· Fachbeitrag · Vollstreckungsrecht
Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen - was gibt es an Rechtsprechung?
| Am 28.10.10 sind die Regelungen zur Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen in §§ 87 ff. IRG eingeführt worden. Wurden zuvor nur in seltenen Fällen Verkehrsverstöße im Ausland hier geahndet, können sie jetzt grundsätzlich auch in der Bundesrepublik vollstreckt werden. Die praktische Bilanz drei Jahre nach Einführung ist ernüchternd, denn bisher sind nur wenige Entscheidungen zu der Problematik bekannt geworden. Diese stellen wir Ihnen im Rahmen einer Bestandsaufnahme im Überblick vor. |
PRAXISHINWEIS | Die Fragen beschäftigen im Übrigen auch den 52. Verkehrsgerichtstag, der vom 29. bis 31.1.14 in Goslar tagt, in seinem AK I unter dem Thema: „Grenzüberschreitende Vollstreckung von Sanktionen in der EU“. Anlass für diese Thematik sind nicht nur die mit der grenzüberschreitenden Vollstreckung zusammenhängenden Fragen. Aktuell wurde nämlich auch der gegenseitige Austausch von Kfz-Halterdaten innerhalb der EU durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze v. 28.8.13 (BGBl. I, S. 3310) geregelt, mit dem eine entsprechende EU-Richtlinie national umgesetzt wurde. Geschaffen worden ist ein neuer § 27 StVG, der „Informationsschreiben“ an ausländische Kraftfahrzeughalter nach einem hier im Inland begangenen Verstoß vorsieht. In einem neuen § 37b StVG ist der sog. CBE-Halterdatenaustausch geregelt worden. |
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(Formale) Anforderungen an das ausländische Ersuchen (§ 87a IRG) § 87a IRG verlangt als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Vollstreckung der ausländischen Geldsanktion das Original der zu vollstreckenden Entscheidung oder eine beglaubigte Abschrift. Diese Voraussetzungen werden von einem in Farbdruck vorgelegten Bescheid des niederländischen Centraal Justitieel Incassobureau erfüllt (OLG Köln NZV 12, 450). Im Übrigen ist nach der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 87a IRG auch das Vorliegen einer Kopie, die keine Zweifel an der Authentizität des übermittelten Dokumentes aufkommen lässt, ausreichend (vgl. BT-Drucks. 17/1288 S. 22; zustimmend Trautmann in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, § 87a Rn. 2; Johnson in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Stand: Januar 2011, § 87a Rn. 2; Johnson/Loroch DAR 13, 253, 355; OLG Köln, a.a.O.).
Anwendung des deutschen Bußgeldkatalogs Gemäß § 87i Abs. 3 S. 2 IRG ist die ausländische Geldsanktion in die ihr nach deutschem Recht am meisten entsprechende Sanktion umzuwandeln. Die Vorschrift gebietet jedoch nicht, die Höhe der Geldsanktion an deutsche Regelsätze für entsprechende Ordnungswidrigkeiten anzupassen. Die Regelung betrifft vielmehr lediglich die Sanktionsart, nicht dagegen ihre Höhe.
Beispiel |Die Betroffene ist Halterin eines Kfz, mit dem in den Niederlanden ein Rotlichtverstoß begangen wurde. Das niederländische Centraal Justitieel Incassobureau verhängt gegen sie eine rechtskräftige Geldsanktion von 180 EUR. Dann ersucht es das nach deutschem Recht zuständige Bundesamt für Justiz um Anerkennung und Vollstreckung dieser Geldsanktion. Dieses stellt einen entsprechenden Antrag beim zuständigen AG. Das erklärt zwar die niederländische Entscheidung für vollstreckbar, wandelt aber zusätzlich die darin verhängte Geldsanktion von 180 EUR in eine Geldbuße von nur noch 90 EUR um. Die Reduzierung der Geldsanktion wird damit begründet, dass nach inländischem Recht der einfache Rotlichtverstoß mit einer Geldbuße in nur dieser Höhe geahndet werde. |
Diese Vorgehensweise ist unzulässig. Der deutsche Bußgeldkatalog findet bei der Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen keine Anwendung. Vielmehr ist die ausländische Sanktion in eine Geldbuße in der im Ausland festgesetzten Höhe umzuwandeln (OLG Braunschweig NZV 13, 148; OLG Düsseldorf DAR 12, 476; OLG Hamm VA 13, 139; OLG Koblenz VA 12, 84). Die Maßstäbe des Vollstreckungsstaates werden nach § 87i Abs. 3 S. 3 IRG i.V m. § 87f Abs. 2 S. 2 IRG ausnahmsweise nur dann zugrunde gelegt, wenn sich die Entscheidung auf eine Tat bezieht, die nicht im Hoheitsgebiet des Entscheidungsstaats begangen wurde und der Gerichtsbarkeit des Vollstreckungsstaats unterfällt (OLG Braunschweig a.a.O.). |
Abwesenheitsentscheidung (§ 87b Abs. 3 Nr. 4 IRG) § 87b Abs. 3 Nr. 4 IRG findet bei einem ausschließlich schriftlichen Verfahren keine Anwendung. Insoweit gilt nur § 87b Abs. 3 Nr. 3 IRG (KG StraFo 13, 294).
Halterhaftung (§ 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG) § 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG erfasst die Fälle der sog. Halterhaftung im Straßenverkehr, in denen der Betroffene allein deswegen für Verkehrsverstöße haftet, weil er Halter des Fahrzeugs ist, mit dem der Verstoß begangen wurde. Für diese Fälle der verschuldensunabhängigen Haftung hat aber der nationale Gesetzgeber nach Auffassung der obergerichtlichen Rechtsprechung verfassungsrechtlichen Bedenken ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass in § 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG für den Fall, dass der Betroffene gegenüber dem Bundesamt für Justiz geltend macht, er habe im ausländischen Verfahren nicht einwenden können, für die Handlung nicht verantwortlich zu sein, ein Zulässigkeitshindernis geschaffen worden ist (vgl. nur OLG Köln DAR 13, 587).
Praxishinweis | Nach § 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG ist die Vollstreckung einer Geldsanktion nur unzulässig, wenn die betroffene Person in dem ausländischen Verfahren keine Gelegenheit hatte einzuwenden, für die der Entscheidung zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich zu sein, und sie dies gegenüber der Bewilligungsbehörde geltend macht (KG StraFo 13, 294; OLG Braunschweig NZV 13, 148; OLG Düsseldorf VA 12, 84; AG Bochum VA 12, 84).
Der Einwand der Halterhaftung gem. § 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG ist nach dem Wortlaut des Gesetzes gegenüber der Bewilligungsbehörde geltend zu machen. Im gerichtlichen Verfahren wird der Betroffene damit nicht mehr gehört (AG Verden DAR 13, 93). |
Obergerichtlich geklärt ist, dass auch ein Mieter - gegebenenfalls neben dem Vermieter - Halter eines Kraftfahrzeuges ist, wenn er das Fahrzeug zur allgemeinen Verwendung für eigene Rechnung benutzt und die Verfügungsgewalt besitzt (KG StraFo 13, 294 unter Hinweis auf BVerwG VRS 66, 309, 312; VGH München VRS 61, 394; BayObLG DAR 76, 219; OLG Hamm DAR 56, 111 und 76, 25; OLG Zweibrücken VRS 57, 375; OLG Karlsruhe NZV 88, 191, 192, jew. m.w.N.). Die Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Geldsanktion (wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung) auf Grundlage der Halterhaftung ist im Übrigen in Deutschland nicht ausgeschlossen, wenn das Mietwagenunternehmen als Halter des Fahrzeugs in dem ausländischen Erkenntnisverfahren durch fristgerechte Vorlage des Mietvertrags die Gelegenheit hatte einzuwenden, dass es für die der Entscheidung über die Geldsanktion zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich sei (AG Saarbrücken DAR 12, 717 m. zust. Anm. Johnson). |
Umwandlungsbeschluss (§ 87i Abs. 5 S. 2 IRG) Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 87i Abs. 5 S. 2 IRG, der inhaltlich der in § 87f Abs. 3 S. 1 IRG für das behördliche Bewilligungsverfahren geltenden gesetzlichen Regelung entspricht, sind in einem Beschluss über die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung über die Verhängung einer ausländischen Geldsanktion sowohl die ausländische Entscheidung als auch die Art und Höhe der zu vollstreckenden Sanktion in der Beschlussformel anzugeben. Eine Umwandlungsentscheidung ist daher unvollständig, wenn das AG in der Beschlussformel lediglich bestimmt, dass „die verhängte Geldsanktion umgewandelt wird“ (OLG Hamm 14.8.12, 2 RBs 62/12 [RH]). |
Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 87j, 87k IRG) Nach § 87k Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. IRG kann die Rechtsbeschwerde ggf. zur Fortbildung des Rechts zugelassen werden. Die Zulassung kommt aber nicht in Betracht, wenn keine klärungsbedürftige Rechtsfrage im Raum steht. Das ist z.B. der Fall, wenn es um die Rechtsfrage der Anpassung einer ausländischen Geldsanktion, die wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verhängt wurde, an inländische Regelsätze geht. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage, was inzwischen ausreichend geklärt ist (OLG Koblenz VA 12, 84; vgl. auch „Anwendung des deutschen Bußgeldkatalogs“). |
Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 87k Nr. 2 IRG) Auf diesen Zulassungsgrund kann sich nur der Betroffene, nicht jedoch die Bewilligungsbehörde berufen (KG StraFo 13, 294; Trautmann in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., § 87k IRG Rn. 9). Durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde bei Verletzung des rechtlichen Gehörs soll erreicht werden, dass Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG innerhalb der Fachgerichtsbarkeit bereinigt und auf diese Weise Verfassungsbeschwerden vermieden werden. Daher kann die Versagung rechtlichen Gehörs nur geltend machen, wer Träger des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG ist, mithin nicht das Bundesamt für Justiz.
Praxishinweis | Der Verteidiger, der mit einem Mandat betreffend die Vollstreckung einer ausländischen Geldsanktion betraut wird, muss sich mit den Grundlagen dieses Verfahrens vertraut machen. Besondere Bedeutung kommt dabei den o.a. Fällen zu, bei denen im ersuchenden Staat im Gegensatz zum deutschen Recht die klassische oder die mittelbare Halterhaftung gilt (eingehend Burhoff/Böttger, OWi, Rn. 2808k ff.). Da in Fällen der Halterhaftung die Vollstreckung nicht von Amts wegen, sondern nur auf die entsprechende „Einrede“ unzulässig ist, bedarf es insoweit frühzeitigen anwaltlichen Handelns bereits gegenüber der Bewilligungsbehörde und nicht erst im gerichtlichen Verfahren. |
Weiterführende Hinweise
- Zum Thema unser Schwerpunktbeitrag in VA 11, 47
- Aus der Literatur: Burhoff VRR 10, 448 = StRR 10, 444; Boettger in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., 2012, Rn. 2804 ff.; Johnson/Plötzgen-Kamradt DAR 10, 738; Karitzky/Wannek NJW 10, 3393; Trautmann NZV 11, 57).