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  • · Nachricht · Unfallschadensregulierung

    Ein irres Gericht oder ein schlampiger Klägervortrag? Gedanken zur Anmerkung zu KG 22 U 152/14, VA 15, 183

    | In der November-Ausgabe hatten wir über einen Entscheidung des KG (27.8.15, 22 U 152/14, Abruf-Nr. 145508 = VA 15, 183 ) berichtet. Das KG hatte einem Geschädigten den Ersatz seines Unfallschadens versagt. Begründet wurde das damit, dass infolge eines Vorschadens im Bereich des Neuschadens eine hinreichende Grundlage für die Schätzung des Wiederbeschaffungswerts fehle und außerdem die voraussichtlichen Reparaturkosten für die Vergleichsbetrachtung nicht feststehen würden. Unser Autor VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert hat die Entscheidung stark kritisiert. Frau RAin Gudrun Stuth aus Berlin sieht das anders. |

     

    Sie hat uns die folgenden Anmerkung zu unserer Berichterstattung geschickt. Die Redaktion würde Ihre Ansicht interessieren. Wie sehen Sie den Fall? Was halten Sie für richtig? Bitte lassen Sie uns Ihre Meinung wissen. Sie können einfach die Kommentarfunktion unter diesem Beitrag nutzen.

     

    Ein irres Gericht oder ein schlampiger Klägervortrag?

    Gerichtsschelte ohne Aktenkenntnis ist einfach. Aber selbst wenn man (nur) das KG-Urteil hat, ist der Verriss so nicht haltbar. Mit einer unheiligen Mischung aus Emotion und Argumentation soll suggeriert werden, Landgericht Berlin und Kammergericht wollten „den Schaden auf Null setzen“. Wenn man das KG-Urteil liest, ergibt sich jedoch, das LG und KG dem Kläger keinen Schadenersatz zubilligen konnten, weil der dazu nicht ausreichend vorgetragen hat.

     

    Der Kläger-PKW hatte unstreitig einen Vorschaden zu dessen Umfang und Beseitigung und sonstigen Einzelheiten nichts Substanziiertes mitgeteilt war. Offensichtlich konnte der Kläger das nicht, weil er das Fahrzeug gebraucht aus zweiter Hand erworben hat und nichts Näheres zu dessen Vorleben wusste. Bedauerlich - aber seine Risikosphäre. Wer ein Unfallfahrzeug erwirbt, muss sich über diese Dinge Kenntnis verschaffen oder die Finger vom Kauf lassen - oder eben das Risiko inkauf nehmen.

     

    Vielleicht war der Vorschaden ein schon ein längst ersetzter Totalschaden? Jeder weiß, dass derartige Fahrzeuge noch munter (manchmal sogar verkehrssicher) auf den Straße herumfahren. Deren Wert entspricht dann dem Restwert des ersten Unfalls, der aber irgendwann wirtschaftlich auch gegen Null geht. Wenn das alles unbekannt ist, kann ein Gericht keinen Schaden bestimmen - auch für § 287 ZPO fehlen die Grundlagen.

     

    Eventuell kann in derartigen Fällen ein Mindestschaden ermittelt werden kann. Aber nicht, indem das Gericht dazu einem Sachverständigen einen Auftrag erteilt. Das wäre Ausforschung pur und das muss kein Beklagter hinnehmen. Einen Mindestschaden muss der Kläger dartun und unter Beweis stellen. Erst dann kann - im Bestreitensfall - Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben werden. Wenn Anknüpfungstatsachen für einen Mindestschaden erst erforscht werden müssen, muss das der Kläger tun (was mit Hilfe eines Sachverständigen kein unlösbares Problem ist) - nicht das Gericht und nicht der Beklagte.

     

    Hinter den Angriffen steckt die vom hiesigen Klägervertreter deutlich formulierte Auffassung: An die Substanziierungslast dürften bei einem gebraucht erworbenen Fahrzeug keine hohen Anforderungen gestellt werden, weil im Gebrauchtwagenhandel Gutachten und Rechnungen nicht übergeben würden.

     

    So geht das nicht. Jeder zum Schadenersatz Verpflichtete muss nur das ersetzen, was er selbst beschädigt hat. Kann der Geschädigte das nicht abgrenzen, ist das sein Risiko. Das ist ein Nebeneffekt der fiktiven Abrechnung. Wer Schadenersatz nicht zur Schadenbeseitigung durch vollständige und ordnungsgemäße Reparatur verwendet, trägt bei Folgeunfällen dar Risiko fehlender Abgrenzbarkeit. Dieses Risiko „vererbt“ sich auch beim Eigentümerwechsel. Der Erwerber kauft schließlich billig, weil der Kaufgegenstand einen unzureichend reparierten Unfallschaden hat. Macht er sich dazu nicht weiter sachkundig, gehören zu der im Sack gekauften Katze auch alle Probleme, die er sich bei einem eventuellen Folgeunfall auflädt.

     

    Geht man den anderen Weg, überbürdet man dieses Risiko auf den Unfallverursacher. Das erscheint unter dogmatischen Gesichtspunkten nicht möglich und nach den Prinzipien des Schadenersatzes (denen auch Ausgewogenheit und Gerechtigkeit immanent sind) nicht akzeptabel.

     

    Noch eine Anmerkung zu den im Rundumschlag gleich mit zerfetzten Ausführungen des KG zu Nutzungsausfall und Sachverständigenkosten: Voraussetzung für Nutzungsausfall ist nicht der Nachweis, dass ein Ersatz-PKW beschafft wurde. Das ist ein uralter Hut und geht zurück auf BGH III ZR 137/62 vom 30.9.63 und BGH VI ZR 271/64 vom 15.4.66. Voraussetzung für Nutzungsausfall sind aber Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit. Nutzungswille und Ersatzbeschaffung können nicht in einen Topf geworfen werden. Man kann streiten, ob der Nutzungswille vermutet werden kann, weil und wenn der Geschädigte vorher ein Fahrzeug genutzt hat. Selbst wenn man das bejaht, kann die Vermutung erschüttert werden und dann muss eben der Nutzungswille dargetan und ggf. bewiesen werden.

     

    Wird dem Sachverständigen vom Auftraggeber ein Vorschaden verschwiegen, den der Sachverständige deshalb in seine Schadensschätzung nicht oder nicht im vollem Umfang einbeziehen kann, sind die Kosten eines solchen unbrauchbaren Gutachtens nicht zu ersetzen. Auch das ist schon lange herrschende Rechtsprechung und - soweit ersichtlich - unumstritten.

     

    Gudrun Stuth, Fachanwältin für Verkehrsrecht, Berlin

    Quelle: ID 43671484