· Fachbeitrag · Mehrwertsteuer
Vorsteuerabzug ja, aber älteres Fahrzeug: Ein Phantomproblem bei der Totalschadensabrechnung
| Nicht jeder Selbstständige oder Unternehmer fährt ein junges Auto. Der Schadengutachter kommt zum Ergebnis, dass Fahrzeuge wie das beschädigte am Markt überwiegend differenzbesteuert angeboten werden. Egal, meint der Versicherer. Bei zum Vorsteuerabzug berechtigten Geschädigten müssten stets 19 Punkte Mehrwertsteuer (MwSt) aus dem Wiederbeschaffungswert (WBW) herausgerechnet werden. |
1. Was nicht drinsteckt, kann man auch nicht rausziehen
Solange der Geschädigte noch keinen Ersatz beschafft hat, ist es richtig, dass der Versicherer die „im WBW steckende MwSt“ herausrechnet und vom Erstattungsbetrag abzieht. Das ergibt sich aus § 249 Abs. 2 S. 2 BGB, denn bis zum Nachweis einer Ersatzbeschaffung ist die Abrechnung fiktiv.
Aber es darf eben nur so viel MwSt herausgerechnet werden, wie drinsteckt.
Hier liegt der erste Knackpunkt der Gedankenführung. Der Versicherer stellt darauf ab, dass der zum Vorsteuerabzug berechtigte Geschädigte das Fahrzeug „damals“ doch im Ergebnis zum Nettobetrag erworben habe, denn er habe sich die Vorsteuer aus dem Kaufpreis vom Fiskus erstatten lassen.
a) Nicht die Anschaffung, sondern die Wiederbeschaffung ist das Maß
Erstens ist das aber nicht zwingend. Es kann nämlich durchaus sein, dass der Geschädigte das Fahrzeug seinerzeit ohne ausgewiesene MwSt erworben hat, wenn es schon zum Kaufzeitpunkt älter war. Und zweitens kommt es darauf gar nicht an. Denn es geht doch nicht um „das“ beschädigte Fahrzeug, sondern um „so eins“ wie das beschädigte. Das ergibt sich logisch aus dem Begriff der „Wiederbeschaffung“. Der Geschädigte kann nicht „das“, sondern nur „so ein“ Fahrzeug in unbeschädigtem Zustand erwerben. Folglich ist in den Blick zu nehmen, wie „solche“ Fahrzeuge typischerweise angeboten werden. Werden sie überwiegend differenzbesteuert angeboten (oder gar nur noch am Privatmarkt), kann nur der in dem WBW enthaltene MwSt-Anteil herausgerechnet werden. Auf „überwiegend“ abzustellen, ist richtig (BGH 9.5.06, VI ZR 225/05, Abruf-Nr. 061792).
b) Wie wurde denn wiederbeschafft?
Ob das beim vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten anders gesehen werden muss, ist oft ein Streit um des Kaisers Bart. Denn wenn er als Ersatz ein Fahrzeug mit ausgewiesener Mehrwertsteuer erwirbt, wird ihm die im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB „angefallene“ MwSt bis zur Höhe der zuvor aus dem WBW herausgerechneten MwSt vom Versicherer erstattet.
Doch wie ist es, wenn der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug anschafft, bei dem ihm die MwSt nicht ausgewiesen wird, weil er von privat oder beim Händler differenzbesteuert kauft? Wäre die These des Versicherers richtig, fehlte dem Geschädigten am Ende Geld. Denn ihm wären die 19 Prozent genommen worden.
c) MwSt bei der konkreten Abrechnung fällt in den Vorteilsausgleich
Die Lösung des Falles liegt auf der Hand, wenn man sich die Rechtsnatur der Mehrwertsteuerfrage bei der konkreten Abrechnung (!) vor Augen hält: Sie gehört in die Kategorie des Vorteilsausgleichs. Der Vorteil, dass der Geschädigte von ihm aufgewendete Mehrwertsteuer als Vorsteuer vom Fiskus erstattet bekommt, entlastet insoweit den Schädiger.
Die Folge daraus: Bekommt der Geschädigte vom Fiskus keine Vorsteuer erstattet, hat er keinen Vorteil. Denn dann bleibt er mit dem gesamten Kaufpreis belastet. Eine Erstattung vom Fiskus gibt es nicht. Ohne Vorteil kein Vorteilsausgleich. Dem Geschädigten steht folglich der WBW in vollem Umfang zu. Er wird mithin nicht auf den Nettobetrag gekürzt (LG Ulm 19.6.13, 1 S 28/13, Abruf-Nr. 132190; LG Kaiserslautern 14.6.13, 3 O 837/12, Abruf-Nr. 132466).
2. VR kann keinen Kauf mit ausgewiesener MwSt erzwingen
Das hat der BGH bereits jedenfalls mittelbar entschieden, als es um folgende Frage ging: Die Geschädigte hatte ein differenzbesteuertes Fahrzeug angeschafft, sodass sie ‒ bezogen auf diesen Kauf ‒ mangels ausgewiesener MwSt nicht vorsteuerabzugsberechtigt war. Der Versicherer hatte im Prozess behauptet, seine Überprüfung habe ergeben, dass etwa 70 Prozent der vergleichbaren Fahrzeuge differenzbesteuert und nur etwa 30 Prozent regelbesteuert angeboten wurden.
Der Versicherer stellte sich nun auf den Standpunkt, dass der Geschädigte zu einem der regelbesteuerten Pkw hätte greifen müssen. Dann hätte nur der Nettobetrag erstattet werden müssen. Einen differenzbesteuerten Pkw zu erwerben, sei folglich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht.
Dazu der BGH: „Zudem werden selbst nach dem ‒ bestrittenen ‒ Beklagtenvortrag auf dem maßgeblichen Markt vergleichbare Fahrzeuge nur zu 30 Prozent regelbesteuert angeboten. Unter diesen Umständen ist es einem Geschädigten auch im Hinblick auf eine etwaige Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) nicht zumutbar, sich ausschließlich nach einem regelbesteuerten Fahrzeug umzusehen und ein solches zu erwerben, um zur Entlastung des Schädigers die Vorsteuerabzugsberechtigung geltend machen zu können.“
3. Restwertanrechnung nur netto
Der Restwert wird nur netto abgezogen. Denn das Unfallfahrzeug wird aus dem Betriebsvermögen heraus verkauft. Die dabei eingenommene MwSt muss der Geschädigte an den Fiskus abführen. Ihm verbleibt als Entlastung nur der Nettobetrag (AG Weißenburg 7.1.16, 2 C 257/15, Abruf-Nr. 146372).
4. Passende Musterklage
Wir haben für Sie einen Muster-Klagetext für den Fall vorbereitet, dass der VR unberechtigt die Mehrwertsteuer in Abzug gebracht hat. Er steht auf der VA-Homepage (iww.de/va) und unter der Abruf-Nr. 48974937 bereit.