· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Update „Beschäftigungsverbot wegen Stillzeit“
von RA Michael Lennartz, lennmed.de Rechtsanwälte, Bonn, Berlin, Baden-Baden
| Muss der Arbeitsplatz für eine Oralchirurgin wegen unverantwortbarer Gefährdungen mit einem Beschäftigungsverbot auch noch während der Stillzeit versehen werden? Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg verneinte dies in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit Urteil vom 10.08.2021 (Az. 11 SaGa 1/21). |
Der Fall
Eine als Oralchirurgin angestellte Arbeitnehmerin wurde im Sommer 2020 schwanger. Ihr Arbeitgeber, der spätere Beklagte, sprach ihr für die Zeit der Schwangerschaft ein betriebliches Beschäftigungsverbot aus.
Am 12.03.2021 brachte die Oralchirurgin ihr Kind zur Welt und befand sich bis einschließlich 20.05.2021 im Mutterschutz. Dann nahm sie bis einschließlich 22.06.2021 Resturlaub aus dem Jahr 2020. Danach wurde sie seitens ihres Arbeitgebers aufgefordert, ihre Tätigkeit am 23.06.2021 wieder aufzunehmen. Dies entsprach indes nicht dem Willen der Oralchirurgin, worauf es zwischen den Parteien zum Streit kam, ob ein weiteres Beschäftigungsverbot aufgrund unverantwortbarer Gefährdungen wegen des Stillens des Kindes vorliege.
Die Oralchirurgin stellte daraufhin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Inhalt, mindestens vorläufig ein Beschäftigungsverbot auszusprechen. Der Arbeitgeber berief sich auf Hinweise und Empfehlungen zum Schutz stillender Frauen des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz, wonach die Wiederaufnahme der Arbeit möglich sei.
MERKE | Der Ad-hoc-Arbeitskreis Stillschutz ist eine Einrichtung der Regierungspräsidien Baden-Württemberg. Dessen „Hinweise und Empfehlungen zum Schutz stillender Frauen vor einer unverantwortbaren Gefährdung durch Gefahr- und Biostoffe insbesondere im Hinblick auf eine Wirkung auf oder über die Laktation“ (Stand: November 2019), sind online abrufbar unter Shortlink ogy.de/g2e9.
Vom selben Arbeitskreis existiert auch eine „Arbeitshilfe Gefährdungsbeurteilung Stillzeit für beschäftigte stillende Frauen in zahnmedizinischen Praxen“ (Stand: Dezember 2023), die unter Shortlink ogy.de/5b1u abrufbar ist. |
Die Oralchirurgin sah die Empfehlungen des Arbeitskreises als unzureichend an und zählte eine Vielzahl von Tätigkeiten auf, die eine unverantwortbare Gefährdung für sie darstellen würden. U. a. gehörten dazu Handlungen, bei denen sie mit Amalgam/Quecksilber in Berührung kommen kann sowie sonstige Behandlungen in einem Raum, in dem zuvor mit diesen Stoffen gearbeitet wurde und der vorher nicht mindestens 10 Minuten gründlich gelüftet wurde.
Außerdem führte sie die Gefahr bei Tätigkeiten an, bei denen sie mit Biostoffen der Gruppen 1, 2 oder 3 derart in Berührung kommen kann, dass eine Übertragung nicht ausgeschlossen ist. Dies seien insbesondere Hepatitis-C-Viren, HI-Viren und Coronaviren (SARS-CoV-2). So habe sie sich insoweit in der Vergangenheit auch an Instrumenten im Rahmen der Arbeit verletzt.
Zudem bestehe die Gefahr, dass sie anderweitig mit Blut oder Speichel des Patienten in Berührung komme, beispielsweise durch das Spritzen entsprechender Körperflüssigkeiten des Patienten ins Auge der Oralchirurgin. Auch dies sei schon vorgekommen.
Die Aufzählung der Tätigkeiten ging so weit, dass schon die Durchführung von Besprechungen mit Patienten zur beabsichtigten Behandlung zu unverantwortbaren Gefahren führe.
Die Entscheidung
Das LAG wies den Antrag der Oralchirurgin zurück und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts, wonach der Antrag der Oralchirurgin im Zuge einer vorläufigen (summarischen) Prüfung überwiegend unbegründet sei. Einzig die Arbeit mit Amalgam/Quecksilber sei zu unterlassen, wie auch schon das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hatte.
Ob die angegebenen Tätigkeiten der Oralchirurgin eine unverantwortbare Gefährdung darstellen und die Annahmen des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz demnach fehlerhaft sind, konnte nicht endgültig festgestellt werden, da aufgrund des Eilverfahrens kein Gutachten dazu eingeholt werden konnte. Dies hat indes die Oralchirurgin zu verantworten, die kein Hauptsacheverfahren zur Klärung dieser Fragen angestrengt hatte. Allerdings wurden vom Arbeitsgericht sowohl die Räumlichkeiten der Praxis als auch die konkreten Tätigkeiten ins Auge genommen, worauf sich beide Instanzen auch ausdrücklich in ihren Entscheidungen bezogen.
Überdies sei zu berücksichtigen, dass die Empfehlungen des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz nicht nur von den Vertretern der Regierungspräsidien Baden-Württembergs erarbeitet worden sind, sondern auch in Zusammenarbeit mit u. a. dem Robert Koch-Institut, dem Bundesinstitut für Risikobewertung und der Nationalen Stillkommission. Daher sei davon auszugehen, dass diese Empfehlungen dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechen und anzuwenden seien. Diese Grundlage vermochte die Oralchirurgin mit ihren Darlegungen nicht zu entkräften.
Im Ergebnis sprach das LAG im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nur ein Beschäftigungsverbot für die Arbeit mit Amalgam aus, oralchirurgische und zahnärztliche Tätigkeiten an sich jedoch nicht.
Weiterführende Hinweise
- Beschäftigungsverbot während der Stillzeit: Anspruch auf Mutterschutzlohn nur 12 Monate! (ZP 04/2021, Seite 14)
- Beschäftigungsverbot während der Stillzeit kann „Sparmodell“ sein (ZP 07/2020, Seite 15)