· Article · Differentialdiagnostik
Chronische Ulzera und Wundheilungsstörungen: Ist Diabetes schuld ‒ oder ein Medikament?
| Bei ausgeprägtem Abszessgeschehen oder verzögertem Heilungsverlauf sollten Sie einmal den Blutzuckerwert (HbA 1c -Wert) testen. Doch auch Rheuma- oder Krebsmedikamente können für unerwünschte orale Komplikationen sorgen ‒ ein Blick auf die allgemeine Krankengeschichte und die Medikation kann bei hartnäckigen Fällen weiterhelfen. |
Anhaltspunkte für unerkannten Diabetes mellitus
Zu den unspezifischen Symptomen des Diabetes mellitus zählen eine erhöhte Infekt- bzw. Abszessanfälligkeit sowie Parodontopathien. Bei ausgeprägtem Abszessgeschehen oder verzögertem Heilungsverlauf sollten Sie deshalb einen Diabetes mellitus über den HbA1c-Wert ausschließen. Glykosyliertes Hämoglobin (HbA1c) > 6,5 Prozent oder erhöhte Serumglukosewerte geben Anhaltspunkte für einen unerkannten Diabetes mellitus.
Laut der DEGS-1-Studie des Robert-Koch-Instituts von 2011 wird die Gesamtprävalenz des Diabetes mellitus in Deutschland mit 7,2 Prozent angegeben. Die Schätzung zur Prävalenz eines unbekannten Diabetes mellitus liegt bei 2,1 Prozent. Ältere Schätzungen aus Versorgungsdaten gehen von einer Prävalenz bis zu 8,9 Prozent (>7 Mio. Menschen) aus.
Bei einem Abgleich von Patientendaten der Jahre 2012 und 2013 im MKG-Bereich des Universitätsklinikums Freiburg (n= 343), die wegen eines Abszesses im MKG-Bereich behandelt wurden, zeigte sich wie erwartet eine höhere Prävalenz von bekanntem Diabetes mellitus. Suspekte laborchemische Parameter im Sinne eines unerkannten Diabetes mellitus lagen im untersuchten Kollektiv deutlich höher als in der Schätzung für die Allgemeinbevölkerung (9 versus 2,1 Prozent).
Bei den Patienten aus Freiburg lag der mediane HbA1c bei 6,2 Prozent, die mediane Serumglukose bei 138 mg/dl, der mediane BMI bei 26,3. Bei 79 (23 Prozent) der Patienten war ein Diabetes mellitus bekannt. Hier lag der mediane HbA1c bei 7,8 Prozent. Bei 31 Patienten (9 Prozent) gab ein HbA1c > 6,5 Prozent einen Hinweis auf einen bislang unbekannten Diabetes mellitus. [1]
Schleimhauttoxizität ‒ eine unerwünschte Nebenwirkung des Methotrexats (MTX)
Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises werden mit Immunsuppressiva (zum Beispiel Methotrexat) behandelt, von denen die meisten eine ausgesprochene Schleimhauttoxizität aufweisen. Bei Patienten mit chronischen intraoralen Wunden sollten Sie deshalb immer auch eine iatrogene Ursache der Heilungsstörung berücksichtigen, warnt Dr. Matthias Tröltzsch (LMU München). [2]
Eine bekannte unerwünschte Arzneimittelwirkung des Methotrexats (MTX) ist die Schleimhauttoxizität. Diese tritt dosisabhängig in unterschiedlichem Schweregrad auf. Die Inzidenz wird bei Patienten, die aufgrund rheumatoider Erkrankungen mit MTX behandelt werden, mit etwa 10 bis 30 Prozent beziffert ‒ chronische intraorale Läsionen sind also nicht selten! Die chronische MTX-Toxizität bedeutet für den Patienten schmerzhafte, nicht abheilende Ulzera und erhöht das Auftreten von Wundheilungsstörungen. Die akute MTX-Toxizität kann klinisch dem Bild ulzerierender Parodontitiden ähneln.
Unerkannt sind tödliche Verläufe in Folge einer Panzytopenie möglich. In allen Fällen ist ein komplikationsärmerer Verlauf bei gezielter allgemeiner Anamnese und Medikamentenanamnese möglich. Der hochdosierte Einsatz von Folat ist ‒ neben der Unterbrechung der Methotrexat-Therapie ‒ häufig die einzige Möglichkeit, die Ulzera zur Abheilung zu bringen.
Klaffender Ulkus am Zungenrand nach Antikörper-Therapie mit Avastin®
Bevacizumab (Handelsname Avastin®/Roche) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der zur Beeinflussung der Tumorangiogenese bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen zugelassen ist. Durch Becavizumab induzierte Schleimhautveränderungen ‒ überwiegend entzündliche Schleimhautveränderungen und erythematöse Zungenveränderungen ‒ sind in der Literatur beschrieben. Doch das Ausmaß möglicher Läsionen der Mundschleimhaut scheint, wie ein klinischer Fall verdeutlicht, wesentlich komplexer zu sein als es bislang in der Literatur diskutiert wird.
|
Mediziner der Universitätsklinik Münster berichteten über den Fall einer 46-jährigen Patientin, bei der nach initiierter Bevacizumab-Therapie ein klaffender Ulkus in Bereichen beidseits des Zungenrandes auftrat. Unter Anwendung antibakterieller und pflegender Mundspüllösungen kam es im weiteren Verlauf zur Abheilung. Andere ursächliche Faktoren konnten weitestgehend ausgeschlossen werden, sodass ein direkter Kausalzusammenhang anzunehmen ist. [3] |
Quellen
- [1] Ermer M et al. Sind dentogene Abszesse ein Frühsymptom des unerkannten Diabetes mellitus? 64. Kongress der DGMKG, 11.-14. Juni 2014 in Mainz.
- [2] Tröltzsch M et al. Orale Mukositis als Nebenwirkung der Methotrexattherapie bei Rheumatikern. 64. Kongress der DGMKG, 11.-14. Juni 2014 in Mainz.
- [3] Annussek T et al. Bevacizumab induzierte orale Läsionen ‒ Fallbericht und Literaturübersicht. 64. Kongress der DGMKG, 11.-14. Juni 2014 in Mainz.