· Fachbeitrag · Unfallschadenregulierung
Ist restlicher Kraftstoff im Tank des Unfallfahrzeugs erstattungsfähig?
| Ob das restliche Benzin im Tank ein erstattungsfähiger Schaden ist, ist in der Rechtsprechung umstritten. Das OLG Düsseldorf sagt „nein“. Viele Gerichte sehen das aber anders. |
Sachverhalt
Bei einem Auffahrunfall, mittelbar verursacht durch einen Notarztwagen, hatte der Pkw Ford des Klägers einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten. Der Höhe nach bestand zuletzt nur noch Streit in Bezug auf die Position „Restbenzin im Tank, 18 l á 1,50 EUR … 27 EUR“. Das LG Wuppertal hat die Ersatzfähigkeit verneint. Nur im Ergebnis hat das OLG Düsseldorf dies bestätigt. Der Kläger habe gem. § 254 BGB selber zu verantworten, dass diese Schadensposition entstanden sei. Als Folge sei jeglicher Anspruch weggefallen.
Entscheidungsgründe
Das OLG begründet seine Entscheidung folgendermaßen (10.1.17, I-1 U 46/16, Abruf-Nr. 191751): Durch das Unfallereignis als solches sei dem Kläger noch kein Schaden bezüglich des in seinem Fahrzeug noch vorhandenen Treibstoffs entstanden. Das Benzin habe sich weiterhin - wie auch das beschädigte Fahrzeug - in seinem Besitz und Eigentum befunden. Der wirtschaftliche Nachteil sei für den Kläger erst dadurch eingetreten, als er sich aus freien Stücken entschlossen habe, das Unfallfahrzeug für denjenigen Restwert zu veräußern, den der vorgerichtlich eingeschaltete Schadensgutachter mit 300 EUR ausgewiesen habe.
- Grundsätzlich werde ein verhältnismäßig voller Tankinhalt beim Restwert des Fahrzeugs nicht berücksichtigt. Das Maß der Tankfüllung stelle regelmäßig keinen bestimmenden wertbildenden Faktor für den Fahrzeughandel dar (Hinweis auf Senatsurteil vom 9.2.16, I-1 U 81/15). Erfahrungsgemäß würden Restwertangebote abgegeben, ohne dass ein bestimmter Tankinhalt berücksichtigt werde. Deshalb könne entgegen der Wertung des LG das Fahrzeug des Klägers nicht mit allen Einbauten und Betriebsstoffen als wirtschaftliche Einheit angesehen werden.
- Aber: Verbleibt nach einem Totalschaden viel Treibstoff im Fahrzeugtank und ist der Geschädigte mit der kostenlosen Abgabe nicht einverstanden, dann sei es seine Aufgabe, den damit verbundenen wirtschaftlichen Wert selbst zu realisieren. Eine Möglichkeit bestehe darin, entweder eigenständig für das Abpumpen des noch vorhandenen Benzins Sorge zu tragen oder Dritte damit zu beauftragen. Sollte Letzteres, wie hier behauptet, unverhältnismäßig teuer gewesen sein, so hätte sich folgende Verwertungsmöglichkeit angeboten: Der Kläger hätte mit dem Käufer des Unfallfahrzeugs separat eine Erhöhung des Kaufpreises aushandeln können. Das wäre ihm ohne Weiteres möglich gewesen.
Relevanz für die Praxis
Viel Lärm um nichts? Weit gefehlt. Die Position „Restbenzin“ ist inzwischen ein Dauerbrenner, der nicht zuletzt wegen gestiegener Spritpreise verstärkt auch die Gerichte beschäftigt. Veröffentlichte obergerichtliche Rechtsprechung ist rar, die Spruchpraxis der AG und LG höchst unterschiedlich.
Für manche Richter ist der zur Unfallzeit im Tank befindliche Kraftstoff Teil des Wiederbeschaffungswerts, sodass er nicht gesondert ersatzfähig ist (so z. B. OLG Frankfurt 8.7.07, 4 U 223/06). Andere wollen ihn beim Restwert berücksichtigt sehen (AG Dortmund 18.4.13, 406 C 6809/12; a. A. zu Recht das OLG Düsseldorf). Ein dritter Ansatz, eine Ersatzpflicht zu verneinen, ist der Weg über § 254 BGB. Dabei sind zwei Argumentationsweisen zu beobachten: „Du hättest den Saft abpumpen und umfüllen können“ (so LG Darmstadt 24.7.90, 17 S 388/89; OLG Düsseldorf 9.2.16, I-1 U 81/15) oder - ersatzweise - „du hättest Dir das ja vom Aufkäufer bezahlen lassen können“ (so OLG Düsseldorf in der hier vorgestellten Entscheidung).
In vielen Entscheidungen wird ein Ersatz dagegen bejaht, z.B.:
- LG Hagen 19.10.15, 4 O 267/13, Abruf-Nr. 145653 (ohne Begründung),
- LG Kiel 19.7.13, 13 O 60/12, Abruf-Nr. 133020 (60 EUR, nachweislich vier Tage vor dem Unfall vollgetankt),
- LG Regensburg NJW-RR 04, 1474 (Ersatz von 51 EUR, weil Restbenzin beim Wrackverkauf unberücksichtigt geblieben ist),
- AG Leer 22.11.16, 73 C 658/16, Abruf-Nr. 191752 (knapp 50 L = 60 EUR; sehr ausführliche Begründung),
- AG Minden 23.9.16, 19 C 30/16, Abruf-Nr. 189093 (abzapfen unzumutbar),
- AG Regensburg 14.6.16, 3 C 1136/16, Abruf-Nr. 187228 (weder im WBW noch im RW enthalten, Foto von Tankuhr im Gutachten = Restmenge-Nachweis),
- AG Meschede 10.11.15, 6 C 129/15, Abruf-Nr. 145970 (Tankquittung vom Vortag lag vor),
- AG Solingen 1.4.15, 11 C 631/14, Abruf-Nr. 146388 (10 L = 15 EUR; abpumpen unzumutbar),
- AG Solingen 18.6.13, 12 C 638/12 (55 L = 77 EUR).
MERKE | Nach der Differenzhypothese kann ein Schaden vorliegen, zwingend ist es nicht. Es kommt auf den Einzelfall an; auch darauf, ob der Sachverständige den restlichen Kraftstoff bei der Ermittlung des WBW oder des RW berücksichtigt hat. In den Gutachten ist hier meist Fehlanzeige. Das eröffnet dem Geschädigten die Möglichkeit, „verlorenen“ Kraftstoff ersetzt zu bekommen (im Kaskofall gibt es nichts). |
Das Hauptproblem ist ein Darlegungs- und Schätzproblem (§ 287 ZPO). Was war noch drin? Was ist im Ersatzwagen tatsächlich bzw. üblicherweise drin? Damit der Richter vernünftig schätzen kann, ist ein Foto von der Tankanzeige im Gutachten nützlich, eine Tankquittung immer noch besser als nichts. Der Einwand, der Ersatzwagen sei in der Regel voll oder mindestens halbvoll getankt, ist nicht stichhaltig. Erfahrungsgemäß reicht der vorhandene (mitverkaufte) Kraftstoff häufig nur für wenige Kilometer.