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  • · Verbraucherschutz

    Widerrufsrecht gilt auch beim Matratzenkauf

    Bild: © JackF - stock.adobe.com

    von Diplom-Wirtschaftsjurist Martin Rätze, Kanzlei Wienke & Becker, Köln

    | Der EuGH (27.3.19, C-681/17) hat entschieden, dass der Verbraucher auch einen Kauf von Matratzen, den er im Internet getätigt hat, widerrufen kann. Hintergrund war die Frage, ob Matratzen Hygieneartikel sind, die unter bestimmten Umständen vom Widerrufsrecht ausgeschlossen sind. |

    Vorinstanzen gaben Verbraucher Recht

    Herr L., der klagende Verbraucher im Ausgangsverfahren, bestellte im Online-Shop der beklagten slewo GmbH eine Matratze. Diese war bei der Lieferung mit einer Schutzfolie versehen. Herr L. entfernte diese. Später machte er von seinem gesetzlichen Widerrufsrecht Gebrauch. Er forderte slewo auf, den Rücktransport zu organisieren. Nachdem die Händlerin dieser Aufforderung nicht nachkam, nahm er die Rücksendung selbst vor und zahlte hierfür die Rücksendekosten. In der Widerrufsbelehrung wies slewo allerdings darauf hin, dass sie die Kosten der Rücksendung im Falle des Widerrufs trägt. Anschließend verklagte Herr L. die Händlerin auf Rückzahlung des Kaufpreises sowie Erstattung der Rücksendekosten ‒ insgesamt ein Betrag von rund 1.190 EUR. Die Klage hatte in den ersten beiden Instanzen Erfolg.

    Was sind Hygieneartikel?

    Der BGH (15.11.17, VIII ZR 194/16) setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vor. Er wollte wissen, ob der Kauf einer Matratze im Fernabsatz unter die Ausnahme vom Widerrufsrecht fällt, nach der dieses Recht bei Verträgen zur Lieferung von versiegelten Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde, nicht gilt (Art. 16 lit. e VRRL). Insbesondere wollte der BGH wissen, ob Waren, die wie eine Matratze bestimmungsgemäß mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, aber durch geeignete Reinigungsmaßnahmen wieder verkehrsfähig gemacht werden können, Waren i. S. d. genannten Ausnahme sind.

     

    Daneben wollte der BGH für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird, wissen, wie die Verpackung dieser Ware beschaffen sein muss, um als Versiegelung i. S. d. Ausnahme zu zählen.

     

    Letztlich fragte der BGH, wie ein Unternehmer den Verbraucher über diese Ausnahme zu informieren hat ‒ abstrakt oder unter konkreter Bezugnahme auf das Produkt und die Umstände, unter denen das Widerrufsrecht für den Verbraucher verloren geht.

    Antwort des EuGH

    Um es vorweg zu nehmen: Der EuGH hat die erste Frage des BGH verneint und sich deswegen ‒ anders noch als der Generalanwalt ‒ mit den übrigen Fragen gar nicht mehr beschäftigt. Aber der Reihe nach.

     

    Der EuGH verdeutlichte zunächst noch einmal die Ziele der Verbraucherrechte: Die Richtlinie solle ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherstellen. Zur Verwirklichung dieses Ziels sei u. a. das Widerrufsrecht für bestimmte Vertragssituationen geschaffen worden. Im Fernabsatz soll das Widerrufsrecht sicherstellen, dass der Nachteil des Verbrauchers ausgeglichen wird, dass er die Ware im Vergleich zum Kauf im stationären Handel noch nicht gesehen hat. Diesen Zweck vor Augen hält der EuGH fest, dass die Ausnahme eng auszulegen ist. Gleichzeitig verlange aber die Richtlinie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verbraucherschutz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmer.

     

    Aufgrund dieser grundsätzlichen Überlegungen kommt der EuGH dann zu dem Ergebnis, dass die fragliche Ausnahme nur dann greift, wenn die gekaufte (und gelieferte) Ware nach der Entfernung der Versiegelung aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist. Dem Unternehmer muss es also entweder unmöglich oder unverhältnismäßig schwierig möglich sein, die Ware aufgrund ihrer Beschaffenheit wieder verkehrsfähig zu machen.

    Matratzen sind keine Hygieneartikel

    Für den EuGH steht danach fest, dass Matratzen nicht unter die Ausnahme fallen können. Es ist für die Luxemburger Richter schon nicht ersichtlich, dass eine Matratze ‒ selbst wenn diese benutzt würde ‒ nicht mehr verkehrsfähig ist, nur weil eine vorhandene Versiegelung entfernt wurde. Es gäbe schließlich einen Markt für gebrauchte Matratzen, außerdem würden Matratzen in Hotels auch nicht pro Gast ausgetauscht.

    Keine Antwort auf die übrigen Fragen

    Da der EuGH entschieden hat, dass Matratzen schon keine Waren sind, die aus Gründen der Hygiene oder des Gesundheitsschutzes nicht zur Rücksendung geeignet sind, kam es auf die weiteren Voraussetzungen der Ausnahme nicht mehr an, sodass der EuGH die weiteren Fragen des BGH nicht mehr beantwortete.

    Einordnung der Entscheidung

    Das Urteil des EuGH dürfte niemanden überrascht haben, der sich mit dem Fernabsatzrecht beschäftigt. Dass die Ausnahmen vom Widerrufsrecht eng auszulegen sind, ist ständige Rechtsprechung. Außerdem ‒ und darauf weist der EuGH am Rande auch hin ‒ ist der Unternehmer nicht schutzlos, selbst wenn er Matratzen im Rahmen des Widerrufsrechts zurücknehmen muss. Hat der Verbraucher die Ware nämlich in einer Art und Weise genutzt, die nicht zum Testen der Eigenschaften, der Funktionsweise sowie der Beschaffenheit der Ware notwendig ist, steht dem Händler ein Anspruch auf Wertersatz zu.

     

    Unter die Ausnahme des Art. 16 lit. e VRRL (umgesetzt in § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB) fallen nach der Entscheidung des EuGH nur Waren, denen die Gefahr der Verletzung der Hygiene oder des Gesundheitsschutzes nach der Entfernung eines vorhandenen Siegels innewohnt. Dazu gehören Matratzen ganz offensichtlich nicht, genauso wenig wie Kleidungsstücke aller Art: Auch Unterwäsche und Bademode fallen nicht unter diese Ausnahme.

     

    Dagegen fallen Medizinprodukte im Regelfall unter die Ausnahme (sofern ein vorhandenes Siegel entfernt wurde), wobei auch hier Rückausnahmen denkbar sind. Spritzen, steriles Verbandmaterial, Kontaktlinsen oder vergleichbare Dinge werden regelmäßig vom Anwendungsbereich der Ausnahme erfasst.

     

    MERKE | Es ist bedauerlich, dass sich der EuGH nicht zumindest im Ansatz mit den übrigen zwei Fragen beschäftigt hat. Insbesondere die Art und Weise, wie der Unternehmer über die Ausnahmen vom Widerrufsrecht zu informieren hat, betrifft den wohl überwiegenden Teil aller Fernabsatzhändler. Es bleibt zu hoffen, dass sich der EuGH erneut mit dieser Frage befassen können wird.

     
    Quelle: ID 45869295