· Fachbeitrag · Arzneimittel-Abrechnung
Schadenersatz gegenüber Krankenkasse: Apotheke haftet bei Verletzung von Informationspflichten
von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin, christmann-law.de
| Eine Apotheke, die preisgünstige Zytostatika in der Masse und auf Vorrat aus dem Ausland importiert, muss die Krankenkasse darüber informieren. Bei Verstoß gegen diese nebenvertragliche Pflicht steht der Krankenkasse ein Schadenersatzanspruch in Höhe der Gesamtvergütung zu (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22.02.2024, B 3 KR 14/22 R, Abruf-Nr. 244274 ). |
Sachverhalt
Die Beklagte war Inhaberin einer Apotheke, in der ‒ auf Grundlage einer entsprechenden Berechtigung ‒ vertragsärztlich verordnete Zytostatikalösungen hergestellt wurden. Zytostatikalösungen bestehen aus ärztlich verordneten Konzentraten (Fertigarzneimitteln, FAM) und einer Trägerlösung. Die Ärzte bestellten z. T. Lösungen auf der Basis von Wirkstoffen (z. B. Gemcitabin, Docetaxel) und z. T. auf der Basis von Arzneimitteln mit registrierten Marken (z. B. Gemzar[r], Taxoterer[r]). Die anwendungsfertigen Zytostatikalösungen wurden u. a. zur Behandlung von Krebserkrankungen mittels Chemotherapie bei den Versicherten der klagenden Krankenkasse eingesetzt.
Die Apothekerin verwendete in 381 Fällen zur Herstellung der Zytostatikalösungen ca. 40 verschiedene zytostatische Stoffe, die sie von Pharmagroßhändlern bezog und deren Verpackungen, Packungsbeilagen und Etikettierungen keine deutsche Kennzeichnung hatten. Die im Vergleich zu Inlandsprodukten deutlich preisgünstigeren Konzentrate waren für europäische (Griechenland, Portugal, Polen u. a.) und außereuropäische Länder (z. B. Bangladesch, Indien, Iran, Oman) bestimmt. In Deutschland standen im streitgegenständlichen Zeitraum stets jeweils wirkstoffgleiche, mit deutscher Kennzeichnung versehene Medikamente zu höheren Preisen zur Verfügung.
Die Apothekerin rechnete gegenüber der Klägerin und anderen gesetzlichen Krankenkassen jeweils nach den von der Arzneimittelpreisverordnung in Verbindung mit dem Vertrag zur Hilfstaxe für Apotheken geregelten einheitlichen Apothekenabgabepreisen für Zytostatikarezepturen, die auf Basis der Inlandsbezugspreise ermittelt waren, ab und verwendete dazu die zutreffende Pharmazentralnummer (PZN) 9999092 für Rezepturarzneimittel. Durch die Verwendung dieser PZN ist für die vergütende gesetzliche Krankenkasse nicht ersichtlich, ob auch das verwendete FAM eine PZN für in Deutschland zugelassene Arzneimittel hat. Die Abrechnungen der Apothekerin wurden von der Krankenkasse beglichen. Die Krankenkasse erhob Klage auf Feststellung einer Schadenersatzpflicht der Apothekerin wegen Verletzung der Informationspflicht, die das Sozialgericht aber abwies. Auf die Berufung der Krankenkasse gab das Landessozialgericht der Klage überwiegend statt. Dagegen legte die Apothekerin Revision zum BSG ein mit dem Argument, sie habe gegenüber der Krankenkasse keine solche Informationspflicht.
Entscheidungsgründe
Das BSG sieht dies anders: Im Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung können ungeschriebene vertragliche Nebenpflichten bestehen, deren Verletzung einen vertraglichen Schadenersatzanspruch begründet. Die Apothekerin war durch eine vertragliche Nebenpflicht verpflichtet, die Krankenkasse über ihren Beschaffungsweg und die Einkaufspreise für FAM zu informieren. Aus ihrem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis als Vertragspartner waren die Beteiligten wechselseitig als vertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragspartners verpflichtet. Zu den Aufklärungspflichten gehören Informationen für den Vertragspartner über Umstände, die dieser nicht erkennt und die zu Gefahren für seine Rechtsgüter und Interessen führen, sofern diese Umstände erkennbar für den Vertragspartner von wesentlicher Bedeutung sind und er nach der Verkehrsanschauung Aufklärung erwarten darf.
Dazu gehörte es vorliegend jedenfalls, als Zytostatika herstellende Apotheke eine gesetzliche Krankenkasse vor der Abgabe und Abrechnung von Zytostatikazubereitungen darüber zu informieren, dass bei der Herstellung von Rezepturarzneimitteln FAM Verwendung finden, die nicht für den deutschen Markt bestimmt sind und deren Einkaufspreis deutlich geringer ist als der einheitliche Herstellerabgabe- und Apothekeneinkaufspreis auf dem deutschen Markt gemäß der hier maßgeblichen Lauer-Taxe. Denn erkennbar gingen im hier streitigen Zeitraum die auf gesetzlicher Grundlage beruhenden vertraglichen Regelungen und deren Festpreisregime als Ausgabenregulierungsinstrument von der Vorstellung aus, es würden von den herstellenden Apotheken für Zytostatikazubereitungen grundsätzlich für den deutschen Markt bestimmte FAM mit deutscher PZN und Listung in der Lauer-Taxe eingekauft und verwendet und auf dieser Grundlage die Zytostatikazubereitungen abgegeben und abgerechnet sowie abgenommen und vergütet.
Relevanz für die Praxis
Nach alledem ist die Apothekerin aus Sicht des BSG verpflichtet gewesen, die Krankenkasse über ihren abweichenden Beschaffungsweg und die deutlich geringeren Einkaufspreise der von ihr verwendeten FAM zu informieren. Bei Kenntnis der Krankenkasse davon hätte diese die Zytostatikazubereitungen der Apothekerin nicht abnehmen und nicht vergüten dürfen, weil die Abgabe und Abrechnung dieser Zubereitungen evident außerhalb der für beide Beteiligte geltenden Vertragsgrundlagen lagen.
Unklar bleibt dabei, ob dies im Umkehrschluss bedeutet, dass es einem Apotheker immer verboten ist, FAM zur Herstellung von Zytostatika zu verwenden, die nicht für den deutschen Markt bestimmt sind und deren Einkaufspreis deutlich unter dem einheitlichen Herstellerabgabe- und Apothekeneinkaufspreis auf dem deutschen Markt nach der Lauer-Taxe liegt. Oder ist es zulässig, diese Zytostatika aus preisgünstigeren Zutaten nach entsprechender Information der Krankenkasse und zu einem niedrigeren Preis abzugeben? Ein Apotheker geht daher den sichersten Weg, wenn er für die Herstellung von Zytostatika nur FAM verwendet, die für den deutschen Markt bestimmt sind.