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    Voraussetzungen für die Bestimmung der Vertragsstrafenhöhe durch einen Dritten

    Bild: © Yingko - stock.adobe.com

    von RA, FA IT-Recht Dr. Harald Schneider, Siegburg (www.anwalt-siegburg.de)

    | Eine IHK ist bei einer einseitigen Erklärung des Unterlassungsschuldners nicht geeignet, das Bestimmungsrecht für eine Vertragsstrafenhöhe auszuüben (OLG München 7.3.19, 29 U 1413/18). |

    Sachverhalt

    Eine Online-Händlerin hatte auf einer Verkaufsplattform Waren präsentiert, ohne dabei sämtliche Pflichtinformationen im Fernabsatz und im elektronischen Geschäftsverkehr zu erteilen. Ein Unternehmerverband forderte sie diesbezüglich zur Unterlassung auf. Die Händlerin gab daraufhin eine Unterlassungserklärung ab mit der Maßgabe, dass die Bestimmung der Höhe der Vertragsstrafe von der „Industrie- und Handelskammer Schwaben, Einigungsstelle für Wettbewerbsstreitigkeiten“ zu erfolgen hat. Ansonsten gab es keine Information dazu, ob die IHK Schwaben für eine derartige Bestimmung zuständig bzw. bereit war. Der Verband fand nur Informationen über das Einigungsstellenverfahren gemäß § 15 UWG und zum Ablauf einer öffentlichen Verhandlung. Er erkundigte sich daraufhin bei der IHK Schwaben, wie lange denn ein Einigungsstellenverfahren dauern würde und erhielt die Antwort, dass bei einem bis zum 23.3.18 eingereichten Antrag der nächste Verhandlungstermin für den 3.5.18 möglich sei. U. a. deshalb lehnte der Verband die Annahme der Unterlassungserklärung ab und reichte Unterlassungsklage beim LG Augsburg ein.

     

    Das LG Augsburg sah die Unterlassungserklärung als annahmefähig an und wies die Klage ab, weil die Wiederholungsgefahr entfallen sei. Dagegen reichte der Verband Berufung beim OLG München ein. Dieses sah die Sache anders. Nach entsprechendem Hinweis gab die Händlerin ein Anerkenntnis ab. Es erging ein Anerkenntnisurteil, durch das die Entscheidung des LG Augsburg aufgehoben und der Klage entsprechend dem Antrag des Verbands stattgegeben wurde.

    Argumentation des LG Augsburg (I. Instanz)

    Das LG Augsburg (10.4.18, 2 HK O 2840/17) begründete die Annahmefähigkeit der Unterlassungserklärung mit Bestimmungsrecht der IHK damit, nur ein Gericht sei gehindert, die Bestimmung vorzunehmen. Eine Einigungsstelle könne dies. Der Kläger (Verband) habe die Rechtsgrundlage für eine Einigungsstelle nicht ausreichend gewürdigt. Diese sei für Ansprüche zuständig, die aufgrund des UWG geltend gemacht werden können, und dazu zähle auch ein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe. Der Vorsitzende der Einigungsstelle bei der IHK Schwaben sei ein Vorsitzender Richter einer Zivilkammer des LG Augsburg, die Mitglieder der Einigungsstelle seien unabhängig und nicht den Weisungen der IHK unterworfen. Die Dauer bis zur Festsetzung sei dem Kläger zuzumuten. Dabei müsse berücksichtigt werden: Auch ein Schuldner hat die Möglichkeit, ein Verfahren wegen einer Vertragsstrafenzahlung in die Länge zu ziehen. Unsachliche Entscheidungen seien nicht zu erwarten. Gegen eine unangemessen niedrige Bestimmung der IHK habe der Kläger die Möglichkeit, das Gericht anzurufen. Die IHK Schwaben sei rechtlich zuständig. Denn die Einigungsstelle sei tatsächlich bereit, die Festsetzung vorzunehmen. Der Kammer sei gerichtsbekannt, dass dies tatsächlich geschehe.

    Ausführungen des OLG München (II. Instanz)

    Das OLG München (7.3.19, 29 U 1413/18) sah das in der Berufungsinstanz in allen Punkten anders. Die maßgeblichen Hinweise des Gerichts in der mündlichen Verhandlung waren Folgende:

     

    Eine Unterlassungserklärung muss uneingeschränkt, bedingungslos, unwiderruflich und ernsthaft sein. Die Ernsthaftigkeit fehlt im vorliegenden Fall, da dem Gläubiger unzumutbare Schwierigkeiten bereitet werden.

     

    Der Schutz des Schuldners erfolgt schon durch eine Unterlassungserklärung nach dem sogenannten Neuen Hamburger Brauch und durch die Begrenzung der Höhe der Vertragsstrafe bzw. deren gerichtliche Überprüfung. Weitere Schutzmechanismen sind nicht erforderlich.

     

    Die IHK ist nicht zuständig, auch wenn sie sich faktisch anders verhalten mag. Nach § 15 Abs. 1 UWG werden nur Ansprüche aus dem UWG erfasst. Aber selbst wenn man eine Zuständigkeit der Einigungsstelle für Vertragsstrafenforderungen (vertragliche Ansprüche) annehmen sollte, fällt ein Bestimmungsrecht nicht in die Zuständigkeit der Einigungsstelle, was man dem Urteil des BGH zum Hamburger Brauch entnehmen kann (s. u.). Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür, dass eine staatliche Stelle das Bestimmungsrecht ausübt.

     

    Nur weil der Richter am LG laut Urteilsbegründung weiß, dass die IHK ‒ zumindest derzeit ‒ Vertragsstrafen der Höhe nach bestimmt, heißt das nicht, dass die IHK das (außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs) dauerhaft so praktiziert. Es gibt auch in der Verfahrensordnung der Einigungsstelle keine Zuständigkeitsbestimmung dafür.

     

    Auf eine einseitige Bestimmung durch die IHK muss sich kein Gläubiger einlassen. Das kann allenfalls vertraglich geschehen.

    Rahmenbedingungen für das Bestimmungsrecht Dritter

    Die Bestimmung der Vertragsstrafe ist nach § 317 Abs. 1 BGB grundsätzlich auch durch eine dritte Person möglich. Dazu bedarf es einer Einigung der Parteien. Im Wettbewerbsrecht gilt, dass bereits die Abgabe einer geeigneten Unterlassungserklärung (z. B. als modifiziertes Angebot des Schuldners) die Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr beseitigt, sodass gerichtliche Schritte dann nicht mehr notwendig sind (BGH 12.1.17, I ZR 117/15 ‒ YouTube-Werbekanal). Für die Bewertung der ‒ grundsätzlich möglichen ‒ Übertragung des Bestimmungsrechts ist also die Eignung (Annahmefähigkeit) der Unterlassungserklärung zu bewerten. Die Regelung mit Bestimmungsrecht eines Dritten muss klar formuliert und für den Gläubiger als Druckmittel auch annehmbar sein.

     

    Einem Gericht kann das Bestimmungsrecht allerdings nicht übertragen werden (BGH 14.10.77, I ZR 119/76 ‒ Hamburger Brauch; Ahrens/Achilles, 8. Aufl., Kap. 8 Rn. 37). Eine Unterlassungserklärung nach dem „Hamburger Brauch“ ist bezüglich der Vertragsstrafenregelung unwirksam. Eine solche Erklärung kann aber wirksam sein, da es sich bei Unterwerfungserklärung und Vertragsstrafeversprechen um zwei äußerlich trennbare Vereinbarungen i. S. d. § 139 BGB handelt. Die Unterwerfungserklärung kann damit in einem Rechtsstreit als Entscheidungsgrundlage dienen (siehe OLG Hamm 22.8.13, 4 U 52/13).

     

    • Weitere Ablehnungen des Bestimmungsrechts einer IHK

    Das Bestimmungsrecht einer IHK wurde bereits zuvor in zwei Entscheidungen abgelehnt, allerdings nicht ganz so kategorisch, wie vom OLG München. Das LG Essen (2.2.17, 43 O 86/16) sah die Unterwerfungserklärung mit dem Bestimmungsrecht einer (nicht weiter konkretisierten) IHK schon wegen fehlender Bestimmtheit als nicht annahmefähig an, da nicht erkennbar war, welche IHK (von vielen) denn im konkreten Fall bestimmen soll. Zum anderen war die modifizierte Erklärung für den Gläubiger auch nicht zumutbar, da die am Sitz des Verletzers tätige IHK nicht als neutral anzusehen ist, weil der Schuldner dort Zwangsmitglied ist. In einem anderen Fall sah das LG Dortmund (28.4.16, 13 O 35/16) die ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung, der Hauptgeschäftsführer einer ‒ in dem Falle konkret benannten ‒ IHK solle die Höhe der Vertragsstrafe bestimmen, nicht als zumutbare Unterwerfungserklärung, da unklar blieb, ob die IHK sich dazu überhaupt bereit erklärt hatte.

     

    Nach der Entscheidung des BGH (14.10.77, I ZR 119/76 ‒ Hamburger Brauch) kann ein Gericht in seinem gesetzlichen Wirkungsbereich das Bestimmungsrecht nicht ausüben. Insofern ist die Sichtweise des OLG München konsequent, dass eine öffentlich-rechtliche Körperschaft außerhalb ihres gesetzlichen Wirkungskreises (Einigungsstellenverfahren gemäß § 15 UWG) keine Bestimmungen vornehmen darf, wobei im konkreten Fall die Satzung der IHK dies explizit auch gar nicht abdeckte. Insofern kann der Gedanke der fehlenden Parteidisposition (OLG Hamm 22.8.13, 4 U 52/13 ‒ zum Bestimmungsrecht des Gerichts) auch für die IHK angeführt werden.

     

    Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Unterwerfung ergeben sich insbesondere immer dann, wenn dem Gläubiger unzumutbare Risiken bei der Beitreibung der Vertragsstrafe aufgelastet werden, ihm die Arbeit erschwert wird, die Unterwerfung zu überwachen und der Schuldner mit nicht schützenswerten Zielen erreichen möchte, einen möglichst „schwachen Kontrolleur“ zu erhalten (siehe dazu LG Köln 22.8.12, 84 O 104/12). So lag es im vorliegenden Fall. Es gab, wie das OLG München ausgeführt hat, keinen sachlichen Grund dafür, der IHK, deren Zwangsmitglied die Beklagte ist, das Bestimmungsrecht zu übertragen. Eine Steigerung des Schutzes vor überhöhten Vertragsstrafen war mit dieser Gestaltung nicht zu erreichen, da hierüber letztendlich das ordentliche Gericht entscheidet. Die Zeitdauer einer Festsetzung durch die IHK war ferner unzumutbar. Das Argument, ein Schuldner könne ein Verfahren ebenfalls in die Länge ziehen, ist verfehlt. Zum einen käme durch wochenlanges Warten auf einen Verhandlungstermin bei der IHK dann noch ein erheblicher Zeitraum hinzu und zum anderen ist ein Gläubiger, solange keine Bestimmung erfolgt ist, daran gehindert, überhaupt erst einmal Klage einzureichen. Schon die Begründung des LG Augsburg lässt erkennen, dass die gebotene Neutralität fehlt. Die Kammer musste die ‒ ersichtlich außerhalb der Zuständigkeit der Einigungsstelle liegende ‒ Tätigkeit eines anderen Kammervorsitzenden beurteilen und kam zu juristisch nicht haltbaren Ergebnissen.

     

    Letztendlich lässt sich bei einer vom Schuldner angebotenen, aber vom Gläubiger nicht erwünschten Übertragung des Bestimmungsrechts auf einen Dritten regelmäßig der Gedanke anführen, dass dem Gläubiger ohne sachliche Notwendigkeit die Kontrolle und Durchsetzbarkeit von Vertragsstrafenforderungen erschwert wird. Die Bestimmung durch Dritte wird sich, worauf auch das OLG München hingewiesen hat, jedenfalls im Wesentlichen auf die Fälle beschränken müssen, in denen der Gläubiger einem solchen Vorschlag des Schuldners zustimmt.

     

    Inzwischen hat auch das LG Karlsruhe (15.3.19, 13 O 20/19) die Geeignetheit der IHK als Dritte bei der Bestimmung einer etwaigen Vertragsstrafe verneint.

     

    FAZIT | Mit der Entscheidung des OLG München ist nun ‒ anders als bei den vorherigen Entscheidungen ‒ umfassend geklärt, dass eine einseitige Festlegung des Bestimmungsrechts einer IHK für die Vertragsstrafenhöhe nicht möglich ist. Als staatliche Institutionen müssen sich diese an ihre Zuständigkeitsbereiche halten. Generell lässt sich für die Übertragung des Bestimmungsrechts für die Vertragsstrafenhöhe auf eine dritte Person die Erkenntnis daraus ziehen, dass ein Unterlassungsschuldner versuchen kann, seinem Gläubiger einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Wird dieser abgelehnt, muss dem Gläubiger das Bestimmungsrecht eingeräumt werden. Fälle, in denen eine Unterlassungserklärung mit einseitig festgelegtem Bestimmungsrecht anderer Dritter (außerhalb staatlicher Institutionen) ausnahmsweise annahmefähig ist, dürften schwer begründbar sein.

     
    Quelle: ID 45816251