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  • · Verbraucherschutz

    Widerrufsrecht gilt auch beim Kauf von Medikamenten im Internet

    Bild: © fotoknips - stock.adobe.com

    von Martin Rätze, Diplom-Wirtschaftsjurist, Kanzlei Wienke & Becker, Köln

    | Das KG Berlin (9.11.18, 5 U 185/17) musste sich mit einem Streit zwischen DocMorris und dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) befassen, der auf zwei Themen beruhte: So holte die Versandapotheke zum einen keine Telefonnummer bei ihren Kunden ein und schloss zum anderen das Widerrufsrecht für bestellte Medikamente pauschal aus. |

    DocMorris holt keine Kundentelefonnummer ein

    Nach § 17 Abs. 2a S. 1 Nr. 7 ApBetrO (Apothekenbetriebsordnung) muss eine Versandapotheke die behandelte Person darauf hinweisen, dass sie als Voraussetzung für die Arzneimittelbelieferung mit ihrer Bestellung eine Telefonnummer anzugeben hat. Hintergrund ist, dass die Apotheke den Kunden telefonisch zu dem bestellten Medikament beraten kann. Mit dieser Vorschrift soll der fehlende persönliche Kontakt zwischen Apotheker und Kunden ausgeglichen werden, der bei einer Vor-Ort-Apotheke besteht. Auch dort wird der Kunde vom Personal der Apotheke über die Risiken und Nebenwirkungen des Medikaments sowie Dosierungen etc. beraten. Dies soll im Fernabsatz ebenfalls gewährleistet sein. Laut DocMorris verstoße diese Vorschrift gegen die europäische Warenverkehrsfreiheit. Das KG Berlin folgte in seiner Entscheidung der Vorinstanz und sah keine europarechtswidrige Vorschrift. Letztlich sei die Telefonnummernpflicht für inländische und ausländische Versandapotheken verpflichtend, sodass hier keine Ungleichbehandlung vorliege.

    Kein pauschaler Ausschluss vom Widerrufsrecht

    DocMorris verwendete in seinen AGB eine Konkretisierung des § 312g Abs. 2 BGB. Dieser regelt verschiedene (abstrakte) Ausnahmetatbestände, in denen das grundsätzlich bestehende Widerrufsrecht nicht gilt. Hier zählten die AGB ein paar der gesetzlichen Ausnahmen auf ‒ u. a.:

     

    • Auszug aus den AGB von DocMorris

    „Hierzu gehören auch Arzneimittel. Da wir nicht überprüfen können, ob nach der Lieferung ein sachgemäßer Umgang mit den Medikamenten gewährleistet war, kommen diese nicht mehr in den Handel und werden zu Ihrer Sicherheit entsorgt. Aus diesem Grund ist bei Arzneimitteln die Widerrufsmöglichkeit ausgeschlossen.“

     

    Einen solchen generellen Ausschluss vom Widerrufsrecht sah das KG Berlin ‒ ebenso wie die Vorinstanz ‒ nicht vom Ausnahmekatalog des § 312g Abs. 2 BGB gedeckt.

    Gesetzliche Ausnahmen greifen nur im Einzelfall

    Zum einen seien Fertigarzneimittel keine Waren, die auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Und auch wenn die Fertigarzneimittel dem Kunden per Rezept verschrieben wurden, erschien dem Gericht das Greifen dieser Ausnahme als sehr zweifelhaft. Da der Ausschluss aber nicht zwischen verschreibungspflichtigen und freien Fertigarzneimitteln unterschied, kam es darauf nicht an.

     

    Auch auf eine schnelle Verderblichkeit konnte sich die Versandapotheke nicht berufen. Auf ein „rechtliches Verderben“ aufgrund der Vernichtungspflicht von Retouren für Apotheken komme es hier aber nicht an. Das ergibt sich aus dem klaren Wortlaut und dem erkennbaren Gesetzgebungswillen.

     

    Im Einzelfall könnte die Ausnahme der Entsiegelung von Hygiene-Artikeln greifen (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB). Hier ist allerdings eine Einzelfallprüfung erforderlich, sodass diese Ausnahme nicht für einen pauschalen und generellen Ausschluss des Widerrufsrechts bei Arzneimitteln herangezogen werden kann. Bei dieser Ausnahme bedarf es auch noch einer Handlung des Verbrauchers, nämlich der Entfernung der Versiegelung.

    Keine Revision

    Das KG Berlin hat die Revision gegen die Entscheidung nicht zugelassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat oder nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre. Die OLG in Karlsruhe und Naumburg haben in der Sache bereits vergleichbare Urteile gefällt, sodass es keine divergierenden obergerichtlichen Entscheidungen gibt. Auch ist der Wortlaut des § 312g Abs. 2 BGB für diesen Fall sehr eindeutig und der Gesetzgeber hat keinen pauschalen Ausschluss des Widerrufsrechts bei Fertigarzneimitteln vorgesehen. Will DocMorris also gegen das Urteil des KG Berlin weiter vorgehen, müsste zunächst eine Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg haben.

     

    FAZIT | Die Belehrung über die Ausnahmen des Widerrufsrechts beschäftigen immer wieder die Gerichte. Aktuell liegt der Fall „slewo“ beim EuGH. Dort geht es u. a. um die Frage, wann die Ausnahme für Hygieneartikel greift. Außerdem soll die Frage beantwortet werden, wie konkret über die Ausnahmen zu informieren ist. Reicht eine pauschale Aufzählung der gesetzlichen Ausnahmen unterhalb der Widerrufsbelehrung oder muss der Verbraucher unter konkreter Bezugnahme auf das entsprechende Produkt darüber informiert werden, dass bei seinem Einkauf kein Widerrufsrecht besteht bzw. unter welchen Umständen er dies verlieren kann? Aus Sicht des Verbraucherschutzes spricht alles gegen eine pauschale Aufzählung der gesetzlichen Ausnahmen. Der Verbraucher muss konkret wissen, ob er einen Vertrag widerrufen kann oder nicht. Sofern Händler also in Zukunft „Farbe bekennen“ und am konkreten Produkt über das Greifen eines Ausnahmetatbestands informieren müssen, dürfte es noch viele weitere Verfahren geben, um die Frage zu klären, ob ein bestimmtes Produkt unter eine der Ausnahmen fällt oder nicht.

     
    Quelle: ID 45723155