· Fachbeitrag · Prozessführung
Bei mangelhaften Angaben sind Gutachter nicht gleich „befangen“
von Christian Noe B. A., Göttingen
| Halten sie ein Gutachten nach der Lektüre für lücken- oder mangelhaft, lehnen Anwälte häufig den Gutachter ab. Das ist manchmal etwas vorschnell und auch falsch, wie eine Entscheidung des LSG Thüringen zeigt. Denn entscheidend ist das Verhalten des Gutachters und nicht allein seine inhaltliche Arbeit. |
Entscheidungsgründe
Das LSG Thüringen wies den Ablehnungsantrag zurück (11.4.23, L 1 U 1380/19, Abruf-Nr. 235777). Ein Gutachter kann aus denselben Gründen abgelehnt werden wie ein Richter (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG, § 406 Abs. 1 S. 1, § 42 Abs. 1 und 2 ZPO). Ist ein Gutachter bereits tätig geworden, hält der BGH einen Befangenheitsantrag zumindest dann nicht für verspätet, wenn dieser innerhalb der Frist eingereicht wird, die das Gericht zur Stellungnahme gesetzt hat und sich die Sorge der Befangenheit erst ergibt, nachdem das Gutachten gelesen wurde (15.3.05, VI ZB 74/04). Zwar wurde hier die vom Gericht gesetzte (verlängerte) Frist gewahrt, allerdings rügte der Anwalt in seinem Antrag ausschließlich inhaltliche Mängel des Gutachtens.
Um einen Gutachter abzulehnen, müssen entsprechende Tatsachen und Umstände vorliegen, die sich u. a. aus dem Verhalten des Gutachters ergeben und die ablehnende Partei bei vernünftiger Betrachtung befürchten lassen, dass dieser in der Sache nicht unvoreingenommen und damit parteiisch ist. Das kann beispielsweise bei Privatgutachtern der Fall sein, die unter Druck geraten können, auf frühere Auftraggeber Rücksicht zu nehmen. Oder in Fällen, wenn Gutachter ihr Aufgabengebiet überschreiten, indem sie im Gutachten Beweiswürdigungen vornehmen (was Sache des Gerichts ist), dem Anwalt der Prozesspartei „Ratschläge“ geben oder Formulierungen verwenden, die für sich genommen oder insgesamt überflüssig, unangemessen, unsachlich oder auch abwertend sind (OLG Düsseldorf 29.8.22, 15 U 83/19).
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