14.01.2014 · IWW-Abrufnummer 140119
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 12.11.2013 – II ZB 17/12
ZPO § 233 Fc
Überlässt ein Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er die erforderliche eigenverantwortliche Gegenkontrolle so zu organisieren, dass es ihm anhand der Vermerke in der Handakte auch möglich ist zu überprüfen, ob die notierten Fristen richtig berechnet sind.
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. November 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, die Richterin Caliebe sowie die Richter Dr. Drescher, Born und Sunder
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. Juli 2012 aufgehoben.
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz Kammer für Handelssachen - vom 1. Februar 2012 gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 7.500 €
Gründe
1
I. Mit Urteil vom 1. Februar 2012, der Beklagten zugestellt am 4. Februar 2012, hat das Landgericht einen Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beklagten über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer für nichtig erklärt. Gegen das Urteil hat die Beklagte am 5. März 2012, einem Montag, Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 5. April 2012 wurde der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf hingewiesen, dass bisher keine Berufungsbegründung eingegangen sei. Mit Schriftsatz vom selben Tag, bei Gericht eingegangen am 10. April 2012, hat der Prozessbevollm ächtigte der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und mit gesondertem, auf den 4. April 2012 datiertem Schriftsatz die Berufung begründet.
2
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Beklagte im Wesentlichen ausgeführt: Die Berufungsbegründungsfrist sei aufgrund eines Kanzleiversehens ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden. Eine zuverlässige, in der Berechnung und Einhaltung von Fristen erfahrene und regelmäßig überwachte Hilfskraft habe die Frist im elektronischen Kalender falsch notiert. Ihr Prozessbevollmächtigter habe ausdrücklich auf der Ausfertigung des Urteils die folgende Verfügung getroffen:
1) | o Mdt. (das bedeute: "Abschrift an die Mandantin") |
2) | zdA (das bedeute: "zu den Akten") |
3) | Frist not. (das bedeute: "Frist notieren") Berufung + Berufungsbegründung |
4) | WV (das bedeute: "Wiedervorlage") |
3
Vorsorglich habe ihr Prozessbevollmächtigter auch die Fristlängen angegeben. Es finde sich ein Pfeil auf "Berufung" mit der Angabe "F: 1 Mon", was für "Frist beträgt 1 Monat" stehe, und ein weiterer Pfeil auf "Begründung" mit der Angabe "F: 2 Monate", was für "Frist beträgt 2 Monate" stehe. Vorsorglich habe ihr Prozessbevollmächtigter sogar noch notiert: "Achtung WE!! F: 05.03. Berufung". Damit habe er darauf hingewiesen, dass der Fristablauf für die Berufung an einem Wochenende liege und dass daher der 5. März der Tag des Fristablaufs sei. Dieses Hinweises habe es gar nicht bedurft, weil in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten das Rechtsanwaltsprogramm "Renoflex" benutzt werde, das selbständig erkenne, ob die Frist an einem Wochenende, und die Frist dann entsprechend bemesse und erfasse. Bei der anschließenden Wiedervorlage habe ihr Prozessbevollmächtigter erkennen können, dass die einzelnen Punkte der Verfügung von der sachbearbeitenden Hilfskraft mit Erledigungshäkchen versehen worden seien.
4
Bei der Eingabe der Frist für die Begründung habe die Hilfskraft entgegen der ausdrücklichen Weisung nicht als Anfangsdatum den Tag der Zustellung eingegeben und dazu die Frist "2 Monate", sondern als Anfangsdatum das Datum des Ablaufs der Frist für die Einlegung der Berufung und dazu die Frist "1 Monat". Daher sei im elektronischen Fristenkalender als Tag des Fristablaufs der 5. April 2012 notiert worden und nicht der 4. April 2012.
5
Es komme hinzu, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 4. April 2012 krankheitsbedingt nicht im Büro gewesen sei, er also auch dann, wenn die Frist ordnungsgemäß notiert worden wäre, den bereits vor dem 4. April 2012 diktierten und am 4. April 2012 geschriebenen und ausgedruckten Schriftsatz nicht hätte unterschreiben können und die Frist dann ebenfalls entschuldigt versäumt worden wäre. Allerdings hätte ihr Prozessbevollmächtigter in diesem Fall telefonisch am 4. April 2012 das Berufungsgericht von seiner Verhinderung in Kenntnis gesetzt und um Fristverlängerung gebeten.
6
Das Berufungsgericht hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
7
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten, die sich gegen die Abweisung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig richtet, ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angegriffene Entscheidung verletzt den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (vgl. BVerfG, NJW 2010, 2567 Rn. 14 [BVerfG 11.03.2010 - 1 BvR 290/10]; BGH, Beschluss vom 23. April 2013 II ZB 21/11, ZIP 2013, 1494 Rn. 7 mwN).
9
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233