20.07.2023 · IWW-Abrufnummer 236382
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 11.05.2023 – V ZR 203/22
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Mai 2023 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterinnen Haberkamp, Laube und Dr. Grau
beschlossen:
Tenor:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Oberlandesgerichts München - 3. Zivilsenat - vom 13. September 2022 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 300.000 €.
Gründe
I.
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Der Kläger ist Erbbauberechtigter eines Grundstücks, an dem zu seinen Gunsten ein bis zum 30. November 2021 befristetes dingliches Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle eingetragen ist. Eigentümerin des Grundstücks war eine Miteigentümergemeinschaft. In der zur Auseinandersetzung der Miteigentümergemeinschaft betriebenen Teilungsversteigerung wurde den Beklagten auf das Meistgebot von 300.000 € in dem Versteigerungstermin im August 2021 der Zuschlag erteilt. Daraufhin erklärte der Kläger gegenüber den Beklagten die Ausübung des Vorkaufsrechts. Gestützt darauf, das Vorkaufsrecht durch Einwurfeinschreiben auch gegenüber den vormaligen Miteigentümern ausgeübt zu haben, verlangt der Kläger mit der Klage, die Beklagten zur Zustimmung zur Auflassung des Grundstücks und Bewilligung der Eintragung des Eigentumsübergangs auf ihn zu verurteilen, Zug um Zug gegen Zahlung von 300.000 €. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
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Das Berufungsgericht lässt offen, ob das dingliche Vorkaufsrecht den Fall der Teilungsversteigerung erfasst. Es meint, jedenfalls müsse die Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber dem Verpflichteten, hier also den früheren Miteigentümern, erklärt werden. Dass dies erfolgt sei, hätten die Beklagten in zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten. Den ihm obliegenden Beweis des Zugangs der Ausübungserklärung bei sämtlichen Verpflichteten habe der Kläger nicht geführt. In erster Instanz habe er nur Beweis für die Kuvertierung und Einlieferung der Einwurfeinschreiben angeboten. Soweit er in zweiter Instanz zum Beweis für den Zugang der Einwurfeinschreiben an alle vormaligen Miteigentümer die Statusberichte der Sendungen vorlege und die Empfänger der Sendungen als Zeugen benenne, sei dies verspätet im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO . Eines Hinweises des Landgerichts, dass der in erster Instanz angebotene Beweis nicht ausreichend gewesen sei, habe es nicht bedurft, weil die Beklagten bereits in der Klageerwiderung darauf hingewiesen hätten, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Ausübung des Vorkaufsrechts bei dem Kläger liege.
III.
3
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
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1. Es verletzt den Anspruch einer Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs ( Art. 103 Abs. 1 GG ), wenn ihr Angriffs- oder Verteidigungsmittel deswegen unberücksichtigt bleibt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie derjenigen des § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2018 - VIII ZR 90/17 , NJW 2018, 1686 Rn. 13; Beschluss vom 20. März 2019 - VII ZR 182/18 , NJW-RR 2019, 726 Rn. 15; Beschluss vom 23. September 2020 - IV ZR 74/20 ,FamRZ 2020, 2021Rn. 8; jeweils mwN).
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2. Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Berufungsgericht eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten.
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a) Nicht zu beanstanden und von der Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht angegriffen ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger in erster Instanz nicht ausreichend unter Beweis gestellt hat, das Vorkaufsrechts wirksam ausgeübt zu haben.
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aa) Die Erklärung, das Vorkaufsrecht auszuüben, ist gegenüber dem Verpflichteten abzugeben (§ 1098 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 464 Abs. 1 Satz 1 BGB ). Das sind hier sämtliche frühere Miteigentümer. Die Erklärung wird, wenn sie - wie hier - unter Abwesenden abgegeben wird, gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB mit ihrem Zugang wirksam. Zugegangen in diesem Sinne ist eine Willenserklärung dann, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - XII ZR 214/00 , NJW 2004, 1320; Urteil vom 8. Januar 2014 - IV ZR 206/13 , NJW 2014, 1010 Rn. 8 mwN).
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bb) Für den Zugang der Ausübungserklärung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB trägt der Vorkaufsberechtige die Beweislast. Der Beweis des Zugangs kann bei einem Einwurfeinschreiben, wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgeht, nicht bereits durch Vorlage des Einlieferungsscheins geführt werden. Dieser belegt nur die Absendung. Für den Absender streitet beim Einwurfeinschreiben nur nach Vorlage des Einlieferungsbelegs zusammen mit der Reproduktion des Auslieferungsbelegs der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, wenn das ordnungsgemäße Zustellungsverfahren vom Zusteller eingehalten wurde (näher BGH, Urteil vom 27. September 2016 - II ZR 299/15 , BGHZ 212, 104 Rn. 33 ). Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger in erster Instanz nur die Absendung, nicht aber den Zugang der Ausübungserklärung an die vormaligen Miteigentümer unter Beweis gestellt.
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b) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt aber zu Recht, dass die in der Berufungsinstanz angebotenen Beweise (Statusberichte, Zeugen) für den Zugang der Ausübungserklärung bei den Verpflichteten nicht erhoben worden sind. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beweisangebote des Klägers seien nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, ist offenkundig fehlerhaft. Die Beweisantritte waren gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen, weil sie infolge eines Verstoßes des Landgerichts gegen die Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO unterblieben waren.
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aa) Nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat das Gericht darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich über alle erheblichen Tatsachen vollständig erklären und sachdienliche Anträge stellen, insbesondere auch ungenügende Angaben der geltend gemachten Tatsachen ergänzen und Beweismittel bezeichnen. Diese Hinweispflicht besteht grundsätzlich auch in Prozessen, in denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, jedenfalls dann, wenn der Prozessbevollmächtigte die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - VII ZR 67/05 , NJW-RR 2006, 524 Rn. 10 mwN).
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bb) Gemessen daran hätte das Landgericht den Kläger darauf hinweisen müssen, dass der für die Absendung der Ausübungserklärung angetretene Beweis deshalb unzureichend war, weil mit ihm nicht der Beweis für den behaupteten Zugang der Einwurfeinschreiben geführt werden konnte. Dass das Gericht, wie das Berufungsgericht unter Verweis auf Greger (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 139 Rn. 16aE) meint, die Partei nicht auf die Benennung von Beweismitteln hinweisen muss, trifft in dieser Allgemeinheit ohnehin nicht zu (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 8. Mai 2007 - VI ZB 80/06 , NJW 2007, 3069 Rn. 16 mwN). Darum geht es auch nicht, wenn das Gericht erkennt, dass die Partei für eine in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht erhebliche Tatsache versehentlich keinen Beweis angeboten hat. Dann ist ein richterlicher Hinweis auf den fehlenden Beweisantritt geboten ( § 139 Abs. 1 Satz 2 , Abs. 2 ZPO ). So ist es hier. Für das Landgericht war offensichtlich, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Rechtsprechung zum Beweis des Zugangs eines Einwurfeinschreibens verkannt, das Beweisangebot für die Absendung als ausreichend angesehen und deshalb für die erhebliche Tatsache des Zugangs keinen Beweis angeboten hat. Den erforderlichen Hinweis hat das Landgericht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erteilt.
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cc) Ein gerichtlicher Hinweis war nicht wegen des Vortrags der Beklagten entbehrlich. Zwar bedarf es eines gerichtlichen Hinweises nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht, wenn die Partei durch einen eingehenden und von ihr erfassten Vortrag der Gegenpartei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2017 - I ZR 178/16 ,MarkenR 2017, 551Rn. 12 mwN; zur richterlichen Hinweispflicht betreffend die fehlende Substantiierung vgl. Senat, Beschluss vom 9. Februar 2023 - V ZR 93/22 , juris Rn. 12). So ist es hier aber schon deshalb nicht, weil die Beklagten nur zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber den Verpflichteten vorgetragen und sich nicht damit befasst haben, dass der Kläger nur die Absendung und nicht den Zugang der Einwurfeinschreiben unter Beweis gestellt hat.
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3. Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör ist entscheidungserheblich, weil nicht auszuschließen ist, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es die von dem Kläger angebotenen Beweise erhoben hätte. Der Kläger war - was das Berufungsgericht offengelassen hat - im Hinblick auf den den Beklagten in dem Teilungsversteigerungsverfahren erteilten Zuschlag berechtigt, das eingetragene Vorkaufsrecht auszuüben. Zwar ist das Vorkaufsrecht ausgeschlossen, wenn der Verkauf im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt (§ 1098 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 471 BGB ). Auf das Teilungsversteigerungsverfahren nach den §§ 180 ff. ZVG ist § 471 BGB aber grundsätzlich nicht anwendbar; vielmehr ist auch der "Verkauf" im Wege der Teilungsversteigerung regelmäßig als Vorkaufsfall anzusehen. Denn ein Erwerb in der Teilungsversteigerung steht einem freihändigen Kauf gleich. Ein Fall, für den der Senat die Ausübung des Vorkaufsrechts bei Erwerb in der Teilungsversteigerung als unzulässig angesehen hat, liegt nicht vor (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 23. April 1954 - V ZR 145/52 , BGHZ 13, 133, 136 ; Urteil vom 28. April 1967 - V ZR 163/65 , BGHZ 48, 1, 4 ; Beschluss vom 21. Januar 2016 - V ZB 43/15 , NJW 2016, 3242 Rn. 14 ff.). Es handelt sich um ein für mehrere Verkaufsfälle bestelltes dingliches Vorkaufsrecht an einem gesamten Grundstück, und der Zuschlag wurde einem Dritten erteilt.
IV.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte der Kläger das Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt haben, hat er gegen die Beklagten einen Anspruch darauf, dass diese der Eigentumsumschreibung - in der Form des § 19 GBO - auf ihn zustimmen ( § 1098 Abs. 2 , § 888 Abs. 1 BGB ; vgl. Senat, Urteil vom 15. Mai 1998 - V ZR 89/97 , NJW 1998, 2352, 2354, insoweit in BGHZ 139, 29 nicht abgedruckt). Einer gesonderten Zustimmung zur Auflassung bedarf es nicht. Die Auflassung selbst kann der Kläger nur von den Verpflichteten aus dem Vorkaufsvertrag verlangen (vgl.Erman/Grziwotz, BGB, 16. Aufl., § 1098 Rn. 8; NK-BGB/Reetz, 5. Aufl., § 1098 Rn. 28; Staudinger/Schermaier, BGB [2021], § 1098 Rn. 17).
Brückner RiBGH Dr. Göbel ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Karlsruhe, den 23.05.2023 Die Vorsitzende BrücknerHaberkamp Laube Grau