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Legal Coaching: So kommunizieren Sie klassische Rechtsberatung auf moderne Weise
von Dr. Geertje Tutschka, PCC, Anwältin und Legal Coach in Deutschland und Österreich
| Juristen erwerben und präsentieren ihre Fachexpertise heute in der Regel, wie vor hundert Jahren, als klassische Rechtsberatung und Rechtsbegleitung. Diese haben sie in ihrer Aus- und Weiterbildung in Studium und Referendariat gelernt. Modernes Legal Coaching geht darüber hinaus und bindet Soft Skills und Psychologie zur ganzheitlichen Rechtsberatung und zur idealen Kommunikation mit dem Mandanten ein. Der folgende Beitrag erläutert, was dies konkret bedeutet. |
1. Das ist Legal Coaching
Coaching wird im Allgemeinen eingesetzt, um eigene Entscheidungen zu finden, um in Veränderungs- und Entwicklungsprozessen zu begleiten oder um Lebensziele und Werte zu klären. Legal Coaching ist ähnlich wie Medical Coaching eine besondere Anwendung von Coaching in hochqualifizierten Beratergruppen.
a) Es gibt verschiedene Coaching-Disziplinen
Unternehmensberatungen wissen seit Langem um die Wirksamkeit von Coaching und nutzen dies effektiv in der Beratung und Begleitung ihrer Klienten. So ist Business Coaching entstanden. Das vor allem in Deutschland etablierte Systemische Coaching arbeitet mit dem Beziehungssystem, das den Kunden umgibt. Life Coaching bezieht sich auf den eher privaten Bereich, in dem das Coaching wirken soll. Legal Coaching ist eine spezielle Intervention im juristischen Beratungsmandat und wird immer von Juristen ausgeübt.
b) So arbeitet das Legal Coaching
Letztlich hat es die Mediation bei den meisten Anwälten nicht zum Geschäftsmodell geschafft, obgleich Mediationsausbildungen bei Juristen nach wie vor beliebt sind. Auch als Konfliktcoach kann zusätzliches Geschäft generiert werden. Doch letztlich sind Mediatoren und Konfliktcoaches oft keine Juristen. Wenn Anwälte Konflikte bilateral befrieden wollen, kann der Anwalt als Legal Coach das Mandat bearbeiten und auf die Krisen- und Konfliktbewältigung hinwirken.
Beim Legal Coaching wird die juristische Fachexpertise mit besonders effektiven Kommunikationstechniken und psychologischem Know-how wirkungsvoll eingesetzt. Mit Legal Coaching kann der Anwalt entweder punktuell oder in einem kompletten Coachingprozess das subjektiv beste Ziel erreichen und zwar ‒ ähnlich, wie bei einem juristischen Mediator ‒ auf der Grundlage juristischen Sachverstands. So stellt er dem Mandanten mehrere mögliche rechtliche Lösungen vor, gibt aber nicht etwa eine bloße Empfehlung oder lässt den Mandanten mit der Entscheidung allein. Der Legal Coach erarbeitet diese Entscheidung zusammen mit dem Mandanten in Gesprächsstrukturen, zu denen offene Fragen, aktives Zuhören, stille Arbeit und die Einbeziehung des relevanten Mandanten-Systems gehören.
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Die Global Consumer Awareness Study wird alle fünf Jahre weltweit von ICF und PwC erhoben. Die aktuelle Studie 2022 sieht im internationalen Coachingmarkt insgesamt einen sich rasant entwickelnden Markt (iww.de/s6550). Dabei sind große Teile der sog. westlichen Welt bereits erschlossene Märkte, beispielsweise die EU, die USA, Großbritannien und Australien. Am stärksten wächst die Branche gerade in Osteuropa, Asien und Afrika.
Die Branche hat sich in den letzten zehn Jahren nicht nur dort verdoppelt ‒ die Erwartungshaltung an das Potenzial von Coaching hat sich sogar verdreifacht. Coaching wird schon jetzt zusammen mit Mentoring und Training als dreimal so wirkungsvoll eingeschätzt wie die Klassiker „Fachberatung“ und „Fachbegleitung“. Vor allem nachwachsende Generationen, wie Gen X, Millennials und Gen Z, die mit der Digitalisierung vertraut sind und freien Zugang zu (Fach-)Informationen haben, setzen eher auf Erfahrung und die Erarbeitung individueller Lösungen als auf das klassische Wissensmonopol von Fachexperten. Die größte und wichtigste Zielgruppe für Coaching besteht demnach
Es fällt auf, dass diese coaching-affine Zielgruppe mit den drei wichtigsten Zielgruppen der Rechtsbranche identisch ist, also mit
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2. Das sind die Vorteile von Legal Coaching
Ein Legal Coach unterscheidet sich nicht mit Fachwissen, sondern mit seiner Person und seinen persönlichen Stärken von einem Kollegen ohne diese zusätzliche Ausbildung. Das macht ihn im Unterschied zu einem Fachanwalt z. B. für IT-Recht oder Wirtschaftsrecht unaustauschbar. Die Ausbildung ist im gesamten Spektrum einer juristischen Tätigkeit einsetzbar, also als Jurist in der Rechtsabteilung, in Verbänden, der Politik, als Richter oder Staatsanwalt. Ist die Ausbildung nach internationalen Standards erfolgt, kann ein Legal Coach international tätig werden.
Der Anwalt behält als Legal Coach sein Mandat und verliert im Unterschied zur Mediation nicht seine Parteilichkeit. Dadurch wird die Vertrauensbeziehung gestärkt und der Mandant nachhaltig gebunden. Der Anwalt kann als Legal Coach seine bereits vorhandene Fachexpertise optimal einsetzen und unterscheidet sich nachhaltig vom Kollegen. Legal Coaching zahlt sich auch umsatzmäßig aus:
- Höherer Stundensatz als Spezialist (vgl. z. B. https://coachingverband.org/honorar-empfehlung-des-dcvs/)
- (Zusatz-)Mandant
- Folgemandate aufgrund nachhaltiger Mandantenbeziehung
3. So können Sie Legal Coaching lernen
Die berufsbegleitende postgraduale Ausbildung mit Zertifikat erfordert einen weit geringeren Zeiteinsatz als ein klassischer LL.M, eine Promotion oder eine allgemeine systemische Coachingausbildung. Ausbildungen im Legal Coaching ähneln einer Fachanwaltsausbildung:
- Theorie: Ausbildung
- Das Curriculum entspricht anerkannten Standards. Ausbildungsinstitut und Lehrende sind akkreditiert. Die Ausbildung dauert sechs bis zwölf Monate und kostet ab ca. 5.000 EUR.
- Praxis: Zertifizierung
- Sie setzt den Nachweis einer bestimmten Anzahl von Mandaten voraus, die aus bestimmten Bereichen sein müssen.
- Weiterbildungsverpflichtung
Im Unterschied zu einer Fachanwaltsausbildung ist Legal Coaching nicht fachgebiets-, sondern persönlichkeitsbezogen. Es kann in jedem Rechtsgebiet, in jedem Rechtssystem, oder sogar in Kooperationsmandaten mit einem Kollegen, der nicht Legal Coach ist, angewendet werden. Ausbildungen im Legal Coaching sind länderübergreifend einsetzbar. Zertifizierungen können international gelten (z. B. International Coaching Federation ‒ ICF).
4. Dahin geht die Reise
In Deutschland setzen Einzel- und Kleinkanzleien heute schon ca. 100 Legal Coaches ein, um sich zum Wohle der Mandanten von der Konkurrenz zu unterscheiden und einen positiven Gegenakzent zur digitalen Optimierungswelle zu setzen. Mittlere und große Kanzleien bauen gerade ähnlich wie für Inkasso und Zwangsvollstreckung eigene Legal Coaching Units auf, die je nach Mandat einbezogen werden können. Großkanzleien setzen auf Legal Coaching Ausbildungen, um Inhouse-Mentoring-Programme professionell und effektiv zu gestalten sowie ihre Führungs- und Kanzleikultur nachhaltig zukunftsfit zu machen. Letztlich ist diese Qualifizierung aber auch bei Juristen mit Führungs- und/oder Personalaufgaben oder bei Recruitern beliebt.
Bereits im Jahr 2013 hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) durch die Prognos AG die Studie „Der Rechtsdienstleistungsmarkt 2030“ zur Zukunft des deutschen Rechtsmarkts erstellen lassen (iww.de/s6551). Untersucht wurden Aspekte, wie weiter zunehmender Konkurrenz- und Kostendruck, Vergütung, Digitalisierung, Personalabbau, neue anwaltliche Geschäftsmodelle, standardisiertes Wissen und Rechtslösungen durch andere Anbieter sowie die Zunahme der Spezialisierungen und vielfältigeren Kanzleiformen und Zusammenschlüsse.
Nach der DAV-Studie werden die Persönlichkeit des Anwalts und die Werte der Kanzlei (wie Diversität, Nachhaltigkeit, Klimaneutralität, Eigenverantwortung) von zentraler und entscheidender Bedeutung im Konkurrenzkampf um Mandate und Nachfolger werden.
Der weitere Abbau von Justizinfrastruktur wird es laut der Studie erforderlich machen, dass die Bedeutung sozialer Einrichtungen, alternativer Akteure und Finanzierungsformen, Pro-Bono-Tätigkeiten der Anwaltschaft oder aber die Hinzuziehung von Mediatoren, Psychologen oder Vermittlern eine spannende Entwicklungsmöglichkeit für Anwälte darstellen wird.
Weiter hat das Ergebnis der Studie darauf hingewiesen, dass das Überangebot an rein fachlicher Weiterbildung zu einem Ungleichgewicht im Verhältnis zur Ausbildung von Soft Skills und Persönlichkeitsfaktoren geführt hat. Das wird daran deutlich, dass die Fachanwaltschaften nicht mehr, wie noch vor einigen Jahren, automatisch zu einer Gewinnerzielung beitragen können. Auch die Erwartungshaltung des Marktes fordert zwar einerseits Spezialisierungen ein. Andererseits werden aber ganzheitliche Problemlösungen immer relevanter: Es geht nicht nur um die reine Gesetzesanwendung und rechtliche Lösungen, sondern es wird stärker auf ein problemlösungs- und dienstleistungsfokussiertes ganzheitliches Angebot Wert gelegt. Auch die Future Ready Lawyer Studie von Wolters Kluwer von 2021 bestätigt dies (iww.de/s6552).
FAZIT | Für eine ganzheitliche Rechtsberatung mit diplomatischen, differenzierten, flexiblen Lösungen braucht die Rechtsbranche diverse, agile und kommunikationsvirtuose Teams. Legal Coaches können hier eine Schlüsselrolle übernehmen: Sie können sich im Einzelfall bewusst für die jeweils effizientere Methode entscheiden und haben im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen die Wahl. So gesehen, vereinen sie das Beste aus der alten und der neuen Rechtsberatung. |