· Fachbeitrag · Aktuelle Gesetzgebung
Die neuen Zustellvorschriften zum 1.1.22
von Dipl.-Rechtspflegerin (FH) Karin Scheungrab, Zertifizierte Datenschutzbeauftragte, Leipzig
| Zum 1.1.22 werden sowohl die Vorschriften zur Zustellung von Amts wegen nach §§ 173 ff. ZPO als auch die Vorschriften zur Zustellung im Parteibetrieb nach §§ 193 ff. ZPO geändert. Hier der Überblick über die Neuerungen. |
1. Zustellungen von Amts wegen nach § 173 ZPO
Die einschlägigen ZPO-Vorschriften sind durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften (BGBl. 21 Teil 1, S. 4607, Nr. 71 vom 11.10.21) zum 1.1.22 geändert und an die aktive Nutzungsverpflichtung der Rechtsanwälte im beA angepasst worden. § 173 ZPO n. F. lautet wie folgt:
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a) Zustellung an zuverlässige Berufsgruppen nach § 173 Abs. 1 und 2 ZPO
Der Gesetzgeber setzt mit § 173 ZPO n. F. den Gedanken fort, dass die förmliche Zustellung in der vereinfachten (ab dem 1.1.22 elektronischen) Form an Berufsgruppen erfolgen kann, die als besonders zuverlässig gelten. Dazu gehören Anwälte, Notare, Gerichtsvollzieher und Behörden. Steuerberater und sonstige in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen, wie Sachverständige und Dolmetscher, sollen ebenfalls einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eröffnen können.
Damit elektronisch zugestellt werden kann, müssen Anwälte, Notare, Gerichtsvollzieher sowie Behörden und Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung öffnen. Das heißt, dass sie nicht nur jeweils die technischen Voraussetzungen schaffen, sondern auch das rechtssichere Handling des beA erlernen müssen (LAG Schleswig-Holstein 19.9.19, 5 Ta 94/19, AK 21, 111).
Wichtig | § 130 Abs. 1 ZPO regelt verbindlich, dass elektronische Dokumente nur auf einem sicheren Übermittlungsweg zugestellt werden können. Diese sicheren Übermittlungswege sind in § 130 Abs. 4 ZPO definiert. Das beA gehört dazu.
b) Nachweis der Zustellung nach § 173 Abs. 3 ZPO
Auch und obwohl der Absender konkret nachverfolgen kann, wann die jeweilige Nachricht im beA-Postfach des Zustellungsempfängers angekommen ist, muss dennoch zum Nachweis der erfolgreichen Zustellung ein elektronisches Empfangsbekenntnis (eEB) zurückgesandt werden.
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung kann die für eine förmliche Zustellung erforderliche Empfangsbereitschaft nicht allein durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs ersetzt werden (BGH 13.1.15, VIII ZB 55/14, Abruf-Nr. 145681; BSG 5.6.19, B 12 R 3/19, dejure.org; BVerwG 29.4.11, 8 B 86/10, dejure.org). Hinzu kommen muss noch die zumindest konkludente Äußerung des Willens, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück dem Angebot entsprechend als zugestellt entgegenzunehmen.
Für die Rücksendung des eEB ist der vom Gericht mit der Zustellung zur Verfügung gestellte strukturierte Datensatz zu verwenden. Fehlt er, ist das eEB dem Gericht als elektronisches Dokument gemäß § 130a ZPO zu übermitteln.
Zum zeitlichen Aspekt sind die Vorgaben aus § 14 BORA und § 53 BRAO (in der Fassung vom 1.8.21) zu beachten. Danach ist das Empfangsbekenntnis unverzüglich zu erteilen. Sofern der Anwalt länger als eine Woche daran gehindert ist, seinen Beruf auszuüben, oder mehr als zwei Wochen von der Kanzlei abwesend ist, muss er eine Vertretung bestellen (AK 21, 152, 156). Der Vertretung müssen mindestens die Rechte eingeräumt sein, Posteingänge zur Kenntnis zu nehmen und eEB abzugeben (vgl. § 54 BRAO).
Wichtig | Nach wie vor gibt es in der ZPO keine Zustellungsfiktion für die Zustellung an Anwälte! Im Gegensatz dazu sieht das VwZG weiterhin eine Zustellfiktion vor. Nach § 5 Abs. 7 S. 2 VwZG gilt ein elektronisches Dokument am dritten Tag nach der Absendung an den vom Empfänger hierfür eröffneten Zugang als zugestellt, wenn der Behörde nicht spätestens an diesem Tag ein (elektronisches) Empfangsbekenntnis zugeht.
c) Zustellung an andere Empfänger nach § 173 Abs. 4 ZPO
Seit dem 1.1.22 besteht die Möglichkeit, elektronische Bürger- und Organisationenpostfächer (eBO) zu führen. Damit können auch Inkassounternehmen (IKU), kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Mandanten am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen. Eine elektronische Zustellung an diese Empfänger ist möglich, wenn sie der Zustellung elektronischer Dokumente für das jeweilige Verfahren zugestimmt haben. Die Zustimmung gilt als mit Einreichung eines elektronischen Dokuments im jeweiligen Verfahren auf einem sicheren Übermittlungsweg als erteilt.
Wichtig | Hier gibt es eine Zustellungsfiktion: Das elektronische Dokument gilt am dritten Tag nach dem auf der automatisierten Eingangsbestätigung ausgewiesenen Tag des Eingangs in dem vom Empfänger eröffneten elektronischen Postfach als zugestellt. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Empfänger nachweist, dass das Dokument nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Der Nachweis ist mit den Inhalten der exportierten ZIP-Datei, konkret mit dem vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) des beBPo, zu führen.
2. Zustellung durch Aushändigung an der Amtsstelle
Die Zustellung durch Aushändigung an der Amtsstelle gemäß § 174 ZPO bleibt im Wesentlichen unverändert.
3. Zustellung per Fax
§ 175 ZPO n. F. regelt, dass an den in § 173 Abs. 2 ZPO n. F. genannten zuverlässigen Personenkreis nicht nur per beA, sondern wie bislang per Fax zugestellt werden kann. Wegen der aktiven Nutzungsverpflichtung aus § 130d ZPO dürfte dies allerdings nur relevant werden, wenn es technische Gründe gibt, die eine elektronische Zustellung verhindern. In diesen Fällen gibt es keine Zustellfiktion.
Für die Beurteilung des konkreten Zeitpunkts der Zustellung ist (auch hier) die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses maßgeblich. Dieses muss schriftlich, per Fax oder als elektronisches Dokument gemäß § 130a ZPO an das Gericht gesandt werden.
4. Zustellung an die Naturalpartei
Zustellungen an die Naturalpartei erfolgen nach wie vor per Einschreiben mit Rückschein gemäß § 176 ZPO.
5. Zustellungen im Parteibetrieb nach § 192 ZPO
Die Zustellung von Schriftstücken im Parteibetrieb erfolgt nach § 192 ZPO durch den Gerichtsvollzieher, in Papierform oder elektronisch.
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Der Antragsteller hat also die Wahl, die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher „klassisch“ oder elektronisch vornehmen zu lassen. Im ersten Fall wird der Zustellungszeitpunkt auf der Postzustellungsurkunde vermerkt. Bei der elektronischen Zustellung gilt eine Zustellfiktion: Die Zustellung gilt bereits beim Eingang im elektronischen Postfach als erfolgt, auch wenn der Empfänger in diesem Moment sicherlich noch nicht den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnis genommen hat.
Der Gerichtsvollzieher vermerkt nach § 193a Abs. 2 ZPO die Zustellung auf einem Ausdruck des zuzustellenden elektronischen Dokuments oder auf dem mit dem Ausdruck zu verbindenden, hierfür vorgesehenen Formular. Hier findet also zwingend ein Medienbruch statt.
Zu den Kosten der Abschriften nach § 192 Abs. 1 S. 2 und 3 ZPO sind bislang widersprüchliche Entscheidungen ergangen:
- Nach dem AG Trier fertigt der Gerichtsvollzieher die für die Zustellung erforderliche Abschrift, wenn er von der Geschäftsstelle des Gerichts die Ausfertigung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erhält, den der Gläubiger mit einem elektronischen Antrag bei Gericht eingereicht hat. Er darf diese berechnen (AG Trier 31.8.21, 22 M 417/21, DGVZ 21, 248).
- Diametral hat das AG Bayreuth entschieden: Ein Gerichtsvollzieher kann für Abschriften des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, der vom Gläubiger mit einem elektronischen Antrag bei Gericht eingereicht wurde, keine Dokumentenpauschale berechnen (AG Bayreuth 26.7.21, 2 M 1071/21, DGVZ 21, 248).
6. Zustellung von Anwalt zu Anwalt nach § 195 ZPO
§ 195 ZPO n. F. ist redaktionell angepasst worden. Zustellungen von z. B. gerichtlichen Vergleichen an die Gegenseite, um die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung nachweisen zu können, können nun also nach Wahl immer noch in Papierform, aber auch elektronisch per beA erfolgen.
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Als Nachweis der Zustellung dient ‒ im klassischen Fall ‒ das vom Empfänger-Anwalt unterschriebene Empfangsbekenntnis oder das eEB in Form eines strukturierten Datensatzes. Dieser kann im beA angezeigt, zur E-Akte exportiert, anschließend ausgedruckt und mit dem zuzustellenden Schriftstück verbunden werden.
Weiterführende Hinweise
- Alle Anwälte sind schon jetzt betroffen ‒ beA-Monierungen durch Gerichte vermeiden, AK 21, 111
- Gesellschaft für das beA: Die neue BRAO wirkt sich auf die Arbeit mit dem beA aus, AK 21, 152
- So bestellen Sie Ihren Vertreter über das beA, AK 21, 156