24.01.2006 · IWW-Abrufnummer 060199
Amtsgericht Darmstadt: Urteil vom 27.06.2005 – 305 C 421/04
Der Rechtsanwalt kann einen Vorschuß auch auf solche Gebühren verlangen, deren Berechnungsvoraussetzungen erst im weiteren Verlauf deder zu erwartenden anwaltlichen Tätigkeit vorliegen.
Bei der Ermittlung der angemessenen (Mittel)Gebühr ist im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren hinsichtlich der Höhe der verhängten bzw. drohenden Geldbuße ausschließlich auf einen verkehrsrechtlichen Zusammenhang abzustellen.
305 C 421/04
AG Darmstadt
Urteil
Im Namen- des Volkes
In dem Rechtsstreit pp.
hat das Amtsgericht Darmstadt durch den Richter am Amtsgericht W. nach Sachlage am 27.6.05 für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, den. Kläger wegen Gebührenansprüchen der Rechtsanwälte X. in Höhe von 235, - ? freizustellen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 235,- ? nebst 5 % Punkten Zinsen über dem jeweiligen Basisdiskontsatz seit 25.08.2004 zu Händen seiner bevollmächtigten Rechtsanwälte zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreit zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar,
Tatbestand
Unstreitig schlossen die Parteien miteinander einen Rechtschutzversicherungsvertrag mit der Versicherungs-Nr. XXXXX. Im Bescheid vom 06.08,2004 leitete das Regierungspräsidium Kassel - Zentralstelle Bretten ein Bußgeldverfahren gegen, den Kläger wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung am 01.07.2004 ein. lm Hinblick auf den weiteren Inhalt des Bescheides wird auf dies en Bezug genommen. Am 09.08.2004 beauftragte der Kläger die Rechtsanwälte X. mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen in dem genannten Bußgeldverfahren, Am gleichen Tag forderten die Rechtsanwälte die Beklagte schriftlich auf, Deckungszusage zu erteilen und den berechneten Kostenvorschussbetrag in Höhe von 435, -- ? an sie zu zahlen, Am 23:08,2004 erteilte daraufhin die Beklagte Deckungszusage und zahlte 200,- ?. Am 25.08.2004 teilte die Beklagte den Rechtsanwälten mit, dass sie weitere Zahlungen verweigere.
Der Kläger behauptet, dass die Höhe des anwaltlichen Honorars allein der Rechtsanwalt, nicht aber die Versicherung durch Ausübung von. Ermessen festlegen könne und dass seine Rechtsanwälte Vorschußzahlungen in der zu erwartenden Gesamtkosten des verwaltungsrechtlichen Verfahrens beanspruchen können. Der Kläger vertritt zudem die Ansicht, dass die Beklagte sich seit dem 26.07.2004 aufgrund der Verweigerung von weiteren Zahlungen im Verzug befinde.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn wegen Gebührenansprüchen der Rechtsanwälte X. vom 09.08.2004 in Höhe von 235, - ? freizustellen und 235,- ? nebst 5° Punkten Zinsen über dem jeweiligen Basisdiskontsatz seit 25.08.2004 zu Händen seiner bevollmächtigten Rechtsanwälte zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet dass sie sich im Verzug befinde. In diesem Zusammenhang behauptet sie, sie sei vielmehr zu keinen weiteren als die bereits erfüllten Zahlungen verpflichtet, Die Rechtsanwälte des Klägers beanspruchen Vorschusszahlungen über eine Verfahrensgebühr, die erst nach tatsächlichem Mitwirken des Rechtsanwaltes berechnet werden könne. Eine derartige Mitwirkung der Rechtsanwälte des Klägers sei, jedoch auch in der Zukunft nicht ersichtlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Dem Kläger steht aus der ARB des Rechtschutzversicherungsvertrages ein Anspruch auf Freistellung auch für den Restbetrag des berechneten Vorschusses' Aus der Vorschussrechnung Nr . Der Kläger hat die Anwälte ordnungsgemäß beauftragt und die Beklagte hat dem Kläger Deckungsschutz zugesagt. Es handelt sich bei dem Bui3geldverfahren auch unstreitig um einen Versicherungsschutzfall im Rahmen der ARB der Beklagten. Denn die Ereignisse am 1. 7. 2004 ereigneten sich im privaten Lebensbereich des Klägers. Bereits. im Zeitpunkt der Beauftragung- der Rechtsanwälte waren diese gemäß § 9 RVG berechtigt, einen Kostenvorschuss zu berechnen.
Ein Kostenvorschuss kann zudem bis zu der Fälligkeit der Endrechnung verlangt werden. Die Angemessenheit des hier verlangten Vorschusses entfällt auch, dann nicht, wenn die Rechtsanwälte von der Möglichkeit zur vollen Ausschöpfung des Rahmens der Vorschussberechnung Gebrauch gemacht haben, da ein Anwalt im Sinne des § 9 RVG alle voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen in die Berechnung aufnehmen kann. Zum eindeutigen Wortlaut des § 9 RVG tritt auch der Gesichtspunkt der Erfordernis der Transparenz im Rahmen der Gebührenberechnung. Bei der Geltendmachung aller zu erwartenden Gebühren des Verfahrens wird gerade die Transparenz des Berechnungsumfangs verstärkt gewährleistet.
Hier berechnen die -Anwälte die für das öffentlich-rechtliche Verfahren gehende gesetzliche Grundgebühr aus RVG VV 5100 sowie neben der Verfahrensgebühr nach RVG VV 5103, der Auslagenpauschgebühr aus RVG VV 7001,7002. und der ausgewiesenen MwSt. nach RVG VV 7008 auch eine weitere Rahmengebühr nach RVG W 5115. Die Berechnung des Vorschusses war im Hinblick auf alle ihrer Berechnungsposten auch berechtigt. Die Richtigkeit der Berücksichtigung der gesetzlichen Gebühren in der Rechnung aus RVG VV 5100 und 5103 kann da hingestellt werden. Die in dem vorliegenden Fall erfolgte Berechnung der Rahmengebühr ist jedoch ebenfalls vom Grunde nach berechtigt. Zwar setzt RVG VV 5115 voraus, dass die Berechnung der Gebühr für die Erledigung des Verfahrens vor der Hauptverhandlung dem Rechtsanwalt erst dann zusteht, wenn die Erledigung oder Entbehrlichkeit durch seine Mitwirkung erzielt wurde, Der Regelung des § 9 RVG wird jedoch durch, den RVG VV 5115 nicht eingeschränkt. Der Sinn der Vorschrift besteht nämlich gerade darin, erst zu erwartende und im späteren Verlauf des Verfahren entstehenden Kosten bereits im Zeitpunkt der Auftragserteilung gehend machen zu können. Sonst könnte die bezweckte Sicherungsmöglichkeit der anwaltlichen Ansprüche nicht ausgeschöpft werden. Die Wirkung des § 9 RVG erstreckt sich deshalb stets auch auf Gebühren, deren Berechnungsvoraussetzungen erst im weiteren Verlauf der zu erwartenden anwaltlichen Tätigkeit vorliegen werden. Die Behauptung der Beklagten, eine weitere, Erfolg versprechende Mitwirkungshandlung der beauftragten Anwälte sei in diesem Fall aussichtslos, überzeugt nicht. In diesem Zusammenhang fehlt es an der ausreichenden Darstellung der Aussichtslosigkeit der Vornahme weiterer Verfahrenshandlungen der Anwälte. Allein daraus, dass bisher lediglich eine Akteneinsicht durch die Anwälte erfolgt ist und ein Mandatsgespräch durchgeführt wurde, kann nicht schon auf die überwiegende Unwahrscheinlichkeit einer späteren Einlassung geschlossen werden. Die Beklagte trägt- deshalb nicht ausreichend vor, warum seitens der Anwälte des Klägers die Voraussetzungen des RVG VV 5115 zu einem späteren Zeitpunkt nicht erfüllt werden würde.
Die Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 RVG. Die Beklagte verkennt den Sinn der Vorschrift, indem sie sich selbst ein Ermessen einräumt. Diese These wird allein schon durch den unmissverständlichen Wortlaut der Regelung untergraben. Dort steht ausdrücklich ein ausschließliches Bemessungsrecht des Rechtsanwalts nach seinem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzellfalles, Der umfangreiche Vortrag des Klägers bezüglich der Richtigkeit der Festlegung einer Mittelgebühr durch seine Anwälte sowohl für RVG VV 5103 als auch für RVG VV 5115 überzeugt das Gericht. Denn der zeitliche Aufwand des Anwalts ist in mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Bußgeldverfahren erheblich. Der Anwalt muss nicht nur das Messprotokoll au sein Vorliegen, auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen. Er muss zusätzlich auch die einwandfreie technische Funktion der verwendeten Messgeräte im Zeitpunkt der Messung und deren rechtzeitige Eichung untersuchen. Diese Ermittlungen sind bekannter Weise sehr zeitaufwendig und können nicht als unterdurchschnittlich bewertet werden. Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ist er darüber hinaus nicht verpflichtet. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit der Anwälte des Klägers im Bezug auf die Intensität der juristischen Arbeit kann entgegen dem Vortrag der Beklagten ebenfalls nicht ohne Weiteres als geringfügig eingeschätzt werden. Die Beurteilungen allein schon hinsichtlich der Voraussetzungen eines eventuellen Widerspruchs gegen einen Bußgeldbescheid verursachen eine gewöhnliche juristische Prüfung des Sachverhaltes.
Des Weiteren besteht kein Anlass zur Abwertung der Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen, wenn dieser zwar nicht mit dem Entzug des Führerscheins rechnen muss, jedoch die Eintragung von Strafpunkten im Zentralregister in Flensburg zu befürchten hat. Dazu wurde dem Kläger zusätzlich noch ein Bußgeld in Höhe von 200 ? angedroht. Der genannte Betrag kann indes nicht in einem konstruierten Gesamtzusammenhang mit der Bußgeldanordnung im Rahmen verkehrsrechtsfremden Verwaltungsverfahren des öffentlichen Rechts gebracht werden. § 14 Abs. 1 RVG verpflichtet den Rechtsanwalt gerade, bei seiner Ermessensausübung auf die Umstände des Einzellfalles abzustellen. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Höhe des Bußgeldes ausschließlich im verkehrsrechtlichen Zusammenhang betrachtet werden kann. Dann aber ist die Zahlungsverpflichtung in Höhe von 200 ? keineswegs unbedeutend. Die Einkommensverhältnisse des Auftraggebers spielen bei der Ermessensausübung durch den Anwalt lediglich eine untergeordnete Rolle. Auszugehen ist bei dem Kläger jedoch zumindest von durchschnittlichen Einkommensverhältnissen.
Das Ermessen des Rechtsanwaltes wird gemäß § 14 Abs. 2 RVG in solchen Fellkonstellationen nach Billigkeitsgesichtspunkten begrenzt, in denen ein Dritter die Zahlung des Vorschusses bewirken muss. Der Sachverhalt ist hier jedoch ein anderer. Der Kläger macht seinen Freistellungsanspruch gegenüber der Versicherung geltend. Für den Anwalt besteht keine Anspruchsgrundlage direkt gegen die Versicherung. Die Anwälte des Klägers machen hier jedoch keine eigenen Ansprüche geltend, sondern treten nur als Prozessbevollmächtigte auf.
Die Kostenentscheidung wird der Regelung des § 91 ZPO zugrunde gelegt.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils richtet sich nach §§ 708 Nr.11, 713 ZPO.