17.08.2000 · IWW-Abrufnummer 000194
Bundesfinanzhof: Urteil vom 19.10.1999 – IX R 39/99
BUNDESFINANZHOF
Vermieten Eltern ihrem unterhaltsberechtigten Kind eine ihnen gehörende Wohnung, dann ist der Mietvertrag nicht deshalb rechtsmißbräuchlich i.S. des § 42 AO 1977, weil das Kind die Miete aus dem Barunterhalt der Eltern zahlt (Änderung der Rechtsprechung gegenüber BFH-Urteil vom 23. Februar 1988 IX R 157/84, BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604).
AO 1977 § 42 EStG § 21 Abs. 1 BGB § 1612 Abs. 2
Urteil vom 19. Oktober 1999 - IX R 39/99 -
Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1998, 1520)
Gründe
Die in X wohnenden Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind seit 1983 Eigentümer einer Eigentumswohnung in Y, die sie ab diesem Zeitpunkt an fremde Dritte (Studenten) und im Jahre 1993 --zu unveränderten Bedingungen-- an ihre nunmehr in Y studierende (volljährige) Tochter vermieteten. Die Miete (einschließlich Nebenkosten) betrug nach dem mit der Tochter formularmäßig geschlossenen Mietvertrag 500 DM monatlich und war auf das Bankkonto der Kläger zu überweisen. Die Kläger zahlten der Tochter --ebenso wie deren Geschwistern-- in den Streitjahren (1993 und 1994) jeweils 1 200 DM monatlich als Unterhalt. Die eigenen Einkünfte der Tochter betrugen in den Streitjahren 1 152 DM (1993) bzw. 4 142 DM (1994).
In ihrer Einkommensteuererklärung für die Streitjahre machten die Kläger bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Wohnung in Y nach § 21 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte Werbungskostenübeschüsse (1993: 4 575 DM und 1994: 7 152 DM) geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ab dem Zeitpunkt der Vermietung der Wohnung an die Tochter nicht mehr zum Abzug zuließ.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1998, 1520).
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977).
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Abänderung der berichtigten Einkommensteuerbescheide 1993 und 1994 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der an die Tochter vermieteten Wohnung Werbungskostenüberschüsse von insgesamt 4 575 DM (1993) und 7 152 DM (1994) zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA hat am 7. Oktober 1999 für die Streitjahre Änderungsbescheide erlassen und jeweils im Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. November 1998 2 BvL 42/93 u.a. die Steuerfestsetzung --neben anderen Vorläufigkeitsvermerken-- hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge (§ 32 Abs. 6 EStG) für vorläufig erklärt. Die Kläger haben die Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens gemacht (§§ 68, 121, § 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das FG hat das strittige Mietverhältnis zu Unrecht nicht der Besteuerung zugrunde gelegt. Entgegen der Auffassung des FG stellt das mietweise Überlassen der Wohnung an die unterhaltsberechtigte Tochter der Kläger keine Naturalunterhaltsleistung dar.
1. Aus den Feststellungen des FG ergeben sich keine Anhaltspunkte, daß die Vereinbarungen zwischen den Klägern und ihrer Tochter nur zum Schein getroffen sein könnten (§ 117 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) und das Mietverhältnis deshalb als Scheingeschäft gemäß § 41 Abs. 2 AO 1977 steuerrechtlich nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zur Prüfung, ob ein Scheingeschäft vorliegt, z.B. Senatsurteile vom 19. Dezember 1995 IX R 85/93, BFHE 180, 265, BStBl II 1997, 52, und vom 28. Januar 1997 IX R 23/94, BFHE 182, 542, BStBl II 1997, 655).
2. Der Mietvertrag hält auch dem sog. Fremdvergleich stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Verträge zwischen Angehörigen der Besteuerung nur dann zugrunde zu legen, wenn sie zum einen bürgerlich-rechtlich wirksam geschlossen sind und darüber hinaus sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht. Die neuere Rechtsprechung des Senats setzt dabei zumindest voraus, daß die Hauptpflichten der Vertragsparteien, wie das Überlassen einer bestimmten Mietsache zur Nutzung und die Höhe der zu entrichtenden Miete (vgl. § 535 BGB), klar und eindeutig vereinbart worden sind und entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt werden (z.B. Senatsurteile vom 20. Oktober 1997 IX R 38/97, BFHE 184, 463, BStBl II 1998, 106, und vom 17. Februar 1998 IX R 30/96, BFHE 185, 397, BStBl II 1998, 349).
Nach den bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) ist dies im Streitfall geschehen. Die Kläger hatten insbesondere die Wohnung zu unveränderten Bedingungen in den Jahren zuvor an fremde Dritte vermietet. Die getroffenen Vereinbarungen wurden tatsächlich durchgeführt.
3. Entgegen der Auffassung des FG ist das Vermieten der den Klägern gehörenden Wohnung an ihre unterhaltsberechtigte unverheiratete Tochter kein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO 1977. An der im Urteil vom 23. Februar 1988 IX R 157/84 (BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604) und im Beschluß vom 14. Juni 1988 IX B 157/87 (BFH/NV 1990, 97) vertretenen Rechtsauffassung hält der Senat nicht mehr fest.
a) Ein Gestaltungsmißbrauch im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 3. Februar 1998 IX R 38/96, BFHE 185, 379, BStBl II 1998, 539, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272). Auch Angehörigen steht es frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (Senatsurteil in 185, 379, BStBl II 1998, 539, m.w.N.).
b) Der Unterhalt für unterhaltsberechtigte Kinder (§§ 1601 f. BGB) ist grundsätzlich durch Entrichten einer Geldrente zu gewähren (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Gesetz räumt aber den unterhaltsverpflichteten Eltern die Möglichkeit ein, gegenüber ihrem unverheirateten Kind die Art der Unterhaltsgewährung zu bestimmen (§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB). Sie können ihr Bestimmungsrecht auch in der Weise ausüben, daß sie neben einer Teilrente in Geld eine Wohnung außerhalb des Elternhauses bereitstellen (vgl. z.B. Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17. Mai 1979 BReg. 1 Z 12/79, Neue Juristische Wochenschrift 1979, 1712).
Die Kläger haben sich im Streitfall für die Gewährung von Barunterhalt entschieden. Sie haben damit nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von dem ihnen durch das Gesetz eingeräumten Wahlrecht Gebrauch gemacht.
c) Die von den Klägern gewählte Gestaltung wird auch nicht dadurch rechtsmißbräuchlich, daß die Tochter die Miete --zumindest im wesentlichen-- aus dem gewährten Barunterhalt zahlte. Der Einwand, bei einer solchen Fallgestaltung würden aufgrund eines Gesamtplanes nur Geldbeträge hin- und hergeschoben, was unter dem Gesichtspunkt des "vorprogrammierten Rückholverfahrens" rechtsmißbräuchlich sei (vgl. dazu Fischer, Steuer und Wirtschaft 1995, 87, 96; Drosdzol, Finanz-Rundschau 1999, 83, 85), gründet letztlich --wie der Vertreter des im Verfahren IX R 30/98 beigetretenen Bundesministeriums der Finanzen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat-- auf der Überzeugung, bei dem gegebenen Sachverhalt sei ein anderer Weg, das unentgeltliche Überlassen der Wohnung (als Naturalunterhalt), naheliegender sowie allgemein üblich und dementsprechend auch steuerrechtlich maßgebend. Dieser Beurteilung wäre zu folgen, wenn die Eltern dem Unterhalt empfangenden Kind gleichsam die Miete "schenken" und (nur) durch den gleichzeitigen Abschluß des Mietvertrages einen an sich privaten Vorgang in die Einkunftssphäre verlagerten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. Oktober 1991 XI R 1/86, BFHE 166, 136, BStBl II 1992, 239 - Grundstücksverkauf mit gleichzeitiger Teilschenkung des Kaufpreises; Senatsurteil vom 26. März 1996 IX R 51/92, BFHE 180, 330, BStBl II 1996, 443 - Darlehen der minderjährigen Tochter an Elternteil aus zuvor vom anderen Elternteil zu diesem Zweck geschenkten Mitteln). Dies trifft jedoch im Fall der Ausübung des gesetzlichen Bestimmungsrechts gemäß § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zu. Durch die Zahlung von Unterhalt erfüllen die Eltern ihre Leistungspflicht (§ 1601 BGB) und werden insoweit frei (§ 362 BGB). Die Unterhaltszahlung einerseits und die Erfüllung der mietvertraglichen Vereinbarungen andererseits sind zwei bürgerlich-rechtlich und wirtschaftlich unterschiedliche Vorgänge, die auch steuerrechtlich voneinander zu trennen sind.
Das Kind benötigt den Barunterhalt für seinen Bedarf an Wohnen. Die Kosten für eine Wohnung entstehen, gleichgültig, ob das unterhaltsberechtigte Kind diese bei den Eltern oder bei Dritten mietet. Der Umfang der Unterhaltsverpflichtung verringert sich im Falle des Anmietens einer elterlichen Wohnung nicht; auch nicht im Falle der Verrechnung der Geldrente mit dem Mietzins; es mindert sich lediglich der Barbetrag der Rente. Es macht keinen Unterschied, ob den Eltern die Miete aus dem Vertrag mit einem Dritten oder mit ihrem studierenden Kind zufließt. Ihr Vermögen erhöht sich in beiden Fällen um die empfangene Miete und vermindert sich um den gezahlten Unterhalt.
Die Eltern haben allerdings im Falle der Vermietung an ein unterhaltsberechtigtes Kind die Möglichkeit, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 EStG durch Einnahme-Überschußrechnung zu ermitteln. Es wäre aber eine mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zu vereinbarende Benachteiligung, würde einem zwischen Eltern und ihren unterhaltsberechtigten Kindern abgeschlossenen Mietvertrag --der, in gleicher Weise mit einem fremden Dritten abgeschlossen, nicht zu beanstanden wäre-- die steuerrechtliche Anerkennung nur deshalb versagt, weil Mieter ein unterhaltsberechtigtes Kind ist (vgl. BVerfG-Urteile vom 24. Januar 1962 1 BvL 32/57, BStBl I 1962, 492, und 1 BvR 232/60, BStBl I 1962, 506 - zu Ehegatten-Arbeitsverhältnissen).
d) Der Ansicht, das Vermieten einer Wohnung an ein Barunterhalt empfangendes, unterhaltsberechtigtes unverheiratetes Kind sei als unentgeltliches Überlassen zu beurteilen (siehe oben, unter 3. c), steht nach Meinung des Senats im übrigen entgegen, daß Angehörige grundsätzlich frei entscheiden können, ob sie Leistungen auf familiärer oder vertraglicher Grundlage erbringen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 21. Januar 1999 IV R 15/98, BFH/NV 1999, 919, m.w.N.; BVerfG-Urteile in BStBl I 1962, 492, und BStBl I 1962, 506 - jeweils zu Ehegatten-Arbeitsverhältnissen).
4. Wohnt und verpflegt sich das unterhaltsberechtigte Kind außerhalb des elterlichen Hausstands, ist die ihm zur Nutzung überlassene Eigentumswohnung der Eltern regelmäßig kein Teil des elterlichen Haushalts (z.B. BFH-Urteil vom 26. Januar 1994 X R 94/91, BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544 - zu § 10e EStG und § 33a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG; vgl. auch BFH-Urteil vom 25. Januar 1995 X R 37/94, BFHE 176, 431, BStBl II 1995, 378) und die Wohnung kann --wie oben dargelegt-- grundsätzlich an das Kind mit steuerrechtlicher Wirkung vermietet werden. Einem zwischen Eltern und ihrem Barunterhalt empfangenden Kind geschlossenen Mietvertrag ist jedoch die steuerrechtliche Anerkennung dann zu versagen, wenn Eltern und Kind noch eine Haushaltsgemeinschaft bilden. Das Vermieten von Teilen einer Wohnung an im Haushalt lebende Mitbewohner hat der Senat schon bisher steuerrechtlich nicht anerkannt (z.B. Senatsurteile vom 8. August 1990 IX R 122/86, BFHE 162, 244, BStBl II 1991, 171, und vom 30. Januar 1996 IX R 100/93, BFHE 180, 74, BStBl II 1996, 359 - Vermieten an Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft). Mietverhältnisse zwischen Eltern und Kindern sind danach der Besteuerung auch dann nicht zugrunde zu legen, wenn die Eltern (Wohnungseigentümer) in bezug auf die an das Kind vermietete Wohnung mehr als die einem (fremden) Vermieter zustehenden Rechte haben, sich insbesondere ein eigenes (Mit-) Nutzungsrecht vorbehalten. Hiervon ist nach den Feststellungen des FG und dem Vorbringen der Beteiligten im Streitfall nicht auszugehen.
5. Die Rechtsprechung des X. Senats des BFH zu § 10e EStG steht der Rechtsansicht des erkennenden Senats nicht entgegen. Danach nutzt zwar der Steuerpflichtige eine dem auswärts studierenden Kind überlassene Eigentumswohnung auch dann i.S. von § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG "zu eigenen Wohnzwecken", wenn er in Erfüllung seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung seinem Kind außerhalb des Familienhaushalts eine Wohnung zur Verfügung stellt. Die Nutzung der Wohnung durch das Kind sei dem Eigentümer als eigene zuzurechnen, weil es ihm obliege, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen (Urteil in BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544, unter 1. b). Das gilt jedoch nicht, wenn --wie im Streitfall-- der Steuerpflichtige seinem Kind die Wohnung aufgrund eines steuerrechtlich anzuerkennenden Mietverhältnisses überläßt, weil diese dann zu "fremden" Wohnzwecken genutzt wird (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 1994 X R 131/93, BFHE 173, 551, BStBl II 1994, 694, unter 1.).
6. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Kläger haben im Zusammenhang mit der Vermietung der Wohnung in Y in den Streitjahren Werbungskostenüberschüsse von insgesamt 4 575 DM (1993) und insgesamt 7 152 DM (1994) geltend gemacht. Das FA hat im Streitjahr 1993 bereits für die Zeit bis zur Vermietung der Wohnung an die Tochter einen Werbungskostenüberschuß von 3 430 DM berücksichtigt (berichtigter Einkommensteuerbescheid 1993 vom 2. Mai 1995).