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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Stundenverrechnungssätze: Verweispraxis vor den Berliner Gerichten tot?

    Der gegnerische Haftpflichtversicherer genügt nicht den Anforderungen an einen Verweis auf eine Alternativwerkstatt, wenn er seinem vorgerichtlichen Abrechnungsschreiben lediglich einen Prüfbericht der Fa. Control Expert beifügt, in dem die Werkstatt als „Identica-Fachbetrieb“ bzw. „zertifizierter Kfz-Fachbetrieb“ bezeichnet wird (LG Berlin 16.1.13, 43 S 136/12, Abruf-Nr. 130564).

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Nach den Stundenverrechnungssätzen der Mercedes-Niederlassung Berlin hatte der vom Kl. beauftragte SV Reparaturkosten von 4.295,83 EUR ermittelt.

    Unter Hinweis auf einen „zertifizierten Kfz-Fachberieb“, benannt im Prüfbericht der Fa. Control Expert, kürzte der bekl. VR die Kosten um insgesamt 921,34 EUR. Der Kl. widersetzte sich dem Verweis und klagte den Differenzbetrag ein. Er habe sein Fahrzeug erst wenige Wochen vor dem Unfall gebraucht gekauft, sodass bisher keine Notwendigkeit bestanden habe, den Wagen in eine Markenwerkstatt zu geben.

     

    Das AG lehnte den Verweis aus einem anderen Grund ab: Voraussetzung sei, dass dem Geschädigten ein annahmefähiges Angebot der betreffenden Werkstatt unterbreitet werde. Die bloße Benennung von Namen und Anschrift eines Reparaturbetriebs sei nicht ausreichend. Allein anhand des Namens und der mitgeteilten Verrechnungssätze könne der Geschädigte nicht erkennen, ob die angegebene Werkstatt tatsächlich in der vom Sachverständigen vorgesehenen Art und Weise repariere.

     

    Das LG hat die Berufung des bekl. VR gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die Voraussetzungen, unter denen sich ein Geschädigter nach § 254 Abs. 2 BGB ausnahmsweise auf eine preisgünstigere Werkstatt verweisen lassen müsse, seien nicht hinreichend dargelegt. Mit der erforderlichen Mühelosigkeit werde nicht deutlich, welche Qualitätsstandards mit pauschalen Hinweisen wie „zertifizierter Kfz-Fachbetrieb“ oder „Identica-Fachbetrieb“ verbunden seien. Den Einwand, ihr sei es nicht möglich, ein konkretes Angebot vorzulegen, während der Geschädigte in der Lage sei, ein solches einzuholen, lässt die Kammer nicht gelten. In ihrem vorangegangenen Hinweis vom 22.10.12 hatte sie zudem eine Parallele zu den Restwertangeboten gezogen und sich auf den Standpunkt gestellt, mühelose Zugänglichkeit verlange grundsätzlich ein verbindliches Reparaturangebot der Verweis-Werkstatt. Mit einem nur „abstrakten Aufzeigen“ von niedrigeren Stundenlöhnen sei es nicht getan.

     

    Praxishinweis

    Anders als die Abtlg. 111 AG Mitte, welche die Verweispraxis in Bausch und Boden ablehnt (VA 12, 165), geht die Abtlg. 110 vorsichtiger zu Werke. Wiederum anders ist die Spruchpraxis der Abtlg. 104, wie das Urteil v. 18.1.13, 104 C 3103/12, Abruf-Nr. 130586 (Einsenderin RAin Gudrun Stuth, Berlin) zeigt. Dem LG Berlin ist es bisher nicht gelungen, zu einer einheitlichen Linie zu finden. Während die 41. ZK kein konkretes, annahmefähiges Angebot verlangt (1.3.12, 41 S 87/11, Abruf-Nr. 123129, ebenso die 44. ZK 23.8.12, 44 O 262/11, Abruf-Nr. 130839), legt die 43. ZK, wie der hier angezeigte Beschluss zeigt, einen strengeren Maßstab an. In diese Richtung geht auch eine (erstinstanzliche) Entscheidung der 42. ZK (13.7.11, 42 O 22/10, Abruf-Nr. 113434).

     

    Nach überwiegender Deutung verlangt der BGH kein konkretes Angebot, auch keinen Kostenvoranschlag (vgl. OLG Düsseldorf 27.3.12, I-1 U 139/11, Abruf-Nr. 121261). Welche Angaben der VI. ZS fordert, um dem Gericht die Gleichwertigkeitsprüfung zu ermöglichen und was insoweit inhaltlich genügt und was nicht, steht im BMW-Urteil NJW 10, 2118 und in der Mercedes-A-140-Entscheidung NJW 10, 2941. Was zur Vermeidung von Missverständnissen weiterer höchstrichterlicher Klärung bedarf, ist die Frage „wie sag ich´s dem Geschädigten“? Bei anwaltlicher Beratung sind die Anforderungen an Verständlichkeit und Überprüfbarkeit geringer als bei einem anwaltlosen Geschädigten.

     

    Der Geschädigte ist nur von der Entfaltung „erheblicher“ Eigeninitiative freigestellt (BGHZ 155, 1 unter II, 2b,aa). „Mühelos“ heißt nicht „ohne jegliche Anstrengung“. Die Erläuterungstiefe hängt auch von der Reaktion des Geschädigten ab. Wer nicht nachhakt, scheint auf Zusatzangaben zu verzichten. Wer nicht reparieren lässt, scheint sie nicht zu benötigen. Und wenn der Geschädigte reparieren lässt, kann er die höheren Sätze konkret abrechnen. Daher ist dem OLG Düsseldorf, a.a.O., zuzustimmen, wenn es an den Verweis keine höheren inhaltlichen Anforderungen stellt als der BGH im Rahmen der prozessualen Darlegung (s.a. OLG Düsseldorf 3.7.12, I-1 U 165/11, Abruf-Nr. 130840). Das LG Berlin, 43. ZK, schießt zwar über das Ziel hinaus. Gleichwohl steht der Beschluss im Ranking der geschädigtengünstigen Entscheidungen weit oben.

     

    Einsender | Rechtsanwalt Umut Schleyer, Berlin

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zum Gesamtkomplex „Stundenverrechnungssätze“ siehe Eggert, VA 12, 186.
    Quelle: Ausgabe 04 / 2013 | Seite 56 | ID 38530960