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  • 04.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193001

    Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 07.03.2017 – OVG 6 N 4.17

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG
              
    BESCHLUSS          

    OVG 6 N 4.17
    VG 5 K 144/14 Cottbus         

    In der Verwaltungsstreitsache
           
    xxx

    hat der 6. Senat durch die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schreier, Maresch und Panzer am 7. März 2017 beschlossen:

    Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 5. Dezember 2016 wird abgelehnt.

    Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

    Gründe

    Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

    1. Ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat die Klägerin nicht aufgezeigt.

    Ernstliche Richtigkeitszweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163, 1164) und nicht nur die Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung Zweifeln unterliegt. Zu ihrer Darlegung muss sich die Zulassungsbegründung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO konkret fallbezogen und hinreichend substantiiert mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen und dartun, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat. Ob an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ernstliche Zweifel bestehen, wird allein anhand der Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung sowie der vom Rechtsmittelführer zur Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes vorgetragenen Gesichtspunkte beurteilt. Vom Rechtsmittelführer nicht genannte Umstände können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie offensichtlich sind. Das Vorbringen der Klägerin zeigt keine ernstlichen Richtigkeitszweifel auf, sie sind auch nicht offensichtlich.

    Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Klägerin, die in dem hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 31. Mai 2013 trotz ihres Umzugs nach Niedersachsen weiterhin Landespflegegeld bezogen hat, ihrer Mitteilungspflicht grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, indem sie den Beklagten nicht über ihren Umzug zum 1. Januar 2011 informiert hat. Die Klägerin sei in dem Bewilligungsbescheid über ihre gesetzlichen Mitteilungspflichten (§ 60 Abs. 1 SGB I i.V.m. § 9 LPflG) informiert worden. Auch einem blinden Menschen könne zugemutet werden, einen Bescheid, der nicht in Blindenschrift gehalten sei, nicht einfach zu ignorieren oder nach dessen Erhalt untätig zu bleiben. Da sich die Klägerin mit einem schriftlichen Antrag an den Beklagten gewandt habe, habe dieser davon ausgehen können, dass die Klägerin jedenfalls in ihrer unmittelbaren Nähe jemanden habe, der ihr bei solchen Aufgabenstellungen helfe und sie gerade nicht auf sich allein gestellt sei.

    a) Soweit die Klägerin rügt, dass das Verwaltungsgericht ihren Vortrag, wonach sie den Antrag auf Landespflegegeld nicht persönlich ausgefüllt, sondern lediglich unterschrieben habe, außer Acht gelassen habe, lässt dies bereits unberücksichtigt, dass das Verwaltungsgericht den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin ausdrücklich in den Tatbestand des Urteils (UA S. 2 f.) aufgenommen hat. Auch aus den Entscheidungsgründen geht hervor, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Klägerin die Antragstellung nicht allein, sondern mit Hilfe einer anderen Person vorgenommen habe (UA S. 6). Hieraus zieht das Verwaltungsgericht den Schluss, dass die Klägerin auch die Hinweise und Belehrungen in dem Bewilligungsbescheid habe zur Kenntnis nehmen können. Soweit die Klägerin dem entgegenhält, sie könne keine Kenntnis darüber erlangen, ob ihr ein Antrag oder Bescheid vollständig vorgelesen werde, da ihr insoweit eine Kontrollmöglichkeit fehle, stellt dies keine den Darlegungsanforderungen im Berufungszulassungsverfahren entsprechende Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung dar. Das Vorbringen verhält sich nicht zu dem hier in Rede stehenden Fall und lässt offen, wie die Klägerin in ihrem Privatbereich wegen ihrer Blindheit organisiert gewesen ist, damit sie Informationen von außen erreichen konnten, zumal in einem Zeitraum, in dem sie mit einer Bescheidung ihres Antrags rechnen musste. Der Einwand der Klägerin, dass ihr Ehemann im Zeitraum vom 15. bis 31. Dezember 2006 auf Montage gewesen sei und sich daher im Zeitpunkt des Zugangs des Bewilligungsbescheides vom 21. Dezember 2006 nicht um ihre Belange habe kümmern können, stellt die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung ebenfalls nicht in Frage, sondern bestätigt vielmehr die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Beklagte davon habe ausgehen dürfen, dass die Klägerin eine helfende Person in ihrer unmittelbaren Nähe gehabt habe. Es ist weder nachvollziehbar dargelegt noch ersichtlich, dass der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin 16 Tage ortsabwesend und erst wenige Tage nach dem Zugang des Bewilligungsbescheides wieder nach Hause gekommen sein soll, einer vollständigen Kenntnisnahme des Bescheides entgegengestanden haben soll. Die Klägerin hat nicht dargetan, weshalb die Abwesenheit des Ehemannes von nur 16 Tagen sie daran gehindert haben soll, den Inhalt des Bewilligungsbescheides mit Hilfe ihres Ehemannes zumindest nach dessen Rückkehr vollständig zur Kenntnis zu nehmen. Im Übrigen befindet sich eine Belehrung über die Mitteilungspflichten zu veränderten Aufenthaltsverhältnissen bereits in dem Antragsformular.

    Auch liegt es auf der Hand, dass die Bewilligung von Pflegegeld nach den landesgesetzlichen Vorschriften des Landes Brandenburg davon abhängig ist, dass der Pflegegeldempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Land Brandenburg hat (vgl. § 1 LPflGG Bbg), so dass der Umzug in ein anderes Bundesland mitgeteilt werden muss.

    b) Soweit die Klägerin sich dagegen wendet, dass sie sich von dem Landesblindengeld eine Vorlesekraft oder ein Vorlesegerät hätte leisten können, lässt sie unberücksichtigt, dass sich das Verwaltungsgericht auf diese Argumentation des Beklagten nicht gestützt hat.

     c) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es im vorliegenden Fall keiner automatischen Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides in Blindenschrift bedurft habe; die Klägerin sei mit einem solchen Begehren auch nicht an den Beklagten herangetreten (UA S. 6 f). Insoweit setzt die Klägerin lediglich ihre eigene Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des Verwaltungsgerichts, ohne sich mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 8 Abs. 2 des Gesetzes des Landes Brandenburg zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BbgBGG) auseinanderzusetzen, wonach blinden Menschen zwar ein Anspruch auf Zugänglichmachung von Bescheiden in einer für sie wahrnehmbaren Form zusteht, dies jedoch nicht eine Verpflichtung der Behörde begründet, in jedem Einzelfall von sich aus eine solche Zugänglichmachung vorzunehmen. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob dem Beklagten die Blindheit der Klägerin bereits bekannt gewesen ist, da er – wie von dem Verwaltungsgericht zutreffend angenommen – davon ausgehen durfte, dass die Klägerin von dem Inhalt des Bescheides aufgrund der Organisation ihres Privatbereiches Kenntnis nehmen konnte.

    Soweit das nach dem von der Klägerin lediglich im Zusammenhang mit der Divergenzrüge (siehe dazu unten) genannten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 25. Juni 2012 (7 A 10286/12) eine Obliegenheit der Behörden bestehe, mit blinden oder sehbehinderten Menschen in einer für sie wahrnehmbaren Form barrierefrei zu kommunizieren, steht dies weder mit der im Land Brandenburg geltenden Rechtlage nach § 8 Abs. 2 BbgBGG in Einklang noch trifft dies auf die vorliegende Fallkonstellation zu. Im Übrigen setzt eine Gestaltung von Bescheiden in einer für einen blinden Menschen wahrnehmbaren Form voraus, dass die Behörde von dem Berechtigten in Kenntnis gesetzt wird, welche Form der Zugänglichmachung für ihn hilfreich ist. Dokumente können dem Berechtigten schriftlich (in Blindenschrift oder in Großdruck), elektronisch, akustisch, mündlich oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht werden (vgl. § 8 Abs. 2 BbgBBG i.V.m. § 2 der Verordnung über barrierefreie Dokumente in der Bundesverwaltung vom 17. Juli 2002).

    2. Der Zulassungsgrund der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist nicht dargelegt worden.

    Die Klägerin stützt ihr Vorbringen zu dem Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO allein auf ein Abweichen von der oben genannten Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Koblenz vom 25. Juni 2012. Sie lässt außer Acht, dass es bei der Divergenzrüge nicht auf die Abweichung von der Entscheidung irgendeines Oberverwaltungsgerichts ankommt, sondern nur auf die Abweichung von einer Entscheidung des dem Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung angegriffen wird, im Rechtszug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 124 Rn. 12).

    Dessen ungeachtet steht die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Einklang mit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom  28. Dezember 1988 (5 B 49/88), wonach im Einzelfall zu prüfen ist, ob sich ein Blinder keine Kenntnis von dem Inhalt eines schriftlichen Verwaltungsaktes verschaffen konnte, um ihm daraus keine rechtlichen Nachteile erwachsen zu lassen. Eine derartige Einzelfallprüfung hat das Verwaltungsgericht vorgenommen.

    3. Vor dem unter 1. dargelegten Hintergrund ist auch der behauptete Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, das Gericht sei seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen, nicht dargetan. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht den Ehemann der Klägerin zu dessen vorübergehender Ortsabwesenheit im Zeitraum der Zustellung des Bewilligungsbescheides hätte vernehmen müssen (siehe dazu oben unter 1.a). Dessen ungeachtet setzt die Geltendmachung der Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung unter anderem die Darlegung voraus, dass die unterbliebene gerichtliche Aufklärung vor dem Tatsachengericht rechtzeitig gerügt worden ist. Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Sie hat vielmehr ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

    Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

    Dr. Schreier                        Maresch                     Panzer

    RechtsgebieteSGB 1, PflGG BB, BehGleichG BBVorschriften§ 60 Abs 1 SGB 1, § 1 PflGG BB, § 9 PflGG BB, § 8 Abs 2 BehGleichG BB