16.01.2025 · IWW-Abrufnummer 245936
Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 01.03.2024 – 1 U 10/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 01.03.2024, Az. 1 U 10/23
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 21. Februar 2023 ‒ 7 O 94/21 ‒ unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und im Hauptsachetenor wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, die Praxisräume im Hause L.-straße N02, N01 I., 1. Obergeschoss, gemäß als Anlage A beigefügtem Plan, zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2
I.
3
1. Die Klägerin betreibt die Seniorenresidenz A. D. K. im X. in der L.-straße N03 in I.. Ferner vermietet sie unter der Anschrift L.-straße N04 u. a. Arztpraxen und Wohnungen. Sie selbst betreibt dort eine ambulante Pflegestation. Die Flure mit den Wohnungseingängen sind mit Ausnahme der Wohnung im 2. Obergeschoss vom Treppenhaus und vom Eingangsbereich durch stets verschlossene und nur durch die Bewohnerinnen bzw. Bewohner zu öffnende Glastüren abgetrennt. Diese Bereiche verfügen außerdem über einen ebenfalls nur von der Bewohnerschaft zu nutzenden Aufzug. Durch einen Verbindungsgang im Erdgeschoss ist das Gebäude mit dem Gebäudekomplex L.-straße N03 verbunden. Der Verbindungsgang ist durch eine nur von Bewohnerseite zu betätigende automatische Glasabschlusstür ständig verschlossen und somit für Praxisinhaber sowie Patientinnen und Patienten nicht zugänglich. Die Klägerin vermietete mit Mietvertrag vom 29. November 2013 (Anlage K 1_10, Blatt 16 ff der landgerichtlichen Akten) nebst erstem Nachtrag vom 21. August 2017 (Anlage K 1, Blatt 15 der landgerichtlichen Akten) Räume im 1. Obergeschoss des Hauses L.-straße N02 mit einer Größe von insgesamt 153 m² an den Beklagten, einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Das Mietverhältnis begann gemäß § 1 Nr. 1 des Mietvertrags am 1. Juni 2014 mit einer Festlaufzeit bis zum 31. Mai 2024. Gemäß § 2 Nr. 2 des Mietvertrags hat der Beklagte ein dreimaliges Optionsrecht, durch einseitige Erklärung den Mietvertrag jeweils um weitere 5 Jahre zu verlängern. Von der ersten Verlängerungsoption machte er Gebrauch. Die Gesamtmiete beläuft sich gemäß dem 1. Nachtrag zum Mietvertrag vom 21. August 2017 (Anlage K 1, Blatt 15 der landgerichtlichen Akten) auf 2.720,68 € (Nettomiete in Höhe von 2.261,68 € zuzüglich Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 459 €). Nach § 1 Nr. 1 des Mietvertrags wurden die Räumlichkeiten zum Betrieb einer Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie vermietet. Der Schwerpunkt der Praxistätigkeit des Beklagten liegt in der Betreuung suchtkranker Patienten, insbesondere durch Substitutions- bzw. Methadonbehandlung. Seine weiteren Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Behandlung von Depressionen und Angsterkrankungen sowie Psychosen. Bereits kurz nach Eröffnung der Praxis am 1. Juli 2014 erklärte die Klägerin die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Das Landgericht Bonn gab der Räumungsklage mit Urteil vom 4. Mai 2015 (1 O 236/14) mit der Begründung statt, der Beklagte hätte gegen eine Offenbarungspflicht im Hinblick auf die beabsichtigte Substitutionsbehandlung verstoßen. Auf die Berufung des Beklagten wies der Senat mit Urteil vom 13. November 2015 (1 U 22/15) unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage ab.
4
Zu Beginn der Corona-Pandemie wies die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 18. März 2020 (Anlage K 2, Blatt 23 der landgerichtlichen Akten) darauf hin, dass die durch das Coronavirus hervorgerufene Sachlage besondere Vorsichtsmaßnahmen erfordere. Sie forderte den Beklagten auf, umgehend dafür Sorge zu tragen, dass Menschenansammlungen vor seiner Praxis unterbleiben, und ggf. durch entsprechendes Ordnungspersonal dafür Sorge zu tragen, dass Gefährdungen anderer Personen ‒ insbesondere der Bewohnerinnen und Bewohner der K. ‒ ausgeschlossen sind. Mit Schreiben vom 31. März 2020 (Anlage K 3, Blatt der landgerichtlichen Akten) wandten sich der Zeuge Dr. R. J. und die Zeugin Dr. W. P. an den Geschäftsführer der Klägerin und beschwerten sich über Vorfälle im März 2020 mit Patienten des Beklagten.
5
Die Klägerin mahnte den Beklagten mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 2. April 2020 (Anlage K 4, Blatt 26 der landgerichtlichen Akten) unter Hinweis auf die „extremen Auswirkungen“ seines Praxisbetriebes ab. Die Patienten des Beklagten hielten sich hiernach nicht ansatzweise an die infolge der Corona-Pandemie angeordneten Hygienevorschriften. Während der täglichen Sprechzeiten sei der Eingangsbereich des sog. Erweiterungsbaus häufig durch Patientengruppen blockiert, so dass ein Betreten des Hauses durch die Hausbewohner mit dem gebotenen Sicherheitsabstand unmöglich sei. Außerdem brächten die Patienten vermehrt ihre Alkoholvorräte mit ins Haus und es seien bereits mehrfach verschiedene Hunde im Treppenhaus angetroffen worden. Bisweilen würden die Hunde auch zwischen dem ersten und zweiten Stock im Treppenhaus angeleint. Auch Fäkalien seien auf der Treppe bereits festgestellt worden und ließen sich nicht mehr als Einzelfall bezeichnen. Der von der Klägerin angebrachte Hinweis auf das Aufenthaltsverbot im Eingangsbereich werde regelmäßig ignoriert; auf Ansprachen erfolgten aggressive Reaktionen der Patientinnen und Patienten. Der Beklagte habe nicht durch Aushänge etc. auf die einzuhaltenden Vorschriften hingewiesen und entsprechendes Sozialverhalten angemahnt. Es sei ihm offensichtlich gleichgültig, wie sich seine Patientinnen und Patienten verhielten. Der Beklagte wies die abgemahnten Vertragspflichtverletzungen mit Schreiben vom 6. April 2020 (Anlage K 5, Blatt 28 ff der landgerichtlichen Akten) ausdrücklich zurück.
6
Mit weiterem Schreiben vom 16. Dezember 2020 (Anlage K 6, Blatt 31 der landgerichtlichen Akten) wies die Klägerin den Beklagten darauf hin, dass er die hohen Schutzmaßnahmen für stationäre und ambulante Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen gemäß § 5 der Corona-Schutzverordnung vom 16. Dezember 2020 einzuhalten habe, und forderte ihn zur Übermittlung eines Hygienekonzepts bis zum 18. Dezember 2020 um 12:00 Uhr auf. Der Beklagte teilte dem Geschäftsführer der Klägerin mit E-Mail vom 17. Dezember 2020 (Anlage K 7, Blatt 32 der landgerichtlichen Akten) mit, dass die Vorschrift sich offenkundig nicht auf die im Ärztehaus untergebrachten Praxen beziehe, und übersandte sein aktuelles Hygienekonzept.
7
Mit anwaltlichem Schreiben vom 29. Januar 2021 (Anlage K 8, Blatt 33 f der landgerichtlichen Akten) mahnte die Klägerin den Beklagten erneut ab. Die Zustände hätten sich noch weiter verschlimmert, obwohl das Gefährdungspotential im Zuge der Corona-Pandemie noch deutlich zugenommen habe. Der Beklagte unternehme nichts, um dem Problem zu begegnen. Nachweislich hielten sich durchweg erhebliche Personenzahlen ohne Einhaltung von Abständen, ohne Masken und ohne sonstige Hygiene- und Schutzmaßnahmen im Treppenhaus auf. Hieraus resultierten gravierende Gesundheitsrisiken für die Bewohner und sonstige Nutzer des Treppenhauses wie insbesondere auch das Pflegepersonal.
8
Der Beklagte wies die abgemahnten Vertragspflichtverletzungen mit Schreiben vom 30. Januar 2021 (Anlage K 10, Blatt 44 f der landgerichtlichen Akten) erneut ausdrücklich zurück. Die Klägerin erklärte daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 12. Februar 2021 (Anlage K 12, Blatt 50 ff der landgerichtlichen Akten) die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, forderte den Beklagten zur Herausgabe der Praxisräume in geräumtem Zustand spätestens bis zum 28. Februar 2021 auf und widersprach einer Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 578 Abs. 2, § 545 BGB.
9
Am 8. November und 17. Dezember 2021 kam es zu Vorfällen, bei denen Patienten des Beklagten Bierflaschen mit in das Ärztehaus nahmen und dort fallen ließen. Zwischen dem 4. und 29. November 2021 urinierte ein Patient des Beklagten mehrfach im Kellergeschoss in das Treppenhaus, allein sieben Mal vom 4. bis zum 18. November 2021. Nachdem der Beklagte am 30. November 2021 über diese Vorfälle informiert worden war, entließ er den Patienten sowie eine Patientin, die am 18. November 2021 wiederholt Fußmatten gestohlen hatte, aus der Behandlung und sprach jeweils ein Hausverbot aus. Am 27. Dezember 2021 schloss der Beklagte einen weiteren Patienten von der Behandlung aus, der im Treppenhaus des Objekts Drogen konsumiert hatte. Die Klägerin erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 (Blatt 1095 ff, 1098 der landgerichtlichen Akten) wegen dieser und zahlreicher weiterer neuer Vorfälle, insbesondere im November und Dezember 2021, erneut die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Wegen der Einzelheiten wird auf den Kündigungsschriftsatz nebst Anlagen Bezug genommen.
10
Die Klägerin hat behauptet, aufgrund der mangelnden Bereitschaft des Beklagten, die notwendigen Maßnahmen zur Einhaltung der erforderlichen Hygienevoraussetzungen zu ergreifen, hätten sich im Rahmen der Corona-Pandemie und ihrer Folgen die bereits zuvor ungünstigen Verhältnisse im Zusammenhang mit den Patienten des Beklagten zu einem erheblichen und vor allem gesundheitsgefährdenden Problemfall entwickelt. Auch nach Ausspruch der Kündigung vom 12. Februar 2021 hätten Patienten des Beklagten praktisch durchgehend unter Verstoß gegen Abstands- und Hygieneregelungen die Praxis des Beklagten aufgesucht und zwar konkret am 9., 13., 14., 15. und 17. Februar 2021. Hierzu gehöre auch, dass ‒ was unstreitig ist ‒ ein Patient des Beklagten mehrfach ohne Maske durch das Treppenhaus des Gebäudes gelaufen sei und dort uriniert habe. Nach Auswertungen von Bild- und Videomaterial habe die Klägerin in einem Zeitraum von acht Tagen über 300 Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung festgestellt. Der Beklagte habe keine Vorkehrungen getroffen, die solche Vorfälle verhinderten, obwohl er über sie schon lange in Kenntnis sei. Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Fortsetzung des Mietverhältnisses sei für sie deshalb unzumutbar.
11
Die Klägerin hat beantragt,
12
den Beklagten zu verurteilen,
13
1. die Praxisräume im Hause L.-straße N02, N01 I., 1. Obergeschoss, gemäß als Anlage A beigefügtem Plan, zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben sowie
14
2. außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.501,19 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz an sie zu zahlen.
15
Der Beklagte hat beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17
Er hat behauptet, bei den häufigen Kontrollgängen des Beklagten und seiner Mitarbeiter im und vor dem Haus seien seit Abbau einer Bank im Windfang des Eingangs keine Personen mehr angetroffen worden, die im Haus zu verweilen versucht hätten. Ungefähr Anfang April 2020 habe er auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen sogenannten Wartebereich eingerichtet, der anfangs bis zur Gewöhnung mit Kreide markiert worden sei. Alle Patienten des Beklagten seien (regelmäßig) darauf hingewiesen worden, dass sie vor Praxiseröffnung nicht vor der Haustür, sondern auf der gegenüberliegenden Straßenseite warten sollten. Der Wartebereich werde von den Patienten angenommen, was die vom Beklagten vorgenommenen regelmäßigen Kontrollen bestätigten und sicherstellten. Die Bewohner des Ärztehauses nutzten abgesehen vom Bewohner im EG ausschließlich bzw. ganz überwiegend nicht das gemeinsame Treppenhaus, sondern den vorhandenen und allein ihnen vorbehaltenen Fahrstuhl. Die einzige zwangsläufige gemeinsame Wegstrecke von Patienten und Bewohnern des Hauses sei die fünf Meter lange Strecke im EG zwischen der Tür des exklusiven Einwohner-Aufzugs und der automatischen Hauseingangstür. Der Beklagte habe vielfältige Maßnahmen ergriffen, um die Einhaltung der Corona-Anforderungen sicherzustellen. Bereits vor der Corona-Pandemie hätten regelmäßige Kontrollgänge stattgefunden. Dies sei beibehalten worden. Insbesondere seien ab Beginn der Corona-Situation folgende Maßnahmen und Vorkehrungen durchgeführt und veranlasst worden:
18
- wiederholte Hinweise an Patienten zur Einhaltung der Hygienevorschriften,
19
- Androhung von Sanktionen bei Verstößen bis zum Behandlungsabbruch,
20
- Sicherstellung der Einhaltung durch regelmäßige Kontrollen, Kontrollgänge,
21
- Einrichtung von Wartezone/-bereich auf gegenüberliegender Straßenseite,
22
- Beschaffung und Verteilung von FFP2-Masken an Bedürftige sowie
23
- nach der Abmahnung vom 29. Januar 2021 nochmals schriftlicher (Aushang/Auslage) und mündlicher Hinweis an sämtliche Patienten, dass im Gebäude ausnahmslos Maske zu tragen ist.
24
Hinzu kämen schriftliche und mündliche Hinweise auf Maskenpflicht/Abstandsgebot, Aushänge, Bereitstellung von Desinfektionsmittel, Hygienekonzept usw. innerhalb der Praxis. Vor Einlass in die Praxis erfolge über die Video-Türöffnungsanlage eine Kontrolle der Einhaltung und ggf. ein Hinweis auf die Maskenpflicht. Mitarbeiter des Beklagten achteten auch bei Zigarettenpausen darauf, dass sich vor dem Haus keine Patienten aufhielten und die Hygienevorschriften auch im Übrigen eingehalten würden. Die Kündigung vom 27. Dezember 2021 belege, dass die Klägerin eine „Taktik des Materialsammelns“ verbunden mit dem bewussten Zurückhalten einer zeitigen Meldung unerwünschter Ereignisse verfolgt habe. Es gehe ihr überhaupt nicht darum, dem Beklagten zu ermöglichen, durch Patienten verursachte Beeinträchtigungen abzustellen und solchen vorzubeugen, was bei umgehender, von der Klägerin jedoch unterlassener Anzeige der Vorkommnisse möglich gewesen wäre. Die Klägerin verhalte sich treuwidrig, wenn sie es unterlasse, den Beklagten auf Umstände hinzuweisen, deren Wiederholung bei rechtzeitiger Mitteilung hätte verhindert werden können, nur um sich später darauf berufen zu können, in der Wiederholung läge eine Vertragsverletzung. Bei den aufgezeigten Verstößen handele es sich um Ausnahmen, die in gewissem Umfang vorkämen und sich durch noch so viele Maßnahmen usw. nicht vermeiden ließen.
25
2. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mieträume, weil das Vertragsverhältnis der Parteien ungekündigt fortbestehe. Die fristlose Kündigung des Mietvertrags vom 12. Februar 2022 (richtig: 2021) sei nicht aus wichtigem Grund gerechtfertigt gewesen. Es liege keine so nachhaltige Störung des Hausfriedens vor, dass der Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Zwar sei aufgrund der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass in der Zeit nach Inkrafttreten der Corona-Schutzverordnung in der ab dem 16. Dezember 2020 geltenden Fassung eine größere Anzahl von Patienten des Beklagten unter Verletzung der Pflicht zum Tragen einer Alltagsmaske und ohne Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands das Gebäude betreten habe. Entgegen der Ansicht der Klägerin seien allerdings in dem Ärztehaus nicht die weitergehenden Verpflichtungen aus § 5 der Verordnung zu beachten gewesen, weil das Gebäude unstreitig nicht Teil des von der Klägerin betriebenen Seniorenheims sei. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass die Verstöße der Patienten gegen die Corona-Schutzverordnung ein Gewicht in einem Maße hatten, das die Fortsetzung der Tätigkeit des Beklagten unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin, des Beklagten und der Allgemeinheit als untragbar erscheinen lasse. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Verstöße seitens der Patientenschaft des Beklagten gegen die Maskenpflicht deutlich über das allgemein zu erwartende Maß hinausgegangen seien. Nach dem vorgelegten Bildmaterial gebe es auch keine Hinweise darauf, dass die Patienten des Beklagten regelmäßig in großen Gruppen das Treppenhaus beträten, sich dort über längere Zeit aufhielten und der Beklagte dies habe verhindern können. Die von der Klägerin angeführte abstrakte Gefährlichkeit, die in einer Ansteckungsgefahr für die Bewohner des Objekts liegen solle, begründe für sich genommen kein Recht zur fristlosen Kündigung. Soweit die Klägerin ihre Kündigung darauf gestützt habe, dass sich Patienten in Gruppen vor dem Haus versammelten, ergebe sich dies nur teilweise aus den als Anlage K 11 vorgelegten Lichtbildern, wobei offen bleiben könne, inwieweit die dauerhafte Kontrolle des öffentlichen Raums vor und neben ihrem Gebäude mittels Videoaufnahmen durch die Klägerin rechtlichen Bedenken begegne. Soweit die Klägerin einen Kündigungsgrund darin sehe, dass Patienten Fahrräder ins Treppenhaus mitgenommen oder sich vor der Haustür versammelt hätten, sei dies bereits keine hinreichende Störung des Hausfriedens, die eine Kündigung zu rechtfertigen vermöge. Überdies ergebe sich aus den vorgelegten Lichtbildern, dass es sich um Einzelfälle bzw. allenfalls kurzzeitige Beeinträchtigungen gehandelt habe. Die Klägerin habe auch nicht den Beweis geführt, dass dem Beklagten selbst eine schuldhafte Vertragspflichtverletzung vorzuwerfen sei, weil er es unterlassen habe, die Patienten auf die Einhaltung der gültigen Corona-Regelungen hinzuweisen und dies zu überwachen, was von ihm ohnehin nur in einem ihm zumutbaren Rahmen erwartet werden könne. Die von der Klägerin benannten Zeugen haben nach Würdigung des Landgerichts hierzu keine konkreten Angaben machen, sondern lediglich Mutmaßungen äußern können. Auch lasse sich allein aus dem Umstand, dass etwa 15 % der Patienten des Beklagten die Hygienevorschriften nicht beachtet hätten, nicht ableiten, dass der Beklagte es pflichtwidrig unterlassen habe, auf die Einhaltung dieser Regelungen hinzuwirken. Dass diese Kontrollen auch nach den Angaben der Zeugen nicht lückenlos durchgeführt worden seien, stelle keine Pflichtverletzung des Beklagten dar, welche die Kündigung rechtfertigen könne. Der Beklagte sei zu Kontrollen der Einhaltung der Hygieneregeln nur im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet. Sein Praxisbetrieb sei kein Betrieb zur Sozialkontrolle der Patienten, sondern eine Arztpraxis. Der Beklagte und seine Mitarbeiter seien weiterhin in erster Linie der Heilbehandlung der Patienten und nicht der Überwachung des Treppenhauses und des Geländes vor dem Haus verpflichtet gewesen. Die Beauftragung eines Security-Dienstes, der das Verhalten der Patienten im Treppenhaus oder gar im öffentlichen Raum vor dem Gebäude kontrolliere, sei dem Beklagten nicht zumutbar gewesen. Vielmehr habe er seinen Verpflichtungen genügt, indem er die Einhaltung der Hygieneregeln stichprobenartig durch seine Mitarbeiter habe kontrollieren lassen. Dies habe er nach Angaben der Zeugen in ausreichender Dichte getan. Auch eine Gesamtwürdigung der unstreitigen bzw. von Klägerseite belegten Vorfälle vermöge eine fristlose Kündigung unter Abwägung der Interessen der Klägerin, der Hausbewohner, des Beklagten und der Allgemeinheit nicht zu rechtfertigen. Angesichts des im öffentlichen Interesse stehenden Ziels der Substitutionsbehandlung von drogenkranken Personen müssten Dritte Beeinträchtigungen, die von den Besonderheiten der behandelten Personengruppe ausgingen, in gewissem Umfang hinnehmen. Der Bereich des Zumutbaren sei hier von den Patienten des Beklagten nicht überschritten worden.
26
Auch die fristlose Kündigung des Mietvertrags vom 27. Dezember 2022 (richtig: 2021) sei nicht aus wichtigem Grund gerechtfertigt gewesen. Soweit diese Kündigung erneut auf eine Verletzung von Hygienevorschriften durch die Patienten des Beklagten gestützt werde, werde auf die vorangegangenen Ausführungen Bezug genommen. Auch für den Zeitraum vom 9. Dezember 2021 bis zum 15. Dezember 2021 ergebe sich aus Anlagen K18 (Blatt 1099 ff der landgerichtlichen Akten) und K19 im Mittel keine signifikant höhere Anzahl von Verstößen gegen die Maskenpflicht. Auch die weiteren geschilderten Vorgänge vom 8. November bis zum 8. Dezember 2021 rechtfertigten keine fristlose Kündigung. Dass ein Patient am 8. November 2021 ein Fahrrad in den ersten Stock mitgenommen habe, stelle nach den Aussagen des Zeugen Dr. J. und der Zeugin Dr. P. jedenfalls seit April 2020 eine Ausnahme dar. Eine erhebliche Beeinträchtigung der anderen Bewohner sei hiervon auch nach dem Vortrag der Klägerin nicht ausgegangen. Auch dass dem Patienten eine Bierflasche aus der Tasche gefallen sei und den Flur verschmutzt habe und dass eine weitere Person am 17. Dezember 2021 ebenfalls die Treppe mit Bier verschmutzt habe, sei der Ausnahmefall und vermöge daher eine fristlose Kündigung nicht zu rechtfertigen. Entsprechendes gelte für den Patienten, der im Objekt Drogen konsumiert habe. Es sei unstreitig geblieben, dass der Beklagte nach Kenntnis der Vorfälle die Behandlung des Patienten abgebrochen habe. Dass ein Patient des Beklagten mehrfach im Kellergeschoss in das Treppenhaus uriniert habe, sei sicher nicht hinzunehmen. Indem der Mitarbeiter der Klägerin S. diese Vorgänge über einen längeren Zeitraum beobachtet und dokumentiert habe, ohne den Beklagten zu informieren, und die Klägerin anschließend ihre Kündigung hierauf gestützt habe, habe die Klägerin treu- und vertragswidrig gehandelt. Sie habe hierdurch dem Beklagten die Möglichkeit genommen, dem Verhalten des Patienten vorzubeugen. Der Beklagte sei jedenfalls ohne nähere Anhaltspunkte nicht verpflichtet gewesen, prophylaktisch zu kontrollieren, ob seine Patienten sich im Treppenhaus kurzzeitig zum Urinieren in das Kellergeschoss begeben könnten. Unstreitig habe der Beklagte seinerseits nach Kenntnis von den Vorgängen die Behandlung des Patienten abgebrochen, so dass die Behauptung der Klägerin, der Beklagte unternehme nichts gegen entsprechendes Verhalten seiner Patienten, widerlegt sei. Auch hier könne eine Gesamtwürdigung der unstreitigen bzw. von Klägerseite belegten Vorfälle im Treppenhaus eine fristlose Kündigung unter Abwägung der Interessen der Klägerin, der Hausbewohner, des Beklagten und der Allgemeinheit nicht rechtfertigen.
27
3. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Das Landgericht habe die rechtlichen Anforderungen an die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses verkannt. Bereits in Bezug auf die Kündigung vom 12. Februar 2021 hätte das Landgericht das Vorliegen der Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung bejahen müssen. Hinsichtlich der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 27. Dezember 2021 könne nicht zweifelhaft sein, dass die im Einzelnen vorgetragenen Umstände nachhaltig seien, dass der Beklagte nicht willens oder nicht in der Lage sei, diesen Umständen Einhalt zu gebieten, und dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses mit solchen Zuständen nicht zumutbar sei. Grundlegend verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht die Beweisaufnahme nur bezogen auf den Zeitpunkt der ersten Kündigung durchgeführt und daraus Rückschlüsse für die zweite Kündigung gezogen und zwar aus den Aussagen des Zeugen Dr. J. und der Zeugin Dr. P..
28
Die Klägerin beantragt,
29
das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21.02.2023 ‒ Az. 7 O 94/21 ‒ abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,
30
1. die Praxisräume im Hause L.-straße N02, N01 I., 1. Obergeschoss, gemäß als Anlage A beigefügtem Plan, zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben und
31
2. außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.501,19 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz an sie zu zahlen.
32
Der Beklagte beantragt,
34
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Landgericht habe den Sachverhalt umfassend ermittelt und die Zeugenaussagen in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. Es habe die Anforderungen an eine außerordentliche fristlose Kündigung nicht verkannt und bei der Interessenabwägung zutreffend berücksichtigt, dass die Versorgung der Patienten des Beklagten im Allgemeininteresse liege. Hinsichtlich der Beweiswürdigung setze die Klägerin lediglich ihre eigene Bewertung an die Stelle der nicht zu beanstandenden, nachvollziehbaren Bewertung des Landgerichts.
35
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil und den Inhalt der zu den Akten gereichten wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 1. März 2024 (Blatt 264 ff der Akte) Bezug genommen.
36
II.
37
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Landgerichts kann die Klägerin vom Beklagten gemäß § 14 Nr. 1 des Mietvertrags und § 546 Abs. 1 BGB die Räumung und Herausgabe der in Rede stehenden Praxisräume verlangen, weil das Mietverhältnis spätestens aufgrund der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 27. Dezember 2021 gemäß § 543 Abs. 1, § 578 Abs. 2 Satz 1, § 569 Abs. 2 BGB beendet worden ist.
38
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die letztgenannte außerordentliche fristlose Kündigung begründet. Zur Überzeugung des Senats gab es die von der Klägerin zum Anlass der Kündigung genommenen Vorfälle, ohne dass der Beklagte ausreichende Maßnahmen getroffen hatte, andere Hausnutzer vor solchen Störungen zu schützen.
39
a) Nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos gekündigt werden. Ein solcher Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. § 569 Abs. 2 BGB, der gemäß § 578 Abs. 2 Satz 1 BGB auf Mietverhältnisse über andere Räume als Wohnräume entsprechend anzuwenden ist, ergänzt dies dahin, dass auch die nachhaltige Störung des Hausfriedens einen solchen wichtigen Grund darstellen kann. Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens setzt voraus, dass eine Mietpartei die gemäß § 241 Abs. 2 BGB aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgende Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden, in schwerwiegender Weise verletzt (BGH, Beschluss vom 25. August 2020 ‒ VIII ZR 59/20, NJW-RR 2020, 1275, zitiert juris Rn. 19 mwN; vgl. auch Senat, Urteil vom 12. November 2010 ‒ 1 U 26/10, NJW 2011, 314, zitiert juris Rn. 29; KG, Urteil vom 1. September 2003 ‒ 12 U 20/03, ZMR 2004, 261, zitiert juris Rn. 23 mwN; Guhling/Günter/Alberts, Gewerberaummiete, 3. Aufl., § 569 BGB Rn. 33, 35; MünchKomm-BGB/Häublein, 9. Aufl., § 569 Rn. 20, 22). Damit werden einmalige und vereinzelte Vorfälle ebenso aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschieden wie Störungen, welche dem Bagatellbereich zuzuordnen sind. Hält sich das beanstandete Verhalten des Vertragspartners im Rahmen seines Mietgebrauches beziehungsweise seiner vertraglichen Handlungsmöglichkeiten, kann ihm keine objektive Vertragsverletzung und damit keine Störung des Hausfriedens vorgeworfen werden (OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2019 ‒ I-30 U 117/19, zitiert juris Rn. 61 mwN). Es ist insoweit anerkannt, dass der Mieter sich das Verhalten derjenigen zurechnen lassen muss, die auf seine Veranlassung mit der Mietsache in Berührung kommen, worunter Betriebsangehörige, Verwandte, Besucher, Gäste, Kunden, von ihm beauftragte Handwerker, Transporteure fallen (BGH, Urteil vom 21. Mai 2010 ‒ V ZR 244/09, NJW 2010, 2341, zitiert juris Rn. 19 mwN; vom 25. August 2020 ‒ VIII ZR 59/20, NZM 2020, 885 Rn. 23; vom 15. Mai 1991 ‒ VIII ZR 38/90, NJW 1991, 1750, zitiert juris Rn. 47 mwN; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 278 Rn. 18; BeckOGK/Hörndler, Stand: 1. Juli 2023, § 578 Rn. 90). Entsprechendes gilt für Patienten eines Arztes (vgl. Senat, aaO Rn. 29 f).
40
Bei der erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Interessen ist die Frage eines Verschuldens des Mieters von besonderer Bedeutung. In die Bewertung der Rechtmäßigkeit der Kündigung muss zudem das Allgemeininteresse einfließen (vgl. zu einem Abwehranspruch aus § 1004 gegen den Betrieb eines Drogenhilfezentrums auf einem benachbarten Grundstück BGH, Urteil vom 7. April 2000 ‒ V ZR 39/99, NJW 2000, 2901, zitiert juris Rn. 14). Die Arztpraxis des Beklagten bietet Behandlungen an, die suchtkranken Menschen Hilfe gewährt. Damit liegt seine Tätigkeit im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse. Eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses kann daher nur dann in Betracht gezogen werden, wenn konkrete Vorfälle eine Fortsetzung dieser Behandlungsform als untragbar erscheinen lassen (Senat, aaO Rn. 26). Entscheidend für die Frage, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, ist der objektive Maßstab eines verständigen Durchschnittsmenschen. Es ist eine Prognose anzustellen, wie sich das Mietverhältnis entwickeln wird, ob also und ggf. in welcher Intensität mit künftigen Störungen des Hausfriedens ‒ innerhalb der verbleibenden Vertragszeit ‒ zu rechnen ist. An das Merkmal der Unzumutbarkeit sind insoweit strenge Anforderungen zu stellen. Zu Lasten des den Hausfrieden störenden Vertragspartners ist vor allem zu berücksichtigen, wie schwerwiegend zum einen das Maß der Pflichtwidrigkeit und zum anderen die Intensität der Störung für die Mitmieter des Objektes ist. Wichtig ist für die Abwägung, ob das Verhalten des Kündigungsgegners zum Ausdruck bringt, dass ihm die Belange der anderen Hausnutzer gleichgültig sind, oder ob sein Verhalten als unbewusster Verstoß gegen deren Interessen zu verstehen ist. Von einer Zielgerichtetheit der Störung ist insbesondere auszugehen, wenn der Kündigungsgegner nach einer Abmahnung sein Verhalten fortsetzt (OLG Hamm, aaO Rn. 62 mwN).
41
b) In Anwendung dieser Maßstäbe stellen die Umstände, auf die die Klägerin die weitere Kündigung vom 27. Dezember 2021 gestützt hat, einen solchen, eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grund dar.
42
aa) Als Grund für die Kündigung gab die Klägerin im Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 zahlreiche Vorfälle mit Patienten des Beklagten insbesondere im Zeitraum vom 9. bis zum 27. Dezember 2021 an, darunter eine Vielzahl von Verstößen gegen die Maskenpflicht ‒ die der Beklagte bestreitet ‒ sowie unstreitige Fälle des Zigarettenkonsums im Treppenhaus am 9., 10., 11., 13. und 14. Dezember 2021, des Mitnehmens von Bierflaschen in das Treppenhaus am 11. und 13. Dezember, von Hunden am 9., 10., 13. und 14. Dezember 2021 sowie von Fahrrädern oder E-Scootern am 9., 10., 11., 13., 14. und 17. Dezember 2021. Unstreitig kam es darüber hinaus am 8. November und 17. Dezember 2021 zu Vorfällen, bei denen Patienten des Beklagten mitgebrachte Bierflaschen im Ärztehaus fallen ließen. Zwischen dem 4. und 29. November 2021 urinierte ein Patient des Beklagten mehrfach im Kellergeschoss in das Treppenhaus, allein sieben Mal in den 14 Tagen bis zum 18. November 2021. Am 18. November 2021 entwendete zudem eine Patientin des Beklagten wiederholt Fußmatten des Zeugen Dr. J. und der Zeugin Dr. P.. Am 27. Dezember 2021 konsumierte ein Patient des Beklagten im Treppenhaus des Objekts Drogen.
43
bb) Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Senats ergeben, dass es sich dabei nicht um einmalige und vereinzelte Vorfälle ‒ wovon in Anbetracht der Vielzahl der unstreitig gebliebenen Begebenheiten ohnehin nicht die Rede sein könnte ‒, sondern auch nach der ersten Kündigung vom 12. Februar 2021 um dauerhafte schwerwiegende Störungen handelte.
44
(1) So hat der Zeuge Dr. J. bekundet, dass das Mitbringen von Fahrrädern etwa einmal in der Woche festzustellen gewesen sei, das Mitbringen von Hunden einmal im Monat. Zwei Mal seien Hunde im zweiten Obergeschoss angebunden gewesen, so dass zwar nicht der Weg zum Aufzug, aber der Weg zur Treppe versperrt gewesen sei. Schätzungsweise einmal im Monat seien Fäkalien im Kellerbereich vorzufinden gewesen, das Gleiche gelte für das Urinieren im Kellerbereich. Zigaretten- und Alkoholkonsum im Treppenhaus habe es im Zeitraum von Februar 2021 bis Dezember 2021 ebenfalls gegeben.
45
(2) Zu Vorstehendem passend hat der Zeuge S. überdies erklärt, dass es im Zeitraum von Februar bis Dezember 2021 etwa zwei bis drei Mal Vorfälle mit Fäkalien gegeben habe. Das Urinieren habe es häufiger gegeben. Zigaretten oder Zigarettengeruch habe es in dem Zeitraum „natürlich“ auch gegeben. Über die gesamten Zeiträume von 2020 bis 2023 habe es keine Veränderungen gegeben. Alkohol werde im Gebäude auch konsumiert. Darüber hinaus gebe es „viele kleine Dinge“, die zusammenkämen, z. B. sei innerhalb des Gebäudes ein Schild abgeschraubt worden, häufiger werde der Aschenbecher in Brand gesetzt, Briefkastenschilder würden abgeknibbelt. Bisweilen komme es auch zu Verunreinigungen oder Kritzeleien im Inneren des Gebäudes, die nicht beseitigt würden.
46
(3) Nach der Aussage der Zeugin O.-Z. gab es in dem in Rede stehenden Zeitraum ein sehr hohes Schmutzaufkommen. Es habe auch Fälle von Notdurft oder Urin im Treppenhaus oder vor dem Treppenhaus gegeben. Vielfach habe sie auf Hinweise ihrer Mitarbeiter reagieren müssen. In dem Trakt habe etwa dreimal am Tag gereinigt werden müssen. Immer wieder hätten Zigarettenstummel entfernt werden müssen, Erbrochenes habe beseitigt werden müssen, auch Auswürfe und Notdürfte seien betroffen gewesen. Am roten Sofa im Eingangsbereich, an dem die Patienten des Beklagten sich bei kaltem Wetter häufig aufgehalten hätten, habe immer wieder Müll gelegen. Es sei immer wieder zu Vorfällen gekommen. Vielfach sei auch Spucke auf den Böden festzustellen gewesen, nämlich auf den Böden der Aufzüge. Gleiches gelte für Wände bzw. eine Vitrine im Bereich der Physiotherapie.
47
(4) Darüber hinaus belegen die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen Dr. J., Dr. P. und S. zahlreiche Verstöße gegen die Maskenpflicht, auch wenn die Schätzungen zum prozentualen Anteil insoweit variieren.
48
(5) Angesichts der detaillierten und im Kern deckungsgleichen Aussagen der Zeuginnen und Zeugen hat der Senat keinen Zweifel daran, dass es im Zeitraum von Februar bis Dezember 2021 eine Vielzahl von schwerwiegenden Vorfällen mit Patienten des Beklagten gab. Es ist entsprechend dem Vortrag der Klägerin von einem Dauerzustand auszugehen, der durchgehend festzustellen war. Dass die ‒ nicht gegenbeweislich benannten ‒ Zeuginnen C. und H.-Q. sowie der Zeuge V. in ihren Aussagen entsprechende Vorfälle nicht bestätigt haben, führt zu keinem anderen Ergebnis, sondern deutet vielmehr auf unzureichende Kontrollen hin.
49
bb) Insgesamt waren damit schwerwiegende Verletzungen der Pflicht, die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich zu stören, zu verzeichnen, die sich bis zum Zeitpunkt der Kündigung am 27. Dezember 2021 mit dem zweimaligen Fallenlassen von Bierflaschen am 8. November und 17. Dezember 2021, dem vielfachen Urinieren eines Patienten in das Treppenhaus vom 4. bis zum 29. November 2021, der wiederholten Entwendung der Fußmatte des Zeugen Dr. J. und der Zeugin Dr. P. am 18. November 2021 sowie schließlich dem Drogenkonsum im Treppenhaus am 27. Dezember 2021 immer weiter verschärften. Alle vom Kläger benannten Zeuginnen und Zeugen haben aus ihren unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven heraus ‒ als Mieterin und Mieter, als Haustechniker und als Hausdame ‒ die Situation mit individuellen Schwerpunkten als untragbar geschildert, sei es im Hinblick auf die Verstöße gegen die Maskenpflicht, das Mitbringen von Hunden und Fahrrädern, den Konsum von Alkohol und Zigaretten, das Urinieren und Defäkieren im Treppenhaus oder die Sauberkeit insgesamt. An einer nachhaltigen Störung des Hausfriedens durch das Verhalten der Patienten des Beklagten, das dieser sich zurechnen lassen muss, im Zeitraum vor der Kündigung vom 27. Dezember 2021 hat der Senat nach alledem keinen Zweifel.
50
cc) In Anbetracht dieser Entwicklung der Situation waren die vom Beklagten ergriffenen Maßnahmen indes erkennbar unzureichend, um dem Gebot der Rücksichtnahme zu genügen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht der Senat davon aus, dass die Kontrollen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Beklagten im Wesentlichen nur der Überwachung der Einhaltung der Corona-Regeln dienen sollten, was zwar notwendig, aber nicht hinreichend war. So hat die Zeugin C. bekundet, das Team habe darauf achten sollten, dass die Patientinnen und Patienten Masken tragen bzw. richtig tragen und ob sie überhaupt Masken haben. Außerdem sei darauf geachtet worden, ob sich Personen im Treppenhaus aufhalten, und ob sie sich maskenkonform verhalten. Vor dem Eingang sei auf Menschenansammlungen geachtet worden. Die Zeugin meinte sich zu erinnern, dass die Dokumentation im Zusammenhang mit der Maskenpflicht gestanden habe. Es hätten alle halbe Stunde aus dem Team heraus Kontrollgänge durchgeführt werden sollen. Einen konkreten Plan hierfür habe es aber nicht gegeben. Auch der Zeuge V. hat sich in seiner Aussage in erster Linie auf die Maskenpflicht bezogen, wenngleich er auch bekundet hat, die Kontrollgänge hätten auch dazu genutzt werden sollen, darauf zu achten, dass keine Hunde hineingebracht werden, dass sich keine Menschenansammlungen im Eingangsbereich bilden und dass keine Hunde angeleint werden; auch Urinieren im Treppenhaus wäre etwa meldepflichtig im Sinne des Kontrollplans gewesen. Der Kontrollplan habe mit Corona angefangen, sei aber nicht durchgängig geführt worden. Bei der Vorbereitung des Termins habe der Zeuge in seinen Unterlagen noch ein Protokoll gefunden, das Ende 2021 ‒ ggf. am 30. Dezember 2021 ‒ beginne und dann in den Januar 2022 hineingehe. Die Zeugin H.-Q. ist ebenfalls vorrangig auf die Maskenpflicht eingegangen und hat bekundet, die Liste sei im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den von der Praxis dokumentierten Maßnahmen zur Beachtung der Maskenpflicht entstanden. Vor diesem Hintergrund werde die Liste nicht mehr durchgängig geführt, sondern nur „bei besonderen Anlässen“. Einen systematischen Plan mit festen Zeiten und Kontrollpunkten etwa in der Weise, dass in festgelegten Abständen das komplette Treppenhaus mit allen Treppenabsätzen abgesucht werde, gebe es nicht. Dies sei in der Praxis des Beklagten auch nicht darstellbar.
51
Auf Grundlage dieser Aussagen ergibt sich das Bild, dass die Kontrollen hauptsächlich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erfolgt sind, Kontrollpläne nicht durchgängig geführt worden sind und es keine systematischen Pläne für die Kontrollen gab und gibt. Damit konnten die unregelmäßigen Kontrollgänge aber keine hinreichende präventive Wirkung entfalten, um die Patienten des Beklagten von den schwerwiegenden Störungen der anderen Mieterinnen und Mieter abzuhalten, wie die Zuspitzung der Situation vor der Kündigung vom 27. Dezember 2021 durch die genannten unstreitigen Vorfälle zeigt. Der Beklagte richtete sein Verhalten reaktiv aus, indem er keine geeigneten systematischen und auf Dauer angelegten Kontrollen etablierte, sondern sich weitgehend darauf beschränkte, nur bei konkreten Vorfällen gegenüber seinen Patienten Maßnahmen zu ergreifen und gegebenenfalls den Kontrollumfang kurzfristig anlassbezogen wieder zu erhöhen, so ausweislich der Aussage des Zeugen V. Ende Dezember 2021, das heißt erst nach der zweiten Kündigung. Besonders bezeichnend ist, dass das Praxisteam des Beklagten vom mindestens siebenmaligen Urinieren eines Patienten im Zeitraum vom 4. bis zum 29. November 2021 nichts wahrgenommen haben will, obwohl dies aufgrund des Geruchs bei regelmäßigen Kontrollen hätte auffallen müssen und auch ohne einen Hinweis durch die Klägerin zu einer Intensivierung der Kontrollen Anlass hätte geben müssen. Vor diesem Hintergrund steht es der Wirksamkeit der Kündigung entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht gemäß § 242 BGB entgegen, dass die Klägerin den Beklagten, der jedenfalls mit Blick auf den laufenden Rechtsstreit hinreichend hätte sensibilisiert sein müssen, nicht jeweils umgehend über die Vorfälle informiert hat.
52
c) Bei dieser Sachlage war der Klägerin ausgehend vom Maßstab eines verständigen Durchschnittsmenschen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der vereinbarten Mietzeit auch unter Berücksichtigung der im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse liegenden Tätigkeit des Beklagten nicht zuzumuten. Prognostisch waren im Zeitpunkt der Kündigung angesichts des Umstandes, dass sich die Situation durch die dargestellten erheblichen Vorfälle trotz des schon laufenden Räumungsrechtsstreits im November und Dezember 2021 immer weiter zuspitzte, ohne dass der Beklagte wirkungsvolle Gegenmaßnahmen ergriff, weitere schwerwiegende Störungen des Hausfriedens zu erwarten. Zu Lasten des Beklagten ist dabei auch zu berücksichtigen, dass er durch sein reaktiv ausgerichtetes Verhalten zum Ausdruck brachte, dass er an einer präventiven Verbesserung der Situation kein ernsthaftes Interesse hat und ihm die Belange der anderen Hausnutzer somit offenbar gleichgültig sind, und zwar trotz bereits zuvor ausgesprochener Kündigung und eines laufenden Räumungsverfahrens.
53
2. Entgegen der Auffassung des Beklagten scheitert die Kündigung nicht an einer fehlenden Abmahnung. Wie bei dem Grundtatbestand des § 543 Abs. 1 BGB ist auch nach § 569 Abs. 2 BGB grundsätzlich eine Abmahnung gem. § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB erforderlich (OLG Hamm, aaO Rn. 79 mwN). Eine Abmahnung muss den Schuldner darauf hinweisen, dass er vertragliche Pflichten verletzt hat und ihm für den Fall eines weiteren Vertragsverstoßes Konsequenzen drohen (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2011 ‒ VIII ZR 3/11, NJW 2012, 53, zitiert juris Rn. 17 mwN). Das vertragswidrige Verhalten, gegen das sich der Vermieter wendet, muss im Rahmen der Rüge so genau bezeichnet sein, dass sich der Mieter danach richten kann (BGH, Urteil vom 18. November 1999 ‒ III ZR 168/98, NJW-RR 2000, 717, zitiert juris Rn. 21 mwN). Erst eine nach Zugang der Abmahnung erfolgte erneute gleichartige Vertragsverletzung berechtigt den Vermieter zum Ausspruch einer außerordentlich fristlosen Kündigung. An das Kriterium der Gleichartigkeit dürfen dabei allerdings keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (OLG Hamm, aaO Rn. 80 mwN). Die Klägerin hat den Beklagten hier mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 2. April 2020 (Anlage K 4, Blatt 26 der landgerichtlichen Akten) unter Hinweis auf die „extremen Auswirkungen“ seines Praxisbetriebes ‒ Verstöße gegen Hygienevorschriften, Blockierung des Eingangsbereichs des sog. Erweiterungsbaus, Mitbringen von Alkoholvorräten ins Haus, Hunde im Treppenhaus, Fäkalien auf der Treppe ‒ und mit anwaltlichem Schreiben vom 29. Januar 2021 (Anlage K 8, Blatt 33 f der landgerichtlichen Akten) erneut abgemahnt. Selbst wenn man darin keine wirksamen Abmahnungen hinsichtlich gleichartiger Vertragsverletzungen sehen wollte, wäre eine Abmahnung gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB in Anbetracht der vorangegangenen Ereignisse, der ersten Kündigung vom 12. Februar 2021 und des bereits laufenden Prozesses wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit entbehrlich gewesen.
54
3. Die Klägerin hat die weitere Kündigung mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 wirksam erklärt. Dass der Schriftsatz nicht qualifiziert elektronisch signiert war, ist entgegen der Auffassung des Beklagten unbeachtlich. Die Kündigung eines Gewerberaummietvertrags bedarf keiner Schriftform (Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 82. Aufl. 2023, § 542 Rn. 15), und auch in § 15 des Mietvertrags ist keine Form für die Kündigung vereinbart.
55
4. Ein Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen besteht nicht, weil die außergerichtlich erklärte Kündigung vom 12. Februar 2021 nicht wirksam war. Ein Kündigungsrecht war zu diesem Zeitpunkt entsprechend den insoweit zutreffenden Ausführungen des Landgerichts ‒ noch ‒ nicht gegeben. Mit ihren Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts möchte die Klägerin letztlich nur ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Landgerichts setzen. Insbesondere aber verkennt sie die Beweislast, indem sie geltend macht, die Beweisaufnahme habe nicht bestätigt, dass der Beklagte geeignete Maßnahmen ergriffen oder wenigstens angeordnet hätte, die geeignet gewesen wären, den Hausfrieden aufrechtzuerhalten (vgl. Blatt 72 der Akte). Es hätte der Klägerin oblegen, hinreichende Störungen des Hausfriedens zu beweisen, die eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses begründen. Dies ist ihr ‒ wie vom Landgericht ausführlich und überzeugend dargelegt ‒ in Bezug auf die Kündigung vom 12. Februar 2021 noch nicht gelungen.
56
5. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagten vom 8. März 2024 (Blatt 302 ff der Akte) gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO. Der Senat hat die darin enthaltene Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis genommen und bei der Beweiswürdigung berücksichtigt. Aus den dargelegten Gründen greifen die Einwände gegen das Vorliegen eines Kündigungsgrundes indes nicht durch. Insbesondere ist auf Grundlage des unstreitigen Vortrags und der Aussagen der Zeuginnen und Zeugen weder von lediglich vereinzelten Vorfällen noch von hinreichenden Kontrollmaßnahmen des Beklagten zur Vermeidung der zahlreichen erheblichen Verstöße auszugehen. Dass es zwischen den Parteien von 2014 bis zum Beginn der Corona-Pandemie keine Streitigkeiten über eine Störung des Hausfriedens durch die Patienten des Beklagten gegeben haben mag, steht der Wirksamkeit der Kündigung vom 27. Dezember 2021 in Ansehung der bezogen auf diesen Zeitpunkt festgestellten Umstände nicht entgegen.
57
III.
58
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 S. 1 ZPO.
59
IV.
60
Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Es handelt sich um eine von den Umständen des konkreten Falles abhängige Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.
61
Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 27.140,16 €
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, die Praxisräume im Hause L.-straße N02, N01 I., 1. Obergeschoss, gemäß als Anlage A beigefügtem Plan, zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2
I.
3
1. Die Klägerin betreibt die Seniorenresidenz A. D. K. im X. in der L.-straße N03 in I.. Ferner vermietet sie unter der Anschrift L.-straße N04 u. a. Arztpraxen und Wohnungen. Sie selbst betreibt dort eine ambulante Pflegestation. Die Flure mit den Wohnungseingängen sind mit Ausnahme der Wohnung im 2. Obergeschoss vom Treppenhaus und vom Eingangsbereich durch stets verschlossene und nur durch die Bewohnerinnen bzw. Bewohner zu öffnende Glastüren abgetrennt. Diese Bereiche verfügen außerdem über einen ebenfalls nur von der Bewohnerschaft zu nutzenden Aufzug. Durch einen Verbindungsgang im Erdgeschoss ist das Gebäude mit dem Gebäudekomplex L.-straße N03 verbunden. Der Verbindungsgang ist durch eine nur von Bewohnerseite zu betätigende automatische Glasabschlusstür ständig verschlossen und somit für Praxisinhaber sowie Patientinnen und Patienten nicht zugänglich. Die Klägerin vermietete mit Mietvertrag vom 29. November 2013 (Anlage K 1_10, Blatt 16 ff der landgerichtlichen Akten) nebst erstem Nachtrag vom 21. August 2017 (Anlage K 1, Blatt 15 der landgerichtlichen Akten) Räume im 1. Obergeschoss des Hauses L.-straße N02 mit einer Größe von insgesamt 153 m² an den Beklagten, einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Das Mietverhältnis begann gemäß § 1 Nr. 1 des Mietvertrags am 1. Juni 2014 mit einer Festlaufzeit bis zum 31. Mai 2024. Gemäß § 2 Nr. 2 des Mietvertrags hat der Beklagte ein dreimaliges Optionsrecht, durch einseitige Erklärung den Mietvertrag jeweils um weitere 5 Jahre zu verlängern. Von der ersten Verlängerungsoption machte er Gebrauch. Die Gesamtmiete beläuft sich gemäß dem 1. Nachtrag zum Mietvertrag vom 21. August 2017 (Anlage K 1, Blatt 15 der landgerichtlichen Akten) auf 2.720,68 € (Nettomiete in Höhe von 2.261,68 € zuzüglich Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 459 €). Nach § 1 Nr. 1 des Mietvertrags wurden die Räumlichkeiten zum Betrieb einer Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie vermietet. Der Schwerpunkt der Praxistätigkeit des Beklagten liegt in der Betreuung suchtkranker Patienten, insbesondere durch Substitutions- bzw. Methadonbehandlung. Seine weiteren Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Behandlung von Depressionen und Angsterkrankungen sowie Psychosen. Bereits kurz nach Eröffnung der Praxis am 1. Juli 2014 erklärte die Klägerin die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Das Landgericht Bonn gab der Räumungsklage mit Urteil vom 4. Mai 2015 (1 O 236/14) mit der Begründung statt, der Beklagte hätte gegen eine Offenbarungspflicht im Hinblick auf die beabsichtigte Substitutionsbehandlung verstoßen. Auf die Berufung des Beklagten wies der Senat mit Urteil vom 13. November 2015 (1 U 22/15) unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage ab.
4
Zu Beginn der Corona-Pandemie wies die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 18. März 2020 (Anlage K 2, Blatt 23 der landgerichtlichen Akten) darauf hin, dass die durch das Coronavirus hervorgerufene Sachlage besondere Vorsichtsmaßnahmen erfordere. Sie forderte den Beklagten auf, umgehend dafür Sorge zu tragen, dass Menschenansammlungen vor seiner Praxis unterbleiben, und ggf. durch entsprechendes Ordnungspersonal dafür Sorge zu tragen, dass Gefährdungen anderer Personen ‒ insbesondere der Bewohnerinnen und Bewohner der K. ‒ ausgeschlossen sind. Mit Schreiben vom 31. März 2020 (Anlage K 3, Blatt der landgerichtlichen Akten) wandten sich der Zeuge Dr. R. J. und die Zeugin Dr. W. P. an den Geschäftsführer der Klägerin und beschwerten sich über Vorfälle im März 2020 mit Patienten des Beklagten.
5
Die Klägerin mahnte den Beklagten mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 2. April 2020 (Anlage K 4, Blatt 26 der landgerichtlichen Akten) unter Hinweis auf die „extremen Auswirkungen“ seines Praxisbetriebes ab. Die Patienten des Beklagten hielten sich hiernach nicht ansatzweise an die infolge der Corona-Pandemie angeordneten Hygienevorschriften. Während der täglichen Sprechzeiten sei der Eingangsbereich des sog. Erweiterungsbaus häufig durch Patientengruppen blockiert, so dass ein Betreten des Hauses durch die Hausbewohner mit dem gebotenen Sicherheitsabstand unmöglich sei. Außerdem brächten die Patienten vermehrt ihre Alkoholvorräte mit ins Haus und es seien bereits mehrfach verschiedene Hunde im Treppenhaus angetroffen worden. Bisweilen würden die Hunde auch zwischen dem ersten und zweiten Stock im Treppenhaus angeleint. Auch Fäkalien seien auf der Treppe bereits festgestellt worden und ließen sich nicht mehr als Einzelfall bezeichnen. Der von der Klägerin angebrachte Hinweis auf das Aufenthaltsverbot im Eingangsbereich werde regelmäßig ignoriert; auf Ansprachen erfolgten aggressive Reaktionen der Patientinnen und Patienten. Der Beklagte habe nicht durch Aushänge etc. auf die einzuhaltenden Vorschriften hingewiesen und entsprechendes Sozialverhalten angemahnt. Es sei ihm offensichtlich gleichgültig, wie sich seine Patientinnen und Patienten verhielten. Der Beklagte wies die abgemahnten Vertragspflichtverletzungen mit Schreiben vom 6. April 2020 (Anlage K 5, Blatt 28 ff der landgerichtlichen Akten) ausdrücklich zurück.
6
Mit weiterem Schreiben vom 16. Dezember 2020 (Anlage K 6, Blatt 31 der landgerichtlichen Akten) wies die Klägerin den Beklagten darauf hin, dass er die hohen Schutzmaßnahmen für stationäre und ambulante Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen gemäß § 5 der Corona-Schutzverordnung vom 16. Dezember 2020 einzuhalten habe, und forderte ihn zur Übermittlung eines Hygienekonzepts bis zum 18. Dezember 2020 um 12:00 Uhr auf. Der Beklagte teilte dem Geschäftsführer der Klägerin mit E-Mail vom 17. Dezember 2020 (Anlage K 7, Blatt 32 der landgerichtlichen Akten) mit, dass die Vorschrift sich offenkundig nicht auf die im Ärztehaus untergebrachten Praxen beziehe, und übersandte sein aktuelles Hygienekonzept.
7
Mit anwaltlichem Schreiben vom 29. Januar 2021 (Anlage K 8, Blatt 33 f der landgerichtlichen Akten) mahnte die Klägerin den Beklagten erneut ab. Die Zustände hätten sich noch weiter verschlimmert, obwohl das Gefährdungspotential im Zuge der Corona-Pandemie noch deutlich zugenommen habe. Der Beklagte unternehme nichts, um dem Problem zu begegnen. Nachweislich hielten sich durchweg erhebliche Personenzahlen ohne Einhaltung von Abständen, ohne Masken und ohne sonstige Hygiene- und Schutzmaßnahmen im Treppenhaus auf. Hieraus resultierten gravierende Gesundheitsrisiken für die Bewohner und sonstige Nutzer des Treppenhauses wie insbesondere auch das Pflegepersonal.
8
Der Beklagte wies die abgemahnten Vertragspflichtverletzungen mit Schreiben vom 30. Januar 2021 (Anlage K 10, Blatt 44 f der landgerichtlichen Akten) erneut ausdrücklich zurück. Die Klägerin erklärte daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 12. Februar 2021 (Anlage K 12, Blatt 50 ff der landgerichtlichen Akten) die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, forderte den Beklagten zur Herausgabe der Praxisräume in geräumtem Zustand spätestens bis zum 28. Februar 2021 auf und widersprach einer Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 578 Abs. 2, § 545 BGB.
9
Am 8. November und 17. Dezember 2021 kam es zu Vorfällen, bei denen Patienten des Beklagten Bierflaschen mit in das Ärztehaus nahmen und dort fallen ließen. Zwischen dem 4. und 29. November 2021 urinierte ein Patient des Beklagten mehrfach im Kellergeschoss in das Treppenhaus, allein sieben Mal vom 4. bis zum 18. November 2021. Nachdem der Beklagte am 30. November 2021 über diese Vorfälle informiert worden war, entließ er den Patienten sowie eine Patientin, die am 18. November 2021 wiederholt Fußmatten gestohlen hatte, aus der Behandlung und sprach jeweils ein Hausverbot aus. Am 27. Dezember 2021 schloss der Beklagte einen weiteren Patienten von der Behandlung aus, der im Treppenhaus des Objekts Drogen konsumiert hatte. Die Klägerin erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 (Blatt 1095 ff, 1098 der landgerichtlichen Akten) wegen dieser und zahlreicher weiterer neuer Vorfälle, insbesondere im November und Dezember 2021, erneut die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Wegen der Einzelheiten wird auf den Kündigungsschriftsatz nebst Anlagen Bezug genommen.
10
Die Klägerin hat behauptet, aufgrund der mangelnden Bereitschaft des Beklagten, die notwendigen Maßnahmen zur Einhaltung der erforderlichen Hygienevoraussetzungen zu ergreifen, hätten sich im Rahmen der Corona-Pandemie und ihrer Folgen die bereits zuvor ungünstigen Verhältnisse im Zusammenhang mit den Patienten des Beklagten zu einem erheblichen und vor allem gesundheitsgefährdenden Problemfall entwickelt. Auch nach Ausspruch der Kündigung vom 12. Februar 2021 hätten Patienten des Beklagten praktisch durchgehend unter Verstoß gegen Abstands- und Hygieneregelungen die Praxis des Beklagten aufgesucht und zwar konkret am 9., 13., 14., 15. und 17. Februar 2021. Hierzu gehöre auch, dass ‒ was unstreitig ist ‒ ein Patient des Beklagten mehrfach ohne Maske durch das Treppenhaus des Gebäudes gelaufen sei und dort uriniert habe. Nach Auswertungen von Bild- und Videomaterial habe die Klägerin in einem Zeitraum von acht Tagen über 300 Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung festgestellt. Der Beklagte habe keine Vorkehrungen getroffen, die solche Vorfälle verhinderten, obwohl er über sie schon lange in Kenntnis sei. Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Fortsetzung des Mietverhältnisses sei für sie deshalb unzumutbar.
11
Die Klägerin hat beantragt,
12
den Beklagten zu verurteilen,
13
1. die Praxisräume im Hause L.-straße N02, N01 I., 1. Obergeschoss, gemäß als Anlage A beigefügtem Plan, zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben sowie
14
2. außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.501,19 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz an sie zu zahlen.
15
Der Beklagte hat beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17
Er hat behauptet, bei den häufigen Kontrollgängen des Beklagten und seiner Mitarbeiter im und vor dem Haus seien seit Abbau einer Bank im Windfang des Eingangs keine Personen mehr angetroffen worden, die im Haus zu verweilen versucht hätten. Ungefähr Anfang April 2020 habe er auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen sogenannten Wartebereich eingerichtet, der anfangs bis zur Gewöhnung mit Kreide markiert worden sei. Alle Patienten des Beklagten seien (regelmäßig) darauf hingewiesen worden, dass sie vor Praxiseröffnung nicht vor der Haustür, sondern auf der gegenüberliegenden Straßenseite warten sollten. Der Wartebereich werde von den Patienten angenommen, was die vom Beklagten vorgenommenen regelmäßigen Kontrollen bestätigten und sicherstellten. Die Bewohner des Ärztehauses nutzten abgesehen vom Bewohner im EG ausschließlich bzw. ganz überwiegend nicht das gemeinsame Treppenhaus, sondern den vorhandenen und allein ihnen vorbehaltenen Fahrstuhl. Die einzige zwangsläufige gemeinsame Wegstrecke von Patienten und Bewohnern des Hauses sei die fünf Meter lange Strecke im EG zwischen der Tür des exklusiven Einwohner-Aufzugs und der automatischen Hauseingangstür. Der Beklagte habe vielfältige Maßnahmen ergriffen, um die Einhaltung der Corona-Anforderungen sicherzustellen. Bereits vor der Corona-Pandemie hätten regelmäßige Kontrollgänge stattgefunden. Dies sei beibehalten worden. Insbesondere seien ab Beginn der Corona-Situation folgende Maßnahmen und Vorkehrungen durchgeführt und veranlasst worden:
18
- wiederholte Hinweise an Patienten zur Einhaltung der Hygienevorschriften,
19
- Androhung von Sanktionen bei Verstößen bis zum Behandlungsabbruch,
20
- Sicherstellung der Einhaltung durch regelmäßige Kontrollen, Kontrollgänge,
21
- Einrichtung von Wartezone/-bereich auf gegenüberliegender Straßenseite,
22
- Beschaffung und Verteilung von FFP2-Masken an Bedürftige sowie
23
- nach der Abmahnung vom 29. Januar 2021 nochmals schriftlicher (Aushang/Auslage) und mündlicher Hinweis an sämtliche Patienten, dass im Gebäude ausnahmslos Maske zu tragen ist.
24
Hinzu kämen schriftliche und mündliche Hinweise auf Maskenpflicht/Abstandsgebot, Aushänge, Bereitstellung von Desinfektionsmittel, Hygienekonzept usw. innerhalb der Praxis. Vor Einlass in die Praxis erfolge über die Video-Türöffnungsanlage eine Kontrolle der Einhaltung und ggf. ein Hinweis auf die Maskenpflicht. Mitarbeiter des Beklagten achteten auch bei Zigarettenpausen darauf, dass sich vor dem Haus keine Patienten aufhielten und die Hygienevorschriften auch im Übrigen eingehalten würden. Die Kündigung vom 27. Dezember 2021 belege, dass die Klägerin eine „Taktik des Materialsammelns“ verbunden mit dem bewussten Zurückhalten einer zeitigen Meldung unerwünschter Ereignisse verfolgt habe. Es gehe ihr überhaupt nicht darum, dem Beklagten zu ermöglichen, durch Patienten verursachte Beeinträchtigungen abzustellen und solchen vorzubeugen, was bei umgehender, von der Klägerin jedoch unterlassener Anzeige der Vorkommnisse möglich gewesen wäre. Die Klägerin verhalte sich treuwidrig, wenn sie es unterlasse, den Beklagten auf Umstände hinzuweisen, deren Wiederholung bei rechtzeitiger Mitteilung hätte verhindert werden können, nur um sich später darauf berufen zu können, in der Wiederholung läge eine Vertragsverletzung. Bei den aufgezeigten Verstößen handele es sich um Ausnahmen, die in gewissem Umfang vorkämen und sich durch noch so viele Maßnahmen usw. nicht vermeiden ließen.
25
2. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mieträume, weil das Vertragsverhältnis der Parteien ungekündigt fortbestehe. Die fristlose Kündigung des Mietvertrags vom 12. Februar 2022 (richtig: 2021) sei nicht aus wichtigem Grund gerechtfertigt gewesen. Es liege keine so nachhaltige Störung des Hausfriedens vor, dass der Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Zwar sei aufgrund der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass in der Zeit nach Inkrafttreten der Corona-Schutzverordnung in der ab dem 16. Dezember 2020 geltenden Fassung eine größere Anzahl von Patienten des Beklagten unter Verletzung der Pflicht zum Tragen einer Alltagsmaske und ohne Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands das Gebäude betreten habe. Entgegen der Ansicht der Klägerin seien allerdings in dem Ärztehaus nicht die weitergehenden Verpflichtungen aus § 5 der Verordnung zu beachten gewesen, weil das Gebäude unstreitig nicht Teil des von der Klägerin betriebenen Seniorenheims sei. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass die Verstöße der Patienten gegen die Corona-Schutzverordnung ein Gewicht in einem Maße hatten, das die Fortsetzung der Tätigkeit des Beklagten unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin, des Beklagten und der Allgemeinheit als untragbar erscheinen lasse. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Verstöße seitens der Patientenschaft des Beklagten gegen die Maskenpflicht deutlich über das allgemein zu erwartende Maß hinausgegangen seien. Nach dem vorgelegten Bildmaterial gebe es auch keine Hinweise darauf, dass die Patienten des Beklagten regelmäßig in großen Gruppen das Treppenhaus beträten, sich dort über längere Zeit aufhielten und der Beklagte dies habe verhindern können. Die von der Klägerin angeführte abstrakte Gefährlichkeit, die in einer Ansteckungsgefahr für die Bewohner des Objekts liegen solle, begründe für sich genommen kein Recht zur fristlosen Kündigung. Soweit die Klägerin ihre Kündigung darauf gestützt habe, dass sich Patienten in Gruppen vor dem Haus versammelten, ergebe sich dies nur teilweise aus den als Anlage K 11 vorgelegten Lichtbildern, wobei offen bleiben könne, inwieweit die dauerhafte Kontrolle des öffentlichen Raums vor und neben ihrem Gebäude mittels Videoaufnahmen durch die Klägerin rechtlichen Bedenken begegne. Soweit die Klägerin einen Kündigungsgrund darin sehe, dass Patienten Fahrräder ins Treppenhaus mitgenommen oder sich vor der Haustür versammelt hätten, sei dies bereits keine hinreichende Störung des Hausfriedens, die eine Kündigung zu rechtfertigen vermöge. Überdies ergebe sich aus den vorgelegten Lichtbildern, dass es sich um Einzelfälle bzw. allenfalls kurzzeitige Beeinträchtigungen gehandelt habe. Die Klägerin habe auch nicht den Beweis geführt, dass dem Beklagten selbst eine schuldhafte Vertragspflichtverletzung vorzuwerfen sei, weil er es unterlassen habe, die Patienten auf die Einhaltung der gültigen Corona-Regelungen hinzuweisen und dies zu überwachen, was von ihm ohnehin nur in einem ihm zumutbaren Rahmen erwartet werden könne. Die von der Klägerin benannten Zeugen haben nach Würdigung des Landgerichts hierzu keine konkreten Angaben machen, sondern lediglich Mutmaßungen äußern können. Auch lasse sich allein aus dem Umstand, dass etwa 15 % der Patienten des Beklagten die Hygienevorschriften nicht beachtet hätten, nicht ableiten, dass der Beklagte es pflichtwidrig unterlassen habe, auf die Einhaltung dieser Regelungen hinzuwirken. Dass diese Kontrollen auch nach den Angaben der Zeugen nicht lückenlos durchgeführt worden seien, stelle keine Pflichtverletzung des Beklagten dar, welche die Kündigung rechtfertigen könne. Der Beklagte sei zu Kontrollen der Einhaltung der Hygieneregeln nur im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet. Sein Praxisbetrieb sei kein Betrieb zur Sozialkontrolle der Patienten, sondern eine Arztpraxis. Der Beklagte und seine Mitarbeiter seien weiterhin in erster Linie der Heilbehandlung der Patienten und nicht der Überwachung des Treppenhauses und des Geländes vor dem Haus verpflichtet gewesen. Die Beauftragung eines Security-Dienstes, der das Verhalten der Patienten im Treppenhaus oder gar im öffentlichen Raum vor dem Gebäude kontrolliere, sei dem Beklagten nicht zumutbar gewesen. Vielmehr habe er seinen Verpflichtungen genügt, indem er die Einhaltung der Hygieneregeln stichprobenartig durch seine Mitarbeiter habe kontrollieren lassen. Dies habe er nach Angaben der Zeugen in ausreichender Dichte getan. Auch eine Gesamtwürdigung der unstreitigen bzw. von Klägerseite belegten Vorfälle vermöge eine fristlose Kündigung unter Abwägung der Interessen der Klägerin, der Hausbewohner, des Beklagten und der Allgemeinheit nicht zu rechtfertigen. Angesichts des im öffentlichen Interesse stehenden Ziels der Substitutionsbehandlung von drogenkranken Personen müssten Dritte Beeinträchtigungen, die von den Besonderheiten der behandelten Personengruppe ausgingen, in gewissem Umfang hinnehmen. Der Bereich des Zumutbaren sei hier von den Patienten des Beklagten nicht überschritten worden.
26
Auch die fristlose Kündigung des Mietvertrags vom 27. Dezember 2022 (richtig: 2021) sei nicht aus wichtigem Grund gerechtfertigt gewesen. Soweit diese Kündigung erneut auf eine Verletzung von Hygienevorschriften durch die Patienten des Beklagten gestützt werde, werde auf die vorangegangenen Ausführungen Bezug genommen. Auch für den Zeitraum vom 9. Dezember 2021 bis zum 15. Dezember 2021 ergebe sich aus Anlagen K18 (Blatt 1099 ff der landgerichtlichen Akten) und K19 im Mittel keine signifikant höhere Anzahl von Verstößen gegen die Maskenpflicht. Auch die weiteren geschilderten Vorgänge vom 8. November bis zum 8. Dezember 2021 rechtfertigten keine fristlose Kündigung. Dass ein Patient am 8. November 2021 ein Fahrrad in den ersten Stock mitgenommen habe, stelle nach den Aussagen des Zeugen Dr. J. und der Zeugin Dr. P. jedenfalls seit April 2020 eine Ausnahme dar. Eine erhebliche Beeinträchtigung der anderen Bewohner sei hiervon auch nach dem Vortrag der Klägerin nicht ausgegangen. Auch dass dem Patienten eine Bierflasche aus der Tasche gefallen sei und den Flur verschmutzt habe und dass eine weitere Person am 17. Dezember 2021 ebenfalls die Treppe mit Bier verschmutzt habe, sei der Ausnahmefall und vermöge daher eine fristlose Kündigung nicht zu rechtfertigen. Entsprechendes gelte für den Patienten, der im Objekt Drogen konsumiert habe. Es sei unstreitig geblieben, dass der Beklagte nach Kenntnis der Vorfälle die Behandlung des Patienten abgebrochen habe. Dass ein Patient des Beklagten mehrfach im Kellergeschoss in das Treppenhaus uriniert habe, sei sicher nicht hinzunehmen. Indem der Mitarbeiter der Klägerin S. diese Vorgänge über einen längeren Zeitraum beobachtet und dokumentiert habe, ohne den Beklagten zu informieren, und die Klägerin anschließend ihre Kündigung hierauf gestützt habe, habe die Klägerin treu- und vertragswidrig gehandelt. Sie habe hierdurch dem Beklagten die Möglichkeit genommen, dem Verhalten des Patienten vorzubeugen. Der Beklagte sei jedenfalls ohne nähere Anhaltspunkte nicht verpflichtet gewesen, prophylaktisch zu kontrollieren, ob seine Patienten sich im Treppenhaus kurzzeitig zum Urinieren in das Kellergeschoss begeben könnten. Unstreitig habe der Beklagte seinerseits nach Kenntnis von den Vorgängen die Behandlung des Patienten abgebrochen, so dass die Behauptung der Klägerin, der Beklagte unternehme nichts gegen entsprechendes Verhalten seiner Patienten, widerlegt sei. Auch hier könne eine Gesamtwürdigung der unstreitigen bzw. von Klägerseite belegten Vorfälle im Treppenhaus eine fristlose Kündigung unter Abwägung der Interessen der Klägerin, der Hausbewohner, des Beklagten und der Allgemeinheit nicht rechtfertigen.
27
3. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Das Landgericht habe die rechtlichen Anforderungen an die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses verkannt. Bereits in Bezug auf die Kündigung vom 12. Februar 2021 hätte das Landgericht das Vorliegen der Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung bejahen müssen. Hinsichtlich der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 27. Dezember 2021 könne nicht zweifelhaft sein, dass die im Einzelnen vorgetragenen Umstände nachhaltig seien, dass der Beklagte nicht willens oder nicht in der Lage sei, diesen Umständen Einhalt zu gebieten, und dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses mit solchen Zuständen nicht zumutbar sei. Grundlegend verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht die Beweisaufnahme nur bezogen auf den Zeitpunkt der ersten Kündigung durchgeführt und daraus Rückschlüsse für die zweite Kündigung gezogen und zwar aus den Aussagen des Zeugen Dr. J. und der Zeugin Dr. P..
28
Die Klägerin beantragt,
29
das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21.02.2023 ‒ Az. 7 O 94/21 ‒ abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,
30
1. die Praxisräume im Hause L.-straße N02, N01 I., 1. Obergeschoss, gemäß als Anlage A beigefügtem Plan, zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben und
31
2. außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.501,19 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz an sie zu zahlen.
32
Der Beklagte beantragt,
33
die Berufung zurückzuweisen.
34
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Landgericht habe den Sachverhalt umfassend ermittelt und die Zeugenaussagen in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. Es habe die Anforderungen an eine außerordentliche fristlose Kündigung nicht verkannt und bei der Interessenabwägung zutreffend berücksichtigt, dass die Versorgung der Patienten des Beklagten im Allgemeininteresse liege. Hinsichtlich der Beweiswürdigung setze die Klägerin lediglich ihre eigene Bewertung an die Stelle der nicht zu beanstandenden, nachvollziehbaren Bewertung des Landgerichts.
35
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil und den Inhalt der zu den Akten gereichten wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 1. März 2024 (Blatt 264 ff der Akte) Bezug genommen.
36
II.
37
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Landgerichts kann die Klägerin vom Beklagten gemäß § 14 Nr. 1 des Mietvertrags und § 546 Abs. 1 BGB die Räumung und Herausgabe der in Rede stehenden Praxisräume verlangen, weil das Mietverhältnis spätestens aufgrund der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 27. Dezember 2021 gemäß § 543 Abs. 1, § 578 Abs. 2 Satz 1, § 569 Abs. 2 BGB beendet worden ist.
38
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die letztgenannte außerordentliche fristlose Kündigung begründet. Zur Überzeugung des Senats gab es die von der Klägerin zum Anlass der Kündigung genommenen Vorfälle, ohne dass der Beklagte ausreichende Maßnahmen getroffen hatte, andere Hausnutzer vor solchen Störungen zu schützen.
39
a) Nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos gekündigt werden. Ein solcher Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. § 569 Abs. 2 BGB, der gemäß § 578 Abs. 2 Satz 1 BGB auf Mietverhältnisse über andere Räume als Wohnräume entsprechend anzuwenden ist, ergänzt dies dahin, dass auch die nachhaltige Störung des Hausfriedens einen solchen wichtigen Grund darstellen kann. Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens setzt voraus, dass eine Mietpartei die gemäß § 241 Abs. 2 BGB aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgende Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden, in schwerwiegender Weise verletzt (BGH, Beschluss vom 25. August 2020 ‒ VIII ZR 59/20, NJW-RR 2020, 1275, zitiert juris Rn. 19 mwN; vgl. auch Senat, Urteil vom 12. November 2010 ‒ 1 U 26/10, NJW 2011, 314, zitiert juris Rn. 29; KG, Urteil vom 1. September 2003 ‒ 12 U 20/03, ZMR 2004, 261, zitiert juris Rn. 23 mwN; Guhling/Günter/Alberts, Gewerberaummiete, 3. Aufl., § 569 BGB Rn. 33, 35; MünchKomm-BGB/Häublein, 9. Aufl., § 569 Rn. 20, 22). Damit werden einmalige und vereinzelte Vorfälle ebenso aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschieden wie Störungen, welche dem Bagatellbereich zuzuordnen sind. Hält sich das beanstandete Verhalten des Vertragspartners im Rahmen seines Mietgebrauches beziehungsweise seiner vertraglichen Handlungsmöglichkeiten, kann ihm keine objektive Vertragsverletzung und damit keine Störung des Hausfriedens vorgeworfen werden (OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2019 ‒ I-30 U 117/19, zitiert juris Rn. 61 mwN). Es ist insoweit anerkannt, dass der Mieter sich das Verhalten derjenigen zurechnen lassen muss, die auf seine Veranlassung mit der Mietsache in Berührung kommen, worunter Betriebsangehörige, Verwandte, Besucher, Gäste, Kunden, von ihm beauftragte Handwerker, Transporteure fallen (BGH, Urteil vom 21. Mai 2010 ‒ V ZR 244/09, NJW 2010, 2341, zitiert juris Rn. 19 mwN; vom 25. August 2020 ‒ VIII ZR 59/20, NZM 2020, 885 Rn. 23; vom 15. Mai 1991 ‒ VIII ZR 38/90, NJW 1991, 1750, zitiert juris Rn. 47 mwN; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 278 Rn. 18; BeckOGK/Hörndler, Stand: 1. Juli 2023, § 578 Rn. 90). Entsprechendes gilt für Patienten eines Arztes (vgl. Senat, aaO Rn. 29 f).
40
Bei der erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Interessen ist die Frage eines Verschuldens des Mieters von besonderer Bedeutung. In die Bewertung der Rechtmäßigkeit der Kündigung muss zudem das Allgemeininteresse einfließen (vgl. zu einem Abwehranspruch aus § 1004 gegen den Betrieb eines Drogenhilfezentrums auf einem benachbarten Grundstück BGH, Urteil vom 7. April 2000 ‒ V ZR 39/99, NJW 2000, 2901, zitiert juris Rn. 14). Die Arztpraxis des Beklagten bietet Behandlungen an, die suchtkranken Menschen Hilfe gewährt. Damit liegt seine Tätigkeit im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse. Eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses kann daher nur dann in Betracht gezogen werden, wenn konkrete Vorfälle eine Fortsetzung dieser Behandlungsform als untragbar erscheinen lassen (Senat, aaO Rn. 26). Entscheidend für die Frage, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, ist der objektive Maßstab eines verständigen Durchschnittsmenschen. Es ist eine Prognose anzustellen, wie sich das Mietverhältnis entwickeln wird, ob also und ggf. in welcher Intensität mit künftigen Störungen des Hausfriedens ‒ innerhalb der verbleibenden Vertragszeit ‒ zu rechnen ist. An das Merkmal der Unzumutbarkeit sind insoweit strenge Anforderungen zu stellen. Zu Lasten des den Hausfrieden störenden Vertragspartners ist vor allem zu berücksichtigen, wie schwerwiegend zum einen das Maß der Pflichtwidrigkeit und zum anderen die Intensität der Störung für die Mitmieter des Objektes ist. Wichtig ist für die Abwägung, ob das Verhalten des Kündigungsgegners zum Ausdruck bringt, dass ihm die Belange der anderen Hausnutzer gleichgültig sind, oder ob sein Verhalten als unbewusster Verstoß gegen deren Interessen zu verstehen ist. Von einer Zielgerichtetheit der Störung ist insbesondere auszugehen, wenn der Kündigungsgegner nach einer Abmahnung sein Verhalten fortsetzt (OLG Hamm, aaO Rn. 62 mwN).
41
b) In Anwendung dieser Maßstäbe stellen die Umstände, auf die die Klägerin die weitere Kündigung vom 27. Dezember 2021 gestützt hat, einen solchen, eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grund dar.
42
aa) Als Grund für die Kündigung gab die Klägerin im Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 zahlreiche Vorfälle mit Patienten des Beklagten insbesondere im Zeitraum vom 9. bis zum 27. Dezember 2021 an, darunter eine Vielzahl von Verstößen gegen die Maskenpflicht ‒ die der Beklagte bestreitet ‒ sowie unstreitige Fälle des Zigarettenkonsums im Treppenhaus am 9., 10., 11., 13. und 14. Dezember 2021, des Mitnehmens von Bierflaschen in das Treppenhaus am 11. und 13. Dezember, von Hunden am 9., 10., 13. und 14. Dezember 2021 sowie von Fahrrädern oder E-Scootern am 9., 10., 11., 13., 14. und 17. Dezember 2021. Unstreitig kam es darüber hinaus am 8. November und 17. Dezember 2021 zu Vorfällen, bei denen Patienten des Beklagten mitgebrachte Bierflaschen im Ärztehaus fallen ließen. Zwischen dem 4. und 29. November 2021 urinierte ein Patient des Beklagten mehrfach im Kellergeschoss in das Treppenhaus, allein sieben Mal in den 14 Tagen bis zum 18. November 2021. Am 18. November 2021 entwendete zudem eine Patientin des Beklagten wiederholt Fußmatten des Zeugen Dr. J. und der Zeugin Dr. P.. Am 27. Dezember 2021 konsumierte ein Patient des Beklagten im Treppenhaus des Objekts Drogen.
43
bb) Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Senats ergeben, dass es sich dabei nicht um einmalige und vereinzelte Vorfälle ‒ wovon in Anbetracht der Vielzahl der unstreitig gebliebenen Begebenheiten ohnehin nicht die Rede sein könnte ‒, sondern auch nach der ersten Kündigung vom 12. Februar 2021 um dauerhafte schwerwiegende Störungen handelte.
44
(1) So hat der Zeuge Dr. J. bekundet, dass das Mitbringen von Fahrrädern etwa einmal in der Woche festzustellen gewesen sei, das Mitbringen von Hunden einmal im Monat. Zwei Mal seien Hunde im zweiten Obergeschoss angebunden gewesen, so dass zwar nicht der Weg zum Aufzug, aber der Weg zur Treppe versperrt gewesen sei. Schätzungsweise einmal im Monat seien Fäkalien im Kellerbereich vorzufinden gewesen, das Gleiche gelte für das Urinieren im Kellerbereich. Zigaretten- und Alkoholkonsum im Treppenhaus habe es im Zeitraum von Februar 2021 bis Dezember 2021 ebenfalls gegeben.
45
(2) Zu Vorstehendem passend hat der Zeuge S. überdies erklärt, dass es im Zeitraum von Februar bis Dezember 2021 etwa zwei bis drei Mal Vorfälle mit Fäkalien gegeben habe. Das Urinieren habe es häufiger gegeben. Zigaretten oder Zigarettengeruch habe es in dem Zeitraum „natürlich“ auch gegeben. Über die gesamten Zeiträume von 2020 bis 2023 habe es keine Veränderungen gegeben. Alkohol werde im Gebäude auch konsumiert. Darüber hinaus gebe es „viele kleine Dinge“, die zusammenkämen, z. B. sei innerhalb des Gebäudes ein Schild abgeschraubt worden, häufiger werde der Aschenbecher in Brand gesetzt, Briefkastenschilder würden abgeknibbelt. Bisweilen komme es auch zu Verunreinigungen oder Kritzeleien im Inneren des Gebäudes, die nicht beseitigt würden.
46
(3) Nach der Aussage der Zeugin O.-Z. gab es in dem in Rede stehenden Zeitraum ein sehr hohes Schmutzaufkommen. Es habe auch Fälle von Notdurft oder Urin im Treppenhaus oder vor dem Treppenhaus gegeben. Vielfach habe sie auf Hinweise ihrer Mitarbeiter reagieren müssen. In dem Trakt habe etwa dreimal am Tag gereinigt werden müssen. Immer wieder hätten Zigarettenstummel entfernt werden müssen, Erbrochenes habe beseitigt werden müssen, auch Auswürfe und Notdürfte seien betroffen gewesen. Am roten Sofa im Eingangsbereich, an dem die Patienten des Beklagten sich bei kaltem Wetter häufig aufgehalten hätten, habe immer wieder Müll gelegen. Es sei immer wieder zu Vorfällen gekommen. Vielfach sei auch Spucke auf den Böden festzustellen gewesen, nämlich auf den Böden der Aufzüge. Gleiches gelte für Wände bzw. eine Vitrine im Bereich der Physiotherapie.
47
(4) Darüber hinaus belegen die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen Dr. J., Dr. P. und S. zahlreiche Verstöße gegen die Maskenpflicht, auch wenn die Schätzungen zum prozentualen Anteil insoweit variieren.
48
(5) Angesichts der detaillierten und im Kern deckungsgleichen Aussagen der Zeuginnen und Zeugen hat der Senat keinen Zweifel daran, dass es im Zeitraum von Februar bis Dezember 2021 eine Vielzahl von schwerwiegenden Vorfällen mit Patienten des Beklagten gab. Es ist entsprechend dem Vortrag der Klägerin von einem Dauerzustand auszugehen, der durchgehend festzustellen war. Dass die ‒ nicht gegenbeweislich benannten ‒ Zeuginnen C. und H.-Q. sowie der Zeuge V. in ihren Aussagen entsprechende Vorfälle nicht bestätigt haben, führt zu keinem anderen Ergebnis, sondern deutet vielmehr auf unzureichende Kontrollen hin.
49
bb) Insgesamt waren damit schwerwiegende Verletzungen der Pflicht, die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich zu stören, zu verzeichnen, die sich bis zum Zeitpunkt der Kündigung am 27. Dezember 2021 mit dem zweimaligen Fallenlassen von Bierflaschen am 8. November und 17. Dezember 2021, dem vielfachen Urinieren eines Patienten in das Treppenhaus vom 4. bis zum 29. November 2021, der wiederholten Entwendung der Fußmatte des Zeugen Dr. J. und der Zeugin Dr. P. am 18. November 2021 sowie schließlich dem Drogenkonsum im Treppenhaus am 27. Dezember 2021 immer weiter verschärften. Alle vom Kläger benannten Zeuginnen und Zeugen haben aus ihren unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven heraus ‒ als Mieterin und Mieter, als Haustechniker und als Hausdame ‒ die Situation mit individuellen Schwerpunkten als untragbar geschildert, sei es im Hinblick auf die Verstöße gegen die Maskenpflicht, das Mitbringen von Hunden und Fahrrädern, den Konsum von Alkohol und Zigaretten, das Urinieren und Defäkieren im Treppenhaus oder die Sauberkeit insgesamt. An einer nachhaltigen Störung des Hausfriedens durch das Verhalten der Patienten des Beklagten, das dieser sich zurechnen lassen muss, im Zeitraum vor der Kündigung vom 27. Dezember 2021 hat der Senat nach alledem keinen Zweifel.
50
cc) In Anbetracht dieser Entwicklung der Situation waren die vom Beklagten ergriffenen Maßnahmen indes erkennbar unzureichend, um dem Gebot der Rücksichtnahme zu genügen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht der Senat davon aus, dass die Kontrollen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Beklagten im Wesentlichen nur der Überwachung der Einhaltung der Corona-Regeln dienen sollten, was zwar notwendig, aber nicht hinreichend war. So hat die Zeugin C. bekundet, das Team habe darauf achten sollten, dass die Patientinnen und Patienten Masken tragen bzw. richtig tragen und ob sie überhaupt Masken haben. Außerdem sei darauf geachtet worden, ob sich Personen im Treppenhaus aufhalten, und ob sie sich maskenkonform verhalten. Vor dem Eingang sei auf Menschenansammlungen geachtet worden. Die Zeugin meinte sich zu erinnern, dass die Dokumentation im Zusammenhang mit der Maskenpflicht gestanden habe. Es hätten alle halbe Stunde aus dem Team heraus Kontrollgänge durchgeführt werden sollen. Einen konkreten Plan hierfür habe es aber nicht gegeben. Auch der Zeuge V. hat sich in seiner Aussage in erster Linie auf die Maskenpflicht bezogen, wenngleich er auch bekundet hat, die Kontrollgänge hätten auch dazu genutzt werden sollen, darauf zu achten, dass keine Hunde hineingebracht werden, dass sich keine Menschenansammlungen im Eingangsbereich bilden und dass keine Hunde angeleint werden; auch Urinieren im Treppenhaus wäre etwa meldepflichtig im Sinne des Kontrollplans gewesen. Der Kontrollplan habe mit Corona angefangen, sei aber nicht durchgängig geführt worden. Bei der Vorbereitung des Termins habe der Zeuge in seinen Unterlagen noch ein Protokoll gefunden, das Ende 2021 ‒ ggf. am 30. Dezember 2021 ‒ beginne und dann in den Januar 2022 hineingehe. Die Zeugin H.-Q. ist ebenfalls vorrangig auf die Maskenpflicht eingegangen und hat bekundet, die Liste sei im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den von der Praxis dokumentierten Maßnahmen zur Beachtung der Maskenpflicht entstanden. Vor diesem Hintergrund werde die Liste nicht mehr durchgängig geführt, sondern nur „bei besonderen Anlässen“. Einen systematischen Plan mit festen Zeiten und Kontrollpunkten etwa in der Weise, dass in festgelegten Abständen das komplette Treppenhaus mit allen Treppenabsätzen abgesucht werde, gebe es nicht. Dies sei in der Praxis des Beklagten auch nicht darstellbar.
51
Auf Grundlage dieser Aussagen ergibt sich das Bild, dass die Kontrollen hauptsächlich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erfolgt sind, Kontrollpläne nicht durchgängig geführt worden sind und es keine systematischen Pläne für die Kontrollen gab und gibt. Damit konnten die unregelmäßigen Kontrollgänge aber keine hinreichende präventive Wirkung entfalten, um die Patienten des Beklagten von den schwerwiegenden Störungen der anderen Mieterinnen und Mieter abzuhalten, wie die Zuspitzung der Situation vor der Kündigung vom 27. Dezember 2021 durch die genannten unstreitigen Vorfälle zeigt. Der Beklagte richtete sein Verhalten reaktiv aus, indem er keine geeigneten systematischen und auf Dauer angelegten Kontrollen etablierte, sondern sich weitgehend darauf beschränkte, nur bei konkreten Vorfällen gegenüber seinen Patienten Maßnahmen zu ergreifen und gegebenenfalls den Kontrollumfang kurzfristig anlassbezogen wieder zu erhöhen, so ausweislich der Aussage des Zeugen V. Ende Dezember 2021, das heißt erst nach der zweiten Kündigung. Besonders bezeichnend ist, dass das Praxisteam des Beklagten vom mindestens siebenmaligen Urinieren eines Patienten im Zeitraum vom 4. bis zum 29. November 2021 nichts wahrgenommen haben will, obwohl dies aufgrund des Geruchs bei regelmäßigen Kontrollen hätte auffallen müssen und auch ohne einen Hinweis durch die Klägerin zu einer Intensivierung der Kontrollen Anlass hätte geben müssen. Vor diesem Hintergrund steht es der Wirksamkeit der Kündigung entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht gemäß § 242 BGB entgegen, dass die Klägerin den Beklagten, der jedenfalls mit Blick auf den laufenden Rechtsstreit hinreichend hätte sensibilisiert sein müssen, nicht jeweils umgehend über die Vorfälle informiert hat.
52
c) Bei dieser Sachlage war der Klägerin ausgehend vom Maßstab eines verständigen Durchschnittsmenschen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der vereinbarten Mietzeit auch unter Berücksichtigung der im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse liegenden Tätigkeit des Beklagten nicht zuzumuten. Prognostisch waren im Zeitpunkt der Kündigung angesichts des Umstandes, dass sich die Situation durch die dargestellten erheblichen Vorfälle trotz des schon laufenden Räumungsrechtsstreits im November und Dezember 2021 immer weiter zuspitzte, ohne dass der Beklagte wirkungsvolle Gegenmaßnahmen ergriff, weitere schwerwiegende Störungen des Hausfriedens zu erwarten. Zu Lasten des Beklagten ist dabei auch zu berücksichtigen, dass er durch sein reaktiv ausgerichtetes Verhalten zum Ausdruck brachte, dass er an einer präventiven Verbesserung der Situation kein ernsthaftes Interesse hat und ihm die Belange der anderen Hausnutzer somit offenbar gleichgültig sind, und zwar trotz bereits zuvor ausgesprochener Kündigung und eines laufenden Räumungsverfahrens.
53
2. Entgegen der Auffassung des Beklagten scheitert die Kündigung nicht an einer fehlenden Abmahnung. Wie bei dem Grundtatbestand des § 543 Abs. 1 BGB ist auch nach § 569 Abs. 2 BGB grundsätzlich eine Abmahnung gem. § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB erforderlich (OLG Hamm, aaO Rn. 79 mwN). Eine Abmahnung muss den Schuldner darauf hinweisen, dass er vertragliche Pflichten verletzt hat und ihm für den Fall eines weiteren Vertragsverstoßes Konsequenzen drohen (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2011 ‒ VIII ZR 3/11, NJW 2012, 53, zitiert juris Rn. 17 mwN). Das vertragswidrige Verhalten, gegen das sich der Vermieter wendet, muss im Rahmen der Rüge so genau bezeichnet sein, dass sich der Mieter danach richten kann (BGH, Urteil vom 18. November 1999 ‒ III ZR 168/98, NJW-RR 2000, 717, zitiert juris Rn. 21 mwN). Erst eine nach Zugang der Abmahnung erfolgte erneute gleichartige Vertragsverletzung berechtigt den Vermieter zum Ausspruch einer außerordentlich fristlosen Kündigung. An das Kriterium der Gleichartigkeit dürfen dabei allerdings keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (OLG Hamm, aaO Rn. 80 mwN). Die Klägerin hat den Beklagten hier mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 2. April 2020 (Anlage K 4, Blatt 26 der landgerichtlichen Akten) unter Hinweis auf die „extremen Auswirkungen“ seines Praxisbetriebes ‒ Verstöße gegen Hygienevorschriften, Blockierung des Eingangsbereichs des sog. Erweiterungsbaus, Mitbringen von Alkoholvorräten ins Haus, Hunde im Treppenhaus, Fäkalien auf der Treppe ‒ und mit anwaltlichem Schreiben vom 29. Januar 2021 (Anlage K 8, Blatt 33 f der landgerichtlichen Akten) erneut abgemahnt. Selbst wenn man darin keine wirksamen Abmahnungen hinsichtlich gleichartiger Vertragsverletzungen sehen wollte, wäre eine Abmahnung gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB in Anbetracht der vorangegangenen Ereignisse, der ersten Kündigung vom 12. Februar 2021 und des bereits laufenden Prozesses wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit entbehrlich gewesen.
54
3. Die Klägerin hat die weitere Kündigung mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 wirksam erklärt. Dass der Schriftsatz nicht qualifiziert elektronisch signiert war, ist entgegen der Auffassung des Beklagten unbeachtlich. Die Kündigung eines Gewerberaummietvertrags bedarf keiner Schriftform (Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 82. Aufl. 2023, § 542 Rn. 15), und auch in § 15 des Mietvertrags ist keine Form für die Kündigung vereinbart.
55
4. Ein Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen besteht nicht, weil die außergerichtlich erklärte Kündigung vom 12. Februar 2021 nicht wirksam war. Ein Kündigungsrecht war zu diesem Zeitpunkt entsprechend den insoweit zutreffenden Ausführungen des Landgerichts ‒ noch ‒ nicht gegeben. Mit ihren Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts möchte die Klägerin letztlich nur ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Landgerichts setzen. Insbesondere aber verkennt sie die Beweislast, indem sie geltend macht, die Beweisaufnahme habe nicht bestätigt, dass der Beklagte geeignete Maßnahmen ergriffen oder wenigstens angeordnet hätte, die geeignet gewesen wären, den Hausfrieden aufrechtzuerhalten (vgl. Blatt 72 der Akte). Es hätte der Klägerin oblegen, hinreichende Störungen des Hausfriedens zu beweisen, die eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses begründen. Dies ist ihr ‒ wie vom Landgericht ausführlich und überzeugend dargelegt ‒ in Bezug auf die Kündigung vom 12. Februar 2021 noch nicht gelungen.
56
5. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagten vom 8. März 2024 (Blatt 302 ff der Akte) gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO. Der Senat hat die darin enthaltene Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis genommen und bei der Beweiswürdigung berücksichtigt. Aus den dargelegten Gründen greifen die Einwände gegen das Vorliegen eines Kündigungsgrundes indes nicht durch. Insbesondere ist auf Grundlage des unstreitigen Vortrags und der Aussagen der Zeuginnen und Zeugen weder von lediglich vereinzelten Vorfällen noch von hinreichenden Kontrollmaßnahmen des Beklagten zur Vermeidung der zahlreichen erheblichen Verstöße auszugehen. Dass es zwischen den Parteien von 2014 bis zum Beginn der Corona-Pandemie keine Streitigkeiten über eine Störung des Hausfriedens durch die Patienten des Beklagten gegeben haben mag, steht der Wirksamkeit der Kündigung vom 27. Dezember 2021 in Ansehung der bezogen auf diesen Zeitpunkt festgestellten Umstände nicht entgegen.
57
III.
58
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 S. 1 ZPO.
59
IV.
60
Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Es handelt sich um eine von den Umständen des konkreten Falles abhängige Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.
61
Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 27.140,16 €
RechtsgebietGewerberaummiete