· Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung
Kein Ersatz bei bloßem Verdacht einer Unfallverletzung
Ein Unfallgeschädigter kann die durch eine ärztliche Untersuchung oder Behandlung entstandenen Kosten vom Schädiger nur ersetzt verlangen, wenn der Unfall nachweislich zu einer Körperverletzung geführt hat. Die bloße Möglichkeit oder der Verdacht einer Verletzung genügt nicht (BGH 17.9.13, VI ZR 95/13, Abruf-Nr. 133301). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Die Kl. verlangt als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung von dem beklagten Haftpflicht-VR aus übergegangenem Recht Erstattung von Aufwendungen, die sie für zwei Versicherte nach einem Verkehrsunfall erbracht hat. Die eine war Fahrerin, die andere Beifahrerin eines Pkw, der mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert war. Beide Frauen gaben vor dem AG als Zeuginnen an, am Tag nach dem Unfall Beschwerden bzw. Schmerzen im Halsbereich verspürt und deswegen einen Arzt aufgesucht zu haben. Die Beifahrerin wurde wegen des Verdachts einer Querfortsatzfraktur des 3. HWK in ein Krankenhaus überwiesen. Eine dort durchgeführte MRT-Untersuchung bestätigte den Verdacht nicht. Nach kurzem stationären Aufenthalt wurde sie physiotherapeutisch weiterbehandelt. Der VR lehnte jegliche Kostenübernahme ab (außer Arzt-, Krankenhaus- und Krankengymnastikkosten auch die Kosten für den Rettungsdienst). Das AG gab der Klage nach Vernehmung der beiden Frauen, eines Arztes und Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens statt, während das LG sie nach ergänzender Beweisaufnahme abwies. Mangels feststellbarer Körperverletzung seien weder die geltend gemachten Therapiekosten noch die Kosten der Befunderhebung und der Diagnose ersatzfähig. Auf die zugelassene Revision hat der BGH das Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.
Im Ausgangspunkt teilt der BGH die Ansicht des LG, dass bei nicht nachgewiesener (Primär-)Verletzung kein Anspruch auf Ersatz von Untersuchungs- und Behandlungskosten bestehe. Keinen Rechtsfehler erkennt er auch insoweit, als das LG eine HWS-Distorsion für nicht bewiesen hält. In der weitergehenden Annahme des LG, dass die beiden Frauen durch den Unfall überhaupt keine Verletzungen erlitten hätten, sieht der BGH indes einen Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO. Bemängelt wird, dass das LG die erstinstanzlichen Zeugenangaben der beiden Frauen, am Tag nach dem Unfall Beschwerden bzw. Schmerzen im Halsbereich verspürt zu haben, nicht ausreichend berücksichtigt habe. Bei den Beschwerden könne es sich durchaus um unfallbedingte Körperverletzungen handeln. Der Begriff der Körperverletzung sei weit auszulegen. Für den Fall, dass das LG die besagten Beschwerden oder deren Unfallbedingtheit für nicht bewiesen halte, sei die Klage abweisungsreif. Dies gelte nicht nur für die Behandlungskosten. Auch die Befunderhebungs- und Diagnosekosten seien in einem Non-liquet-Fall nicht ersatzfähig. Grundvoraussetzung sei auch insoweit der Nachweis einer Körper- oder Gesundheitsverletzung. Die bloße Möglichkeit oder der Verdacht genüge nicht.
Praxishinweis
Fokussiert auf die HWS-Problematik werden Kopf- und Halsschmerzen, Übelkeit und Schwindel in ihrer Ambivalenz oft verkannt. Zum einen kann es sich um HWS-Distorsions-Symptome handeln, zum anderen um eigenständige Körper- bzw. Gesundheitsverletzungen. Bei einer Frontalkollision wie im Streitfall ist eine HWS-Verletzung zwar nicht ausgeschlossen, aber eher selten, jedenfalls besonders schwer nachzuweisen (dazu BGH NJW 08, 2845). Umso mehr muss der Anwalt auf der Klägerseite in einem solchen Fall alles daran setzen, das Gericht von dem Vorhandensein einer anderen unfallbedingten Körper- bzw. Gesundheitsverletzung zu überzeugen. Zwischen den Rechtsgütern Körper und Gesundheit macht der BGH definitorisch keinen fundamentalen Unterschied. Seine Aussage, der Begriff der Körperverletzung sei weit auszulegen, gilt indes gleichermaßen und erst recht für den Begriff der Gesundheitsverletzung.
|
Einen nicht spezialisierten Richter darauf ausdrücklich hinzuweisen, kann hilfreich sein. Wenn die Betroffenen wie im Entscheidungsfall und wie auch bei EntgFG-Klagen (aktuell BGH VA 13, 166) als Zeugen zur Verfügung stehen, sind sie unbedingt zu benennen. Ansonsten ist eine Parteianhörung ausdrücklich anzuregen. In jedem Fall ein Muss ist der Beweisantritt: Dr. X (erstbehandelnder Arzt). Entscheidend für die Beweiswürdigung kann der Gesundheitszustand vor dem Unfall sein, weshalb für die Beschwerdefreiheit Zeugenbeweis anzubieten ist (Angehörige, Bekannte, Hausarzt, Vorerkrankungsverzeichnis der KV). |
In der Sache selbst folgt der BGH im Wesentlichen OLG Hamm r+s 03, 434 und distanziert sich damit zugleich von den geschädigtengünstigen Entscheidungen KG NZV 03, 281 und AG Brandenburg NZV 11, 91. Danach können jedenfalls Befunderhebungs- und Diagnosekosten auch ohne späteren Nachweis einer Körper- bzw. Gesundheitsverletzung erstattungsfähig sein, wofür mit guten Gründen auch in der Literatur plädiert wird (Ch. Huber, Jaeger, Luckey). Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 1 StVG ist laut BGH nicht der Unfall als solcher, sondern eine unfallbedingte Körper- bzw. Gesundheitsverletzung. Und diese, so der BGH weiter, müsse zur Überzeugung des Gerichts feststehen (§ 286 ZPO).
Vom VI. ZS nicht erörtert wird eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einer Schutzgesetzverletzung (dazu OLG Hamm a.a.O.). Die verletzte Schutznorm, hier: § 2 Abs. 2, § 1 Abs. 2 StVO, müsste auch den Schutz vor Kosten bezwecken, die der Unfallgegner „herausgefordert“ hat und die der vermeintlich Verletzte aus ex ante berechtigter Sorge um seine Gesundheit und auch zur Schadensminderung auf sich genommen hat. Das OLG Hamm sieht solche Kosten außerhalb des Schutzzwecks der §§ 1, 3, 4 StVO, was aber nicht das letzte Wort sein muss (siehe auch BGH VA 13, 73; BGH NJW 04, 356).
Weiterführender Hinweis
- Zum Nachweis von Unfallverletzungen und deren Folgen siehe Ernst, VA 08, 186; speziell zur HWS-Problematik Eggert, VA 11, 203.