· Fachbeitrag · Haushaltsführungsschaden
Wird der Haushaltsführungsschaden bei unter 20 % MdE kompensiert?
von VRiOLG a. D. Hans-Günter Ernst, Odenthal
| Bei der Berechnung eines Haushaltsführungsschadens ist nicht auf die allgemeine Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern auf eine haushaltsspezifische Einschränkung der Erwerbsfähigkeit abzustellen. Liegt die Minderung der Haushaltsführungsfähigkeit zwischen 10 % und 20 %, kann die Verpflichtung des Geschädigten zu einer möglichen Zurückstellung und Umorganisation im Einzelfall dazu führen, dass der Haushaltsführungsschaden unter Beachtung einer Geringfügigkeitsgrenze versagt wird. |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Die verletzte Klägerin hatte vor dem Verkehrsunfall 21 Wochenstunden (im Schnitt drei Stunden täglich) im Haushalt gearbeitet. Auf der Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist das OLG Saarbrücken (20.4.23, 3 U 7/239, Abruf-Nr. 242931) von einer dauerhaften haushaltsspezifischen MdE von 15 % ausgegangen. Es hat der Klägerin vom 5.6.17 bis zum 30.9.37 (Vollendung des 75. Lebensjahrs) einen Haushaltsführungsschaden von monatlich 135 EUR (Stundensatz: 10 EUR) bzw. vierteljährlich 405,00 EUR zuerkannt.
Der allgemeinen Vermutung einer vollständigen Kompensationsmöglichkeit des Schadens wegen der Geringfügigkeit der haushaltsspezifischen MdE (bis 20 %) folgte das OLG nicht. Denn der Einsatz weiterer technischer Hilfsmittel kam zur Kompensation angesichts der schon vor dem Unfall vorhandenen Ausstattung des Haushalts mit den üblichen technischen Gerätschaften nicht in Betracht.
Auch eine Umorganisation der Haushaltstätigkeiten schied aus, weil der Ehemann der Klägerin bislang die schwereren Arbeiten übernommen hatte und eine Übernahme dieser Arbeiten durch die Klägerin nicht zumutbar war. Soweit der Ehemann einseitig weitere Aufgaben der Haushaltsführung übernommen hatte, sah das OLG darin keine Entlastung der Beklagten. Im Übrigen hatte es im Rahmen des § 287 ZPO keine Bedenken, dass der Sachverständige die haushaltsspezifische MdE „abstrakt“, ohne Einzelbewertung für einzelne Tätigkeiten ermittelt hatte.
Relevanz für die Praxis
Eine vom medizinischen Sachverständigen festgestellte allgemeine MdE des Geschädigten ist bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens wenig hilfreich. Sie ist abstrakt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Bezug auf eine bestimmte individuelle Tätigkeit ausgerichtet (= Durchschnittswert für sämtliche Berufe). So besagt beispielsweise selbst eine MdE von 60 % nicht, ob und inwieweit der Verletzte gehindert ist, seiner Hausarbeit nachzugehen.
PRAXISTIPP | Sie müssen daher zu der konkreten haushaltsspezifischen Behinderung vortragen. Dies schon aus anwaltlicher Fürsorge, da grundsätzlich erst der substanziierte Vortrag die Voraussetzung für die Beweisaufnahme durch ein Sachverständigengutachten bildet (OLG Celle 6.5.09, 3 U 294/08; 17.1.07, 14 U 101/06; KG NZV 07, 43; OLG Hamm NZV 02, 571). |
Viele Gerichte nehmen an, dass es bei einer MdE von 20 % und darunter an einer messbaren und schadensrechtlich relevanten Einbuße in der Haushaltsführung fehle (LG Duisburg 21.2.23, 1 O 260/20; OLG Hamm SP 01, 376; OLG Karlsruhe OLGR 98, 213; LG Aachen NZV 03, 173). Dem kann mit konkretem Sachvortrag entgegengetreten werden.
PRAXISTIPP | Sie müssen aufzeigen, dass (und wie) sich die unfallbedingte Beeinträchtigung auf die Haushaltsführungstätigkeit tatsächlich auswirkt (OLG Düsseldorf 25.8.09, 1 U 125/07; OLG Rostock ZfS 03, 233; OLG Celle 17.1.07, 14 U 101/06; 28.4.05, 14 U 200/04; OLGReport Celle 05, 781; ZfS 05, 434). |
Grundsätzlich kann im Einzelfall bei nur geringfügigen körperlichen Beeinträchtigungen die Möglichkeit einer Kompensation durch eine geeignete Umorganisation des Haushaltes bestehen (z. B. durch Rationalisierungsmaßnahmen; spätere Erledigung). Zu wesentlich mehr ist der Geschädigte ‒ entgegen der vom OLG (und leider von vielen weiteren Gerichten) vertretenen Ansicht ‒ im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht verpflichtet. Insbesondere kommt eine vielfach genannte „Umverteilung der Aufgaben“ nicht in Betracht. Denn der Schädiger hat keinen Anspruch darauf, dass ihn ein Dritter (etwa der Ehegatte des Geschädigten, auf den die Aufgaben „umorganisiert“ werden) entlastet.