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  • · Fachbeitrag · Umweltchemikalien

    Schmelzdefekte und frühkindliche Karies: Sind in beiden Fällen Nuckelflaschen schuld?

    | Early Childhood Karies (EEC) wird oft auch treffend „Nuckelflaschenkaries“ genannt, denn der Zusammenhang zwischen den süßen und sauren Getränken aus der Nuckelflasche und massiven Zahnschäden ist offensichtlich. Doch bis zum Bisphenol-Verbot für Babyflaschen im Jahr 2011 könnte auch aus der Nuckelflasche selbst Gefahr für die Zähne gekommen sein ‒ französische Forscher vermuten einen Zusammenhang zwischen dem allgegenwärtigen Kunststoff Bisphenol A und Schmelzbildungsstörungen, der sogenannten Molaren-Inzisoren-Hypomineralisation (MIH). |

    Frühkindliche Karies in Deutschland nimmt zu

    Eine aktuelle bundesweite Befragungsstudie des Instituts der Deutschen Zahnärzte belegt, dass die frühkindliche Karies in Deutschland zugenommen hat ‒ und das, obwohl die deutschen Zahnärzte in der Präventionsarbeit ­eigentlich gut aufgestellt sind. Die Zahnärzte setzen neben bewährten Fluoridierungsmaßnahmen auf eine intensive Elternarbeit. Jedoch werden Eltern nicht immer in ausreichendem Maße erreicht oder es mangelt an der Umsetzung der Empfehlungen. Die frühkindliche Karies hat sich nach Expertenmeinung inzwischen vor allem in sozial schwachen Schichten der westlichen Industrieländer zu einem Public-Health-Problem entwickelt und nimmt ständig zu.

     

    Laut Studie klären 98,8 Prozent der befragten Zahnärzte die Eltern über eine zahngesunde Ernährung auf. Denn das Hauptrisiko für die Kariesentstehung bei Kleinkindern ist die hochfrequente Gabe von Kohlehydraten ‒ vor allem durch Dauernuckeln an der Nuckelflasche, bei dem stark zuckerhaltige und oft auch stark saure Getränke (zum Beispiel Apfelsaft) die jungen Zähne schädigen. Viele Eltern haben jedoch Schwierigkeiten, die Ernährungsberatung zu Hause umzusetzen und gegebenenfalls ihre eigenen Ernährungs­gewohnheiten umzustellen ‒ oder möchten schlichtweg nicht auf die beruhigende Nuckelflasche verzichten. Andere Eltern beginnen zu spät mit der Zahnpflege des Kindes oder putzen bei den Kindern nicht richtig nach. Auch soziokulturelle Hintergründe spielen eine Rolle: Zum Beispiel haben Kinder aus intakten Familien weniger häufig Karies. Zudem belegt die Befragungsstudie deutliche Wissenslücken zum Thema Kariesprävention bei vielen ­Eltern. Zwar gibt es in vielen Bundesländern freiwillige Vorsorgemöglich­keiten, zum Beispiel im Rahmen des Zahnärztlichen Kinderpasses, die aber nicht flächendeckend angenommen werden.[1]

     

    Die frühkindliche Karies lässt sich erfolgreich verhindern, wenn schon werdende Eltern von Hebammen und Gynäkologen aufgeklärt werden. Deshalb erarbeitet die Zahnärzteschaft zur Zeit gemeinsam mit dem Deutschen Hebammenverband ein Konzept, um die Versorgungslücke für die Jüngsten endlich zu schließen.[2]

    PRAXISHINWEIS |  Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege hat eine ­wissenschaftlich geprüfte Empfehlung für den weiteren Ausbau der Maßnahmen für unter dreijährige Kinder vorgelegt. Die „Kernsätze für die Arbeit mit Eltern“ können Sie unter zr.iww.de herunterladen (Downloads/Arbeitshilfen) und für Ihre Praxisarbeit ‒ zum Beispiel für einen Info-Flyer ‒ nutzen.

     

    Bisphenol A: Tierversuche zeigen Verbindung zur rätselhaften Molaren-Inzisoren-Hypomineralisation

    Französische Forscher verdächtigen den Kunststoff Bisphenol A, der in zahlreichen Haushaltsgegenständen und Lebensmittel-Verpackungen vorhanden ist, auch die Schmelzbildung der Zähne zu stören. Bisphenol-A und ­andere verwandte Kunststoff-Moleküle stehen unter anderem im Verdacht, eine hohe embryotoxische teratogene Wirkung über ein breites Konzentra­tionsspektrum hervorzurufen. Es sind in vitro auch östrogen-ähnliche Effekte bekannt. In Verbindung gebracht worden ist Bisphenol A bisher mit Entwicklungsstörungen, neurologischen Schäden, einem schwachen Immunsystem, einem erhöhten Krebsrisiko ‒ speziell bei Brustkrebs, Verhaltensauffällig­keiten, Unfruchtbarkeit bei Männern, Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Problemen.

     

    Nachdem vor kurzem über einen Zusammenhang zwischen Bishpenol A und Asthma bei Kindern diskutiert wurde [3], berichten nun französische Wissenschaftler des Pariser Instituts für Molekulare Orale Pathophysiologie über einen Zusammenhang zwischen Bisphenol A und der Molaren-Inzisiven-­Hypomeralisation (MIH). Durch die MIH sind die Zähne vieler Kinder ohne bekannten Grund gefleckt und falsch mineralisiert. Die Folgen sind Schmerzen bei warmen und kalten Speisen und Getränken bis hin zu einbrechenden Zähnen aufgrund des fehlenden Schmelzes. In Deutschland können Symptome der MIH bei ca. 15 Prozent der Schulkinder beobachtet werden. Dabei variiert der Ausprägungsgrad von diskret umschriebenen Verfärbungen (Grad I) bis zu großflächigem Fehlen des Schmelzes (Grad III). Die Gründe für diese rätselhafte Erkrankung liegen bisher im Dunkeln. Sicher ist jedoch, dass es sich um neuere umwelt- und/oder zivilisationsbedingte Ursachen handeln muss, die erst seit etwa 1985 auftreten und Kleinkinder in den ersten drei Lebensjahren erfassen.

     

    Katja Jedeon und ihre Kollegen der Universität Paris-Diderot gingen dem Verdacht nach, dass Bisphenol A einer der Gründe dafür sein kann. Dazu testeten sie zunächst bei Ratten, wie sich die Schmelzbildung (Amelogenese) verändert, wenn die Tiere vor der Geburt und in den Wochen danach Bisphenol A ausgesetzt sind. Die französischen Forscher testeten dabei Konzentrationen, die um das Zehnfache niedriger waren als der von der Europäischen Union festgelegte tägliche tolerierbare Wert von 50 µg pro Kilogramm Körpergewicht.

     

    Tatsächlich zeigten 75 Prozent der Rattenzähne nach 30 Tagen die typischen MIH-Zeichen: weiße Flecken und brüchige Schmelzkanten. Die Schäden entsprechen denen, die auch beim Menschen vorkommen. In beiden Fällen besitzt der Schmelz zu wenig Mineralien und zu viel organische Substanz. Bei der Amelogenese wird zuerst eine Art Proteingerüst aufgebaut, auf dem sich später die Mineralien ablagern. Ist dies erfolgt, werden die Eiweiße wieder abgebaut, damit sich der feste Schmelz bilden kann. Bisphenol A scheint diesen Prozess in doppelter Weise zu stören: Es sorgt für ein Zuviel an Proteinen im ersten Stadium und behindert anschließend deren Abbau. Dadurch werden die Proteine nicht vollständig entfernt und stören die Kristallisation. ­Interessant ist, dass bereits bei 100 Tage alten Ratten die Schmelzbildung nicht mehr gestört wurde: Bisphenol A kann die Amelogenese also nur während eines kurzen Zeitfensters während der Entwicklung stören. [4] [5]

     

    Quellen

    • [1] Kettler N et al.: Erfahrungen, Probleme und Einschätzungen niedergelassener Zahnärzte bei der Behandlung jüngerer Kinder. Bundesweite Befragungsstudie des Instituts Deutscher Zahnärzte. IDZ-Information 1/13. Köln, 2013
    • [2] Pressemitteilung der Bundeszahnärztekammer vom 17. Juni 2013
    • [3] Donohue K M et al. Prenatal and postnatal bisphenol A exposure and asthma development among inner-city children. The Journal of Allergy and Clinical Immunology 2013. 131 (3): 736-742.e6
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    • [5] Stellungnahme der American Dental Association ADA vom 26. Juni 3013

     

    Volltexte und Abstracts

    Quelle: Ausgabe 08 / 2013 | Seite 9 | ID 42234072