02.11.2010 | Apothekenrecht
Arzneimittelabgabe und staatliche finanzielle Anreize mit Lenkungswirkung
von RA Dr. Stefan Schmidt, Wirtschaftsjurist Univ. Bayreuth, Kanzlei am Ärztehaus, Bonn, www.kanzlei-am-aerztehaus.de
Art. 94 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel verbietet es, Apothekern oder Ärzten finanzielle Vorteile zu gewähren, um hierdurch den Absatz von Arzneimitteln zu fördern. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, die Objektivität der Fachkreise zu wahren und das Wohl des Patienten zu schützen. Dies führte in Großbritannien zu der Frage, ob und inwieweit auch staatliche Stellen diesem Verbot unterworfen sind. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Stellung genommen (Urteil vom 22.4.2010, Az: C-62/09, Abruf-Nr: 102500).
Sachverhalt
Um die öffentlichen Ausgaben für Arzneimittel zu senken, haben die zuständigen nationalen Behörden in England und Wales für Ärzte finanzielle Anreize geschaffen, um bestimmte kostengünstige Arzneimittel oder Generika zu verschreiben. Hiergegen wurden Bedenken laut, da die Wahl des günstigsten Wirkstoffes auch zu negativen Folgen für die Patienten führen könnte. Insbesondere wurde ein Verstoß gegen die europäische Richtlinie ausgemacht, da unklar sei, ob tatsächlich nur kommerzielle Organisationen vom Verbot der Verkaufs- und Anreizmaßnahmen erfasst seien.
Nachdem die Association of the British Pharmaceutical Industry beim High Court of Justice (England and Wales) gegen diese Praxis Klage eingereicht hatte, setzte das Gericht sein Verfahren aus, um selbst den EuGH anzurufen und zu klären, ob das in der Richtlinie enthaltene Verbot dem behördlichen Vorgehen entgegenstehe.
Entscheidungsgründe
Der EuGH stellte klar, dass das Verbot in erster Linie Verkaufsförderungsmaßnahmen der Pharmaindustrie beträfe, nicht aber finanzielle Anreize von nationalen Gesundheitsbehörden. Es solle verhindert werden, dass sich Apotheker und Ärzte als Verkaufsgehilfen der Pharmaindustrie gerieren. Zwar müsse das Verbot auch auf unabhängige Dritte angewendet werden, die außerhalb einer auf Gewinn gerichteten Tätigkeit handeln. Es gelte indes nicht für nationale Behörden, deren Aufgabe die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung ist. Diese verfolgten keine kommerziellen Verkaufsförderungszwecke; ihr Handeln sei vielmehr immanent am Wohle der Patienten ausgerichtet. Eine Gefährdung von Patienteninteressen könne prinzipiell ausgeschlossen werden, da der therapeutische Nutzen der in Rede stehenden Arzneimittel von den staatlichen Stellen ständig kontrolliert werde. Daher stehe es den Behörden frei, auf der Grundlage von Bewertungen des therapeutischen Nutzens und unter Berücksichtigung ihrer Kosten für den öffentlichen Haushalt, den Absatz kostengünstiger Medikamente zu fördern.
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