· Fachbeitrag · Interview
„Es ist sehr motivierend, mit ATHINA pharmazeutisch zu arbeiten“
| Das Projekt „Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken“ (kurz ATHINA) der Apothekerkammer Nordrhein unterstützt Apotheker dabei, das Medikationsmanagement in der öffentlichen Apotheke durchzuführen und somit die Medikation ihrer Kunden zu managen. Sie überprüfen z. B. Verfalldaten, Doppelverordnungen, Einnahme und Anwendung, Dosierungen, Kontraindikationen und Interaktionen. Dr. Inga Leo-Gröning, tätig in der Apotheke im Brunnen Center in Bad Vilbel, ist ATHINA-Referentin. Im Gespräch mit Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) erläutert sie den Nutzen. |
Frage: Arzneimitteltherapiesicherheit ist selbstverständlich, dafür gehen die Menschen ja in die Apotheke. Warum ist ein zusätzliches Programm notwendig?
Antwort: ATHINA ist sehr umfassend, weil wir die Gesamtheit der aktuell eingenommenen Arzneimittel betrachten. Wir wissen u. a. aus dem BARMER Arzneimittelreport, dass keine Apotheke alle Medikamente eines Kunden kennt. Dazu erwerben die Kunden ihre Arzneimittel in zu unterschiedlichen Situationen. Manchmal wollen sie gut beraten werden, bei anderer Gelegenheit sind sie im Stress und brauchen schnell ein Medikament oder sie bestellen etwas im Internet. Zusätzlich kaufen sie in Drogeriemärkten und bei Discountern, in denen es keine Beratung gibt, Nahrungsergänzungsmittel. Die freie Apothekenwahl ist ja sinnvoll. Doch es kommt dadurch zu Unsicherheiten, weil keine Apotheke alle Medikamente sieht.
Frage: Was bedeutet „Gesamtheit der aktuell eingenommenen Arzneimittel“?
Antwort: Der Kunde bzw. Patient bringt alle Mittel mit, die er zum aktuellen Zeitpunkt einnimmt oder benutzt: ob sie im Schlaf- oder Wohnzimmer liegen, ob Salben, Tabletten oder Tropfen, ob verordnet oder selbst gekauft.
Frage: Und diese Sammlung legt er dann bei Ihnen auf den Tisch?
Antwort: Wir vereinbaren mit dem Kunden zwei persönliche Termine von etwa 30 Minuten Dauer. Wenn der erste Termin abgesprochen wird, erhält der Kunde eine Papiertüte, in der er seine Arzneimittel mitbringen soll. In dieser ATHINA-Tüte findet er dazu schriftliche Informationen. Auch eine Einverständniserklärung ist dabei aufgrund des Datenschutzes. Außerdem bitten wir ihn, sich für seinen ersten Termin zu überlegen, welche Fragen er hat.
Frage: Verschweigen Patienten auch das eine oder andere Medikament?
Antwort: Wir machen sehr gute Erfahrungen mit der Ehrlichkeit. Es geht uns nicht darum, welches Arzneimittel der Patient wo gekauft hat. Wichtig ist die Gesamtheit.
Frage: Welche Patienten sollen erreicht werden?
Antwort: Wir möchten jeden ansprechen, der mit seiner Medikation Probleme hat und diese Probleme lösen möchte. Häufig sind es Menschen, die wegen mehrerer Erkrankungen viele Arzneimittel nehmen, komplexe Therapieregime haben oder deren Medikation vor Kurzem umgestellt wurde.
Frage: Der Patient kommt zum ersten Termin. Was passiert?
Antwort: Das Gespräch findet ungestört im Beratungszimmer statt. Wir möchten erfahren, ob der Patient weiß, warum er jedes einzelne Mittel benötigt, wie er es einnehmen sollte und ob es Probleme gibt. Das gilt auch für Nahrungsergänzungsmittel. Der Apotheker dokumentiert alle Informationen aus diesem Gespräch, schreibt sich die Namen aller Mittel auf und gibt sie dem Patienten wieder mit.
Frage: Was fällt bei diesen Gesprächen besonders häufig auf?
Antwort: Typische Ergebnisse gibt es nicht, denn die Patienten sind sehr unterschiedlich. Manche sind sehr gut aufgeklärt. Andere beschäftigen sich zum ersten Mal mit ihren Arzneien und nutzen das Gespräch, um ihre Medikation, soweit möglich, selbst in die Hand zu nehmen. So schauen wir z. B. bei Asthma-Dosieraerosolen, ob der Patient die Inhalationstechnik beherrscht. Die Aerosolbehälter sind oft hochtechnisiert, es gibt viele Schritte zu beachten. Nur wenn die Inhalation optimal durchgeführt wird, kann das Mittel optimal wirken. Es kann auch sein, dass wir mit dem Patienten über sportliche Aktivitäten sprechen, die seine Therapie unterstützen würden.
Frage: Wenn der Patient gegangen ist, beginnt Ihre pharmazeutische Prüfung. Worauf kommt es an?
Antwort: Das ist manchmal sehr kniffelig. Wir prüfen jedes einzelne Arzneimittel und überlegen, ob es zur Gesamtheit passt. Was könnte die Probleme des Patienten verursachen? Es gibt gemäß einer Leitlinie der Bundesapothekerkammer 13 standardisierte Punkte, nach denen systematisch abgeprüft wird. Dabei geht es z. B. um Wechselwirkungen und Verträglichkeit. Daneben gehen wir auf das individuelle Problem des Patienten ein.
Frage: Nach der Prüfung kommt der Patient zum zweiten Termin. Worum geht es dann?
Antwort: Das zweite Gespräch findet circa nach einer Woche statt. Der Apotheker stellt die Lösungen der Probleme vor. Gemeinsam wird geguckt, ob sie in den Alltag passen und umsetzbar sind. Der Patient könnte z. B. die Selbstmedikation weglassen. Soll auf ein verschreibungspflichtiges Medikament verzichtet werden, muss zuerst mit dem Arzt kommuniziert werden.
Frage: Wie reagieren die Ärzte, wenn ein Apotheker so einen Vorschlag macht?
Antwort: Bevor wir ATHINA anbieten, holen wir die Ärzte mit ins Boot. Niemand wird überrascht. Den Ärzten ist klar, dass sie über alles, was ihren Bereich betrifft, informiert werden. Ich habe immer positive Rückmeldungen und führe kollegiale Gespräche. Es geht ja nicht darum, etwas anzukreiden. Die Idee ist vielmehr, die Situation eines Patienten zu verbessern.
Frage: Welche Rückmeldungen kommen von den Patienten?
Antwort: Ich habe sehr gute Rückmeldungen. Vielen Patienten geht es besser. Manche sparen Geld. Wir hatten eine Patientin, die zu einem einzigen Zweck gleich mehrere Nahrungsergänzungsmittel einnahm. Es kam heraus, dass die Wirkung wegen der unterschiedlichen Mittel nicht stieg, sondern sank. Die Patientin reduzierte die Mittel und sparte damit Geld.
Frage: Gibt es für den Apotheker persönliche Vorteile?
Antwort: Wir tun das, wofür wir ausgebildet wurden: Wir lösen gesundheitliche Probleme mit Arzneimitteln. Es ist sehr motivierend, pharmazeutisch zu arbeiten. Ferner entstehen gute Kundenbeziehungen, da wir Wissen über die richtige Anwendung von Arzneimitteln vermitteln.
Frage: Welche Voraussetzungen muss ein Apotheker mitbringen, um sich an ATHINA zu beteiligen?
Antwort: Er muss Apotheker sein und an einer zweitägigen Schulung von jeweils acht Stunden teilnehmen. In der sich anschließenden Praxisphase werden schon Medikationsanalysen durchgeführt. Es gibt ein festes Curriculum. Dazu bieten wir viele spezielle Webinare an, von denen vier verpflichtend sind. Die weiteren sind freiwillig und werden gern angenommen.
Frage: Wer unterstützt ATHINA-Neulinge, die z. B. bei der Recherche nach unerwünschten Wechselwirkungen Fragen haben?
Antwort: Wir haben einen geschlossenen ATHINA-Kommunikationskreis, zu dem jeder Zugang hat, der die Schulung absolviert hat. Des Weiteren haben wir Tutoren, die unterstützend arbeiten.
Frage: Wie kann die Apotheke dem Patienten die ATHINA-Dienstleistung in Rechnung stellen?
Antwort: Wegen des hohen Aufwands ist es selbstverständlich, dass es ein Honorar geben muss. Doch die Kosten sind nicht festgelegt. Jeder Apotheker schätzt selbst ein, welches Honorar er verlangt. Als Richtschnur kann eine Summe im höheren zweistelligen Bereich dienen.
Frage: Könnte sich diese Dienstleistung auch betriebswirtschaftlich als festes Standbein einer Apotheke etablieren?
Antwort: Ja, sie kann ein Standbein werden, wenn sie adäquat honoriert wird. Zurzeit gehen die Patienten in Vorleistung. Daher würde ich mir wünschen, dass die Krankenkassen ihnen das Geld zurückerstatten. Denn die Medikation wurde pharmazeutisch geprüft, diese Patienten sind gut aufgeklärt. Durch ATHINA können die Krankenkassen Kosten sparen.