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    Zur Kennzeichnung von Textilerzeugnissen, die nur aus einer Textilfaserart bestehen

    Bild: © Kaspars Grinvalds - stock.adobe.com

    von RA Guido Vierkötter, LL.M., Neunkirchen-Seelscheid

    | Es besteht keine rechtliche Verpflichtung, Textilerzeugnisse, die nur aus einer Textilfaserart bestehen, mit dem Zusatz „100 Prozent“, „rein“ oder „ganz“ zu kennzeichnen (EuGH 5.7.18, C-339/17). |

    Sachverhalt

    Ein Online-Händler hatte Textilerzeugnisse, die nur aus der Textilfaser einer Kategorie bestanden, über das Internet zum Verkauf angeboten. Zur Materialzusammensetzung gab er „Baumwolle“ an. Er wurde durch einen Verband abgemahnt. Dieser war der Ansicht, der Händler habe die Kennzeichnungspflichten der EU-Textilkennzeichnungsverordnung (TextilKennzVO, Verordnung [EU] Nr. 1007/2011) nicht beachtet. Zusammen mit der Bezeichnung „Baumwolle” hätte der Zusatz „100 Prozent“, „rein“ oder „ganz“ angegeben werden müssen. Da der Händler die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgab, klagte der Verband vor dem LG Köln auf Unterlassung. Gegen das hiernach erlassene Versäumnisurteil legte der Händler Einspruch ein. Da die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung u. a. des Art. 7 TextilKennzVO abhängig war und die Auslegung europäischer Normen dem EuGH vorbehalten ist, legte das LG Köln dem EuGH Fragen zur Auslegung der relevanten TextilKennzVO-Normen im Vorabentscheidungsverfahren vor. Der EuGH entschied u. a., dass keine Pflicht besteht, einen Zusatz „100 Prozent“, „rein“ oder „ganz“ bei der Kennzeichnung eines ausschließlich aus einer Textilfaser zusammengesetzten Textilerzeugnisses anzugeben. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht muss das LG nun final über den Fall entscheiden.

    Entscheidungsgründe

    Der EuGH hat zunächst festgestellt: Aus Art. 4, Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 1 TextilKennzVO sowie dem 10. ErwGr zur TextilKennzVO ergibt sich, dass eine allgemeine Verpflichtung bestehe, sämtliche Textilerzeugnisse mit der Angabe ihrer Faserzusammensetzung zu etikettieren oder zu kennzeichnen. Diese Verpflichtung bestehe auch für Textilerzeugnisse i. S. d. Art. 7 TextilKennzVO, nämlich solche, die lediglich aus einem Fasertyp zusammengesetzt sind. Nach Art. 4 TextilKennzVO dürfen Textilerzeugnisse nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn sie etikettiert oder gekennzeichnet sind oder ihnen Handelsdokumente im Einklang mit dieser Verordnung beiliegen. Diese Etikettierung oder Kennzeichnung ist nach dem 10. ErwGr zur TextilKennzVO e„zwingend“.

     

    Ferner stellte der EuGH fest, dass bei der Etikettierung oder Kennzeichnung von Textilerzeugnissen, die nur aus einer Textilfaser bestehen, die Verwendung des Zusatzes „100 Prozent“, „rein“ oder „ganz“ nicht verpflichtend ist. Er begründete dies insbesondere mit dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 der EU-TextilKennzVO („dürfen“). Zudem führte der EuGH aus, dass bei einem lediglich aus einem Textilfasertyp aufgebauten Textilerzeugnis keine Verpflichtung besteht, die Gewichtsanteile aller in dem Textilerzeugnis enthaltenen Fasern anzugeben. Art. 9 Abs. 1 TextilKennzVO, der Multifaser-Textilerzeugnisse betrifft, ist hiernach nicht auf reine Textilerzeugnisse anwendbar.

    Relevanz für die Praxis

    • Seit Mai 2012 sind die Vorgaben der TextilKennzVO zu berücksichtigen. Nach Art. 2 Abs. 1 TextilKennzVO gilt diese für Textilerzeugnisse, wenn sie auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden. Nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 der TextilKennzVO werden z. B. Erzeugnisse mit einem Gewichtsanteil an Textilfasern von mindestens 80 Prozent „wie Textilerzeugnisse behandelt“. Die Regelungen der TextilKennzVO sind jedoch nicht auf maßgeschneiderte Textilerzeugnisse anwendbar, die von selbstständigen Schneidern hergestellt werden (Art. 2 Abs. 4 TextilKennzVO).

     

    • Art. 4 TextilKennzVO schreibt vor, dass Textilerzeugnisse nur dann auf dem europäischen Markt bereitgestellt werden dürfen, wenn sie etikettiert oder gekennzeichnet oder ihnen Handelsdokumente beigelegt sind. Bei der Darstellung im Internet dürften insoweit nur die Maßgaben zur Etikettierung und Kennzeichnung von Relevanz sein.

     

    • Nach Art. 15 Abs. 3 TextilKennzVO muss ein Händler, der ein Textilerzeugnis auf dem europäischen Markt bereitstellen will, sicherstellen, dass das Textilerzeugnis entsprechend den Vorgaben der TextilKennzVO etikettiert oder gekennzeichnet ist. Er muss daher prüfen, dass die erforderlichen Informationen zur Textilfaserzusammensetzung leicht lesbar, sichtbar, deutlich erkennbar und ‒ bei einem Etikett ‒ fest angebracht sind. Das Schriftbild dieser Angaben muss in Bezug auf Schriftgröße, Stil und Schrift einheitlich sein. Ferner müssen diese Angaben dem Käufer vor Abgabe von dessen Vertragserklärung zur Verfügung stehen (Art. 16 Abs. 1 TextilKennzVO). Diese Verpflichtungen gelten auch für den Online-Verkauf, was Art. 16 Abs. 1 letzter Halbsatz TextilKennzVO ausdrücklich regelt.

     

    • Im Rahmen der Etikettierung oder Kennzeichnung von Textilerzeugnissen ist die Faserzusammensetzung des Textilerzeugnisses anzugeben. Hierbei sind nach Art. 5 Abs. 1 TextilKennzVO nur die Textilfaserbezeichnungen zu verwenden, die in Anhang I zur TextilKennzVO aufgeführt sind. Die Verwendung anderer als der dort aufgelisteten Faserbezeichnungen ist nach der Rechtsprechung wettbewerbswidrig i. S. d. § 3a UWG. Nach Ansicht des OLG München (20.10.16, 6 U 2046/16) ist hingegen die englische Sprachfassung des in Anhang I verwendeten Wortes „Baumwolle“ ‒ nämlich „Cotton“ ‒ zulässig. Ob dies die generelle Ansicht der Rechtsprechung ist und ob diese Sichtweise nur die englische Sprachfassung oder auch andere Sprachfassungen betreffen soll, ist nicht bekannt.

     

    • Nach der „allgemeinen“ Kennzeichnungspflicht des Art. 5 TextilKennzVO sehen die Art. 7 ff. TextilKennzVO für einzelne Fallgruppen Spezialregelungen vor. Dass deren Anwendung in der Praxis nicht nur Händlern Schwierigkeiten bereitet, sondern auch Juristen vor komplexe Rechtsfragen stellen kann, zeigt der vorliegende Sachverhalt. Nach Art. 7 Abs. 1 S. 1 TextilKennzVO „dürfen” Textilerzeugnisse, die ausschließlich aus einer Faser bestehen, den Zusatz „100 Prozent“, „rein“ oder „ganz“ auf dem Etikett oder der Kennzeichnung tragen. S. 2 stellt klar, dass diese oder ähnliche Formulierungen für andere Textilerzeugnisse (die nicht ausschließlich aus einer Faser bestehen) nicht verwendet werden dürfen. In dem vom EuGH zu beurteilenden Sachverhalt hatte der betroffene Händler ein Textilerzeugnis, das nur aus Baumwollfasern bestand, angeboten. In der Kennzeichnung hatte er nicht den Zusatz „100 Prozent“, „ganz“ oder „rein“ verwendet.

     

    MERKE | Im juristischen Sprachgebrauch ist zwischen den Formulierungen „müssen“ und „dürfen“ zu unterscheiden. Wenn eine Angabe erfolgen „muss“, ist die Vorhaltung der Angabe zwingend. Ein Ermessensspielraum desjenigen, der die Angabe machen „muss”, besteht nicht. Sofern sie hingegen angegeben werden „darf“, besteht keine rechtliche Verpflichtung. Die Angabe kann, muss aber nicht erfolgen. Hier besteht also ein Ermessensspielraum. Sofern die Angabe nur erfolgen darf, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, hat sie bei Nichterfüllung dieser Information nicht zu erfolgen (was einem „Müssen” gleichkommt); beispielhaft sind insoweit die in Art. 4 und Art. 5 Abs. 1 TextilKennzVO verwendeten Formulierungen zu „dürfeni” anzuführen.

     

    Wendet man diesen juristischen Sprachgebrauch auf Art. 7 Abs. 1 TextilKennzVO an, ergibt sich Folgendes: Im Hinblick auf den Wortlaut dieser Norm („dürfen”) ist die vom EuGH vertretene Auffassung konsequent. Nach dieser Regelung „dürfen“ die Zusätze auf dem Etikett oder der Kennzeichnung verwendet werden, sie müssen es aber nicht. Im Umkehrschluss ergibt sich aber aus Art. 7 Abs. 1 S. 1 TextilKennzVO, dass die Verwendung dieser Zusätze den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen muss. Wenn also ein Produkt nicht zu „100 Prozent” aus z. B. Baumwolle hergestellt ist, ist die Verwendung des Zusatzes „100 Prozent“ irreführend.

     

    Nach Art. 9 Abs. 1 TextilKennzVO ist bei Multifaser-Textilerzeugnissen, also aus mehreren Textilfasern aufgebauten Textilerzeugnissen, auf dem Etikett oder der Kennzeichnung der Gewichtsanteil aller im Erzeugnis enthaltenen Textilfasern in absteigender Reihenfolge anzugeben. Ist beispielsweise ein Textilerzeugnis aus „80 Prozent Baumwolle und 20 Prozent Polyester” aufgebaut, muss es lauten: „Material: 80 Prozent Baumwolle, 20 Prozent Polyester”. Unzutreffend wäre die Angabe „Material: 20 Prozent Polyester, 80 Prozent Baumwolle”. Diese Regelung, die Multifaser-Textilerzeugnisse betrifft, ist nach zutreffender Ansicht des EuGH nicht auf Textilerzeugnisse anwendbar, die nur aus einer Textilfaser aufgebaut sind.

     

    Beachten Sie | Da Art. 7 TextilKennzVO (Einfaser-Textilerzeugnis) und Art. 9 TextilKennzVO (Multifaser-Textilerzeugnis) alternative Sachverhalte erfassen, ist dies rechtlich konsequent.

     

    PRAXISTIPP | Wer Textilerzeugnisse vertreibt, sollte sich zwingend mit den Vorgaben der TextilKennzVO beschäftigen. Die Systematik und der Aufbau dieser Verordnung sind gut nachvollziehbar und mit überschaubarem Aufwand praktisch umsetzbar. Auf der Basis von definierten und eingerichteten Workflows für z. B. grundsätzliche Kennzeichnungsvorgaben, Ausnahmen für die Textilkennzeichnung, Kennzeichnungsvorgaben für Einfaser- und Multifaser-Textilerzeugnisse dürfte die Umsetzung der Vorgaben der TextilKennzVO leicht handhabbar sein. Die Problematik in der Praxis besteht vielmehr darin, dass sich viele Händler nicht mit den Vorgaben der TextilKennzVO auseinandersetzen, sie ggf. sogar überhaupt nicht kennen.

     
    Quelle: ID 45560650