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  • · Fachbeitrag · Nachlass

    Der freie Wille und das Internet: wenn Erben mehrfach gewechselt werden

    von Rechtsanwaltsfachangestellter Christian Noe, B. A., Leipzig

    | Digitalisierung und Testierfähigkeit ‒ wie hängen diese beiden Dinge zusammen? Ein aktuelles Phänomen erklärt es: Viele ältere Menschen stoßen im Internet auf Organisationen oder Projekte, denen sie im Todesfall Vermögen hinterlassen wollen. Die Folge: Testamente werden häufiger und ggf. sogar in kurzen Abständen geändert. Anwälte sollten zur Vorsicht raten. |

    Der „klassische“ Erbe als Auslaufmodell?

    Die deutsche Bevölkerung wird immer älter ‒ ein demografischer Fakt, der stets mediale Aufmerksamkeit garantiert. Meist wird über Pflege und Altersarmut diskutiert. Damit geht aber auch einher, dass mehr Vermögen und Grundbesitz vererbt werden. Eine übliche Konstellation, die sich auch Laien häufig vorstellen, ist: Schon Jahre zuvor kümmern sich Menschen um ihr Testament und setzen die Kinder, Angehörige oder Freunde als Erben ein. In Sachen Erbenwahl hat sich jedoch einiges geändert.

     

    Wer kommt infrage, wenn ältere Menschen kinderlos bleiben und auch keine Freunde als Erben eingesetzt werden? Für das ein oder andere Bundesland durchaus eine erfreuliche Entwicklung. Niedersachsen durfte sich 2017 über einen Rekord freuen und übernahm 1964-mal den Nachlass von Bürgern (2016: 1740 Erbschaften). Ein Vergleich macht es noch anschaulicher: Im Jahr 2005 waren es nur 343 Erbschaften.

     

    Bild: © IWW Institut

    Nun greifen auch ältere Menschen routiniert zu Tastatur und Maus. Die sogenannten Silver Surfer stoßen im weltweiten Datenfluss auf interessante Projekte, Hilfsorganisationen oder Seniorenverbände. Ob Kinderhilfe, Umweltschutz oder Hospizbewegung: Viele Einrichtungen lassen Erblasser überlegen, ob ihr Nachlass hier nicht am besten seinen Sinn erfüllt und das Gemeinwohl fördert. Das kann auch dazu führen, dass ein Testament häufiger geändert wird als es vor 10 oder 20 Jahren der Fall war. Interessen und der Blick auf soziale Veränderungen wandeln sich. Und wer sich aufgeschlossen mit Hilfsprojekten beschäftigt, stößt auch immer wieder auf neue Organisationen, die er vielleicht unterstützen mag.

    Wenn eine Erkrankung die Entscheidung beeinflusst

    Die Süddeutsche Zeitung berichtete kürzlich von einer über 80-Jährigen, die in ihrem Testament einen Nachbarn benannte und wenige Monate darauf einen Notar aufsuchte, um eine Kinderstiftung als Erben einzusetzen. Das erste Testament war da schon fast vergessen. Der Artikel setzt sich auch mit einem damit möglicherweise verknüpften Problem auseinander: Gerichte müssen die Testierfähigkeit beurteilen und eine beginnende Demenzerkrankung steht im Raum.

     

    PRAXISTIPP | Anwälte sind weder Neurologen noch Gutachter. Aber sie können ihre Mandanten auf eine sichere Seite lotsen, wenn sie empfehlen, sich zunächst umfassend zu informieren und eine möglichst dauerhafte Entscheidung zu treffen. Handelt es sich dabei um eine Hilfsorganisation, sollte sich der Mandant deren Historie und Förderprojekte, die Geschäftsführung und ggf. Jahresberichte anschauen sowie den persönlichen Kontakt suchen (Unterstützung bei der Auswahl findet sich hier). Will der Mandant später sein Testament ändern und leidet er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich unter kognitiven Einschränkungen bzw. liegt eine Verdachtsdiagnose vor, ist eine notarielle Beurkundung zu empfehlen.

     

    Zwar kann auch ein notarielles Testament im Streitfall bei berechtigten Zweifeln gerichtlich aufgehoben werden. Allerdings macht sich der Notar bei der Beurkundung ein persönliches Bild vom Erblasser und kann ‒ soweit vorhanden ‒ auch auf aktuelle ärztliche Befundberichte vom Hausarzt und Neurologen zurückgreifen, die ihm zur Verfügung gestellt werden. Eine Testierfähigkeit muss so nachvollziehbar sein, um das Testament vor Angriffen zu schützen. Das gilt vor allem dann, wenn es in späteren Lebensjahren oder in kurzen Intervallen geändert wird und ggf. Zweifel genährt werden, warum das der Fall ist.

     

    FAZIT | Dass Erben im Laufe ihres Lebens ein Testament ändern, ist grundsätzlich nicht neu. Allerdings spült die Digitalisierung neue Interessen, Forschungsansätze und Formen der Unterstützung in das Sozialleben. Manche stecken noch in ihrer Anfangsphase, andere wiederum werden in den kommenden Jahren für Veränderungen sorgen. Künftig ist daher damit zu rechnen, dass Vererbende individuell auf diese Entwicklungen reagieren und mehrfach in ihrem Leben ihre Wünsche, was mit ihrem Erbe geschehen soll, neu ausrichten.

     

    Weiterführende Hinweise

    Quelle: ID 45458473