· Fachbeitrag · Essstörungen
Bulimia nervosa: Oft entdeckt der Zahnarzt die Symptome als erster
| Neben den körperlichen und psychischen Problemen können Essstörungen ‒ vor allem Bulimia nervosa ‒ auch massive Zahnschäden und eine Schädigung des Mund-Rachen-Raums verursachen. Dem zahnmedizinischen Personal bietet sich bei der routinemäßigen oralen Untersuchung die Möglichkeit, als „Erst-Entdecker“ einer Bulimie zu fungieren, indem man das charakteristische Bild der Zahnerosion und weiterer Begleitsymptome frühzeitig erkennt. |
Zusammenhänge zwischen Bulimia nervosa und Zahnerosionen
Bulimia nervosa ‒ auch Ess-Brech-Sucht genannt ‒ ist eine psychische Erkrankung, charakterisiert durch Essanfälle, in denen große Nahrungsmengen in kurzer Zeit konsumiert werden, gefolgt von selbstinduziertem Erbrechen. Durch das oftmalige Erbrechen kommt es zu Magensäurekontakt mit der Mundhöhle und nachfolgender irreversibler Zerstörung der Zahnhartsubstanz.
Charakteristisch für die Bulimie sind vor allem säurebedingte erosive Zahnhartsubstanzverluste. Zahnerosionen treten durchschnittlich bei 5 bis 15 Prozent der Bevölkerung auf ‒ bei Patienten mit Bulimie aber in 90 Prozent der Fälle. Bei den meisten Patienten mit Bulimie lassen sich Erosionen in unterschiedlichen Schweregraden und bleibende Folgeschäden in Funktion und Ästhetik nachweisen. Dazu gehören unter anderem abgerundete Zahnkonturen mit Verlust des okklusalen Reliefs, ausgedünnte verkürzte Schneidekanten der Frontzähne, sekundärer Tiefbiss und eine verstärkte Sensibilität der Zähne auf thermische Reize, Säure und Süßes.
Behandlungsziele und -maßnahmen
Nach einem frühzeitigen Erkennen der Zahnschäden muss das Ziel des präventiven Behandlungskonzepts darin bestehen, ein weiteres Fortschreiten der erosiven Läsionen zu verhindern. Das zahnmedizinische Team kann die Patienten prophylaktisch mit Verhaltensempfehlungen und der Durchführung von minimal-invasiven adhäsiven Sanierungen begleiten. Mit einer aufwendigen Gesamtsanierung erosiver Folgeschäden sollte gewartet werden, bis die Patienten nach psychotherapeutischer Intervention mindestens ein bis zwei Jahre frei von bulimischen Brechepisoden sind.
Die definitiven restaurativen Behandlungsstrategien sollen an den Schweregrad des Substanzverlustes angepasst werden und so wenig invasiv wie möglich erfolgen, um gesunde Zahnsubstanz zu schonen. Materialien der ersten Wahl sind Komposite (von Versiegelung bis Overlay) und adhäsive keramische Restaurationen (Overlays, Veneers), da diese Materialien eine Rekonstruktion mit minimaler Präparation der Zähne ermöglichen. Erst bei einem globalen Verlust der Okklusionsflächen, gefolgt von sekundärem Tiefbiss, kann ein invasiv-restauratives Vorgehen notwendig werden. Vor Umsetzung eines neuen Okklusionskonzepts ist es empfehlenswert, die vertikale Bisserhöhung zunächst über eine Okklusionsschiene und/oder provisorische Versorgungen nach einem Wax-up zu überprüfen und zu stabilisieren.
PRAXISHINWEIS | Ein frühzeitiges Erkennen, die patientengerechte zahnmedizinische Aufklärung und gezielte therapeutische Maßnahmen können dazu beitragen, irreversible Schäden an der Zahnhartsubstanz zu vermeiden und die Zahngesundheit zu bewahren. Zur Aufklärung gehört auch, den Patienten eindringlich auf die unbedingt notwendige Kooperation mit einem Psychologen hinzuweisen. |
Quelle
- Kotlarenko P et al. Zahnmedizinische Versorgung bei PatientInnen mit Bulimie. Österreichischer Zahnärztekongress 2013; Graz, 3.- 5. Oktober 2013