· Arbeitsrecht
Impfpflicht in Zahnarztpraxen ‒ die aktuelle Rechtslage
von RA, FA für ArbR und MedR, Benedikt Büchling, Hagen und RA, FA für MedR Frank Sarangi LLM, Köln, kanzlei-am-aerztehaus.de
| Personen, die in einer Zahnarztpraxis tätig sind, müssen gemäß dem neuen § 20a Abs. 1 Nr. 1 lit. h) Infektionsschutzgesetz (IfSG) bis spätestens zum 15.03.2022 geimpft oder genesen sein. Der Gesetzgeber hat damit im Dezember 2021 eine Corona-Impfpflicht für (Zahn-)Ärzte, ZFA, MFA und andere Beschäftigte einer (Zahn-)Arztpraxis eingeführt. Nach der Gesetzesbegründung soll die Impflicht das Risiko reduzieren, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren und SARS-CoV-2 an andere Menschen in der Praxis zu übertragen. Doch was ist mit Angestellten, die eine Impfung verweigern? Und darf ich überhaupt nach dem Impfstatus fragen? |
Derzeit dynamische Entwicklung der Rechtslage
Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 10.02.2022, Az. 1 BvR 2649/21) einen Eilantrag gegen die einrichtungs- und unternehmensbezogene Impflicht abgelehnt, da diese keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Es bestünden aber Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der in § 20a IfSG bestehenden Verweisungen auf die COVID-19-Schutzverordnung und die Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts. Die abschließende Prüfung dieser Zweifel bleibe jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
In der Politik wurden zuletzt Ausnahmeregelungen diskutiert. Hintergrund der Debatte ist vor allem die Sorge um eine mit der Impflicht einhergehende Gefährdung der Versorgung durch den Ausspruch von vielen Beschäftigungs- und Betretungsverboten in kurzer Zeit. Ausnahmen sollen ‒ nach Aussage der Politiker ‒ etwa dort möglich sein, wo einrichtungsbezogen zwischen patientennahen und patientenfernen Tätigkeiten unterschieden werden kann. Ferner soll das Gesundheitsamt im Rahmen des Ermessens berücksichtigen können, ob bereits eine Impfung vorliege. In diesem Fall könne der jeweilige Arbeitnehmer die weiteren Impftermine wahrnehmen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Bisher fehlt es aber an einer konkreteren Regelung, sodass Arbeitgeber der genannten Einrichtungen nachfolgende Vorgaben des § 20a IfSG beachten sollten.
Betroffene Personengruppe
Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerabler Personengruppen vor einer COVID-19-Erkrankung sieht das Gesetz vor, dass das Praxispersonal, d. h. (Zahn-)Arzt, MFA, ZFA, Reinigungspersonal usw., geimpft oder genesen sein bzw. ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen COVID-19 besitzen müssen. Bei den vom Gesetz erfassten Personen handelt es sich neben den genannten auch um andere dort tätige Personen wie z. B. Hausmeister oder Transport-, Küchen- oder Reinigungspersonal. Erfasst sind auch Auszubildende, Personen, die ihren Freiwilligendienst ableisten, ehrenamtlich Tätige, Praktikanten sowie Zeitarbeitskräfte. Von dieser Verpflichtung ausgenommen sind nur Personen, die nur zeitlich vorübergehend tätig werden, Patienten und Begleitpersonen sowie Personen, die sich aufgrund medizinischer Kontraindikation nicht impfen lassen können.
Nachweispflicht
Für bestehende und bis zum 15.03.2022 einzugehende Tätigkeitsverhältnisse ist eine Vorlagepflicht für den Immunitätsnachweis bis zum 15.03.2022 einzuhalten. Mitarbeiter die schon bis zum 15.03.2022 in den betroffenen Gesundheitseinrichtungen tätig sind, müssen der jeweiligen Leistung bis zu diesem Tag einen vollständigen Impf- oder Genesungsnachweis vorlegen. Erfolgt dies nicht, muss durch die Leistung eine Meldung an das örtlich zuständige Gesundheitsamt erfolgen. Das Gesundheitsamt kann dann im Einzelfall gegenüber dem betroffenen Personal ein Tätigkeits- und / oder Betretungsverbot aussprechen.
Arbeitsrechtlich erörterungsbedürftig, und durch den neu geschaffenen § 20a IfSG bisher nicht geklärt, ist die Frage, was gilt, wenn ein Betretungsverbot durch das Gesundheitsamt erst verspätet, d. h. nach dem 16.03.2022, ausgesprochen wird. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 20a IfSG dürfen hiervon betroffene Personen jedenfalls ab dem 16.03.2022 ‒ ohne Vorlage der Nachweise ‒ nicht weiter tätig sein. Ein Vergütungsanspruch dürfte zumindest bis zum Ausspruch eines Betretungsverbots weiter bestehen. Aufgrund dieser Unklarheiten in Bezug auf § 20a IfSG tendieren viele Krankenhäuser und (Zahn-)Arztpraxen dazu, den jeweiligen Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen, bis tatsächlich ein solches Betretungsverbot vorliegt.
Neue Tätigkeitsverhältnisse können ab dem 16.03.2022 nur bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises eingegangen werden. Hier bedarf es keiner weiteren Maßnahme des Gesundheitsamtes, hier besteht vielmehr originär schon ein Beschäftigungsverbot. Wird der Nachweis für diese zuletzt genannten „neuen“ Arbeitsverhältnisse nicht vorgelegt, so entfällt unmittelbar die Lohnfortzahlungspflicht. Nachweise, die ab dem 16.03.2022 durch Zeitablauf ihre Gültigkeit verlieren, müssen innerhalb eines Monats nach Ablauf der Gültigkeit durch Vorlage eines gültigen Nachweises ersetzt werden. Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises, kann das Gesundheitsamt Ermittlungen einleiten. Das Amt darf einer Person, die trotz der Anforderung keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb der genannten Einrichtung oder des Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird.
Pflichten für Praxisinhaber
Spätestens ab dem 16.03.2022 dürfen neue Arbeitnehmer ohne Nachweis nicht mehr in der (Zahn-)Arztpraxis beschäftigt werden. „Alt“ Beschäftigten droht ein behördliches Beschäftigungs- und/oder Betretungsverbot. Der Praxisinhaber muss dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die Praxis befindet, zudem unverzüglich mitteilen, wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen. Er hat dem Gesundheitsamt insoweit die personenbezogenen Daten zu übermitteln.
Für Praxisinhaber und andere Arbeitgeber der in § 20a IfSG genannten Einrichtungen ist es ratsam ‒ im Rahmen von Neueinstellung ab dem 16.03.2022 ‒ eine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Vorlage der Nachweise i.S.d. § 20a IfSG zu regeln. Dies kann etwa in Form eines Vorbehalts (sog. „aufschiebende Bedingung“) oder durch Aufnahme eines „Vorlage-Verpflichtungstatbestands“ in den Arbeitsvertrag erfolgen. Arbeitgeber sind insoweit gut beraten, sich bei Gestaltung in beratende Hände zu begeben, zumal Unklarheiten bei der Arbeitsvertragsgestaltung zulasten des Arbeitgebers gehen (vgl. § 305c Abs. 2 BGB).
Bei Verstößen gegen diese Verpflichtungen nach dem Infektionsschutzgesetz sieht das Gesetz in § 73 IfSG Bußgeldvorschriften vor. Als Sanktion für Verstöße gegen die Nachweispflicht (§ 73 Abs. 1 Nr. 7 lit. h IfSG) ist beispielsweise eine Geldbuße von bis zu 2.500 Euro vorgesehen. In anderen Fällen kann eine Geldbuße von bis zu 25.000 Euro verhängt werden. Auch insoweit sollte der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich nach folgender Maßgabe aufgeklärt werden.
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„Dem Arbeitnehmer ist bekannt, dass Verstöße gegen diese Verpflichtung mit Geldbuße geahndet werden. Ein Verstoß kann zugleich eine Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten oder der gesetzlichen Nachweispflicht nach § 20a IfSG darstellen. Auch (zivilrechtliche) Schadensersatzansprüche können sich aus schuldhaften Verstößen gegen diese Verpflichtung ergeben.“ |
Arbeitsrechtliche Folgen
Das Vorliegen einer Impfung gegen COVID-19 stellt damit ‒ wie eine Masernimpfung ‒ für das Praxispersonal eine zwingende Beschäftigungsvoraussetzung dar.
MERKE | Ab dem 16.03.2022 darf eine Person, die keinen Nachweis einer Immunisierung und kein ärztliches Zeugnis darüber vorlegt, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden kann, darf nicht in einer Zahnarztpraxis beschäftigt werden. |
Keine Leistung ohne Gegenleistung
Bei fehlendem Impf- oder Genesenennachweis ist es für Arbeitnehmer spätestens ab dem 16.03.2022 unmöglich, die Arbeit zu erbringen ‒ ihre Hauptleistungspflicht per Arbeitsvertrag. Daraus folgt dann gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB, dass der Anspruch auf die Gegenleistung (Lohn) entfällt. Der Praxisinhaber kann daher die Entgeltfortzahlung verweigern.
Kündigung
Nicht ganz fernliegend ist auch die Annahme, dass Praxispersonal, das dem Praxisinhaber nicht spätestens zum 16.03.2022 einen Impf- oder Genesen-Status nachweist oder ein ärztliches Zeugnis über das Vorhandensein einer medizinischen Kontraindikation vorgelegt, kündigungsrechtliche Konsequenzen drohen. Ob diese Konsequenzen sich in Form der außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung manifestieren, kann ‒ mangels einschlägiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit ‒ noch nicht abschließend beantwortet werden.
Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt nur in Betracht, wenn eine entsprechende Weisung, sich impfen zu lassen existiert und der Arbeitnehmer zudem im Sinne einer beharrlichen Verweigerung erklärt hat, sich nicht impfen lassen zu wollen. In diesen Fällen der hartnäckigen Pflichtverletzung ist regelmäßig auch eine vorherige Abmahnung entbehrlich, wie dies z. B. das Arbeitsgericht Köln am 17.06.2021 im Falle eines Mund-Nasen-Schutz-Verweigerers entschied (Az. 12 Ca 450/21, Abruf-Nr. 47491946).
Denkbar ist zum anderen eine personenbedingte Kündigung, da Praxispersonal ohne entsprechenden Nachweis nicht über die erforderliche Eignung bzw. Tätigkeitsvoraussetzung verfügt, um die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Bereits das Fehlen der Coronaimpfung dürfte ein Beschäftigungsverbot und eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.
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Bei dem Impfstatus des Praxispersonals handelt es sich um Gesundheitsdaten und damit um besondere personenbezogene Daten gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Diese Daten dürfen im Arbeitsverhältnis nur dann verarbeitet werden, wenn dies zur Ausübung von Rechten oder zu Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis erforderlich ist. Letzteres wird man im Hinblick auf die Mitteilungspflichten des Praxisinhabers als Arbeitgeber gegenüber dem Gesundheitsamt annehmen können, sodass ein Fragerecht bestehen dürfte. |
Arzthaftungsrechtliche Bewertung
§ 20a Abs. 1 Nr. 1 lit. h) IfSG hat auch arzthaftungsrechtliche Folgen. Denn mit der Verpflichtung zur Impfung bzw. zur Vorlage eines entsprechenden Nachweises soll auch der Schutz von behandelten Patienten innerhalb einer Einrichtung gefördert bzw. gestärkt werden. Als Praxisinhaber haben Sie folglich Sorge dafür zu tragen, dass dieser Schutz durch geeignete organisatorische Maßnahmen erreicht wird, also durch einen Nachweis der Impfung bzw. die Befreiung davon oder auch die Nichtbeschäftigung von Ungeimpften.
Die Vermeidung von Organisationspflichtverletzungen stellt eine wesentliche Pflicht aus dem Behandlungsvertrag dar. Organisationsfehler werden von der Rechtsprechung regelmäßig der Fallgruppe des sog. „voll beherrschbaren Risikos“ zugeordnet. Voll beherrschbare Risiken zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Realisierung nicht den Besonderheiten des menschlichen Organismus, also der Erkrankung und der Behandlung der Erkrankung, geschuldet sind, sondern einem Defizit im Bereich der Organisation, das durch geeignete organisatorische Maßnahmen durch die Behandlerseite sicher beherrscht und ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschl. v. 16.08.2016 ‒ VI ZR 634/15).
Infiziert sich also ein Patient nach dem Besuch Ihrer Praxis mit dem Coronavirus und behauptet, sich in Ihrer Praxis angesteckt zu haben, können Sie dazu verpflichtet werden, Auskunft darüber zu erteilen, ob die geforderten Nachweise kontrolliert und fortlaufend von Ihnen überwacht worden sind. Können Sie diesen Nachweis nicht führen, so ist die Fallgruppe des voll beherrschbaren Risikos einschlägig und das Vorliegen eines Behandlungsfehlers wird vermutet. Auszuschließen ist eine solche Beweislastumkehr allerdings bei schweren Organisationsdefiziten nicht.
MERKE | Wegen der Mannigfaltigkeit einer Infektionskette dürfte zwar nicht davon auszugehen sein, dass leichtfertig unterstellt wird, dass die Infektion mit COVID-19 innerhalb der jeweiligen Praxis stattgefunden hat. Werden allerdings die vom IfSG geforderten Nachweise nicht ordnungsgemäß geführt, so kann dies im schlimmsten Fall dennoch zur Folge haben, dass die initiale Infektion mit COVID-19 als in der Praxis erworben unterstellt wird mit der Konsequenz, dass alle kausalen Folgen diese Erkrankung dem Praxisinhaber zugerechnet werden. |