13.07.2018 · IWW-Abrufnummer 202346
Oberverwaltungsgericht Lüneburg: Beschluss vom 01.06.2018 – 5 ME 47/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
5 ME 47/18
6 B 472/18
In der Verwaltungsrechtssache
xxx
wegen: Bewerbungsverfahrensanspruch
- Einstweilige Anordnung -
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 5. Senat - am 1. Juni 2018 beschlossen:
Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die versäumte Frist für die Begründung der Beschwerde gewährt.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 6. Kammer - vom 8. März 2018 geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, bis zum Eintritt der Bestandskraft der Auswahlentscheidung vom Oktober 2017 über die Bewerbung des Antragstellers vom 22. September 2016 den Beigeladenen unter Übertragung des Dienstpostens eines Oberstudiendirektors zum Schulleiter am Gymnasium E. in E. zu ernennen und ihn in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 16 einzuweisen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 41.613,42 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[….]
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig (dazu unter 1.) und begründet (dazu unter 2.).
1. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar hat der Antragsteller die Frist zur Begründung der Beschwerde (§ 146 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) versäumt. Ihm ist aber antragsgemäß nach § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
a) Nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 2 VwGO ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen; die Begründung ist - sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist - bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ist der streitgegenständliche Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2018 am 15. März 2018 zugestellt worden (Bl. 213/Gerichtsakte - GA -). Er hat am 28. März 2018 fristgerecht (vgl. § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) Beschwerde erhoben und die Übersendung der Beschwerdebegründung mit gesondertem Schriftsatz angekündigt. Dementsprechend begann die Beschwerdebegründungsfrist gemäß 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am 16. März 2018 zu laufen und hätte an sich mit Ablauf des 15. April 2018 geendet (§§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB). Da dieser Tag jedoch auf einen Sonntag fiel, endete die Monatsfrist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des nächsten Werktages, hier also des 16. April 2018 (= Montag). Innerhalb dieser Frist ist eine Beschwerdebegründung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht jedoch nicht eingegangen; der entsprechende Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ist vielmehr erst am 25. April 2018 - und damit verspätet - an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht übermittelt worden (vgl. Bl. 238/GA), nachdem dieses mit Verfügung vom 17. April 2018 (Bl. 229/GA) - dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am selben Tage per Telefax und sodann nochmals am 20. April 2018 per Telefax übersandt (Bl. 232f./GA) - auf die Fristversäumung hingewiesen hatte.
b) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sind hier jedoch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) gegeben. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO), ohne Verschulden verhindert gewesen zu sein, die gesetzliche Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO einzuhalten (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO).
Die Versäumung einer Frist ist im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO unverschuldet, wenn dem Säumigen nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Frist ungenutzt hat verstreichen lassen. Verschuldet ist die Versäumung einer Frist demnach dann, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (BVerwG, Beschluss vom 22.5.2010 - BVerwG 7 B 18.10 -, juris Rn. 4; Nds. OVG, Beschluss vom 30.1.2014 - 5 ME 259/13 -; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 60 Rn. 9; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 60 Rn. 6). Dabei steht das Verschulden eines Bevollmächtigten - insbesondere eines bevollmächtigten Rechtsanwalts - dem Verschulden des Beteiligten gleich (vgl. § 173 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO), d. h. dem Vertretenen ist das Verschulden seines Bevollmächtigten zuzurechnen. Die „Beweislast“ für die Umstände, die dafür sprechen, dass die Fristversäumung unverschuldet war, liegt bei dem Betroffenen, der Wiedereinsetzung begehrt (BVerwG, Beschluss vom 22.5.2010, a. a. O., Rn. 4). Zu beachten ist schließlich, dass bei der Auslegung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, wegen des Anspruchs auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht überspannt werden dürfen (BVerfG, Beschluss vom 1.8.1996 - 1 BvR 121/965 -, juris Rn. 10; BVerwG, Beschluss vom 13.11.1996 – BVerwG 7 B 304.96 -, juris Rn. 2; Beschluss vom 22.5.2010, a. a. O., Rn. 5).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der verspätete Zugang der Beschwerdebegründung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht nicht auf ein - dem Antragsteller zuzurechnendes - (Organisations-)Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist zwar fehlerhaft in den Fristenkalender seiner Kanzlei eingetragen - nämlich auf den 27. April 2018 statt auf den 16. April 2018 - und auch eine verspätete Vorfrist - nämlich den 20. April 2018 - notiert (vgl. die vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vorgelegten Ablichtungen seines Fristenkalenders, Bl. 248f. /GA). Dieser Fehler des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers war indes unter den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles unverschuldet im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO, weil er zum Zeitpunkt des Zugangs des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses und der Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist in den Fristenkalender unverschuldet einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt war, die seine Konzentrationsfähigkeit bei der Fristenbearbeitung beeinträchtigt hat.
Arbeitsüberlastung eines Rechtsanwalts ist regelmäßig kein Wiedereinsetzungsgrund (vgl. BGH, Beschluss vom 8.5.2013 - XII ZB 396/12 -, juris Rn. 8; BVerwG, Beschluss vom 12.1.2015 – BVerwG 4 BN 18.14 -, juris Rn. 10; Bay. VGH, Beschluss vom 5.7.2017 - 15 ZB 17.50022 -, juris Rn. 6; Beschluss vom 22.3.2018 - 8 ZB 17.2498 -, juris Rn. 6). Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung übernimmt, so ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner wesentlichen Aufgaben, der er seine besondere Sorgfalt widmen muss (BVerwG, Beschluss vom 12.1.2015, a. a. O., Rn. 10; Bay. VGH, Beschluss vom 29.9.1997 - 8 ZS 97.2401 -, juris Rn. 1; Beschluss vom 5.7.2017, a. a. O., Rn. 6). Zum Ausschluss des Verschuldens wegen Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten bedarf es deshalb stets des Hinzutretens besonderer Umstände, die ebenfalls darzulegen und glaubhaft zu machen sind; hierzu gehört auch der Vortrag, dass der Bevollmächtigte alles seinerseits Mögliche getan hat, um die Fristversäumung trotz Arbeitsüberlastung zu vermeiden (BVerwG, Beschluss vom 12.1.2015, a. a. O., Rn. 10; Bay. VGH, Beschluss vom 22.3.2018, a. a. O., Rn. 6). Eine erhebliche Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts kann eine Wiedereinsetzung etwa dann ausnahmsweise rechtfertigen, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar eingetreten ist und durch sie die Fähigkeit zu konzentriertem Arbeiten erheblich eingeschränkt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 8.5.2013, a. a. O., Rn. 8; Bay. VGH, Beschluss vom 5.7.2017, a. a. O., Rn. 6). Ist eine Hilfsperson des Prozessbevollmächtigten überlastet, so muss der Bevollmächtigte geeignete Vorkehrungen zur Abwendung der Überlastung treffen, um dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens zu begegnen (Bay. VGH, Beschluss vom 5.7.2017, a. a. O, Rn. 6).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers glaubhaft gemacht, dass ihn im Streitfall kein (Organisations-)Verschulden trifft, weil er zum Zeitpunkt der Zustellung des angegriffenen Beschlusses und der Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist am 15. März 2018 einer besonders hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt war und dass er bis zu diesem Zeitpunkt alles seinerseits Mögliche getan hat, um eine solche besondere Belastungssituation zu verhindern.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat - unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung sowie Übersendung verschiedener Unterlagen - zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragen, er betreibe als Einzelanwalt eine Rechtsanwaltskanzlei in Wilhelmshaven; seit dem Jahr 2015 sei für die allgemeine Bürotätigkeit bei ihm eine Mitarbeiterin - Frau Thiems - beschäftigt. Diese langjährige Tätigkeit habe sich bewährt; es sei zu keiner Zeit zu Problemen bei der Bewältigung des wahrzunehmenden Arbeitsanfalls gekommen. Frau Thiems sei seit dem 4. Januar 2018 arbeitsunfähig erkrankt gewesen, wobei der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers, dem keine Informationen über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hätten, von der baldigen Rückkehr der Frau Thiems ausgegangen sei. Frau Thiems habe sodann während ihrer Arbeitsunfähigkeit Ende Januar 2018 beim Einkauf von Lebensmitteln unverschuldet einen Autounfall erlitten, aufgrund dessen sie weiterhin durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei; Frau Thiems habe ihre Tätigkeit „bis heute“ (also bis zur Abfassung des Wiedereinsetzungsantrags am 25. April 2018, Anm. des Senats) nicht wiederaufgenommen. Infolgedessen habe sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers in einer personellen Ausnahmesituation befunden. Der Ausfall von Frau Thiems habe im Hinblick auf die üblichen anwaltlichen Bürotätigkeiten nicht aufgefangen werden können; die Suche nach Aushilfskräften sei fruchtlos verlaufen. Die zuvor als „Springerin“ für die Vertretung tätige Aushilfskraft sei schwanger und habe kein Interesse an einer weiteren Tätigkeit mehr gehabt. Auf dem Arbeitsmarkt in Wilhelmshaven sei derzeit derart kurzfristig zur Aushilfe kein qualifiziertes Personal zu finden; auf die örtlichen Stellensuchen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers hätten sich zwar einzelne Interessenten gemeldet, die jedoch entweder nicht einmal zu den Vorstellungsgesprächen erschienen seien oder kurzfristig abgesagt hätten bzw. nicht hinreichend qualifiziert gewesen seien.
Bedingt durch diesen Personalmangel sei der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers somit gezwungen gewesen, neben der anwaltlichen Tätigkeit zusätzlich auch die Bürotätigkeit einschließlich der Fristenbearbeitung und -überwachung selbst zu erledigen. Im aktuellen Jahr einschließlich der aus den Vorjahren noch geführten Mandate sei eine Zahl von etwa 1.200 bis 1.300 laufende Mandate zu bearbeiten; hinzu komme, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Wilhelmshaven wahrzunehmen und das Sommersemester 2018 im März 2018 begonnen habe. Infolgedessen sei der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers täglich durchschnittlich mehr als 12 Stunden in der Kanzlei tätig. Zum Zeitpunkt der Zustellung des angegriffenen Beschlusses am 15. März 2018 (11. Kalenderwoche 2018) habe sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers täglich einem ungewöhnlich hohen Aufkommen an Eingängen - der Erinnerung nach allein um den 15. März 2018 herum von mehr als 100 Eingängen mit zahlreichen einzutragenden Fristen - ausgesetzt gesehen. Hinzu sei eine ebenfalls ungewöhnlich hohe Zahl von Anrufen in der Anwaltskanzlei gekommen, die der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wegen des fehlenden Büropersonals persönlich habe entgegennehmen müssen. Es könne nur vermutet werden, dass dieser ungewöhnlich hohe Arbeitsanfall mit den nachfolgenden Osterfeiertagen in Verbindung gestanden habe, obwohl in den Vorjahren ein solch hoher Anfall nicht zu verzeichnen gewesen sei. Bedingt durch die ungewöhnlich hohe Belastung und die Vielzahl von Fristen habe der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Frist zur Beschwerdebegründung im Fristenkalender versehentlich falsch eingetragen. Er könne sich die vollständig falsch eingetragene Frist sowie Vorfrist nur vor dem Hintergrund eines „Augenblicksversagens“ dadurch erklären, dass sich die Seiten des Kalenders verblättert hätten, eine Ablenkung durch Telefonate oder aber eine Verwechslung mit der Frist in einer anderen Sache aufgetreten sei. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers sei seit April 1997 und damit seit mittlerweile 21 Jahren als Rechtsanwalt tätig. Während dieser Zeit habe er noch niemals wegen Fristversäumung einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt; auch Regressansprüche von Mandanten seien in dieser Zeit niemals an ihn herangetragen worden.
Mit diesem Vorbringen sind (innerhalb der maßgeblichen Frist des § 60 Abs. 2, 2. Halbsatz VwGO) besondere Umstände glaubhaft gemacht, die ausnahmsweise zum Ausschluss eines Verschuldens im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO wegen Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers führen.
Zwar war für den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers - einen Einzelanwalt - zum Zeitpunkt des Eingangs des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses und der (fehlerhaften) Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist am 15. März 2018 der mit dem längerfristigen Ausfall seiner einzigen Bürokraft verbundene strukturelle Arbeitsmehraufwand nicht (mehr) „plötzlich und unvorhersehbar“. Denn nach seinem glaubhaften Vortrag war ihm jedenfalls seit etwa Ende des Monats Januar 2018 bekannt, dass seine einzige Bürokraft längerfristig ausfallen werde, so dass seit diesem Zeitpunkt bei dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers auch Kenntnis darüber bestand, dass er als einziger Anwalt der Kanzlei neben seiner Anwaltstätigkeit die in der Kanzlei anfallenden allgemeinen Bürotätigkeiten würde übernehmen müssen, falls sich für diese Bürotätigkeiten keine Aushilfskraft fände. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat indes durch seine Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag und der vom 25. April 2018 datierenden eidesstattlichen Versicherung (Bl. 238ff., 241f./GA) glaubhaft gemacht, dass es in der 11. Kalenderwoche in seiner Kanzlei insoweit eine unvorhersehbare Situation gegeben hat, als er im Vergleich zu den Verhältnissen in den Vorjahren täglich ein ungewöhnlich hohes Aufkommen an Eingängen - allein um den 15. März 2018 herum von mehr als 100 Eingängen - mit zahlreichen einzutragenden Fristen zu bewältigen hatte; außerdem hat es eine ebenfalls ungewöhnlich hohe Anzahl von Anrufen in der Anwaltskanzlei gegeben, die der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wegen des fehlenden Büropersonals selbst hat entgegennehmen müssen. Diese ungewöhnliche und durch das Fehlen der einzigen Bürokraft der Kanzlei noch verstärkte punktuelle Belastungssituation für den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ist wiederum zu der bereits seit mindestens Ende Januar 2018 bestehenden strukturellen Belastungssituation hinzugetreten.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat auch glaubhaft gemacht, alles seinerseits Mögliche getan zu haben, um die - mit dem längerfristigen Ausfall seiner Kanzleikraft verbundene - strukturelle Problematik in Gestalt einer länger andauernden Doppelbelastung seiner Person zu verhindern, hierbei aber keinen Erfolg gehabt zu haben. Er hat in seinem Wiedereinsetzungsantrag und seiner eidesstattlichen Versicherung glaubhaft vorgetragen, sich zunächst um Aushilfe durch eine von ihm bereits zuvor eingesetzte „Springerkraft“ bemüht zu haben, welche aber aufgrund ihrer Schwangerschaft nicht zur Verfügung stand. Ferner hat er glaubhaft gemacht, dass die von ihm veranlassten örtlichen Stellengesuche keinen Erfolg hatten, weil die entsprechenden Interessenten entweder nicht hinreichend qualifiziert gewesen sind, nicht zum vereinbarten Vorstellungsgespräch erschienen sind oder aber den zugesagten Antritt der Stelle kurzfristig wieder abgesagt haben. Diese Ausführungen ergänzend hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers zudem glaubhaft erklärt (ergänzende Beschwerdebegründung - eBB - vom 23.5.2018, S. 3 [Bl. 298/GA]), er habe sowohl über die Agentur für Arbeit als auch über das örtliche Jobcenter frühzeitig ab Februar 2018 versucht, eine Aushilfskraft zu finden; das Stellengesuch sei sogar bewusst nicht nur auf Rechtsanwaltsfachangestellte beschränkt worden, um auch branchenähnliche Bewerber wie etwa Verwaltungsfachangestellte einzubeziehen. Glaubhaft ist für den Senat auch der weitere Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, er habe darüber hinaus im Kollegenkreis und über die Stellenseiten der Rechtsanwaltskammer versucht, eine Aushilfskraft zu finden (eBB vom 23.5.2018, S. 3 [Bl. 298/GA]). Der Senat hat auch keinerlei Anhaltpunkte dafür, am Wahrheitsgehalt der weiteren Erläuterung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zu zweifeln, wonach die Prüfungen zur Berufsausbildung der Rechtsanwaltsfachangestellten immer erst im Mai/Juni eines Jahres abgeschlossen seien, weshalb im März 2018 aus diesem Kreis noch niemand zur Verfügung gestanden habe, und dass fertig ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte in Wilhelmshaven aktuell nicht zur Verfügung stünden, was auch der Umstand belege, dass andere Rechtsanwälte in Wilhelmshaven seit längerem vergeblich nach Arbeitskräften suchten. Dass bei dieser Situation und trotz der zahlreichen, vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers geschilderten Bemühungen seinerseits die kurzfristige Einstellung einer Aushilfsbürokraft nicht möglich gewesen ist, ist für den Senat gut nachvollziehbar.
Soweit der Antragsgegner einwendet, der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hätte in Bezug auf das geltend gemachte Auftreten einer hohen Anzahl an Anrufen in der 11. Kalenderwoche 2018 diesbezügliche Vorkehrungen wie z. B. die Einrichtung eines Anrufbeantworters schaffen können (Beschwerdeerwiderung - BE -, S. 2 [Bl. 290/GA], ist der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers diesem Vorhalt überzeugend mit dem glaubhaften Vortrag entgegengetreten, dass er selbstverständlich einen Anrufbeantworter nutze. Dass es die Standespflichten eines Rechtsanwaltes indes gebieten, grundsätzlich für seine Mandanten erreichbar zu sein, so dass eine längerfristige Nichtannahme von Anrufen ausscheidet, liegt auf der Hand; im Übrigen ist es bei Einrichtung eines Anrufbeantworters erforderlich, die aufgesprochenen Nachrichten abzuhören und die hierauf geäußerten Anliegen zu priorisieren und sodann zu bearbeiten, was ebenfalls Zeitkapazitäten bindet, zumal der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers glaubhaft versichert hat, im entsprechenden Zeitraum etwa 1.200 bis 1.300 laufende Mandate gehabt zu haben.
Soweit der Antragsgegner damit argumentiert, der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hätte die Übernahme von Mandaten sowie der Lehrverpflichtung an der Fachhochschule Wilhelmshaven ablehnen müssen, wenn es ihm wegen Arbeitsüberlastung nicht möglich gewesen sei, der Fristenbearbeitung besondere Sorgfalt angedeihen zu lassen (BE, S. 2 [Bl. 290/GA]), dringt er mit diesem Einwand ebenfalls nicht durch. Denn der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat glaubhaft vorgetragen, er habe im hier maßgeblichen Zeitraum (Februar/März 2018) sehr wohl mehrere Mandate wegen der fehlenden zeitlichen Möglichkeiten zur Bearbeitung abgelehnt, das Mandat des Antragstellers sei indes zu einem Zeitpunkt übernommen worden, als die Länge der Erkrankung der einzigen Bürokraft der Kanzlei noch nicht absehbar gewesen sei (eBB, S. 2 [Bl. 297/GA]). Dieses Vorbringen wird auch durch die in der Gerichtsakte befindliche Vollmacht in Bezug auf die Bewerbung des Antragstellers für den streitgegenständlichen Dienstposten - u. a. „Prozessvollmacht für alle Verfahren in allen Instanzen“ - belegt, die vom 11. Januar 2018 (Bl. 23/GA) und damit zeitlich vor dem Unfall der einzigen Kanzleikraft, die zu deren längerfristigem Ausfall geführt hat, datiert. Auch in Bezug auf den Lehrauftrag an der Fachhochschule Wilhelmshaven hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers glaubhaft gemacht, diesen bereits zu einem Zeitpunkt angenommen zu haben, als die längerfristige Erkrankung seiner einzigen Bürokraft noch nicht absehbar gewesen ist (eBB, S. 3 [Bl. 298/GA]). Wie der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers zudem glaubhaft vorgetragen hat, begann das Sommersemester 2018 im März 2018 und damit etwa zu dem Zeitpunkt der geltend gemachten ungewöhnlich hohen punktuellen Belastung in der 11. Kalenderwoche 2018. Dass der übernommene Lehrauftrag jedenfalls zu diesem Zeitpunkt - also quasi mit sofortiger Wirkung - hätte abgegeben werden müssen, hat der Antragsgegner nicht geltend gemacht; von einer derartigen Obliegenheit des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ist angesichts des Umstandes, dass das Sommersemester bereits begonnen hatte, auch nicht ohne Weiteres auszugehen.
Der Antragsgegner kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hätte nach Bekanntwerden der längerfristigen Erkrankung seiner einzigen Bürokraft Mandate abgeben müssen (BE, S. 2 [Bl. 290/GA]). Denn diese Argumentation lässt die im Streitfall vorliegenden besonderen Umstände unberücksichtigt, die darin bestehen, dass die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in der 11. Kalenderwoche 2018 nicht nur eine - durch den längerfristigen Ausfall seiner einzigen Kanzleikraft bedingte - strukturelle Mehrbelastung in Form einer Doppelbelastung war, sondern zu dieser auch noch eine ungewöhnliche und damit unvorhersehbare punktuelle Mehrbelastung hinzutrat, welche die bestehende Doppelbelastung weiter verstärkt hat. Dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers als Einzelanwalt bis zur 11. Kalenderwoche 2018, also ca. 1,5 Monate nach Bekanntwerden der längerfristigen Erkrankung seiner Angestellten, noch davon ausging, den normalerweise zu erwartenden Arbeitsanfall in seiner Kanzlei - d. h. die anwaltlichen Aufgaben und die hiermit verbundenen Bürotätigkeiten - bis zur Einstellung einer Aushilfsbürokraft ohne Abgabe von Mandaten selbst wahrnehmen zu können, begründet noch keinen Fahrlässigkeitsvorwurf im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO, zumal er sich hinreichend um die Einstellung einer Aushilfskraft bemüht und im Februar/März 2018 bereits Mandate abgelehnt hatte. Dass sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Zeitpunkt der - zu der bekannten Doppelbelastung hinzutretenden - unvorhergesehenen punktuellen Mehrbelastung in der 11. Kalenderwoche 2018 nicht um die Abgabe von Mandaten bemüht hat, rechtfertigt vor dem Hintergrund der laufenden Stellenbesetzungsbemühungen ebenfalls (noch) nicht die Annahme, dass er diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. Ab einem gewissen Zeitpunkt nach Bekanntwerden einer längerfristigen Erkrankung der einzigen Kanzleikraft, dem Umstand, dass Aushilfspersonal nicht zeitnah eingestellt werden kann und der Erkenntnis, das unvorhersehbare punktuelle Mehrbelastungen in einer solchen Situation nicht mehr aufgefangen werden können, dürfte sich zwar auch ein Einzelanwalt nicht mehr erfolgreich auf den Wiedereinsetzungsgrund der Arbeitsüberlastung (in Gestalt einer Doppelbelastung) berufen können. Dieser Zeitpunkt war jedoch im Streitfall zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der fehlerhaften Fristeneintragung am 15. März 2018 noch nicht erreicht.
2. [….]