· Fachbeitrag · Vertragszahnarztrecht
MVZ ohne (zahn-)ärztlichen Leiter verliert den vollständigen Honoraranspruch
von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin, christmann-law.de
| Notwendige Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) ist das Vorhandensein einer (zahn-)ärztlichen Leitung. Erbringt ein MVZ Leistungen, obwohl es keinen (zahn-)ärztlichen Leiter hat, sind die Leistungen sachlich rechnerisch zu berichtigen. Diese Berichtigung kann auch zu einem vollständigen Honorarverlust führen. Dabei ist es unerheblich, ob das MVZ weiter über eine Zulassung verfügt (Sozialgericht [SG] München, Urteil vom 29.02.2024, Az. S 49 KA 5037/23 ). |
Der Fall
Ein zugelassenes zahnmedizinisches Versorgungszentrum (ZMVZ) wurde von der Zahnärztin H. geleitet. Aufgrund ihrer Schwangerschaft wurde ihr von Ende Juli bis Ende November 2021 die zahnärztliche Tätigkeit gemäß Mutterschutzgesetz untersagt. Am 25.10.2021 meldete das ZMVZ dem Zulassungsausschuss mittels eines Abmeldeformulars, dass H. ihre zahnärztliche Tätigkeit und die Leitung des ZMVZ zum 29.07.2021 beendet hatte. Zudem wurde ein Antrag auf Änderung der zahnärztlichen Leitung eingereicht. Ab dem 25.11.2021 werde die Leitung von Zahnärztin I. übernommen.
Daraufhin stellte der Zulassungsausschuss (ZA) der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) mit Beschluss vom 24.11.2021 fest, dass die Anstellung von H., die mit Beschluss vom 16.12.2020 genehmigt wurde, zum 24.11.2021 aufgrund der Schwangerschaft und des Beschäftigungsverbots ende. Folglich sei auch die Leitungstätigkeit von H. beendet.
Der Krankenkassenverband stimmte der Sichtweise des ZA nicht zu und forderte, dass das Honorar des ZMVZ für die Dauer der Abwesenheit der zahnärztlichen Leiterin H. gekürzt wird. Dabei handelte es sich um eine Kürzung von über 30.000 Euro. Der klagende Krankenkassenverband beantragte daher, dass die beklagte KZV alle vom ZMVZ im Zeitraum vom 29.07.2021 bis zum 25.11.2021 erbrachten zahnärztlichen Leistungen sachlich-rechnerisch berichtigt, also kürzt. Die beklagte KZV lehnte dies jedoch ab, da das ZMVZ eine gültige Zulassung hatte und die KZV daran gebunden sei. Daraufhin legte der Krankenkassenverband Klage ein und forderte, dass die KZV erneut über den Antrag des Krankenkassenverbandes entscheidet.
Die Entscheidung
Das SG gab der Klage statt, hob den Bescheid der KZV auf und verpflichtete die KZV, noch einmal über die Sache zu entscheiden. Das Gericht ist der Ansicht, dass die vollständige Kürzung des Honorars in der Zeit der Abwesenheit der ärztlichen Leiterin berechtigt ist.
Das SG begründet seine Entscheidung damit, dass das ZMVZ die umstrittenen Leistungen während der Abwesenheit der ärztlichen Leiterin unter Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 des Sozialgesetzbuchs (SGB) V erbracht habe. Gemäß dieser Vorschrift benötigt ein MVZ einen im MVZ tätigen ärztlichen Leiter; dies gilt auch für ZMVZ. Laut Gesetzestext muss ein MVZ daher eine (zahn-)ärztliche Leitung haben, welche konstitutiv (rechtsbegründend) für das MVZ ist. Fehlt eine (zahn-)ärztliche Leitung, muss dem MVZ gemäß § 95 Abs. 6 SGB V die Zulassung entzogen werden. Anders als beim Wegfall der Gründungsvoraussetzungen eines MVZ gemäß § 95 Abs. 6 Satz 3 SGB V sieht der Gesetzgeber keine sechsmonatige Schonfrist vor. Dies unterstreicht die hohe Bedeutung, die der Gesetzgeber dem Vorhandensein einer (zahn-)ärztlichen Leitung beimisst.
Dass das ZMVZ im Zeitraum ohne zahnärztliche Leitung statusrechtlich zugelassen war, ändert nach Auffassung des SG nichts am Ergebnis. Obwohl der vollständige Honorarverlust erheblich ist, bestätigt das SG diesen Verlust. Denn auch in Fällen wie nicht genehmigter Vertretung oder fehlender Abrechnungsgenehmigung kann es zu einem vollständigen Honorarverlust der beanstandeten Leistungen kommen ‒ selbst wenn diese zweifelsfrei korrekt erbracht wurden. Das Gericht betont, dass die Existenz eines ärztlichen Leiters für das MVZ statusbegründend ist und dass das MVZ jederzeit einen Vertreter für die abwesende ärztliche Leiterin hätte einsetzen können.
Praxisanmerkungen
Die im MVZ angestellten Ärzte tragen keine Gesamtverantwortung für die vom MVZ erbrachten Leistungen; diese Verantwortung liegt beim MVZ. Das MVZ ist jedoch lediglich eine juristische Person, die weder befragt noch zur Verantwortung gezogen werden kann. Daher muss jedes MVZ einen ärztlichen Leiter haben, also einen (Zahn-)Arzt, der das MVZ in medizinischen Belangen führt. Der ärztliche Leiter organisiert die Betriebsabläufe, gibt den angestellten Ärzten Anweisungen und sorgt dafür, dass (zahn-)ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Überlegungen getroffen werden.
Da der ärztliche Leiter somit das zentrale medizinische Element eines MVZ darstellt, ist die Entscheidung des SG München nachvollziehbar. Ohne einen ärztlichen Leiter ist das MVZ lediglich eine juristische Person ohne rechtliche Greifbarkeit, die angestellte Ärzte beschäftigt. Um dies zu verhindern, müssen MVZ, die ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ auch nur für einige Monate keinen ärztlichen Leiter haben, durch Honorarverlust bestraft werden. Dies zwingt sie zur ständigen Sicherstellung einer ärztlichen Leitung.
Praxistipp | MVZ müssen Vorsichtsmaßnahmen für den möglichen Wegfall einer ärztlichen Leitung treffen. Das bedeutet, dass das MVZ stets einen potenziellen Stellvertreter bereithalten muss, der im Bedarfsfall kurzfristig die ärztliche Leitung übernehmen kann. Es ist jedoch nicht immer einfach, ärztliche Leiter zu finden, da diese Position mit zusätzlichem Arbeitsaufwand und einer persönlichen Haftung verbunden ist. Deshalb müssen die MVZ bereit sein, dem Vertreter des ärztlichen Leiters für diese zusätzliche Verantwortung einen erheblichen Gehaltszuschlag zu zahlen.