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  • · Fachbeitrag · Kanzleidurchsuchung

    Wenn die Ermittler dreimal klingeln ...

    von RA Dr. Philipp Gehrmann, Berlin

    | Die Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume ist im Bereich der mittleren und schweren Kriminalität eine übliche Ermittlungsmaßnahme. In jüngerer Zeit setzen die Ermittlungsbehörden aber auch verstärkt auf Durchsuchungen zur Aufklärung von Verstößen bei leichter Kriminalität ‒ z.B. bei der Verfolgung von Äußerungsdelikten gemäß § 185 ff. StGB im Internet. Mögliche Durchsuchungsziele können auch Rechtsanwaltskanzleien sein. Im Folgenden werden daher die rechtlichen Voraussetzungen solcher Durchsuchungen unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung aufgezeigt. |

    1. Durchsuchungsanordnung und ihre Vollstreckung

    Die Durchsuchung ist ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Berührt sind insbesondere das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Bei der Durchsuchung einer Anwaltskanzlei tritt zudem die 
(mittelbare) Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG hinzu. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist dabei zu beachten, dass sich die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei gegen ein unabhängiges Organ der Rechtspflege und dessen Teilnahme an der Verwirklichung des Rechtsstaates richtet (BVerfG 12.10.11, 2 BvR 236/08). Überdies kann die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei einen massiven Reputationsschaden nach sich ziehen.

     

    Nach § 105 StPO dürfen Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen ‒ regelmäßig die Polizei und die Steuerfahndung ‒ angeordnet werden. Die Rechtsprechung ist mittlerweile bei der Annahme von Gefahr im Verzug 
äußerst restriktiv, sodass in den weit überwiegenden Fällen der Ermittlungsrichter für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung zuständig ist.

     

    Eine bestimmte Form ist für die Durchsuchungsanordnung nicht vorgeschrieben. Im Regelfall erfolgt sie jedoch schriftlich (BVerfG NJW 01, 1121). Dies ist auch zweckmäßig und geboten, um dem Betroffenen eine zügige Prüfung des Durchsuchungsbeschlusses zu ermöglichen.

     

    In dem Durchsuchungsbeschluss müssen der Tatvorwurf und der Tatverdacht konkret beschrieben werden. Der Durchsuchungsbeschluss muss aus sich 
heraus verständlich sein. Insbesondere muss der Betroffene hieraus den 
Geschehensablauf entnehmen können, auf den ein strafrechtlich relevanter Vorwurf gestützt wird. Die wesentlichen Verdachtsmomente sind regelmäßig mitzuteilen (BGH NStZ-RR 09, 142). Darüber hinaus müssen stets Zweck und Ziel der Durchsuchung sowie deren Ausmaß bezeichnet werden (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl.,§ 105 Rn. 5). Aus der Durchsuchungsanordnung muss 
ersichtlich werden, welche Räume durchsucht werden sollen, auf welche 
Beweismittel die Durchsuchung abzielt und woraus sich eine Auffindewahrscheinlichkeit ergibt. Allgemeine bzw. formelmäßige Angaben über Beweismittel genügen nicht (BVerfG NJW 00, 601). Im Durchsuchungsbeschluss sind auch die Erwägungen aufzunehmen, aus denen sich die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ergibt. Die Anforderungen der Rechtsprechung sind hier aber nicht hoch. Es reicht regelmäßig aus, wenn der Durchsuchungsbeschluss erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Verhältnismäßigkeit geprüft hat.

     

    Für die Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses ist im Regelfall die Staatsanwaltschaft nach § 36 Abs. 2 StPO zuständig. Allerdings muss die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchungsanordnung nicht vollstrecken, auch wenn dies rechtspraktisch den absoluten Ausnahmefall darstellen dürfte. Die Vollstreckungsanordnung ist unzulässig, wenn zwischen Erlass und Vollstreckung mehr als sechs Monate vergangen sind. Ebenso unzulässig wird die Vollstreckung, wenn sich im Zuge weiterer Ermittlungen Erkenntnisse ergeben haben, die den Tatverdacht beseitigen oder jedenfalls grundlegend verändern. Eine einmal vollstreckte Durchsuchungsanordnung darf nicht Grundlage einer weiteren Durchsuchung sein. Die Vollstreckung der Durchsuchungsanordnung „verbraucht“ diese. Sofern der Durchsuchung kein Richter oder kein Staatsanwalt beiwohnt, sind Durchsuchungszeugen nach § 105 Abs. 2 StPO beizuziehen. Der Betroffene kann aber auf die Beiziehung verzichten.

    2. Besonderheiten bei der Durchsuchung der Anwaltskanzlei

    Durchsuchungsmaßnahmen können auch gegen einen Rechtsanwalt gerichtet sein. Solche Maßnahmen sind außerordentlich eingriffsintensiv, weil sie sich gegen ein Organ der Rechtspflege und Berufsgeheimnisträger richten. Die Kommunikation des Rechtsanwalts ist besonders vertraulich und durch das Zeugnisverweigerungsrecht der § 53 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO geschützt. Deshalb ist dem Anwalt der eigenmächtige Bruch der Vertraulichkeit bei Strafe verboten (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Verfassungsrechtlich gesprochen stellt die Mandatsbeziehung einen höchstpersönlichen Bereich der privaten Lebensgestaltung dar, indem der Mandant ohne Sorge vor staatlichen Eingriffen leben soll. Dies kollidiert aber mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der effektiven Strafverfolgung und der möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren. Nachdem das BVerfG bislang diese Kollisionslage zum Ausgleich brachte, in dem es bei der Durchsuchung der Anwaltskanzlei nach § 103 StPO hohe Hürden aufstellte (Gercke, PStR 08, 292), dürfte der Gesetzgeber diese Rechtsprechung durch Einführung des § 160a StPO beendet haben.

     

    Nun ist jede Ermittlungsmaßnahme unzulässig, die sich gegen einen Rechtsanwalt oder eine nach § 206 der BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Person oder einen Kammerrechtsbeistand richtet und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese das Zeugnis verweigern dürfte. Der Gesetzgeber hat sich mithin dazu entschieden, dass der Kontakt zwischen einem Bürger und einem Rechtsanwalt typischerweise den unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung berührt und absoluten Schutz verdient (BVerfG NJW 12, 833). Nach dem Wortlaut des § 160a StPO ist eine Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei nach § 103 StPO unzulässig (Winterhoff, AnwBl. 11, 789). Die Beschlagnahme mandatsbezogener Unterlagen ist schon nach § 97 Abs. 1 StPO unzulässig (Gräfin von Galen, NJW 11, 945).

     

    Die Behörde muss vor einer Durchsuchungsmaßnahme eine Prognoseentscheidung treffen, ob der Adressat der Maßnahme ein Berufsgeheimnisträger ist und ob die erhofften Erkenntnisse voraussichtlich unter den Schutzbereich des Berufsgeheimnisses fallen werden. Dies dürfte jedenfalls für Rechtsanwälte den Schutzbereich des § 160a StPO schon in einem ganz frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens eröffnen, weil sich für die Ermittlungsbehörden der geschützte Bereich des Mandatsverhältnisses aufdrängen muss. Erfolgt eine Durchsuchungsmaßnahme gleichwohl unter Verstoß gegen § 160a StPO ‒ etwa weil die Prognose erkennbar falsch war ‒, sind die hieraus erlangten Erkenntnisse nicht verwertbar und sogar nicht verwendbar nach § 160a Abs. 1 S. 2 
StPO. Der Schutz des Mandatsverhältnisses ist also absolut.

     

    § 160a StPO findet dort keine Anwendung, wo sich die Maßnahme gegen den Rechtsanwalt als Beschuldigten gemäß § 102 StPO richtet. Das gilt nach § 160a Abs. 4 StPO auch dort, wo gegen den Rechtsanwalt der Verdacht einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei besteht. Gleichwohl sind die Anforderungen an eine Durchsuchung nach § 102 StPO angesichts der 
Bedeutung des Rechts auf effektive Verteidigung höher als im Regelfall (BGH NJW 73, 2035). Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist besonders das Gewicht des Vorwurfs, der Verdachtsgrad sowie die Interessen des (zwangsläufig mitbetroffenen) Mandanten zu berücksichtigen (Gercke, PStR 08, 292).

     

    Das LG Mannheim (wistra 12, 400 m. Anm. Ballo, NZWiSt 13, 46) hält ausweislich eines obiter dictums eine weitere Ausnahme zum absoluten Schutz des 
§ 160a StPO für möglich. Danach sollen Durchsuchungsmaßnahmen auch nach § 103 StPO möglich bleiben, wenn „evident missbräuchliche Gestaltungen“ vorgenommen worden sind. Denn § 160a StPO habe zum Ziel, das potenzielle Verteidigungsmandat zu schützen. Verfassungsrechtlich billigenswert sei hingegen nicht der Schutz eines Zeugen, der im Grundsatz keine strafrechtlichen 
Ermittlungen gegen sich selbst zu erwarten habe, vor unerwünschten Aufklärungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden. Angesprochen sind hier wohl vor allem sog. Internal Investigations, in denen Anwaltskanzleien mit der Aufklärung eines potenziell strafrechtlich relevanten Vorgangs befasst werden und die Erkenntnisse in der Kanzlei verwahren. Hier bestehe die Sorge vor 
einer unzulässigen Beweismittelverlagerung in den Gewahrsamsbereich des Rechtsanwalts und einer Vermischung mit geschützten Mandatsunterlagen, um zielgerichtet auf die Überwachung und Beschlagnahme der Beweismittel zu verzichten. Allerdings seien solche missbräuchlichen Gestaltungen nur dort zu befürchten, wo z.B. ganze Areale eines Firmengeländes per Untermietvertrag in den Gewahrsamsbereich des Rechtsanwalts verlagert werden oder wo dem Rechtsanwalt große Mengen an Originalunterlagen übergeben werden, ohne dass Kopien im Unternehmen bleiben. Im Ergebnis greift das LG Mannheim nur die h.M. zur Auslegung des Beschlagnahmeverbots nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO auf, wonach ein Beweismittel, das sich im Gewahrsam eines Rechtsanwalts befindet, beschlagnahmt werden kann, wenn es dorthin allein verbracht wurde, um es zu verstecken („Beweismittelasyl“). Das Beweismittel bleibt aber beschlagnahmefrei, sofern es der Rechtsanwalt als Informationsquelle für seine Mandatstätigkeit nutzt (Park, Durchsuchung und Beschlagnahme, Rn. 562).

     

    Weiterführender Hinweis

    • In der nächsten Ausgabe von AK haben wir für Sie die 20 „goldenen Regeln“ zur Durchsuchung und Beschlagnahme zusammengefasst.
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 44 | ID 40322930