· Marktstudie
Kinderprodukte sind Zuckerbomben
| Laut einer Marktstudie, die die Verbraucherorganisation foodwatch gemeinsam mit der „Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten“ (DANK, ein Zusammenschluss von 23 wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften, Verbänden und Forschungseinrichtungen) kürzlich vorgestellt hat, enthalten nach wie vor 242 von 283 untersuchten Kinderprodukten (85,5 Prozent) zu viel Zucker, Fett oder Salz. Sie sind nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unausgewogen und sollten eigentlich gar nicht an Kinder vermarktet werden. |
Kaum Verbesserungen der Zahlen im Vergleich zu 2015
Die Studie umfasst Produkte von insgesamt 16 Lebensmittelkonzernen, die eine Selbstverpflichtung zu verantwortungsvollerem Kindermarketing („EU Pledge“), unterschrieben haben ‒ darunter Nestlé, Danone und Unilever. Diese freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie ist mit Blick auf Kindermarketing offensichtlich unzureichend. Denn bereits 2015 untersuchte foodwatch das Sortiment dieser Unternehmen ‒ mit ähnlichem Ergebnis: Damals verfehlten 89,7 Prozent der Produkte die WHO-Empfehlungen.
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Im Kampf gegen Fehlernährung setzt die Bundesregierung bislang auf freiwillige Vereinbarungen der Industrie. Bereits 2007 haben die großen Lebensmittelkonzerne Europas mit dem „EU Pledge“ freiwillig vereinbart, ihre Lebensmittelwerbung verantwortungsvoller zu gestalten und kein Junkfood mehr an unter 12-Jährige zu vermarkten. Auf Druck des Bundesernährungsministeriums haben sich zudem die Unternehmen in Deutschland dazu verpflichtet, den Anteil von Zucker, Fett und Salz in ihren Lebensmitteln zu reduzieren. CDU-Ministerin Julia Klöckner bestätigte noch im April 2021, dass diese freiwillige Reduktionsstrategie „wirkt“. Bei Kinder-Joghurts seien 20 Prozent Zucker im Vergleich zum Jahr 2015 reduziert, bei Frühstückscerealien für Kinder fast 15 Prozent, bei Erfrischungsgetränken für Kinder 35 Prozent. Die Ergebnisse der Marktstudie zeigten jedoch, dass solche Reduktionen nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien, kritisierten foodwatch und DANK: „Produkte, die mit Comicfiguren, Online-Gewinnspielen und Spielzeugbeigaben an Kinder beworben werden, sind in erster Linie Zuckerbomben und fettige Snacks. Daran haben weder die freiwillige Selbstverpflichtung für ein verantwortungsvolleres Kindermarketing noch das Zuckerreduktionsprogramm der Bundesregierung etwas geändert“, erklärte Oliver Huizinga, Kampagnendirektor bei foodwatch. |
Gefährdung der kindlichen Gesundheit
Fehlernährung ist bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge verzehren Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren im Schnitt nicht einmal halb so viel Obst und Gemüse, aber mehr als doppelt so viele Süßwaren oder Snacks wie empfohlen. Aktuell gelten etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen als übergewichtig und sechs Prozent sogar als fettleibig ‒ ihnen drohen im späteren Lebensverlauf Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Etwa jeder fünfte Todesfall in Deutschland ist laut Angabe der OECD insbesondere auf eine ungesunde Ernährung zurück zu führen. Prof. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit an der Kinderklinik der Universität München: „Junge Menschen essen deutlich zu wenig Obst und Gemüse und zu viele Süßigkeiten und Snacks. Die Werbung für Lebensmittel hat schädliche Auswirkungen auf das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen und fördert die Entstehung von Übergewicht.“
„An Kinder gerichtete Werbung für Dickmacher ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Gefährdung der kindlichen Gesundheit“, warnte Barbara Bitzer, Sprecherin der DANK. „Die Bundesregierung muss sich von der Strategie der Freiwilligkeit verabschieden und in der kommenden Legislaturperiode Werbung für ungesunde Produkte an Kinder gesetzlich verbieten.“
Die Studie
Die Autor*innen der Studie haben alle an Kinder beworbenen Produkte der Unternehmen unter die Lupe genommen, die den „EU Pledge“ unterzeichnet haben. Dabei haben sie die Nährstoffzusammensetzung der Produkte mit den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation an ernährungsphysiologisch ausgewogene Lebensmittel abgeglichen. Das WHO-Regionalbüro für Europa definiert konkrete Vorgaben, wonach nur noch ernährungsphysiologisch ausgewogene Produkte an Kinder vermarktet werden sollten. Dabei spielen unter anderem die Anteile von Fett, Zucker und Salz, aber auch der Kaloriengehalt oder zugefügte Süßstoffe eine Rolle.
10 der 16 untersuchten Hersteller machen ausschließlich Kindermarketing für Produkte, die den WHO-Empfehlungen nicht entsprechen. Darunter sind Ferrero, Pepsico, Mars, Unilever und Coca-Cola. Die größte Anzahl an unausgewogenen Produkten bewerben Nestlé (44 Produkte), Kellogg‘s (24 Produkte) und Ferrero (23 Produkte).
Drei Beispiele
- Lagnese-Eis Disney Frozen II: Unilever wirbt mit lizensierten Kinder-Idolen und mit dem Siegel „Responsibly Made for Kids“ für ein zuckriges Eis. Nach Auffassung von Unilever ist Eis offenbar gesund, denn hinter dem „Responsible“-Versprechen steht eine Initiative, wonach Unilever nur Produkte mit den „Highest Nutritional Standards“ an Kinder bewerben möchte. Dabei beruft sich Unilever sogar auf die WHO ‒ obwohl die WHO an Kinder gerichtete Werbung für zuckriges Eis ablehnt.
- Kellogg‘s Frosties, Smacks und Tresor Choco nut: Die drei zuckrigsten Frühstücksflocken im Test kommen allesamt aus dem Hause Kellogg‘s. Trotz Zuckerreduktionsprogramm bestehen die Frosties und Smacks zu einem Drittel aus Zucker. Das ist mehr als doppelt so viel wie die WHO für Kinder-Frühstücksflocken empfiehlt.
- Nestlé Smarties-Joghurts: Die drei zuckrigsten Joghurts im Test stammen von Nestlé. Obwohl der Hersteller den Zuckergehalt in den vergangenen Jahren reduziert hat, enthalten die Smarties-Joghurts etwa 50 Prozent mehr Zucker als die WHO für Kinder-Joghurts empfiehlt.
Zahnärzteschaft fordert seit Jahren Reduktion des Zuckergehalts von Nahrungsmitteln
Die BZÄK hat sich in mehreren Positionspapieren zur Problematik des übermäßigen Zuckerkonsums von Kindern und Erwachsenen geäußert. Sie finden die Positionspapiere hier: