01.04.2015 · IWW-Abrufnummer 144160
Landessozialgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 12.12.2014 – L 4 R 1333/13
Zur abhängigen Beschäftigung eines Zahnarztes auf der Grundlage eines Vertrags "über eine zahnärztliche nicht gleichberechtigte Gemeinschaftspraxis".
Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urt. v. 12.12.2014
Az.: L 4 R 1333/13
Der 4. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2014
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Februar 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf € 8.910,06 festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für den bei ihm vom 1. Januar 2007 bis 28. Februar 2010 beschäftigt gewesenen Beigeladenen zu 1) Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Umlagen nach dem seit 1. Januar 2006 geltenden Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) sowie für die Zeit ab 1. Januar 2009 für das Insolvenzgeld in Höhe von insgesamt € 8.910,06 nachzuentrichten hat.
Der Kläger ist Zahnarzt. Er betreibt seit vielen Jahren eine Einzelpraxis in von seinem Bruder gemieteten Praxisräumen.
Der 1958 geborene Beigeladene zu 1) absolvierte zwischen 1980 und 1988 ein Studium der Zahnmedizin. Nach Abschluss des Studiums war er bis 2005 in einer eigenen Praxis in N. niedergelassen und Mitglied des Versorgungswerks der Zahnärztekammer W.-L. In der Zeit von 1. Februar 2006 bis 28. Februar 2010 war er in der Praxis des Klägers tätig. Teilnehmer der Baden-Württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte wurde er nicht, da er zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufnahme in Baden-Württemberg die Altersgrenze bereits überschritten hatte.
Der am 31. März 2006 zwischen dem Kläger, der als Seniorpartner bezeichnet wurde, und dem Beigeladenen zu 1), der als Juniorpartner bezeichnet wurde, geschlossene "Vertrag über eine zahnärztliche nicht gleichberechtigte Gemeinschaftspraxis" (im Folgenden: Vertrag) lautete auszugsweise wie folgt:
Präambel
Der Seniorpartner betreibt in [S.., F-straße 42] eine Einzelpraxis, die er in vielen Jahren zu einer überdurchschnittlichen Zahnarztpraxis aufgebaut hat. Der Juniorpartner, der noch eine Praxis mit Zulassung in [S.., S-straße 23] besitzt, will seine Praxis veräußern sowie auf die dortige Zulassung verzichten. Zum Zwecke der Erprobung ist der Juniorpartner seit dem 1. Februar 2006 in der Praxis des Seniorpartners als Entlastungsassistent tätig. ..... Mit diesem Vertrag vereinbaren die Vertragspartner die zahnärztliche Tätigkeit gemeinsam ohne Kapitalbeteiligung des Juniorpartners in einer nicht gleichberechtigten Gemeinschaftspraxis auszuüben. Mittelfristig beabsichtigen die Partner die zahnärztliche Tätigkeit gemeinsam mit Kapitalbeteiligung des Juniorpartners in einer gleichberechtigten Gemeinschaftspraxis auszuüben. ...
§ 1
Vertragszweck, aufschiebende Bedingung
1. Zweck dieses Vertrags ist die Regelung der gemeinsamen vertrags- und privatzahnärztlichen Tätigkeit in einer nicht gleichberechtigten zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in [7 S.., F-straße 42].
2. Die Gemeinschaftspraxis tritt in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts auf. Die Vorschriften gemäß §§ 705 bis 740 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) finden Anwendung, soweit sich aus diesem Vertrag nichts Abweichendes ergibt.
3. Die Gesellschaft beginnt am 1. April 2006 unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Juniorpartner die erforderlichen Willenserklärungen zur Erfüllung der Bedingung in den Beschlüssen des Zulassungsausschusses für Zahnärzte im Regierungsbezirk Freiburg abgegeben hat.
4. .....
5. Die Vertragspartner sind in der Berufsausübung unabhängig und nicht weisungsgebunden.
§ 2
Praxisname und Praxissitz
1. Die Gemeinschaftspraxis wird in den bisher genutzten Praxisräumen in [7 S.., F.straße 42] ausgeübt.
2. Die Gemeinschaftspraxis führt auf dem Praxisschild, den Briefbögen, Stempeln usw. die Bezeichnung
[Name des Klägers]
[Name des Beigeladenen]
Zahnärzte
3. .....
§ 3
Einlagen, Beteiligung
1. ....
2. Der Seniorpartner bringt seine gesamte Einzelpraxis einschließlich des Patientenstammes in die Gemeinschaftspraxis ein. Die eingebrachte Praxis verbleibt im Eigentum und Sonderbetriebsvermögen des Seniorpartners, der diese aber der Gemeinschaftspraxis unentgeltlich zur Nutzung zur Verfügung stellt, wobei die Benutzung aller zum Praxisbetrieb erforderlichen Gegenstände beiden Vertragspartnern im gleichen Umfang zur Verfügung steht. Die Einbringung/Zurverfügungsstellung der Gegenstände erfolgt unter Ausschluss jeglicher Gewährleistungsansprüche.
3. Die Vertragspartner beabsichtigen Verhandlungen aufzunehmen, mit dem Ziel, den Juniorpartner mittelfristig unterparitätisch am Kapital der Gesellschaft zu beteiligen und eine gleichberechtigte Gemeinschaftspraxis zu bilden.
4. Für den Fall, dass die Gemeinschaftspraxis entgegen Absatz 3 weiter ohne Kapitalbeteiligung des Juniorpartner einverständlich fortgeführt werden sollte, erwirbt der Juniorpartner im Falle seines Ausscheidens aus der Gesellschaft, erstmals nach Ablauf von zwei Kalenderjahren, einen berufsrechtlich originär entstehenden Anteil am good will der Gemeinschaftspraxis als Abfindungsanspruch. Der maximale Abfindungsanspruch beträgt ein Jahresgewinnanteil des Juniorpartners, berechnet aus dem Durchschnitt der zwei vor dem Ausscheiden liegenden Jahre. Nach vollen zwei Kalenderjahren beträgt der Abfindungsanspruch 20 v H. des Maximalbetrags und erhöht sich für jedes weitere volle Kalenderjahr um weitere 10 v. H.
§ 4
Vertragsübernahme, Haftung
1. Die Gemeinschaftspraxis tritt in alle laufenden Verträge, insbesondere den mit dem Bruder des Seniorpartners, Herrn [H. K.], bestehenden Praxismietvertrag ein.
2. Für alle Verbindlichkeiten der Gemeinschaftspraxis haften die Vertragspartner im Außenverhältnis als Gesamtschuldner, auch mit ihrem Privatvermögen.
Der Seniorpartner stellt aber den Juniorpartner im Innenverhältnis von allen vertraglichen Verbindlichkeiten frei. Dies gilt gleichermaßen für die Verbindlichkeiten der bisherigen Einzelpraxis, wobei der Seniorpartner bezüglich bereits bestehender Bankverbindlichkeiten dem Juniorpartner entsprechende Erklärungen der Banken vorlegen wird.
Der Seniorpartner verpflichtet sich darüber hinaus, im Außenverhältnis bei Rechtsgeschäften mit einer finanziellen Verpflichtung über € 10.000,00 oder bei Begründung von Dauerschuldverhältnissen mit einer monatlichen Verpflichtung über € 1.000,00 in jedem Einzelfall die persönliche Mithaftung des Juniorpartners auszuschließen und die entsprechenden Vereinbarungen diesem vorzulegen.
3. Für Schadensersatzansprüche wegen einer in Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit begangenen unerlaubten Handlung oder sonstigen Entschädigungen Dritter haftet jeder Vertragspartner im Innenverhältnis alleine, soweit er den Schaden verursacht hat und der Schaden nicht durch die Berufshaftpflichtversicherung gedeckt wird. Bei beiderseitiger Verursachung sind die Vertragspartner im Verhältnis zueinander nach dem Grad ihres jeweiligen mitwirkenden Verschuldens zum Ausgleich verpflichtet.
4. Jeder Vertragspartner ist in straf-, disziplinar- und standesrechtlichen Verfahren persönlich verantwortlich.
§ 5
Haftpflichtversicherung
1. Die Vertragspartner verpflichten sich zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung mit einer Deckungssumme von € 3.000.000,00 pro Vertragspartner und Schadenfall.
2. ... Die Kosten der Berufshaftpflichtversicherung trägt jeder Vertragspartner selbst.
§ 6
Behandlungsverträge, freie Zahnarztwahl, zahnärztliche Aufzeichnungen
1. Die Behandlungsverträge mit dem Patienten schließt die Gemeinschaftspraxis. ...
2. Jede in der Praxis erbrachte zahnärztliche Leistung wird in der Praxis-EDV mit dem Kennzeichen des behandelnden Vertragspartners erfasst. ...
3. ...
4.
§ 7
Sprechstunde
1. Die Sprechstundenzeiten werden in gegenseitigem Einvernehmen festgelegt und geändert. .... Die Vertragspartner sind sich einig, dass während der Sprechstundenzeiten und auch nach Bedarf außerhalb der Sprechstundenzeiten die Gemeinschaftspraxis ausreichend zahnärztlich besetzt und vertreten sein muss.
§ 8
Vertretung im zahnmedizinischen Bereich
§ 9
Urlaub, Fortbildung, Krankheit
1. Jeder Vertragspartner hat Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub sowie Fortbildungszeiten von vier bis maximal zehn Wochen. Zeitpunkt und Dauer des Urlaubs bzw. der Fortbildung werden jeweils unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Praxis sowie familiärer Belange rechtzeitig vor Urlaubsbeginn vereinbart. Als Erfordernis der Praxis gilt insbesondere, dass diese ganzjährig mit mindestens einem Zahnarzt besetzt ist.
2. Bei ununterbrochener Erkrankung eines Vertragspartners über einen längeren Zeitraum als sechs Wochen hinweg kann einvernehmlich ein Vertreter eingestellt werden. Die Kosten des Vertreters sind vom erkrankten Vertragspartner zu tragen. Das vom erkrankten Vertragspartner bezogene Krankentagegeld steht ihm selbst zu. Der vom Vertreter erwirtschaftete Honorarumsatz wird dem Erkrankten zugerechnet.
3. ...Ergibt sich eine anhaltende Berufs- und/oder Erwerbsunfähigkeit des Juniorpartners, so scheidet dieser nach Ablauf des Monats, in dem die Berufs- und/oder Erwerbsunfähigkeit festgestellt wurde, aus der Gemeinschaftspraxis aus.