· Fachbeitrag · Vergütung
Gleiche Arbeit heißt gleicher Lohn für Männer und Frauen: Folgen des BAG-Urteils für die Praxis
von Rechtsanwältin Dr. Viktoria Winstel, Osborne Clarke, Köln
| Eine Arbeitnehmerin hat Anspruch auf gleiches Entgelt wie ihr männlicher Kollege, wenn sie die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet. Der Arbeitgeber darf das höhere Gehalt eines männlichen Arbeitnehmers nicht mehr damit begründen, dass dieser in den Vertragsverhandlungen das höhere Gehalt besser verhandelt hat. Das ist die Quintessenz aus einem Urteil des BAG. Für Sie als Arbeitgeber ergeben sich wichtige Folgen und Handlungsempfehlungen. |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Ein Arbeitgeber hatte der Bewerberin und dem Bewerber 3.500 EUR monatlich angeboten. Als Letzterer dies ablehnte, zahlte ihm der Arbeitgeber in der Einarbeitungsphase ein Grundgehalt von 4.500 EUR pro Monat. Damit aber hat der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Er hat ihr im Vergleich zu ihrem männlichen Kollegen ein niedrigeres Entgelt gezahlt, obwohl beide die gleiche Arbeit verrichteten. Daher hat die Arbeitnehmerin einen Anspruch auf gleiches Entgelt für die gleichwertige Arbeit wie ihr männlicher Kollege. Grundlage ist Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG (BAG 16.2.23, 8 AZR 450/21, Abruf-Nr. 233917).
Das BAG stellte fest: Dadurch, dass die Arbeitnehmerin für die gleiche Tätigkeit ein niedrigeres Grundgehalt erhält als ihr männlicher Kollege, wird nach § 22 AGG vermutet, dass die niedrigere Vergütung nur aufgrund des Geschlechts erfolgt. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung widerlegen, wenn er vorträgt und beweist, dass die Gehaltsunterschiede auf geschlechtsneutralen, objektiven Kriterien beruhen.
Das Interesse des Arbeitgebers an der Gewinnung eines geeigneten Arbeitnehmers ist kein solches objektives Kriterium, wenn der männliche Bewerber während der Vertragsverhandlungen ein höheres Entgelt einfordert. Auch die Begründung des Arbeitgebers reicht nicht, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt.
Da der Arbeitgeber die vermutete Diskriminierung nicht entkräften konnte, hat das BAG der Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Nachzahlung der gesamten Gehaltsdifferenzen und einen Zahlungsanspruch auf Entschädigung in Höhe von 2.000 EUR nach § 15 Abs. 2 AGG zugesprochen.
Relevanz für die Praxis
Aufgrund der Entscheidung steht fest: Arbeitgeber können nur unter strengen Anforderungen vortragen und beweisen, dass Gehaltsunterschiede auf geschlechtsneutralen, objektiven Kriterien beruhen.
Für Gehaltsunterschiede sind objektive Kriterien nötig. Nach Ansicht des BAG kann ein solches objektives Kriterium je nach den Umständen des Einzelfalls z. B. das Dienstalter und die damit verbundene Berufserfahrung sein (vgl. BAG 21.1.21, 8 AZR 488/19, Abruf-Nr. 220283). Besonderes Verhandlungsgeschick eines männlichen Bewerbers während der Vertragsverhandlungen zählt jedenfalls nicht dazu.
PRAXISTIPP | Sie als Arbeitgeber sollten Arbeitnehmerinnen mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit dasselbe Gehalt wie ihren männlichen Kollegen zahlen, wenn Sie ausschließlich aufgrund von Forderungen eines männlichen Bewerbers die Bezahlung eines höheren Gehalts mit diesem vereinbaren. |
Die Entgeltgleichheit geht bei Arbeitsverträgen vor der Vertragsfreiheit. Die Entscheidung zeigt, welches Spannungsverhältnis zwischen der im Privatrecht grundsätzlich geltenden Vertragsfreiheit und dem Grundsatz der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen besteht. Das BAG löst dieses Spannungsverhältnis dahin gehend auf, indem es den Grundsatz der Entgelt-gleichheit zwischen Männern und Frauen als Beschränkung der Vertragsfreiheit bei Abschlüssen von Arbeitsverträgen sieht.
Das BAG geht wohl davon aus, dass weibliche und männliche Bewerber in arbeitsrechtlichen Vertragsverhandlungen schon aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich starke Verhandlungspositionen haben. Daher hat das Geschlecht der bewerbenden Person einen maßgeblichen Einfluss auf den Verhandlungserfolg hinsichtlich der Höhe der Vergütung. Mithin ist die Vertragsfreiheit für Vereinbarungen von unterschiedlich hohen Vergütungen zumindest dann beschränkt, wenn der Arbeitgeber mindestens zwei Arbeitnehmer unterschiedlichen Geschlechts in der gleichen oder gleichwertigen Tätigkeit beschäftigt.
Beachten Sie | Dies sollte auch für den ‒ wenn auch selteneren ‒ Fall gelten, dass ein Mann im Vergleich zu seiner weiblichen Kollegin für die gleiche oder gleichwertige Arbeit ein niedrigeres Entgelt erhält. Schließlich gilt der Grundsatz auf Entgeltgleichheit für alle Geschlechter (Art. 157 Abs. 1 AEUV und §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG).
FAZIT | Bereits jetzt lässt sich feststellen, dass der Grundsatz der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen zukünftig effektiver und leichter vor Gericht durchzusetzen ist. Es ist damit zu rechnen, dass Ansprüche auf Nachzahlung von Gehaltsdifferenzen und Entschädigungszahlungen wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in größerem Umfang geltend gemacht werden. Aktuell kann jeder Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber mindestens 200 Angestellte beschäftigt, einen individuellen Auskunftsanspruch geltend machen, um das Vergleichsgehalt zu erfahren. Spätestens ab Juni 2026 gilt dieses Recht unabhängig von der Unternehmensgröße. Es ist ratsam, von Anfang an darauf zu achten, dass gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten gleich entlohnt werden. Ist dies nicht der Fall und werden deswegen Ansprüche auf Nachzahlung erhoben, sollte genau überprüft werden, ob sachliche Gründe vorliegen, die dies rechtfertigen können. |