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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Zahlen oder freistellen?

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    | „Hat der Kläger Ihr Honorar eigentlich schon bezahlt?“ - werden Anwälte in Unfallprozessen gelegentlich gefragt. Anlass ist ein Klageanspruch auf Zahlung von Anwaltskosten. Wird die Frage verneint, regt das Gericht eine Umstellung des Antrags von Zahlung auf Freistellung an. Was dann prompt geschieht. Und schon sind die Zinsen futsch. Hat der auf Zahlung klagende Anwalt aber wirklich den falschen Antrag formuliert? Und wie sieht es bei den Arzt-, Reparatur-, Mietwagen- und Sachverständigenkosten aus? Eine Orientierung in unübersichtlichem Gelände gibt die folgende Zehn-Punkte-Übersicht. |

     

    Übersicht / Zahlungs- oder Freistellungsklage?

    • 1.Wahlrecht

    Der Geschädigte hat gegenüber dem Schädiger die Wahl, ob er von diesem die Wiederherstellung des früheren Zustands (§ 249 Abs. 1 BGB), den dafür erforderlichen Geldbetrag (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB) oder bloß das Kompensationsinteresse (§ 251 Abs. 1 BGB) verlangt.

    • 2.Der Versicherer hat den Schadenersatz in Geld zu leisten (§ 115 Abs. 1 S. 3 VVG).

    Der Herstellungsanspruch gem. § 249 Abs. 1 BGB ist damit ausgeschlossen. Sind Direktklagen auf Freistellung bzw. Befreiung demnach unschlüssig? Reihenweise werden KH-Versicherer zum Schadenersatz per Freistellung verurteilt. Fehlurteile?

    • 3.Der Geldanspruch nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ist gerichtet auf den zur Herstellung „erforderlichen“ Betrag, nicht auf einen Vorschuss und schon gar nicht auf Erstattung eines gezahlten Betrags.

    Der Schädiger hat den Finanzierungsbedarf des Geschädigten in Form des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrags zu befriedigen und nicht etwa vom Geschädigten bezahlte Rechnungsbeträge zu erstatten (BGH NJW 07, 1450).

     

    Die Abkoppelung vom Innenverhältnis Geschädigter/Unfalldienstleister bedeutet:

     

    • Der Ersatz des Fahrzeugschadens ist grundsätzlich unabhängig von einer Reparatur bzw. Ersatzbeschaffung, er kann bekanntlich „fiktiv“ abgerechnet werden. Im Bereich 100 - 130 Prozent funktioniert indes nur eine konkrete Abrechnung. Die Vorlage einer Rechnung ist keine Anspruchsvoraussetzung, erst recht nicht die Bezahlung. Fälligkeit tritt unabhängig vom Rechnungsausgleich ein (BGH NJW 09, 910).

     

    • Anwalts-, Arzt-, Mietwagen- und Sachverständigenkosten können nur konkret abgerechnet werden. Als Herstellungsaufwand (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB) sind sie nur einklagbar, wenn sie tatsächlich (konkret) angefallen sind. Bei allem Streit in den Details: Ein Rechnungsausgleich ist entgegen verbreiteter Meinung weder Anspruchs- noch Fälligkeitsvoraussetzung (zutr. LG Traunstein NZV 05, 324 - Sachverständigenkosten). Ob und inwieweit Einwendungen aus dem Innenverhältnis auf das Außenverhältnis Schädiger/Geschädigter durchschlagen, ist umstritten und kann hier nicht vertieft werden. Prinzipiell ist der VI. Senat des BGH auf eine Trennung der Sphären bedacht (NJW 07, 3782 - Mietwagenkosten; NJW 07, 1450 - Sachverständigenkosten; NJW 74, 34 - Finanzierungskosten). Auf die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des vom Geschädigten abgeschlossenen Vertrags kommt es schadensrechtlich grundsätzlich nicht an. Unerheblich ist auch, ob der Dienstleistungserbringer mangelfrei oder mangelhaft gearbeitet hat.
    • 4.Befreiung von einer Verbindlichkeit als Naturalrestitution?

    Hat der Ersatzpflichtige den Geschädigten mit einer Verbindlichkeit belastet, steht dem Geschädigten ein Befreiungsanspruch = Freistellungsanspruch nach § 249 Abs. 1 BGB zu. Der Ersatzanspruch geht in diesen Fällen (vorwiegend aus dem Vertragsrecht) primär auf Freistellung von der Belastung (BGHZ 57, 78; BGH NJW 01, 155). Ein Zahlungsanspruch gegen den Schädiger besteht grundsätzlich nicht. Erreichbar ist er über § 250 BGB. Siehe dazu Punkt 5.

     

    In Unfallsachen ist es der Geschädigte selbst, der zur Beseitigung des Schadens eine Verbindlichkeit eingeht, indem er mit seinem Anwalt, einem Sachverständigen, der Werkstatt etc. kontrahiert. Zwar besteht der Schaden nicht in der Belastung mit einer solchen Verbindlichkeit (sehr klar: BGH NJW 74, 34 - Kredit zur Finanzierung der Reparaturkosten). Die Befreiung davon kann man gleichwohl als Form der Naturalrestitution begreifen (KG NJW 08, 2656 - Arztkosten; OLG Hamm NZV 08, 521 - Anwaltskosten; zu Mietwagenkosten s. BGH NJW 13, 1149).

    • 5.Was hat es mit § 250 BGB auf sich?

    In zahllosen Verkehrsunfallurteilen heißt es sinngemäß: Zwar richtet sich der Schadenersatzanspruch, wenn der Geschädigte den Sachverständigen noch nicht bezahlt hat, zunächst nur auf Freistellung von der Honorarverbindlichkeit. Durch eine ernstliche und endgültige Leistungsverweigerung des Schädigers, wie sie in der verweigerten Schadensregulierung liegt, wandelt sich dieser Anspruch jedoch gem. § 250 S. 2 BGB in einen Zahlungsanspruch um (so z.B. LG Saarbrücken VA 13, 60 = NJW-RR 13, 275). Das ist in mehrfacher Hinsicht unrichtig.

     

    Dass ohne Bezahlung (des Sachverständigen) nur Freistellung verlangt werden kann, wird oft mit OLG Hamm NZV 99, 377 = VersR 01, 249 belegt. 
Zu Unrecht, denn im OLG-Fall war nicht nur noch nicht gezahlt worden, es herrschte auch Streit über die Brauchbarkeit des Gutachtens. Nur unter dieser doppelten Voraussetzung hat das OLG einen Zahlungsanspruch abgelehnt und auf Freistellung erkannt (m. E. zweifelhaft).

     

    Wichtiger ist: § 250 BGB greift nur ein, wenn weder eine Personenverletzung noch eine Sachbeschädigung vorliegt (Looschelders SchAT Rn. 952). Für eine Analogie ist mangels Regelungslücke kein Raum. Zu einem Geldanspruch kommt der Geschädigte durch Ausübung seiner Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Gleichfalls unanwendbar ist der in diesem Zusammenhang oft zitierte § 257 BGB (z.B. OLG Oldenburg 21.3.12, 3 U 69/11, Abruf-Nr. 121280). Die Vorschrift setzt voraus, dass sich die Eingehung der Verbindlichkeit im Verhältnis zum Befreiungsschuldner als Aufwendung darstellt, was in Unfallsachen nicht der Fall ist.

    • 6.Ist eine auf Freistellung gerichtete Klage a) zulässig und b) schlüssig?

    Bedenken bestehen mit Blick auf § 115 Abs. 1 S. 3 VVG bei einer Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer. Aus einem Anerkenntnis als zusätzlichem Anspruchsgrund kann jedenfalls auch er auf Freistellung verklagt werden, ebenso unter dem Gesichtspunkt des Verzugs. Gegen den Schädiger persönlich kann der Geschädigte auf Freistellung klagen, wenn man darin einen Fall der Naturalrestitution sieht (§ 249 Abs. 1 BGB), siehe oben Pkt. 4. Wenn nicht: Freistellung ist gegenüber Zahlung ein Weniger, womit der Geschädigte sich zufrieden geben kann. Schutzwürdige Interessen des Schädigers werden durch eine Freistellungsklage nicht verletzt. Aber Achtung! Ein Freistellungsanspruch muss - wie ein Zahlungsanspruch - nach Grund und Höhe bezeichnet sein. Soweit der Gläubiger das nicht kann, ist ein Freistellungsantrag unzulässig. Stattdessen ist auf Feststellung zu klagen (BGH NJW 13, 155 Tz. 47). Die Erteilung einer Rechnung ist für einen Freistellungsanspruch keine Voraussetzung (OLG Oldenburg 21.3.12, 3 U 69/11, Abruf-Nr. 121280). Zur Ausübung des Bestimmungsrechts i.S.d. § 14 RVG durch eine Freistellungsklage siehe BGH NJW 11, 2509 Tz. 18.

    • 7.Keine Zinsen beim Freistellungsanspruch?

    Da der Freistellungsanspruch kein Geldanspruch i.S.d. § 288 Abs. 1 BGB ist, gibt es keine Verzugszinsen (OLG Düsseldorf VA 11, 76). Gleiches gilt für Rechtshängigkeitszinsen (§ 291 BGB). Frage aber: Kann die Freistellung auf einen Zinsanspruch erstreckt werden, der von dem Dienstleister gegen den Geschädigten geltend gemacht werden kann? Beispiel: Der Geschädigte ist mangels Regulierung durch den VR mit dem Ausgleich der Anwalts- oder Sachverständigenkosten in Verzug. Die Befreiung auf die Zinsschuld auszudehnen, erscheint konsequent. Ist vorgerichtlich kein Verzug eingetreten, stellt das LG Stuttgart auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ab (24.4.13, 13 S 220/12, Abruf-Nr. 1321719).

    • 8.Streitwert für den Freistellungsantrag.

    Grundsätzlich entspricht der Streitwert einer Klage auf Freistellung von einer Verbindlichkeit dem bezifferten Schuldbetrag (vgl. BGH NJW-RR 12, 60). Eine geringere Bewertung des Freistellungsinteresses ist im Rahmen des nach § 3 ZPO auszuübenden Ermessens möglich, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine solche Bewertung rechtfertigen (BGH a.a.O). Zum Problem Hauptforderung vs. Nebenforderung bei einem Anspruch auf Freistellung von Anwaltskosten siehe BGH NJW 12, 2523 Tz. 7 und BGH 26.3.13, VI ZB 53/12, Abruf-Nr. 131784.

    • 9.Formulierung des Freistellungsantrags.

    Der Antrag auf Verurteilung zur Freistellung muss die Forderung so genau bezeichnen, dass der Beklagte notfalls im Wege der Zwangsvollstreckung (§ 887 ZPO) zur Befriedigung des Drittgläubigers angehalten werden kann (BGH NJW 13, 155).

    • 10.Übergang vom Zahlungs- zum Freistellungsantrag und umgekehrt.

    Es liegt keine Klageänderung vor, nur eine Beschränkung bzw. Erweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO), vgl. BGH NJW 94, 944.

     

     

    Fazit und Praxistipp | Mietwagen-, Sachverständigen-, Abschlepp-, Kredit- und Arztkosten können liquidiert werden, ohne dass der Geschädigte die entsprechende Rechnung bezahlt haben muss. Der Weg über §§ 257, 250 BGB ist ein überflüssiger und für den Geschädigten auch nachteiliger Umweg.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2013 | Seite 133 | ID 42214880