25.08.2021 · IWW-Abrufnummer 224300
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 17.08.2021 – 6 UF 120/21
1. Auch bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit in eine Corona-Schutzimpfung bei einem fast 16-jährigen Kind im Sinne des § 630d BGB bedarf es eines Co-Konsenses mit den sorgeberechtigten Eltern. Können diese sich in dieser Frage nicht einigen, ist eine Entscheidung nach § 1628 BGB herbeizuführen.
2. Die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ist bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) und bei einem die Impfung befürwortenden Kindeswillen auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet.
Entscheidung zur Durchführung von Corona-Impfung bei 16-jährigem Kind
Anmerkung
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die erstinstanzlichen Daten werden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht mitgeteilt.
Zu dieser Entscheidung gibt es eine Pressemitteilung auf der Webseite des OLG (www.olg-frankfurt-justiz.hessen.de).
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Beschwerdewert wird auf 2.000,00 € festgesetzt. Unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung wird der Verfahrenswert für die erste Instanz auf ebenfalls 2.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die voneinander geschiedenen Eltern, welche das gemeinsame Sorgerecht für ihren am XX.XX.2005 geborenen Sohn A ausüben, streiten darüber, ob ihr gemeinsamer Sohn gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 geimpft werden soll. Eine zunächst für den 10.06.2021 bei der Hausärztin des Kindes geplante Impfung musste abgesagt werden, nachdem die Beschwerdeführerin der Ärztin mitgeteilt hatte, mit der Impfung nicht einverstanden zu sein. Das Kind lebt überwiegend im Haushalt der Beschwerdeführerin. Der Antragsteller und Kindesvater befürwortet dagegen die Impfung des gemeinsamen Sohnes.
Mit Schreiben vom 10.06.2021 hat der Kindesvater beantragt, im Wege einer Eilentscheidung ihm die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung seines Sohnes zu übertragen. Er hat zu seinem Antrag eine ärztliche Bescheinigung der Hausärztin Frau B vom 14.06.2021 beigefügt, nach der bei A eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bestehe, um einen schwerwiegenden Verlauf einer COVID-Erkrankung aufgrund der bestehenden Adipositas und rez. depressiver Episoden zu vermeiden. Des Weiteren sei A selbst voll entscheidungsfähig und könne die Tragweite einer solchen Erkrankung überblicken und wünsche darüber hinaus ausdrücklich die Impfung.
Die Kindesmutter ist der Impfung ihres Sohnes entgegengetreten. Nach ihrer Einschätzung sei die Impfung mit dem Präparat von Biontech Pfizer eine „Gentherapie“. Es sei im Übrigen noch nicht hinreichend geklärt, ob A bereits durch eine vorgegangene Infektion immunisiert worden sei. Eine Impfung sei auch deswegen nicht erforderlich, weil in der Gesellschaft Ende Juli 2021 bereits annähernd eine Herdenimmunität eingetreten sei. Außerdem sei eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech Pfizer deshalb nicht mehr nützlich, weil diese nicht gegen alle Varianten wirksam sei, vor allem gegen die sog. Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus. Die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff führe im Übrigen zu mehr Todesfällen, als eine Erkrankung an SARS-CoV-2. Des Weiteren sei A weder hinreichend vom Kindesvater noch von seiner Hausärztin umfassend über die Risiken der „Gentherapie“ aufgeklärt worden. Schließlich verstoße die Anwendung der „Gentherapie“ gegen den sog. Nürnberger Kodex 1947, aus dem folge, dass die freiwillige Zustimmung der „Versuchsperson“ unbedingt erforderlich sei. Bei der Impfung handele es sich auch um einen Medikamentenversuch, da insoweit keine abgeschlossenen Studien über etwaige Risiken vorliegen würden. Es bestehe die Gefahr, dass die „Gentherapie“ zu einer Reprogrammierung der Immunantwort des eigenen Körpers führe sowie zu einer Überreaktion des Körpers, falls er mit einem Virus in Kontakt komme. Auch sei zu befürchten, dass die Wirkstoffe der „Gentherapie“ in erheblichem Maße verunreinigt seien. Weiterhin bestehe die Gefahr, dass die Impfung zu einer Unfruchtbarkeit führe oder aber Blutgerinnsel verursachen könne. All diese Fragen sind nach Einschätzung der Kindesmutter durch Einholung von Sachverständigengutachten aufzuklären.
Das Amtsgericht hat ein Verfahren der einstweiligen Anordnung eingeleitet und für das betroffene Kind einen Verfahrensbeistand bestellt. Der Verfahrensbeistand hat in seinem Bericht vom 17.06.2021 ausgeführt, dass die Kindesmutter das Kind am 08.06.2021 dazu veranlasst habe, per Zoom eine Mediatorin zu kontaktieren, welche ihm Informationen zu dem Corona Virus, und der Entwicklungsmethoden betreffend die einzelnen Impfstoffe erteilt habe. Gleichwohl habe A an seinem Wunsch festgehalten, geimpft zu werden.
Das Amtsgericht hat A am 22.06.2021 im Beisein des Verfahrensbeistands persönlich angehört. Er hat dabei bekräftigt, geimpft werden zu wollen. Als Gründe hierfür hat er angegeben, dass er seine Eltern und sich selbst schützen wolle. Seine Eltern seien Risikopatienten aufgrund ihres Bluthochdrucks. Zudem wolle er, sollte es zu einem erneuten Lockdown kommen, ohne Test einkaufen und zum Frisör gehen. Auch angesichts zweier in den Sommerferien geplanter Urlaube mit den Eltern, welche beide im Ausland stattfinden sollen, wolle er geimpft werden, damit die Testpflicht entfiele. Er hat weiter erklärt, dass er auch von anderen Jugendlichen wisse, dass es mögliche Nebenwirkungen, wie Fieber-, Glieder- und Kopfschmerzen als Folge der Impfung gäbe. Er sei auch im vergangenen Jahr anderweitig geimpft worden und habe die beiden Impfdosen gut vertragen. Auch seine ältere Schwester, welche in einem Krankenhaus arbeite, sei bereits vollständig geimpft. Nach Einschätzung der erstinstanzlich tätigen Familienrichterin machte A bei der Anhörung einen reifen und reflektierten Eindruck.
In der am 21.06.2021 durchgeführten persönlichen Anhörung der Beteiligten, welche in Anwesenheit von A erfolgt ist, hat der Verfahrensbeistand beantragt, die Alleinentscheidungsbefugnis auf den Kindesvater zu übertragen. Das Jugendamt hat erklärt, das auf die Wünsche des fast 16-jährigen Kindes eingegangen werden solle, aber von dort kein Antrag gestellt werde.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 22.06.2021 im Wege einstweiliger Anordnung die Entscheidung über die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für das Kind A Nachname1 vorläufig auf den Antragsteller übertragen. Die Entscheidung erfolgte mit der Maßgabe, dass die Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer zu erfolgen habe. Es hat darauf verwiesen, dass auch die ständige Impfkommission bei dem Robert-Koch-Institut (STIKO) eine COVID-19-Impfung mit dem mRNA Impfstoff Comirnaty als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren empfehle, wenn diese aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung haben. Hierzu zähle nach dem Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch Instituts vom 10.06.2021 auch Adipositas. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter. Sie rügt, dass das Gericht im Wege einstweiliger Anordnung entschieden habe, ohne seine diesbezügliche Absicht in der mündlichen Verhandlung erörtert zu haben. Durch die Entscheidung im Wege einer einstweiligen Anordnung werde die Hauptsache vorweggenommen und zugleich alle Beweisanträge der Beschwerdeführerin übergangen. Die Impfung sei auch nicht eilbedürftig, weil es sich um einen Menschenversuch handele, der gegen den Nürnberger Kodex verstoße. Eine Impfung sei bei einem jungen Menschen, der entweder gar nicht erkrankt sei oder bei dem statistisch gesehen überhaupt kein Risiko einer ernsthaften Erkrankung vorhanden oder das Risiko verschwindend gering sei, nicht eilbedürftig. Insoweit überwiege der Nutzen auch den möglichen Schaden nicht. Das Amtsgericht habe im Übrigen zu Unrecht die von ihr angebotenen Beweise nicht erhoben. Im Übrigen verweist die Kindesmutter darauf, dass in England inzwischen die meisten der hospitalisierten und jetzt an SARS-CoV-2 verstorbenen Menschen bereits zweifach mit einer Impfung behandelt worden seien. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Beschwerdeschrift vom 06.07.2021.
Der Kindesvater tritt der Beschwerde entgegen und verweist insoweit auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Der Verfahrensbeistand hat mitgeteilt, dass nach Durchführung des Anhörungstermins vom 21.06.2021 von der Hausärztin abgeklärt worden sei, das A bislang keine COVID-Infizierung und Erkrankung durchlaufen habe. A habe wie geplant mit dem Vater zu Beginn der Sommerferien eine Urlaubsreise nach Land1 angetreten und habe nach seiner Rückkehr sich erst einmal in Quarantäne begeben müssen, so dass er nicht wie geplant am 08.08.2021 mit seiner Mutter einen gemeinsamen Urlaub in Land2 verbringen konnte. Er sei nur dazu im Stande gewesen, eine Woche später nach Land2 zu fliegen, sofern er negativ getestet worden sei.
Am 10.08.2021 sei er nach Aufklärung durch einen Arzt im Impfzentrum C in Stadt1 mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer erstgeimpft worden. Die Zweitimpfung sei für den 07.09.2021 vorgesehen. A habe auch im Beschwerdeverfahren an seinem Wunsch festgehalten, vollständig geimpft zu sein.
Der Verfahrensbeistand beantragt ebenfalls, die Beschwerde der Kindesmutter zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde der Kindesmutter ist nach §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere wurde sie nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG fristgerecht eingelegt.
Auch soweit das hier betroffene Kind bereits während des Beschwerdeverfahrens die erste Impfung mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer erhalten hat, ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde der Kindesmutter nicht entfallen, da die bei mRNA-Impfstoffen jedenfalls zweistufige Impfung in sorgerechtlicher Hinsicht nur einheitlich betrachtet werden kann und die zweite Schutzimpfung noch aussteht.
In der Sache ist die Beschwerde aber unbegründet.
Zu Unrecht rügt die Beschwerde zunächst, dass das Amtsgericht im Wege einstweiliger Anordnung nach §§ 49 ff. FamFG entschieden hat. Schon in der Antragsschrift hat der Antragsteller zum Ausdruck gebracht, dass sein Antrag als „Eilantrag“ behandelt werden soll. Dem entsprechend hat das Amtsgericht auch eine Akte mit dem Aktenzeichen „EASO“ angelegt und so dann unverzüglich mit Verfügung vom 10.06.2021 einen Termin zur mündlichen Erörterung für den 21.06.2021 anberaumt. Es erschließt sich insoweit nicht, weshalb es für die Beschwerdeführerin im Erörterungstermin nicht erkennbar geworden sein soll, dass eine vorläufige Entscheidung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 49 Abs. 1 FamFG ansteht. Auch soweit es die Frage der Eilbedürftigkeit anbelangt, hat das Amtsgericht die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zutreffend beurteilt. Gemäß § 49 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach dem für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Angesichts des Umstandes, dass die mitsorgeberechtigten Eltern kein Einvernehmen in der Frage der Corona- Schutzimpfung des Kindes getroffen haben, bestand unzweideutig ein Regelungsbedürfnis. Auch die in der Vorschrift vorausgesetzte Dringlichkeit des Regelungsbedürfnisses ist hier gegeben. Es liegt insbesondere dann vor, wenn ein Zuwarten bis zur Entscheidung in einer etwaigen Hauptsache nicht ohne Eintritt erheblicher Nachteile möglich wäre (BT-Drs. 16/6308, 199; OLG Brandenburg, ZKJ 2010, 251). Angesichts der sich in Deutschland abzeichnenden vierten Infektionswelle, der in den Sommerferien anstehenden Urlaubsreisen des Kindes und des nunmehr unmittelbar bevorstehenden neuen Schuljahres bestand aus Sicht des Kindes unzweifelhaft ein dringendes Bedürfnis zur Klärung der Entscheidungskompetenz über die Frage der Corona-Schutzimpfung. Ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung hätte nicht nur das Risiko beinhaltet, das sich das betroffene Kind mit dem Corona-Virus infiziert und möglicherweise schwer erkrankt, sondern es hat auch aus heutiger Sicht die im Raum stehenden Urlaubsreisen des Kindes erheblich erschwert und sogar dazu geführt, dass das Kind sich nach der Reise mit dem Vater nach Land1 in Quarantäne begeben musste. Auch steht die Gefahr unmittelbar bevor, dass die Freiheitsrechte des dann ungeimpften Kindes mit dem Eintritt der vierten Infektionswelle wieder eingeschränkt werden, wenn die entsprechenden Inzidenzwerte weiterhin steigen. Insoweit ist eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz auch dann vor diesem Hintergrund zu treffen, wenn sie faktisch zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führt. Dies gilt umso mehr, als nach der vorhandenen Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein wird, dass auch ein Hauptsacheverfahren zu einer dahingehenden Regelung führen würde (vgl. OLG Frankfurt ZKJ 2016, 361).
Eine Entscheidung nach § 1628 Satz 1 BGB ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil A nach § 630d BGB für den medizinischen Eingriff bereits einwilligungsfähig im Verhältnis zu der ärztlichen Impfperson sein dürfte. Denn selbst bei der hier naheliegenden Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen betrifft § 630d BGB lediglich die Einwilligungsfrage in die tatsächliche ärztliche Behandlung und nicht die rechtliche Vertragsbeziehung des der Behandlung zugrundeliegenden Vertrages zwischen dem Minderjährigen bzw. seinen Eltern und dem handelnden bzw. impfenden Arzt (vgl. BeckOK-BGB/Veit, 01.11.2019, § 1626 Rn. 44). Auch teilt der Senat die wohl überwiegend vertretene Ansicht, dass es bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff - wie der noch nicht als Standard-Impfung geltenden Impfung gegen das Corona-Virus - es zur Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten auch der Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern im Wege eines sog. Co-Konsens bedarf (OLG Frankfurt FamRZ 2020, 336; Lettmaier ZKJ 2020, 85, 86; vgl. auch BGH NJW 1972, 335).
Zu Recht hat das Amtsgericht dem Antragsteller und Kindesvater gemäß § 1628 Satz 1 und 2 BGB die Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung des gemeinsamen Kindes gegen das Corona Virus SARS-2 zur alleinigen Ausübung übertragen. Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Gemäß Satz 2 der Vorschrift können mit der Übertragung Auflagen und Weisungen verbunden werden.
Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen ist generell eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB (BGH, FamRZ 2017, 1057; OLG Frankfurt, FamRZ 2021, 853; Staudinger/Lettmaier, BGB, 2020, § 1628 BGB Rn. 50).
Die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird (OLG Brandenburg FF 2018, 512; Palandt/Götz § 1628 BGB Rn. 8). Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl besser Konzept verfolgt (BGH FamRZ 2017, 1057).
Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen nach § 1628 S. 1 BGB auf einen Elternteil kann grundsätzlich nach inzwischen gesicherter Rechtsprechung darauf abgestellt werden, dass die Entscheidungsbefugnis grundsätzlich demjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch Institut befürwortet, soweit bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen (BGH FamRZ 2017, 1057; OLG Frankfurt FamRZ 2021, 853; NZFam 2016, 125). Die Impfempfehlungen der beim Robert Koch Institut angesiedelten Ständigen Impfkommission (STIKO) sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden und dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei einer Impfempfehlung nach der dortigen sachverständigen Einschätzung der Nutzen der jeweiligen Impfung das Impfrisiko überwiegt (BGH FamRZ 2000, 809, 811). Es handelt sich dabei um die Feststellung einer auf Sachverständigenerkenntnissen hierfür eingesetzten Expertenkommission, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres anzuzweifeln ist. Soweit die Beschwerde rügt, das Amtsgericht habe die von ihr angebotenen Sachverständigengutachten zu den von ihr behaupteten Tatsachen und Risiken der Impfung nicht eingeholt, kann sie mithin hiermit im vorliegenden Verfahren nicht durchdringen, da im einstweiligen Anordnungsverfahren angesichts der Eilbedürftigkeit Sachverständigengutachten ohnehin nicht eingeholt werden können (vgl. BVerfG ZKJ 2018, 312). Ohnehin erscheint es zweifelhaft, ob auch bei der Corona-Schutzimpfung bei Vorliegen einer anerkannten Empfehlung der STIKO in einem Hauptsacheverfahren ein Sachverständigengutachten zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken erforderlich wäre, was der Bundesgerichtshof jedenfalls bei der allgemeinen Schutzimpfung eines Kindes verneint hat (BGH FamRZ 2017, 1057, Rn. 27).
Bereits zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung bestand eine Empfehlung der STIKO für eine COVID-19 Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren, die aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19 Erkrankung haben. Dem Epidemiologischen Bulletin der STIKO vom 10.06.2021 war zu entnehmen, dass zu den genannten Vorerkrankungen auch Adipositas zählt und das A ist unstreitig hiervon betroffen. Es kommt daher gar nicht darauf an, dass sich die STIKO am 16.08.2021 nunmehr dafür ausgesprochen hat, dass alle Kinder und Jugendlichen, die mindestens 12 Jahre alt sind, Corona-Impfungen erhalten sollten. Grundlage für die neue Einschätzung der STIKO sind insbesondere nunmehr zur Verfügung stehende Daten aus dem amerikanischen Impfprogramm mit fast 10 Millionen geimpften Kindern und Jugendlichen. Danach treten die beobachteten Herzmuskelentzündungen gerade bei männlichen Jugendlichen als Impfnebenwirkung auf, die bei entsprechender medizinischer Versorgung unkompliziert verlaufen. Zudem seien keine Signale für weitere schwerwiegende Nebenwirkungen nach mRNA-Impfungen aufgetreten, während bei der nunmehr dominierenden Delta-Variante auch für Kinder und Jugendliche ein deutlich höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion in einer möglichen vierten Infektionswelle besteht.
Ungeachtet dessen kann im Rahmen der nach § 1697a BGB vorzunehmenden Kindeswohlprüfung auch der Kindeswille nicht unbeachtet bleiben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Kind sich im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung auch eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreits bilden kann (vgl. Staudinger/Lettmaier § 1628 BGB Rn. 74). Dass der fast 16-jährige A aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung dazu im Stande ist, sich eine eigene Meinung über den Nutzen und die Risiken der Corona Schutzimpfung zu bilden, steht hier außer Frage. Dies lässt sich sowohl dem Bericht des Verfahrensbeistandes, der Bescheinigung der Hausärztin als auch dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Kindesanhörung ohne Zweifel entnehmen. Auch die von der Kindesmutter angeführten Zweifel an der Notwendigkeit und etwaiger Vorteile der Impfung und die damit verbundenen Risiken haben bei A nicht zu einer Aufgabe seines Impfwunsches geführt. Auch die Rücksichtnahme auf den Willen des Kindes bei sorgerechtlichen Entscheidungen spricht im vorliegenden Fall für die bessere Entscheidungskompetenz des Kindesvaters. Denn Teil der elterlichen Sorge ist es nach § 1626 Abs. 2 BGB auch, dass die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigen verantwortungsbewussten Handeln berücksichtigen sollen. Dass die Kindesmutter dies bei allem Verständnis für ihre Sorgen vor etwaigen Langzeitfolgen durch den mRNA-Impfstoff hinreichend berücksichtigt, erscheint vor dem Hintergrund, dass bereits eine erste Schutzimpfung erfolgt ist und die Kindesmutter gleichwohl an ihrer Beschwerde festhält, jedenfalls zweifelhaft.
Offenbleiben kann die Frage, ob eine Impfung des Kindes gegen Corona, wie die Beschwerde meint, voraussetzt, dass das Kind auch ohne Indizien für eine bereits stattgefundene Infektion auf vorhandene Antikörper getestet wurde, da nach dem vorliegenden Bericht des Verfahrensbeistands ein entsprechender Test mit negativem Ergebnis stattgefunden hat.
Nach alledem war dem Kindesvater die alleinige Entscheidungsbefugnis für die Impfung des Kindes gegen das Corona Virus vorläufig zu übertragen.
Nachdem das Kind bereits die erste Schutzimpfung mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer erhalten hat, war nicht von Belang, dass in der Zwischenzeit auch der Impfstoff von Moderna für Kinder und Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr zugelassen ist.
Gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 BGB hat der Senat ohne erneute persönliche Anhörung der Beteiligten entschieden, da diese bereits im ersten Rechtszug erfolgt ist und ihre Wiederholung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse erwarten lässt.
Da das Rechtsmittel ohne Erfolg war, waren der Beschwerdeführerin gemäß § 84 FamFG die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
Der Beschwerdewert war nach §§ 40, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG nach der zum 01.01.2021 geltenden Fassung mit 2.000,00 € festzusetzen, was das Amtsgericht im ersten Rechtszug übersehen hat. Gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 FamGKG war insoweit auch die erstinstanzliche Verfahrenswertfestsetzung abzuändern.
Die Rechtsbeschwerde kann gemäß § 70 Abs. 4 FamFG im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht zugelassen werden.
Anmerkung
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die erstinstanzlichen Daten werden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht mitgeteilt.
Zu dieser Entscheidung gibt es eine Pressemitteilung auf der Webseite des OLG (www.olg-frankfurt-justiz.hessen.de).
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Beschwerdewert wird auf 2.000,00 € festgesetzt. Unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung wird der Verfahrenswert für die erste Instanz auf ebenfalls 2.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die voneinander geschiedenen Eltern, welche das gemeinsame Sorgerecht für ihren am XX.XX.2005 geborenen Sohn A ausüben, streiten darüber, ob ihr gemeinsamer Sohn gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 geimpft werden soll. Eine zunächst für den 10.06.2021 bei der Hausärztin des Kindes geplante Impfung musste abgesagt werden, nachdem die Beschwerdeführerin der Ärztin mitgeteilt hatte, mit der Impfung nicht einverstanden zu sein. Das Kind lebt überwiegend im Haushalt der Beschwerdeführerin. Der Antragsteller und Kindesvater befürwortet dagegen die Impfung des gemeinsamen Sohnes.
Mit Schreiben vom 10.06.2021 hat der Kindesvater beantragt, im Wege einer Eilentscheidung ihm die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung seines Sohnes zu übertragen. Er hat zu seinem Antrag eine ärztliche Bescheinigung der Hausärztin Frau B vom 14.06.2021 beigefügt, nach der bei A eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bestehe, um einen schwerwiegenden Verlauf einer COVID-Erkrankung aufgrund der bestehenden Adipositas und rez. depressiver Episoden zu vermeiden. Des Weiteren sei A selbst voll entscheidungsfähig und könne die Tragweite einer solchen Erkrankung überblicken und wünsche darüber hinaus ausdrücklich die Impfung.
Die Kindesmutter ist der Impfung ihres Sohnes entgegengetreten. Nach ihrer Einschätzung sei die Impfung mit dem Präparat von Biontech Pfizer eine „Gentherapie“. Es sei im Übrigen noch nicht hinreichend geklärt, ob A bereits durch eine vorgegangene Infektion immunisiert worden sei. Eine Impfung sei auch deswegen nicht erforderlich, weil in der Gesellschaft Ende Juli 2021 bereits annähernd eine Herdenimmunität eingetreten sei. Außerdem sei eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech Pfizer deshalb nicht mehr nützlich, weil diese nicht gegen alle Varianten wirksam sei, vor allem gegen die sog. Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus. Die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff führe im Übrigen zu mehr Todesfällen, als eine Erkrankung an SARS-CoV-2. Des Weiteren sei A weder hinreichend vom Kindesvater noch von seiner Hausärztin umfassend über die Risiken der „Gentherapie“ aufgeklärt worden. Schließlich verstoße die Anwendung der „Gentherapie“ gegen den sog. Nürnberger Kodex 1947, aus dem folge, dass die freiwillige Zustimmung der „Versuchsperson“ unbedingt erforderlich sei. Bei der Impfung handele es sich auch um einen Medikamentenversuch, da insoweit keine abgeschlossenen Studien über etwaige Risiken vorliegen würden. Es bestehe die Gefahr, dass die „Gentherapie“ zu einer Reprogrammierung der Immunantwort des eigenen Körpers führe sowie zu einer Überreaktion des Körpers, falls er mit einem Virus in Kontakt komme. Auch sei zu befürchten, dass die Wirkstoffe der „Gentherapie“ in erheblichem Maße verunreinigt seien. Weiterhin bestehe die Gefahr, dass die Impfung zu einer Unfruchtbarkeit führe oder aber Blutgerinnsel verursachen könne. All diese Fragen sind nach Einschätzung der Kindesmutter durch Einholung von Sachverständigengutachten aufzuklären.
Das Amtsgericht hat ein Verfahren der einstweiligen Anordnung eingeleitet und für das betroffene Kind einen Verfahrensbeistand bestellt. Der Verfahrensbeistand hat in seinem Bericht vom 17.06.2021 ausgeführt, dass die Kindesmutter das Kind am 08.06.2021 dazu veranlasst habe, per Zoom eine Mediatorin zu kontaktieren, welche ihm Informationen zu dem Corona Virus, und der Entwicklungsmethoden betreffend die einzelnen Impfstoffe erteilt habe. Gleichwohl habe A an seinem Wunsch festgehalten, geimpft zu werden.
Das Amtsgericht hat A am 22.06.2021 im Beisein des Verfahrensbeistands persönlich angehört. Er hat dabei bekräftigt, geimpft werden zu wollen. Als Gründe hierfür hat er angegeben, dass er seine Eltern und sich selbst schützen wolle. Seine Eltern seien Risikopatienten aufgrund ihres Bluthochdrucks. Zudem wolle er, sollte es zu einem erneuten Lockdown kommen, ohne Test einkaufen und zum Frisör gehen. Auch angesichts zweier in den Sommerferien geplanter Urlaube mit den Eltern, welche beide im Ausland stattfinden sollen, wolle er geimpft werden, damit die Testpflicht entfiele. Er hat weiter erklärt, dass er auch von anderen Jugendlichen wisse, dass es mögliche Nebenwirkungen, wie Fieber-, Glieder- und Kopfschmerzen als Folge der Impfung gäbe. Er sei auch im vergangenen Jahr anderweitig geimpft worden und habe die beiden Impfdosen gut vertragen. Auch seine ältere Schwester, welche in einem Krankenhaus arbeite, sei bereits vollständig geimpft. Nach Einschätzung der erstinstanzlich tätigen Familienrichterin machte A bei der Anhörung einen reifen und reflektierten Eindruck.
In der am 21.06.2021 durchgeführten persönlichen Anhörung der Beteiligten, welche in Anwesenheit von A erfolgt ist, hat der Verfahrensbeistand beantragt, die Alleinentscheidungsbefugnis auf den Kindesvater zu übertragen. Das Jugendamt hat erklärt, das auf die Wünsche des fast 16-jährigen Kindes eingegangen werden solle, aber von dort kein Antrag gestellt werde.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 22.06.2021 im Wege einstweiliger Anordnung die Entscheidung über die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für das Kind A Nachname1 vorläufig auf den Antragsteller übertragen. Die Entscheidung erfolgte mit der Maßgabe, dass die Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer zu erfolgen habe. Es hat darauf verwiesen, dass auch die ständige Impfkommission bei dem Robert-Koch-Institut (STIKO) eine COVID-19-Impfung mit dem mRNA Impfstoff Comirnaty als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren empfehle, wenn diese aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung haben. Hierzu zähle nach dem Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch Instituts vom 10.06.2021 auch Adipositas. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter. Sie rügt, dass das Gericht im Wege einstweiliger Anordnung entschieden habe, ohne seine diesbezügliche Absicht in der mündlichen Verhandlung erörtert zu haben. Durch die Entscheidung im Wege einer einstweiligen Anordnung werde die Hauptsache vorweggenommen und zugleich alle Beweisanträge der Beschwerdeführerin übergangen. Die Impfung sei auch nicht eilbedürftig, weil es sich um einen Menschenversuch handele, der gegen den Nürnberger Kodex verstoße. Eine Impfung sei bei einem jungen Menschen, der entweder gar nicht erkrankt sei oder bei dem statistisch gesehen überhaupt kein Risiko einer ernsthaften Erkrankung vorhanden oder das Risiko verschwindend gering sei, nicht eilbedürftig. Insoweit überwiege der Nutzen auch den möglichen Schaden nicht. Das Amtsgericht habe im Übrigen zu Unrecht die von ihr angebotenen Beweise nicht erhoben. Im Übrigen verweist die Kindesmutter darauf, dass in England inzwischen die meisten der hospitalisierten und jetzt an SARS-CoV-2 verstorbenen Menschen bereits zweifach mit einer Impfung behandelt worden seien. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Beschwerdeschrift vom 06.07.2021.
Der Kindesvater tritt der Beschwerde entgegen und verweist insoweit auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Der Verfahrensbeistand hat mitgeteilt, dass nach Durchführung des Anhörungstermins vom 21.06.2021 von der Hausärztin abgeklärt worden sei, das A bislang keine COVID-Infizierung und Erkrankung durchlaufen habe. A habe wie geplant mit dem Vater zu Beginn der Sommerferien eine Urlaubsreise nach Land1 angetreten und habe nach seiner Rückkehr sich erst einmal in Quarantäne begeben müssen, so dass er nicht wie geplant am 08.08.2021 mit seiner Mutter einen gemeinsamen Urlaub in Land2 verbringen konnte. Er sei nur dazu im Stande gewesen, eine Woche später nach Land2 zu fliegen, sofern er negativ getestet worden sei.
Am 10.08.2021 sei er nach Aufklärung durch einen Arzt im Impfzentrum C in Stadt1 mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer erstgeimpft worden. Die Zweitimpfung sei für den 07.09.2021 vorgesehen. A habe auch im Beschwerdeverfahren an seinem Wunsch festgehalten, vollständig geimpft zu sein.
Der Verfahrensbeistand beantragt ebenfalls, die Beschwerde der Kindesmutter zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde der Kindesmutter ist nach §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere wurde sie nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG fristgerecht eingelegt.
Auch soweit das hier betroffene Kind bereits während des Beschwerdeverfahrens die erste Impfung mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer erhalten hat, ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde der Kindesmutter nicht entfallen, da die bei mRNA-Impfstoffen jedenfalls zweistufige Impfung in sorgerechtlicher Hinsicht nur einheitlich betrachtet werden kann und die zweite Schutzimpfung noch aussteht.
In der Sache ist die Beschwerde aber unbegründet.
Zu Unrecht rügt die Beschwerde zunächst, dass das Amtsgericht im Wege einstweiliger Anordnung nach §§ 49 ff. FamFG entschieden hat. Schon in der Antragsschrift hat der Antragsteller zum Ausdruck gebracht, dass sein Antrag als „Eilantrag“ behandelt werden soll. Dem entsprechend hat das Amtsgericht auch eine Akte mit dem Aktenzeichen „EASO“ angelegt und so dann unverzüglich mit Verfügung vom 10.06.2021 einen Termin zur mündlichen Erörterung für den 21.06.2021 anberaumt. Es erschließt sich insoweit nicht, weshalb es für die Beschwerdeführerin im Erörterungstermin nicht erkennbar geworden sein soll, dass eine vorläufige Entscheidung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 49 Abs. 1 FamFG ansteht. Auch soweit es die Frage der Eilbedürftigkeit anbelangt, hat das Amtsgericht die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zutreffend beurteilt. Gemäß § 49 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach dem für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Angesichts des Umstandes, dass die mitsorgeberechtigten Eltern kein Einvernehmen in der Frage der Corona- Schutzimpfung des Kindes getroffen haben, bestand unzweideutig ein Regelungsbedürfnis. Auch die in der Vorschrift vorausgesetzte Dringlichkeit des Regelungsbedürfnisses ist hier gegeben. Es liegt insbesondere dann vor, wenn ein Zuwarten bis zur Entscheidung in einer etwaigen Hauptsache nicht ohne Eintritt erheblicher Nachteile möglich wäre (BT-Drs. 16/6308, 199; OLG Brandenburg, ZKJ 2010, 251). Angesichts der sich in Deutschland abzeichnenden vierten Infektionswelle, der in den Sommerferien anstehenden Urlaubsreisen des Kindes und des nunmehr unmittelbar bevorstehenden neuen Schuljahres bestand aus Sicht des Kindes unzweifelhaft ein dringendes Bedürfnis zur Klärung der Entscheidungskompetenz über die Frage der Corona-Schutzimpfung. Ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung hätte nicht nur das Risiko beinhaltet, das sich das betroffene Kind mit dem Corona-Virus infiziert und möglicherweise schwer erkrankt, sondern es hat auch aus heutiger Sicht die im Raum stehenden Urlaubsreisen des Kindes erheblich erschwert und sogar dazu geführt, dass das Kind sich nach der Reise mit dem Vater nach Land1 in Quarantäne begeben musste. Auch steht die Gefahr unmittelbar bevor, dass die Freiheitsrechte des dann ungeimpften Kindes mit dem Eintritt der vierten Infektionswelle wieder eingeschränkt werden, wenn die entsprechenden Inzidenzwerte weiterhin steigen. Insoweit ist eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz auch dann vor diesem Hintergrund zu treffen, wenn sie faktisch zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führt. Dies gilt umso mehr, als nach der vorhandenen Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein wird, dass auch ein Hauptsacheverfahren zu einer dahingehenden Regelung führen würde (vgl. OLG Frankfurt ZKJ 2016, 361).
Eine Entscheidung nach § 1628 Satz 1 BGB ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil A nach § 630d BGB für den medizinischen Eingriff bereits einwilligungsfähig im Verhältnis zu der ärztlichen Impfperson sein dürfte. Denn selbst bei der hier naheliegenden Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen betrifft § 630d BGB lediglich die Einwilligungsfrage in die tatsächliche ärztliche Behandlung und nicht die rechtliche Vertragsbeziehung des der Behandlung zugrundeliegenden Vertrages zwischen dem Minderjährigen bzw. seinen Eltern und dem handelnden bzw. impfenden Arzt (vgl. BeckOK-BGB/Veit, 01.11.2019, § 1626 Rn. 44). Auch teilt der Senat die wohl überwiegend vertretene Ansicht, dass es bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff - wie der noch nicht als Standard-Impfung geltenden Impfung gegen das Corona-Virus - es zur Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten auch der Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern im Wege eines sog. Co-Konsens bedarf (OLG Frankfurt FamRZ 2020, 336; Lettmaier ZKJ 2020, 85, 86; vgl. auch BGH NJW 1972, 335).
Zu Recht hat das Amtsgericht dem Antragsteller und Kindesvater gemäß § 1628 Satz 1 und 2 BGB die Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung des gemeinsamen Kindes gegen das Corona Virus SARS-2 zur alleinigen Ausübung übertragen. Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Gemäß Satz 2 der Vorschrift können mit der Übertragung Auflagen und Weisungen verbunden werden.
Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen ist generell eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB (BGH, FamRZ 2017, 1057; OLG Frankfurt, FamRZ 2021, 853; Staudinger/Lettmaier, BGB, 2020, § 1628 BGB Rn. 50).
Die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird (OLG Brandenburg FF 2018, 512; Palandt/Götz § 1628 BGB Rn. 8). Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl besser Konzept verfolgt (BGH FamRZ 2017, 1057).
Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen nach § 1628 S. 1 BGB auf einen Elternteil kann grundsätzlich nach inzwischen gesicherter Rechtsprechung darauf abgestellt werden, dass die Entscheidungsbefugnis grundsätzlich demjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch Institut befürwortet, soweit bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen (BGH FamRZ 2017, 1057; OLG Frankfurt FamRZ 2021, 853; NZFam 2016, 125). Die Impfempfehlungen der beim Robert Koch Institut angesiedelten Ständigen Impfkommission (STIKO) sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden und dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei einer Impfempfehlung nach der dortigen sachverständigen Einschätzung der Nutzen der jeweiligen Impfung das Impfrisiko überwiegt (BGH FamRZ 2000, 809, 811). Es handelt sich dabei um die Feststellung einer auf Sachverständigenerkenntnissen hierfür eingesetzten Expertenkommission, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres anzuzweifeln ist. Soweit die Beschwerde rügt, das Amtsgericht habe die von ihr angebotenen Sachverständigengutachten zu den von ihr behaupteten Tatsachen und Risiken der Impfung nicht eingeholt, kann sie mithin hiermit im vorliegenden Verfahren nicht durchdringen, da im einstweiligen Anordnungsverfahren angesichts der Eilbedürftigkeit Sachverständigengutachten ohnehin nicht eingeholt werden können (vgl. BVerfG ZKJ 2018, 312). Ohnehin erscheint es zweifelhaft, ob auch bei der Corona-Schutzimpfung bei Vorliegen einer anerkannten Empfehlung der STIKO in einem Hauptsacheverfahren ein Sachverständigengutachten zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken erforderlich wäre, was der Bundesgerichtshof jedenfalls bei der allgemeinen Schutzimpfung eines Kindes verneint hat (BGH FamRZ 2017, 1057, Rn. 27).
Bereits zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung bestand eine Empfehlung der STIKO für eine COVID-19 Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren, die aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19 Erkrankung haben. Dem Epidemiologischen Bulletin der STIKO vom 10.06.2021 war zu entnehmen, dass zu den genannten Vorerkrankungen auch Adipositas zählt und das A ist unstreitig hiervon betroffen. Es kommt daher gar nicht darauf an, dass sich die STIKO am 16.08.2021 nunmehr dafür ausgesprochen hat, dass alle Kinder und Jugendlichen, die mindestens 12 Jahre alt sind, Corona-Impfungen erhalten sollten. Grundlage für die neue Einschätzung der STIKO sind insbesondere nunmehr zur Verfügung stehende Daten aus dem amerikanischen Impfprogramm mit fast 10 Millionen geimpften Kindern und Jugendlichen. Danach treten die beobachteten Herzmuskelentzündungen gerade bei männlichen Jugendlichen als Impfnebenwirkung auf, die bei entsprechender medizinischer Versorgung unkompliziert verlaufen. Zudem seien keine Signale für weitere schwerwiegende Nebenwirkungen nach mRNA-Impfungen aufgetreten, während bei der nunmehr dominierenden Delta-Variante auch für Kinder und Jugendliche ein deutlich höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion in einer möglichen vierten Infektionswelle besteht.
Ungeachtet dessen kann im Rahmen der nach § 1697a BGB vorzunehmenden Kindeswohlprüfung auch der Kindeswille nicht unbeachtet bleiben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Kind sich im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung auch eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreits bilden kann (vgl. Staudinger/Lettmaier § 1628 BGB Rn. 74). Dass der fast 16-jährige A aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung dazu im Stande ist, sich eine eigene Meinung über den Nutzen und die Risiken der Corona Schutzimpfung zu bilden, steht hier außer Frage. Dies lässt sich sowohl dem Bericht des Verfahrensbeistandes, der Bescheinigung der Hausärztin als auch dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Kindesanhörung ohne Zweifel entnehmen. Auch die von der Kindesmutter angeführten Zweifel an der Notwendigkeit und etwaiger Vorteile der Impfung und die damit verbundenen Risiken haben bei A nicht zu einer Aufgabe seines Impfwunsches geführt. Auch die Rücksichtnahme auf den Willen des Kindes bei sorgerechtlichen Entscheidungen spricht im vorliegenden Fall für die bessere Entscheidungskompetenz des Kindesvaters. Denn Teil der elterlichen Sorge ist es nach § 1626 Abs. 2 BGB auch, dass die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigen verantwortungsbewussten Handeln berücksichtigen sollen. Dass die Kindesmutter dies bei allem Verständnis für ihre Sorgen vor etwaigen Langzeitfolgen durch den mRNA-Impfstoff hinreichend berücksichtigt, erscheint vor dem Hintergrund, dass bereits eine erste Schutzimpfung erfolgt ist und die Kindesmutter gleichwohl an ihrer Beschwerde festhält, jedenfalls zweifelhaft.
Offenbleiben kann die Frage, ob eine Impfung des Kindes gegen Corona, wie die Beschwerde meint, voraussetzt, dass das Kind auch ohne Indizien für eine bereits stattgefundene Infektion auf vorhandene Antikörper getestet wurde, da nach dem vorliegenden Bericht des Verfahrensbeistands ein entsprechender Test mit negativem Ergebnis stattgefunden hat.
Nach alledem war dem Kindesvater die alleinige Entscheidungsbefugnis für die Impfung des Kindes gegen das Corona Virus vorläufig zu übertragen.
Nachdem das Kind bereits die erste Schutzimpfung mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer erhalten hat, war nicht von Belang, dass in der Zwischenzeit auch der Impfstoff von Moderna für Kinder und Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr zugelassen ist.
Gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 BGB hat der Senat ohne erneute persönliche Anhörung der Beteiligten entschieden, da diese bereits im ersten Rechtszug erfolgt ist und ihre Wiederholung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse erwarten lässt.
Da das Rechtsmittel ohne Erfolg war, waren der Beschwerdeführerin gemäß § 84 FamFG die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
Der Beschwerdewert war nach §§ 40, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG nach der zum 01.01.2021 geltenden Fassung mit 2.000,00 € festzusetzen, was das Amtsgericht im ersten Rechtszug übersehen hat. Gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 FamGKG war insoweit auch die erstinstanzliche Verfahrenswertfestsetzung abzuändern.
Die Rechtsbeschwerde kann gemäß § 70 Abs. 4 FamFG im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht zugelassen werden.