· Fachbeitrag · Digitalisierung
Bayern: „Das neue Referendar-Wahlfach IT-Recht und Legal Tech stärkt die Wettbewerbsfähigkeit des Rechtsstandorts Deutschland“
| Legal Tech bestimmt zunehmend die Arbeitsweise nicht nur in Großkanzleien, sondern in der gesamten Rechtspflege. Juristinnen und Juristen, die ihr Referendariat in Bayern absolvieren, können seit Neuestem das Berufsfeld „Informationstechnologierecht und Legal Tech“ wählen. Der Bayerische Staatsminister der Justiz Georg Eisenreich gab im Gespräch mit RA Dr. Stefan Rinke und Raphael Szkola von der RA-MICRO-Redaktion Einblicke zum Hintergrund und zur Ausgestaltung des innovativen Ansatzes. |
Frage: Mit dem ab Juli dieses Jahres im Referendariat verfügbaren Wahlfach „IT-Recht und Legal Tech“ wird Bayern erneut zum Pionier in der Förderung der Digitalisierung im juristischen Bereich. Wie es zu dem Vorhaben gekommen?
Antwort: Die Idee, ein neues JAPO-Berufsfeld zu digitalen Themen einzuführen, stammt aus einem Gespräch von Mitgliedern der „Munich Legal Tech Students Association e. V.“ (MLTech) mit mir (Anm. der Redaktion: JAPO = bayerische Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen). Denn die zunehmend alle Lebensbereiche erfassende Digitalisierung beeinflusst auch das Recht und die Arbeitswelt der Juristen. Legal Tech schafft neue Möglichkeiten sowohl zur Automatisierung von Abläufen als auch zur Sachbearbeitung und Rechtsberatung. Dem muss die Juristenausbildung Rechnung tragen, um angehende Juristinnen und Juristen bestmöglich auf die Erfordernisse der späteren beruflichen Praxis vorzubereiten und Ihnen wertvolle Zusatzkompetenzen in den Bereichen Informationstechnologierecht und Legal Tech zu vermitteln. Damit leisten wir auch einen Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit des Rechtsstandorts Deutschland.
Frage: Wie lange hat es gedauert, bis das Vorhaben umgesetzt werden konnte und was war der schwierigste Teil?
Antwort: Die Entscheidung für ein neues Berufsfeld habe ich im Oktober 2021 getroffen. Die wichtigste Weichenstellung war zunächst die Auswahl des Ausbildungs- und Prüfungsstoffs, da das Prüfungsrecht im Hinblick auf Umfang und Niveau eine Vergleichbarkeit mit den sieben bereits bestehenden Berufsfeldern erfordert. Für den Stoffkatalog war es uns wichtig, zum einen solche Rechtsgebiete aufzunehmen, die in der juristischen Berufspraxis besonders relevant sind, und zum anderen eine stimmige Auswahl zu treffen, die das Berufsfeld für die Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare attraktiv macht. Dazu haben wir Gespräche mit Experten aus dem Ausbildungsbereich, Dekanen der Universitäten und Vertretern der Anwaltschaft sowie der Studierenden geführt.
Parallel zur Änderung der JAPO im November 2022 wurde durch eine von uns eingesetzte Arbeitsgruppe ein Stoffplan für den Unterricht im neuen Berufsfeld entwickelt. Jetzt können Referendarinnen und Referendare, die im Juli 2023 ihr Pflichtwahlpraktikum beginnen und ab Ende Oktober 2023 ihre mündlichen Prüfungen ablegen werden, das neue Berufsfeld wählen.
Frage: In welchem Verhältnis stehen die Anteile in der Ausbildung zwischen IT-Recht und Legal Tech?
Antwort: Der Stoffplan für das neue Berufsfeld ist ‒ wie in den übrigen Berufsfeldern ‒ auf einen Unterrichtsumfang von ca. 60 Unterrichtsstunden à 45 Minuten ausgelegt. Hiervon fallen ca. 45 Unterrichtsstunden auf das Informationstechnologierecht und ca. 15 Unterrichtsstunden auf das Recht der Legal-Tech-Anwendungen. Weitergehende auch „technische“ Details zu Legal-Tech-Anwendungen sind zudem Gegenstand der seit dem letzten Jahr angebotenen freiwilligen Online-Veranstaltungen für Referendarinnen und Referendare, die zweimal jährlich stattfinden.
Frage: Können Sie uns den Ablauf bzw. den Aufbau der Ausbildung genauer schildern? Worauf müssen sich die Referendare einstellen?
Antwort: Ebenso wie während der übrigen Ausbildungsstationen im juristischen Vorbereitungsdienst finden im Pflichtwahlpraktikum eine praktische Stationsausbildung bei einer geeigneten Ausbildungsstelle sowie stationsbegleitender Unterricht statt.
Als Ausbildungsstelle können die Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare grundsätzlich jede Stelle wählen, bei der eine thematisch zum Ausbildungsstoff des Berufsfelds passende sachgerechte Ausbildung durch einen Juristen gewährleistet ist. Dies kann z. B. ein Fachanwalt für Informationstechnologierecht, ein Legal-Tech-Dienstleister, die Rechtsabteilung eines Unternehmens mit entsprechenden rechtlichen Aufgabenbereichen oder eine Kammer eines Landgerichts bzw. ein Senat eines Oberlandesgerichts sein, zu dessen Geschäftsaufgaben Rechtsstreitigkeiten mit Bezug zum Informationstechnologierecht gehören.
Der stationsbegleitende Unterricht wird als Blockkurs im Online-Format stattfinden. Er umfasst im Bereich Informationstechnologierecht die Themen Software- und IT-Vertragsrecht, Domainrecht, Immaterialgüterrecht und ergänzender wettbewerblicher Leistungsschutz sowie Regulierung digitaler Plattformen. Im Bereich Legal Tech werden die Grundlagen des Einsatzes von Legal Tech, das Rechtsdienstleistungsgesetz mit Bezug zu Legal-Tech-Anwendungen, das anwaltliche Berufsrecht und das Vergütungsrecht mit Bezug zu Legal-Tech-Anwendungen sowie haftungsrechtliche und wettbewerbsrechtliche Fragen behandelt.
Frage: Sind eigentlich auch Stationszuweisungen im Ausland möglich?
Antwort: Die Ausbildung im Pflichtwahlpraktikum kann nach § 49 Abs. 2 S. 2 JAPO auch bei einer Ausbildungsstelle im Ausland abgeleistet werden. In Betracht kommen hier beispielsweise ausländische Rechtsanwälte im Bereich des IT-Rechts oder im Bereich Legal Tech.
Frage: Im Anwaltsbereich gibt es zahlreiche Legal-Tech-Anwendungen und auch die Justiz entwickelt erste Einsatzfelder. Wie begleitet das Bayerische Justizministerium diese Entwicklung?
Antwort: Das Bayerische Staatsministerium der Justiz betreut eine Reihe von Pilotprojekten zum Einsatz von Legal Tech in der bayerischen Justiz. Essenziell ist dabei eine enge und frühzeitige Einbindung der Praxis, konkret der jeweiligen Pilotgerichte. Wir haben mehrere Legal-Tech-Projekte zur Unterstützung der Arbeit der Richterinnen und Richter z. B. im Umgang mit Massenverfahren.
Unter dem Stichwort „Legal Analytics“ unterstützen wir in Kooperation mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ein Projekt zur automatischen Anonymisierung von erstinstanzlichen Gerichtsentscheidungen. Die breite Verfügbarkeit anonymisierter Urteile auch aus den unteren Instanzen ist zentrale Voraussetzung für das Training von KI-basierten Modellen. Dies bildet wiederum die Grundlage für viele neue Legal-Tech-Anwendungen.
Legal Tech lässt sich darüber hinaus in der Strafverfolgung gewinnbringend einsetzen. Im Rahmen des Projekts „Dark Web Monitor“ beteiligt sich die Zentralstelle Cybercrime Bayern bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg an der Fortentwicklung einer Suchmaschine für das Darknet. Durch das Tool „GraphSense“ sollen Bayerns Ermittlerinnen und Ermittler vor allem Kryptowährungsströme besser nachverfolgen können. Ziel ist, noch effektiver gegen den Handel mit gestohlenen Daten, Waffen oder Kinderpornografie auf dem digitalen Schwarzmarkt vorgehen zu können.
Neben der Juristenausbildung und der justiziellen Praxis gibt es weitere Bereiche, in denen das Bayerische Staatsministerium der Justiz die Entwicklungen bei Legal Tech aktiv mitgestaltet. Dies betrifft etwa die Rechtspolitik und die Start-up-Förderung. Junge, innovative Geschäftsideen im Bereich Legal Tech unterstützen wir durch das im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit der UnternehmerTUM gegründete Legal Tech Colab. Mit diesem Inkubator mit Sitz in München unterstützen wir Legal-Tech-Start-ups in allen Stadien ‒ von der Entwicklung eines Prototypen, Matching mit passenden Co-Gründerinnen und -Gründern, dem Markteintritt bis hin zur Skalierung der Start-ups.
Frage: Muss man als Referendar in Zukunft eigentlich programmieren können?
Antwort: Es ist schwer vorhersehbar, welche konkreten Auswirkungen Legal-Tech-Angebote auf die künftige Arbeitswelt von Juristen, insbesondere in der Anwaltschaft, haben werden. Allerdings liegt es nahe, dass jedenfalls der Großteil der Juristinnen und Juristen keine Legal-Tech-Anwendungen selbst programmieren wird. Vielmehr dürften sich solche Anwendungen ‒ wie auch die Entwicklung im Bereich juristischer Recherchetools und Datenbanken zeigt ‒ auf dem Markt durchsetzen, die von einem durchschnittlichen Anwender ohne Programmierkenntnisse einfach und intuitiv zu bedienen sind. Aus diesem Grund besteht aus meiner Sicht keine Veranlassung, Programmierkenntnisse zum Gegenstand der juristischen Pflichtausbildung zu machen. Sinnvoll erscheint es allerdings, für besonders Interessierte Zusatzangebote zu schaffen, die auch Grundlagen von Programmierung und Softwareentwicklung sowie unternehmerische Prozesse umfassen. Entsprechende Aufbaustudiengänge werden bereits an mehreren bayerischen Universitäten angeboten.
Vielen Dank, Herr Eisenreich!