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  • · Fachbeitrag · Unfallversicherung

    Schnuppertätigkeit im Reitverein: LSG Baden-Württemberg verneint Wie-Beschäftigung

    | Ehrenamtlich Tätige sind in Vereinen grundsätzlich nicht (über die Berufsgenossenschaft) gesetzlich unfallversichert. Eine Ausnahme stellen arbeitnehmerähnliche, wenn auch unbezahlte Tätigkeiten dar. Das LSG Baden-Württemberg musste sich jetzt damit befassen, ob eine solche „Wie-Beschäftigung“ schon angenommen werden kann, wenn der Unfall bei einer Schnuppertätigkeit im Verein passiert war. VB stellt Ihnen das Urteil vor und zeigt, was bei Vereinsmitgliedern im Zusammenhang mit Wie-Beschäftigungen zu beachten ist. |

    Die Wie-Beschäftigung bei Vereinsmitgliedern

    Die „Wie-Beschäftigung“ ist in § 2 Abs. 2 SGB VII geregelt. Nach dieser Regelung ist jede Verrichtung versichert, die einer Ausübung einer Beschäftigung vergleichbar ist. Nach der Rechtsprechung (u. a. LSG Bayern, Urteil vom 18.01.2023, Az. L 3 U 66/21, Abruf-Nr. 234934) muss dazu eine

    • ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende,
    • dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit
    • von wirtschaftlichem Wert verrichtet werden,
    • die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte und regelmäßig verrichtet wird, die in einem fremden Unternehmen dafür eingestellt sind.

     

    Verpflichtung aus Vereinssatzung

    Die Mitgliedschaft in einem Verein schließt ein Beschäftigungsverhältnis nicht von vornherein aus und damit auch nicht eine versicherte Tätigkeit als Wie-Beschäftigter. Es ist aber zu unterscheiden zwischen Arbeitsleistungen, die nur auf Mitgliedschaftspflichten beruhen, und Arbeitsleistungen, die außerhalb dieses Rahmens verrichtet werden.

     

    Bei einer Wie-Beschäftigung darf keine unmittelbare Verpflichtung zum Tätigwerden aufgrund der Vereinssatzung, durch Vereinsbeschluss oder durch Eigenverpflichtung bestehen. Gekennzeichnet sind diese geringfügigen Tätigkeiten im Allgemeinen dadurch, dass sie nur wenig zeitlichen oder sachlichen Arbeitsaufwand erfordern. Dabei kann die Geringfügigkeit bei jedem Verein verschieden zu bewerten sein. Nicht versichert sind Tätigkeiten, die ein Verein von jedem seiner Mitglieder erwarten kann und die von den Mitgliedern dieser Erwartung entsprechend auch verrichtet werden.

     

    • Beispiele für nicht versicherte Tätigkeiten

    Regelmäßige Arbeiten zur Herrichtung und Reinigung von Sportplätzen, Verkauf von Eintrittskarten, Ordnungsdienst bei Veranstaltungen.

     

    Tätigkeit aufgrund allgemeiner Vereinsübung

    Neben einer allgemeinen mitgliedschaftsrechtlichen Verpflichtung kann eine Verpflichtung zu Tätigkeiten auch durch „allgemeine Vereinsübung“ bestehen. Dazu gehören geringfügige Tätigkeiten, die ein Verein von seinen Mitgliedern erwarten kann und die von diesen entsprechend auch verrichtet werden. Solche Tätigkeiten müssen auch nicht im gleichen Maß von allen Mitgliedern erbracht werden. Es ist nämlich nicht unüblich, dass besonders qualifizierte Mitglieder aktiver sind ‒ etwa Übungsleiter in Sportvereinen.

     

    Hier kommt es auch auf den Umfang der Arbeit an, ob trotz der mitgliedschaftlichen Bindung ein Beschäftigungsverhältnis zum Verein vorliegt. Die Geringfügigkeitsgrenze ist überschritten, wenn sich eine Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert deutlich erkennbar von dem Maß an vergleichbarer Aktivität abhebt, die die Vereinsmitglieder üblicherweise einbringen. Auch hier kommt es nicht unbedingt auf die Satzungszwecke an. Lediglich mittelbar kann bei der Ermittlung der Vereinspflichten der Vereinszweck herangezogen werden; nämlich bei der Frage, ob eine Tätigkeit für den Verein im Rahmen der allgemeinen Vereinsübung bezogen auf den Vereinszweck von den Mitgliedern erwartet werden kann (LSG Bayern, Urteil vom 18.01.2023, Az. L 3 U 66/21, Abruf-Nr. 234934).

    Um diesen Fall ging es beim LSG Baden-Wüttemberg

    In dem Fall beim LSG Baden-Württemberg hatte ein Reitverein mangels genügend vereinsinterner Helfer regelmäßig Eltern von teilnehmenden Kindern eingesetzt. So auch eine Mutter, die eine Voltigierstunde ‒ vorerst ‒ nur begleiten sollte. Danach sollte die Mutter entscheiden, ob sie sich zutraue, zukünftig bei Reitstunden auszuhelfen. Ihr war dabei freigestellt, bei den Übungen mitzumachen oder nur zuzuschauen. Die Mutter nahm teil und zog sich bei einer Dehnübung eine Kniescheibenluxation zu. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, da die Mutter nicht als Beschäftigte des Reitvereins und auch nicht arbeitnehmerähnlich tätig geworden sei. Nachdem die Mutter im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Heilbronn obsiegt hatte, ging der Fall zum LSG Baden-Württemberg.

    Die Entscheidung des LSG und dessen Begründung

    Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und einen Arbeitsunfall verneint. Es sah weder einen rechtlich wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen Dehnübung und der Verletzung noch bejahte es eine Wie-Beschäftigung der Mutter (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2024, Az. L 10 U 3356/21, Abruf-Nr. 245155). Es begründete das wie folgt:

     

    Ursachenzusammenhang als Voraussetzung eines Arbeitsunfalls

    Fraglich war für das Gericht bereits ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen Dehnübung und Verletzung. Denn die unfallmedizinischen Voraussetzungen für eine Kniescheibenluxation hätten bei der Dehnübung nicht vorgelegen. So sei eine gewisse Krafteinwirkung auf das Knie in Kombination mit einer Rotation des Oberschenkels erforderlich. Zudem habe die knapp 27-jährige Mutter bereits anlagebedingte körperliche Risikofaktoren aufgewiesen.

     

    LSG verneint Wie-Beschäftigung der Mutter

    Weiter sei die Mutter auch weder als Beschäftigte noch als Wie-Beschäftigte versichert gewesen. Voraussetzung einer Wie-Beschäftigung sei, dass

    • eine einem fremden Unternehmen dienende,
    • dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht werde,
    • die ihrer Art nach von Personen verrichtet werden könne, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen.

     

    Vor allem mangelte es dem LSG an einer Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert: Denn die Mutter habe eben keine Helfer-Tätigkeit übernommen, wie etwa die Aufsicht über die Kinder oder Hilfe beim Steigen auf das Pferd. Zwar habe das „Einfühlen“ der Mutter ins Voltigiertraining im Hinblick auf eine eventuell von ihr in der Zukunft zu übernehmende Helfer-Tätigkeit einen gewissen Wert für den Reitverein. Dieses Eigeninteresse des Reitvereins an der Auswahl geeigneter Helfer sei jedoch nicht mit einer dem Reitverein dienenden Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert gleichzusetzen (BSG, Urteil vom 31.03.2022, B 2 U 13/20 R, Rn. 27, Abruf-Nr. XXXXXX). Dass die Mutter nach einem erfolgreichen „Einfühlen“ ggfs. eine den Tatbestand einer Wie-Beschäftigung erfüllenden Helfertätigkeit übernommen hätte, sei für die Entscheidung des konkreten Einzelfalls ohne Belang.

     

    Wichtig | Auch eine nur geringfügige und kurze Tätigkeit kann einem Unternehmen dienen: Bei Probearbeiten ist eine Wie-Beschäftigung etwa bejaht worden, wenn der Versicherte als Dritter (§ 267 Abs. 1 S. 1 BGB) Leistungen bewirkt, die der potenzielle Arbeitgeber seinen Kunden schuldet, und der Versicherte als „kostenloser“ Mitarbeiter entsprechende Forderungen der Kunden nach § 362 Abs. 1 BGB zum Erlöschen bringt (BSG, Urteil vom 20.08.2019, Az. B 2 U 1/18 R, Abruf-Nr. XXXXXXX).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Beitrag „Unfallversicherung: Wann gelten Ehrenamtler als versicherte Wie-Beschäftigte des Vereins?“, VB 5/2023, Seite 13 → Abruf-Nr. 49418038
    • Beitrag: „„Wie-Beschäftigung“: Gefährlichkeit der Tätigkeit kein Argument“, VB 12/2015, Seite 2 → Abruf-Nr. 43751351
    Quelle: ID 50254405