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  • · Verbraucherschutz

    (Ärzte-)Bewertungsportale im Internet: Negative Bewertungen müssen nicht hingenommen werden

    Bild: © taa22 - stock.adobe.com

    von RA Matthias Pilz, Würzburg

    | Offenkundig wird man eine negative Bewertung kaum als einen kostenlosen Verbesserungsvorschlag empfinden, sondern als potenziell geschäftsschädigend. Deshalb haben sich auch immer wieder mit der Bewertung Unzufriedene mit juristischen Mitteln gewehrt, sodass mittlerweile eine recht weit ausdifferenzierte Rechtsprechung zu Rechten und Pflichten von Bewertenden und Bewertungsportalen sowie zur Möglichkeit der Gegenwehr gegen negative Bewertungen vorliegt. DR gibt einen Überblick über die wesentlichen Entscheidungen und den aktuellen Stand der Rechtsprechung, aber auch zu noch offenen Fragen. |

    2009: Lehrer-Bewertungsportal „Spickmich“ zulässig

    Angefangen hat es mit einer Berufsgruppe, die selbst Noten erteilt und i. d. R. nicht in einer Konkurrenzsituation steht ‒ den Lehrern. Im Jahr 2009 hat der BGH (23.6.09, VI ZR 196/08) über den Anspruch einer Lehrerin entschieden, die von dem aktuell nicht mehr betriebenen Portal „spickmich.de“ verlangte, die Veröffentlichung ihres Namens, der Schule und der unterrichteten Fächer im Zusammenhang mit ihrer Bewertung zu unterlassen. Die Lehrerin berief sich dabei auf das Datenschutzrecht.

     

    In einer Interessenabwägung gemäß § 29 BDSG kam der BGH zu dem Ergebnis, dass das Recht der Bewertenden und des Bewertungsportals auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG überwiegen. Dabei spielte auch eine Rolle, dass es für das Publikum offenkundig war, dass die Bewertungen subjektiv und konkrete Nachteile für die Lehrerin nicht ersichtlich seien, zumal die Bewertungen nur von angemeldeten Benutzern eingesehen werden konnten.

    2014: Auch Ärztebewertung trotz drohender wirtschaftlicher Nachteile zulässig

    Im Jahr 2014 hatte der BGH (23.9.14, VI ZR 358/13) erstmals über den Anspruch eines Arztes zu entscheiden, nicht auf dem Ärztebewertungsportal www.jameda.de aufgeführt und bewertet zu werden. Auch hier entschied der BGH zugunsten des Portalbetreibers. Er erkannte durchaus Unterschiede zum Lehrerbewertungsportal. Die Ärztebewertungsplattform ist von jedermann im Internet einsehbar, es sind Freitexteingaben möglich und eine negative Bewertung kann zu Wettbewerbsnachteilen führen. Doch auch hier sah der BGH den Vorrang bei der Meinungsfreiheit. Er erkannte ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit an den Ärztebewertungen und er wies auf die Berufsausübungsfreiheit des Portalbetreibers hin.

     

    Der BGH spricht ausdrücklich davon, dass ein Ärztebewertungsportal eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion erfüllt. Es würde den Nutzen des Portals zu stark einschränken, wenn negative Bewertungen praktisch nur mit Zustimmung der betroffenen Ärzte aufgenommen werden könnten. Weiterhin störte der BGH sich nicht an der Möglichkeit anonymer Bewertungen. Diese seien dem Internet immanent und die Meinungsfreiheit schütze eben auch anonyme Äußerungen ‒ zumal die Bewertenden sonst u. U. ihrerseits sensible Daten zu ihrer Behandlung preisgeben müssten. Der Arzt sei nicht in seiner Intim- oder Privatsphäre, sondern nur in der weniger schützenswerten Sozialsphäre betroffen. Im vorliegenden Fall hätte er keine konkreten Nachteile geltend gemacht (er war nicht akut von negativen Bewertungen betroffen) und es gäbe grundsätzlich auch Schutzmechanismen für Betroffene.

    2016: Aufstellung von Prüfpflichten nach Beschwerde

    Mit diesen Schutzpflichten beschäftigte sich der BGH (1.3.16, VI ZR 34/15, Abruf-Nr. 185148) dann näher. In dem entschiedenen Fall setzte sich ein Arzt gegen eine unter Pseudonym abgegebene negative Bewertung zur Wehr. Er bestritt, dass der Bewertende überhaupt Patient bei ihm war.

     

    Jameda ist nicht verpflichtet, die Beiträge vor der Veröffentlichung zu prüfen

    Der BGH führte zunächst aus, dass das Portal sich die Aussagen des Bewertenden nicht zu eigen machte, sondern lediglich fremde Bewertungen widergab. Deshalb könnte Jameda allenfalls als mittelbarer Störer haften. Es sei nicht verpflichtet, die Beiträge vor der Veröffentlichung zu prüfen, sei aber dafür verantwortlich, sobald es Kenntnis von einer Rechtsverletzung erlange, diese künftig zu verhindern. Eine solche Rechtsverletzung ist jedoch nicht ohne Weiteres festzustellen.

     

    Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und Meinungsfreiheit des Portals

    Der BGH nimmt eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen der Bewertung und der Meinungsfreiheit des Portals vor. Negative Werturteile sind hinzunehmen, sofern keine Schmähkritik vorliegt. Falsche Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen auf unwahren Tatsachengrundlagen und mit unwahrem Tatsachenkern stellen hingegen eine Rechtsverletzung dar. Ein berechtigtes Interesse an einer Bewertung, der überhaupt kein Behandlungskontakt zugrunde liegt, sei nicht ersichtlich. Damit stellt sich die Frage nach der Reichweite der Prüfpflicht durch den Portalbetreiber.

     

    Zunächst muss der betroffene Arzt darlegen, worin er nach diesen Kriterien eine Rechtsverletzung sieht. Tut er das, ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er durch eine Rechtsverletzung erheblich in seinem Ruf beeinträchtigt werden kann und in der zulässigen Möglichkeit der anonymen Bewertung einerseits ein Missbrauchspotenzial liegt, der Arzt andererseits i. d. R. auch nicht direkt gegen den Verfasser der möglichen Rechtsverletzung vorgehen kann.

     

    Anforderungen an die Prüfpflicht des Portalbetreibers

    Deshalb hat der BGH die Anforderungen an die Prüfpflicht des Portalbetreibers deutlich heraufgesetzt: Der Portalbetreiber hat die Beanstandung an den Verfasser weiterzuleiten und muss diesen auffordern, „den angeblichen Behandlungskontakt möglichst genau zu beschreiben und den Behandlungskontakt belegende Unterlagen, wie etwa vorhandene Rechnungen, Terminkarten und -zettel, Eintragungen in Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien möglichst umfassend ‒ soweit vom Bewertenden für nötig erachtet ggf. teilweise geschwärzt ‒ zu übermitteln“. Erfolgt keine oder keine befriedigende Stellungnahme, ist die Bewertung zu löschen. Anderenfalls ist die Stellungnahme an den Arzt weiterzuleiten. Die Identität des Patienten muss das Portal dem Arzt hingegen nicht bekanntgeben. Letztlich sieht der BGH nach den allgemeinen Regeln die Beweislast dafür, dass tatsächlich keine Behandlung stattgefunden hat, beim klagenden Arzt.

    20.2.18: Anspruch auf Löschung aus Ärztebewertungsportal wegen Werbepraxis von Jameda

    Aufsehen hat der BGH dann mit seiner Entscheidung vom 20.2.18 (VI ZR 30/17)erregt. Erstmals hat er einer Ärztin den Anspruch auf Löschung ihrer Daten auf Jameda zugebilligt. Doch hieraus ergibt sich noch nicht, dass nun alle Ärzte, die mit ihren Bewertungen auf Jameda unzufrieden sind (oder aus grundsätzlichen Erwägungen dort nicht aufgeführt werden wollen), mühelos ihren Eintrag unter Berufung auf das BGH-Urteil löschen lassen können:

     

    Der BGH hat sich ‒ wie die klagende Ärztin ‒ daran gestört, dass beim Aufruf des Profils eines quasi zwangsweise auf Jameda aufgeführten, nicht zahlenden Arztes als „Anzeige“ gekennzeichnet die Profilbilder zahlender „Premium-Kunden“, unmittelbare Konkurrenten gleicher Fachrichtung im örtlichen Umfeld, mit Entfernungsangaben und Noten eingeblendet wurden. Aufgrund dieser Werbepraxis sei Jameda kein neutraler Informationsmittler mehr. Deshalb müsse die Meinungsfreiheit von Jameda hinter das Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung zurücktreten.

     

    Urteile gelten aber nur zwischen den Prozessparteien. Jameda hat noch am Tag der Urteilsverkündung reagiert und seine Werbepraxis angepasst.

     

    PRAXISHINWEIS | Offenkundig ist Jameda bestrebt, Löschungen von Ärzteprofilen zu vermeiden, sodass kurzfristig keine vollständige Löschung von Profilen mit unliebsamen Bewertungen zu erreichen sein wird. Es bleibt weiterhin ein Vorgehen gegen einzelne Bewertungen angezeigt.

     

    Auf den Punkt gebracht: aktueller Sachstand zu Ärztebewertungen

    Als Zwischenstand kann festgehalten werden:

     

    • Der Betrieb eines Bewertungsportals ist grundsätzlich zulässig.

     

    • Die Aufnahme von öffentlich zugänglichen Daten von Dienstleistern ist grundsätzlich auch gegen deren Willen zulässig.

     

    • Die Veröffentlichung negativer Bewertungen ist zulässig, wenn
      • subjektive Meinungsäußerung ohne unzulässige Schmähkritik im Vordergrund steht,
      • keine falschen Tatsachen behauptet werden und
      • tatsächlich eine Behandlung stattgefunden hat.

     

    • Anonyme Bewertungen sind zulässig ‒ der Portalbetreiber ist nicht zur Preisgabe der Identität des Bewertenden verpflichtet.

     

    • Damit ist die zivilrechtliche Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen unmittelbar gegen den Bewertenden praktisch kaum möglich.

     

    • Falsche Tatsachenbehauptungen des Bewertenden können strafrechtlich relevant sein (Verleumdung, üble Nachrede). Erfahrungsgemäß führt die Behauptung, es habe kein Behandlungskontakt stattgefunden, aber nicht zur Ermittlung der Identität des Bewertenden durch die Staatsanwaltschaft.

     

    • Somit bleibt dem Betroffenen i. d. R. nur das Vorgehen gegen konkrete Bewertungen mit dem Argument, sie enthielten falsche Tatsachenbehauptungen oder basierten nicht auf einer tatsächlichen Behandlung. Immerhin führt ein solcher Vortrag zur Aufforderung an den Bewertenden, den Behandlungskontakt möglichst genau zu schildern und zu belegen. Gibt der Bewertende keine Stellungnahme ab (was häufig der Fall ist), wird die Bewertung gelöscht.

     

    • Eine Chance auf Löschung besteht auch dann, wenn lediglich Kontakt zum Praxisteam bestand, nicht aber zum Arzt selbst.

     

    • Erfolgt keine Löschung, kommt eine eigene Stellungnahme des Arztes zu der Bewertung in Betracht.

     

    MERKE | Die für Jameda geltenden Grundsätze lassen sich sinngemäß auf andere Bewertungsportale übertragen. Nach der Erfahrung sind die Reaktionszeiten von Jameda erfreulich kurz, Google reagiert deutlich langsamer.

     

    Offene Fragen

    Offene grundsätzliche Fragen sind insbesondere, ob die Änderung der Werbepraxis durch Jameda ausreicht, um weitere Löschungsbegehren abzuwehren, inwieweit einzelne Noten angreifbar sind, wenn die Notengebung im Widerspruch zur textlichen Beschreibung steht, und ob die mittlerweile von Jameda eingeführte automatisierte Hervorhebung einzelner „auffälliger Eigenschaften“ im Profil wie „Vertrauen könnte besser sein“ oder „Nimmt sich wenig Zeit“ angegriffen werden kann. Abzuwarten bleibt auch, ob der BGH den von anonymen Bewertungen Betroffenen mit weiteren Beweiserleichterungen bei widersprechenden Aussagen zu tatsächlichen Vorkommnissen entgegenkommen wird.

    Quelle: ID 45188221