2a FeV sind Personen zum Führen eines E-Scooters berechtigt, die das 14. Lebensjahr vollendet haben. Eine Fahrerlaubnis ist grundsätzlich nicht erforderlich (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a FeV).

     

    Praxistipp | Etwas anderes gilt bei einem technisch getunten E-Scooter: Beträgt die Höchstgeschwindigkeit auf ebener Bahn dann mehr als 25 km/h, besteht eine Fahrerlaubnispflicht nach Klasse AM oder A1.

    • 10. Kann ggf. ein Verstoß gegen § 6 PflVG vorliegen?

    § 6 PflVG ist erfüllt, wenn der E-Scooter ohne formellen Bestand des erforderlichen Haftpflichtversicherungsvertrags geführt wird (BGH 24.5.22, 2 StR 394/21, NStZ-RR 22, 281).

    • 11. Kann bei einer der o. a. Taten die Fahrerlaubnis nach § 69, § 69a StGB; § 111a StPO entzogen werden?

    Die damit zusammenhängenden Fragen sind in der Rechtsprechung bisher nicht endgültig geklärt. Der Streit wird insbesondere bei § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB geführt. Es stellt sich also immer die Frage des sog. Regelfalls.

     

    Praxistipp | Der Verteidiger muss die Besonderheiten des Einzelfalls herausarbeiten. Auf die wird in der Rechtsprechung abgestellt: Von Bedeutung sind Tatzeit (nachts?), Tatort, Länge der Fahrstrecke, Höhe der BAK, sonstige Besonderheiten.

    • 12. Rechtsprechung zur Entziehung der Fahr- erlaubnis:

    Wir hatten Rechtsprechung dazu bereits zusammengestellt in VA 20, 71 f. Darauf wird verwiesen.

    Darüber hinaus ist hinzuweisen auf:

     

    Regelvermutung bejaht:

    • KG 31.5.22, (3) 121 Ss 40/22 (13/22), VA 22, 178; 10.5.22, [3] 121 Ss 67/21 [27/21];
    • OLG Frankfurt a. M. 8.5.23, 1 Ss 276/22, VA 23, 173;
    • LG Flensburg 23.9.21, V Qs 42/21;
    • LG Köln 9.10.20, 117 Qs 105/20;
    • LG Mannheim 8.11.22, 12 Ns 404 Js 11650/22;
    • LG Oldenburg 7.11.22, 4 Qs 368/22, VA 23, 29;
    • LG Lüneburg 27.6.23, 111 Qs 42/23, VA 23, 29;
    • LG Stuttgart 12.3.21, 18 Qs 15/21.

     

    Regelvermutung verneint:

    • LG Chemnitz 9.8.22, 4 Qs 283/22, DAR 23, 50;
    • LG Düsseldorf 28,12.20, 20 Qs 61/20, DAR 21, 162;
    • LG Osnabrück 17.8.23, 5 NBs 59/23, Abruf-Nr. 237745;
    • LG Halle 16.7.20, 3 Qs 81/20, VA 20, 181;
    • LG Hannover 5.7.22, 36 Ns 65/22;
    • LG Leipzig 24.6.22, 9 Ns 504 Js 66330/21, VA 22, 196;
    • AG Dresden 5.11.20, 213 Cs 634 Js 44073/20, DAR 21, 163;
    • AG Frankfurt a. M. 16.6.20, 976 Cs - 661 Js 59155/19, NZV 20, 598;
    • AG Hamburg 17.12.21, 248a Cs 318/21;
    • AG Hannover 27.4.22, 220 Cs 114/22, DAR 22, 710;
    • AG Heidelberg 20.10.21, 11 Cs 560 Js 15453/21, DAR 22, 47.
    • 13. Kann anstelle der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ein Fahr-
    • verbot verhängt werden?

    Ja, ein Fahrverbot nach § 44 StGB ist möglich.

     

    Praxistipp | Der Verteidiger darf bei der Verhängung eines Fahrverbotes nach § 44 StGB die Anrechnungsregelung in § 51 Abs. 5 StGB nicht übersehen.