· Fachbeitrag · Haftung
LG Heidelberg urteilt zum Umfang der Aufklärung bei Zahnextraktionen
von Rechtsanwältin Sylvia Harms, PMH Rechtsanwälte, Düsseldorf
| Eine Extraktion von Zähnen führt zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld, wenn sie weder medizinisch indiziert noch von einer Einwilligung des Patienten umfasst war. Dies hat das Landgericht Heidelberg im Urteil vom 16. Februar 2011 (Az: 4 O 133/09) entschieden. Die besondere Situation von Angstpatienten ist dabei zu berücksichtigen. |
Zehn Zähne in einer Universitätsklinik in Vollnarkose gezogen
Im Urteilsfall überwies der Zahnarzt die Patientin zur konservierend-chirurgischen Sanierung in Vollnarkose an eine Universitätsklinik. Dort wurden ihr während einer Intubationsnarkose - wie später gutachterlich festgestellt wurde - zehn Zähne (44, 43, 42, 31, 16, 14, 11, 21, 26 und 28) gezogen. Nach Auffassung der Patientin wurden zusätzlich noch die Zähne 32 und 24 gezogen; diese seien allesamt erhaltungswürdig und vital gewesen. Folglich sei die Extraktion, in die sie nie eingewilligt habe, grob fehlerhaft gewesen. Nach dem Aufwachen aus der Narkose habe sie einen schweren Schock erlitten und benötige nun in erheblichem Maße Zahnersatz. Die Patientin machte Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro sowie den Ersatz aller materiellen und immateriellen Schäden aufgrund der Behandlung geltend.
Sachverständiger: Behandlung nicht fehlerhaft
Mit Ausnahme des Zahnes 44 konnte der Sachverständige die Indikation zur Extraktion der weiteren Zähne aufgrund der Zeugenangaben sowie der vorliegenden Behandlungsunterlagen nicht als fehlerhaft bewerten. Es habe präoperativ ein überdurchschnittlich schlechter Zahnstatus vorgelegen, wobei fast alle Zähne kariös gewesen und bereits ein Knochenabbau des Alveolarknochens erkennbar gewesen sei. Die Kiefergelenkköpfe hätten beidseits massive Abflachungen gezeigt. Die endgültige Entscheidung zur Extraktion habe der Hauszahnarzt den Ärzten der Universitätsklinik überlassen wollen.
Landgericht: Patientin wurde ausreichend aufgeklärt
Ansprüche der Patientin aufgrund vorgeblich fehlender Einwilligung in die indizierte Extraktion der Zähne billigte das Landgericht ihr nicht zu. Sie sei ausreichend darüber aufgeklärt worden und habe darin eingewilligt, dass Zähne bei der Behandlung gezogen werden könnten. Ihren Einwand, mit ihr sei nie über das mögliche Ziehen von Zähnen gesprochen worden, erachtete das Gericht als nicht glaubhaft.
Unter Berücksichtigung der Umstände, dass die Patientin Zahn 44, dessen Extraktion weder aus den präoperativen Röntgenbildern noch aus der intraoperativen Einschätzung nachvollziehbar sei, dauerhaft verloren hat, wurde ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen. Im Hinblick auf die Vorschädigung auch dieses Zahnes wurde der Betrag als notwendig, aber auch ausreichend angesehen.