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  • · Fachbeitrag · Verletzungen in oraler Region

    Misshandlung und Vernachlässigung von ­Kindern: Erkennen Sie die Zeichen!

    | Sehr oft werden misshandelte Kinder im zahnärztlichen Notdienst vorgestellt ‒ der Zahnarzt ist dann vielleicht der einzige, der die Misshandlung frühzeitig erkennt und das Kind durch eine entsprechende Meldung schützen kann. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, dass Sie sich mit diesem Thema befassen und eventuelle Zeichen einer Kindesmisshandlung berücksichtigen! |

     

    Gerade der hohe Anteil von Verletzungen im Bereich der oralen und peri­oralen Region verdeutlicht die Bedeutung für die zahnärztliche Betreuung. Typische Verletzungsmuster bei Kindesmisshandlung sind

    • (peri)orale Hart- und Weichgewebsverletzungen,
    • Bissverletzungen,
    • faziale Hämatome an schlagtypischen Lokalisationen und
    • thermische Verletzungen. [1]

     

    Bei Fällen von Kindesmisshandlung sind die wesentlichen Verletzungen im Gesicht luxierte bzw. frakturierte Zähne (32 Prozent der gemeldeten Fälle), Quetschungen bzw. Prellungen oraler respektiver perioraler Weichgewebe (24 Prozent), Risswunden (14 Prozent) und Kieferfrakturen (11 Prozent). Grundsätzlich sollte bei allen atypischen Verletzungsmustern eine Misshandlungsfolge als Ursache differenzialdiagnostisch erwogen werden. [2]

     

    Schwerwiegend, aber unauffälliger: Vernachlässigung

    Aber nicht nur physische Misshandlungen müssen beachtet werden. Mit etwa 75 Prozent der Fälle überwiegt die Vernachlässigung von Kindern zahlen­mäßig alle anderen Misshandlungsformen bei weitem. Aufgrund der Viel­gestaltigkeit werden die Folgen von Vernachlässigung aber seltener als solche erkannt. So kann ein hochgradig kariös zerstörtes Gebiss beispielsweise mit einer generellen Vernachlässigung des Kindes einhergehen.

     

    Über seinen eigenen Lernprozess zum Thema „Vernachlässigung“ ‒ im Gegensatz zu „Misshandlung ein längerdauernder Prozess“ ‒ berichtete OA Dr. Reinhard Schilke von der Medizinischen Hochschule Hannover auf der Fachkonferenz „Mundgesundheit und Vernachlässigung“ in Berlin: Er habe in seiner Klinikzeit in der Kinderzahnheilkunde lange Zeit überwiesene Kinder auftrags­gemäß unter Vollnarkose saniert, bis ihm aufgefallen sei, dass manche Kinder nie zur Nachsorge, sondern in Abständen zur nächsten ­Intubationsnarkose kommen. [3]

     

    Einer präsentierten Umfrage zufolge sind derzeit weder das Bewusstsein noch die Fähigkeiten zum Erkennen und Korrigieren von Vernachlässigungen ­sowohl bei Kinderärzten als auch bei Zahnärzten ausreichend vorhanden. Orale Pro­bleme sah demnach zwar jeder zweite Arzt, aber nur jeder dritte Zahnarzt ­erkannte dies als ein Zeichen für generelle Vernachlässigung. Auch eingeschaltete Jugendämter bezeichneten sich als überfordert. Insbesondere die ersten vier Lebensjahre seien für Kinder aber extrem riskant. Lange überholte zahnärztliche Positionen, aber auch eine inadäquate kinderzahnärztliche ­Honorierung hielten die problematische Situation leider aufrecht: „Jeder zweite Zahn, der als krank erhoben wurde, ist laut Studien nicht heil gemacht.“

     

    Mit Blick auf deutsche Daten meint Schilke: „Es ist eher Zufall, dass Kinder vor dem 3. Lebensjahr zahnärztlich untersucht und gefördert werden!“ Ein Kinder-Zahnpass sei der richtige Weg, denn im U-Heft wird erst mit 3 Jahren auf die Untersuchung von Mund und Zähnen hingewiesen. Sein klarer Auftrag: „Es ist entscheidend, dass das Kind früh in die Praxis kommt!“

     

    PRAXISHINWEIS |  Ein koordiniertes interdisziplinäres Vorgehen kann zu einer Verbesserung der Identifikation und Aufklärung von Gewalt gegen Kinder beitragen. Insbesondere aus forensischen Gründen sollte bei Verdacht einer Misshandlungsfolge ausführlich ‒ am besten auch fotografisch ‒ dokumentiert werden. ­Einen Dokumentationsbogen für Ihre Praxisunterlagen finden Sie unter zr.iww.de bei „Downloads/Arbeitshilfen“.

     

    Quellen

    • [1] Baumann S et al. Verletzungen im MKG Bereich bei Kindern: Akzidentelles Trauma oder Folge einer Misshandlung? 63. Kongress der DGMKG. Essen, 22. ‒25. Mai 2013
    • [2] Kamann W K. Kindesmisshandlung - Relevanz für die zahnärztliche Betreuung. ­Gesundheitswesen 2010; 72: A57
    • [3] 1. Fachkonferenz „Mundgesundheit und Vernachlässigung“, Berlin, 10. Oktober 2012

     

    Abstract

    Quelle: Ausgabe 08 / 2013 | Seite 11 | ID 42234073